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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Arzt verstünde nichts davon, sie erklärte, beiß sie selbst niemals so etwas gegessen
und doch niemals an Heiserkeit gelitten habe. Aber Sylvia war von ihrem
eignen Fleisch und Blut und hatte die Zähigkeit der Mutter in vollem Maße
geerbt. Je mehr Hindernisse ihrem Genuß in den Weg gelegt wurden, desto
mehr ward sie darauf erpicht, und sie ließ nicht davon ab, immer wieder ihr
El zu verlangen. Dieser kleine Krieg entbrannte auch heute wieder und endete
mit- dem Siege Sylvias. Frau Irrwisch zog den Schlüssel ans der Tasche,
übergab ihn der Tochter mit der Ermahnung, ihn gleich wiederzubringen, und
diese entfernte sich.

Frau Irrwisch aber stützte verdrießlich ihren Kopf auf die Hand.

Da trat Scheindl Benet ein und wünschte mit ihrer dünnen Stimme einen
guten Morgen.

Frau Irrwisch hob die Augen auf, nickte zum Gruß und betrachtete die
Freundin, wie sie hustend herumschlich, sich stöhnend auf den ihr seit Jahren
angewiesenen Sitz, den gelbseidenen Lehnstuhl am Fenster, setzte und einen Korb
auszupacken anfing, den sie unter dem Mantel hervorgezogen hatte und der
allerhand Flicken und Proben und Schnitte und Eckchen Band und Spitze,
Nadel", Fingerhut, Scheere sowie viele andre Dinge beherbergte, welche sterb¬
lichen Augen verborgen blieben.

Als Frau Rachel Irrwisch diese abgemagerte, zahnlose, zusammengekrümmt"
Figur eine Zeit lang betrachtet hatte, die mit spitzen Fingern in dem Kram
ihres Korbes wühlt? und einen großen, mit blauem Tuch überzogene" Näh¬
stein hervorholte, wie sie in längst vergangnen Zeiten üblich waren, heiterte sich
allmählich ihr Gesicht auf, und sie begann zu sprechen.

Es ist doch schön, wenn man reich ist, Scheindl, sagte sie.

Ja, das ist sehr schön, sagte die alte Schneiderin mit einem Seufzer.

Ich kann alles haben, fuhr Frau Rahel fort, alles was ich mir wünsche,
denn wir haben das Geld dazu.

Ja ja, sagte Scheindl, noch tiefer seufzend.

Mein Mann hält mir eine Equipage, sagte Frau Rahel, und wenn ich
wollte, könnte ich vierspännig fahren. Wir haben sehr schöne große Pferde,
nicht so eine kleine rauhe Katze wie dem Onkel Jtzig hatte, um Knochen und
Lumpen in der Stadt zusammenzufahren, sondern blanke Tiere mit langen Beinen.

Ich möchte nichts mit so großen Tieren zu schaffen haben, sagte die alte
Schneiderin kopfschüttelnd.

Ja, du! entgegnete Frau Rahel geringschätzig. Das ist auch uur etwas
für vornehme Leute.'

Ach, du lieber Gott, ja!

Wir reisen diesen Sommer ins Bad, fuhr Frau Irrwisch fort, in ein großes,
elegantes Bad. Dazu muß ich noch mehrere Kleider haben, für die Promenade
und für die Table d'böte und für die Soireen.


GrnizbottM I. 1882. 46
Bakchen und Thyrsosträger.

Arzt verstünde nichts davon, sie erklärte, beiß sie selbst niemals so etwas gegessen
und doch niemals an Heiserkeit gelitten habe. Aber Sylvia war von ihrem
eignen Fleisch und Blut und hatte die Zähigkeit der Mutter in vollem Maße
geerbt. Je mehr Hindernisse ihrem Genuß in den Weg gelegt wurden, desto
mehr ward sie darauf erpicht, und sie ließ nicht davon ab, immer wieder ihr
El zu verlangen. Dieser kleine Krieg entbrannte auch heute wieder und endete
mit- dem Siege Sylvias. Frau Irrwisch zog den Schlüssel ans der Tasche,
übergab ihn der Tochter mit der Ermahnung, ihn gleich wiederzubringen, und
diese entfernte sich.

Frau Irrwisch aber stützte verdrießlich ihren Kopf auf die Hand.

Da trat Scheindl Benet ein und wünschte mit ihrer dünnen Stimme einen
guten Morgen.

Frau Irrwisch hob die Augen auf, nickte zum Gruß und betrachtete die
Freundin, wie sie hustend herumschlich, sich stöhnend auf den ihr seit Jahren
angewiesenen Sitz, den gelbseidenen Lehnstuhl am Fenster, setzte und einen Korb
auszupacken anfing, den sie unter dem Mantel hervorgezogen hatte und der
allerhand Flicken und Proben und Schnitte und Eckchen Band und Spitze,
Nadel», Fingerhut, Scheere sowie viele andre Dinge beherbergte, welche sterb¬
lichen Augen verborgen blieben.

Als Frau Rachel Irrwisch diese abgemagerte, zahnlose, zusammengekrümmt«
Figur eine Zeit lang betrachtet hatte, die mit spitzen Fingern in dem Kram
ihres Korbes wühlt? und einen großen, mit blauem Tuch überzogene» Näh¬
stein hervorholte, wie sie in längst vergangnen Zeiten üblich waren, heiterte sich
allmählich ihr Gesicht auf, und sie begann zu sprechen.

Es ist doch schön, wenn man reich ist, Scheindl, sagte sie.

Ja, das ist sehr schön, sagte die alte Schneiderin mit einem Seufzer.

Ich kann alles haben, fuhr Frau Rahel fort, alles was ich mir wünsche,
denn wir haben das Geld dazu.

Ja ja, sagte Scheindl, noch tiefer seufzend.

Mein Mann hält mir eine Equipage, sagte Frau Rahel, und wenn ich
wollte, könnte ich vierspännig fahren. Wir haben sehr schöne große Pferde,
nicht so eine kleine rauhe Katze wie dem Onkel Jtzig hatte, um Knochen und
Lumpen in der Stadt zusammenzufahren, sondern blanke Tiere mit langen Beinen.

Ich möchte nichts mit so großen Tieren zu schaffen haben, sagte die alte
Schneiderin kopfschüttelnd.

Ja, du! entgegnete Frau Rahel geringschätzig. Das ist auch uur etwas
für vornehme Leute.'

Ach, du lieber Gott, ja!

Wir reisen diesen Sommer ins Bad, fuhr Frau Irrwisch fort, in ein großes,
elegantes Bad. Dazu muß ich noch mehrere Kleider haben, für die Promenade
und für die Table d'böte und für die Soireen.


GrnizbottM I. 1882. 46
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[0369] Bakchen und Thyrsosträger. Arzt verstünde nichts davon, sie erklärte, beiß sie selbst niemals so etwas gegessen und doch niemals an Heiserkeit gelitten habe. Aber Sylvia war von ihrem eignen Fleisch und Blut und hatte die Zähigkeit der Mutter in vollem Maße geerbt. Je mehr Hindernisse ihrem Genuß in den Weg gelegt wurden, desto mehr ward sie darauf erpicht, und sie ließ nicht davon ab, immer wieder ihr El zu verlangen. Dieser kleine Krieg entbrannte auch heute wieder und endete mit- dem Siege Sylvias. Frau Irrwisch zog den Schlüssel ans der Tasche, übergab ihn der Tochter mit der Ermahnung, ihn gleich wiederzubringen, und diese entfernte sich. Frau Irrwisch aber stützte verdrießlich ihren Kopf auf die Hand. Da trat Scheindl Benet ein und wünschte mit ihrer dünnen Stimme einen guten Morgen. Frau Irrwisch hob die Augen auf, nickte zum Gruß und betrachtete die Freundin, wie sie hustend herumschlich, sich stöhnend auf den ihr seit Jahren angewiesenen Sitz, den gelbseidenen Lehnstuhl am Fenster, setzte und einen Korb auszupacken anfing, den sie unter dem Mantel hervorgezogen hatte und der allerhand Flicken und Proben und Schnitte und Eckchen Band und Spitze, Nadel», Fingerhut, Scheere sowie viele andre Dinge beherbergte, welche sterb¬ lichen Augen verborgen blieben. Als Frau Rachel Irrwisch diese abgemagerte, zahnlose, zusammengekrümmt« Figur eine Zeit lang betrachtet hatte, die mit spitzen Fingern in dem Kram ihres Korbes wühlt? und einen großen, mit blauem Tuch überzogene» Näh¬ stein hervorholte, wie sie in längst vergangnen Zeiten üblich waren, heiterte sich allmählich ihr Gesicht auf, und sie begann zu sprechen. Es ist doch schön, wenn man reich ist, Scheindl, sagte sie. Ja, das ist sehr schön, sagte die alte Schneiderin mit einem Seufzer. Ich kann alles haben, fuhr Frau Rahel fort, alles was ich mir wünsche, denn wir haben das Geld dazu. Ja ja, sagte Scheindl, noch tiefer seufzend. Mein Mann hält mir eine Equipage, sagte Frau Rahel, und wenn ich wollte, könnte ich vierspännig fahren. Wir haben sehr schöne große Pferde, nicht so eine kleine rauhe Katze wie dem Onkel Jtzig hatte, um Knochen und Lumpen in der Stadt zusammenzufahren, sondern blanke Tiere mit langen Beinen. Ich möchte nichts mit so großen Tieren zu schaffen haben, sagte die alte Schneiderin kopfschüttelnd. Ja, du! entgegnete Frau Rahel geringschätzig. Das ist auch uur etwas für vornehme Leute.' Ach, du lieber Gott, ja! Wir reisen diesen Sommer ins Bad, fuhr Frau Irrwisch fort, in ein großes, elegantes Bad. Dazu muß ich noch mehrere Kleider haben, für die Promenade und für die Table d'böte und für die Soireen. GrnizbottM I. 1882. 46

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/369>, abgerufen am 28.09.2024.