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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger,

Frau Rahels Seele in aufrichtiger Sympathie hingezogen fühlte, Sie war eine
Freundin seit vierzig Jahren, ein kleines kümmerliches, niedriges, bescheidenes,
beschränktes Wesen, dem gegenüber Frau Nadel sich groß, schön und vornehm
vorkam, und deshalb war sie unentbehrlich. So lebte sie denn auch fast
ganz von den Geschenken, welche Frau Nadel ihr in Geld oder Naturalien zu¬
kommen ließ und bei denen sie ihren Geiz völlig bei Seite setzte. Frau Nadel fand
kein Wesen sonst unter allen menschlichen Gebilden, welches, ihr gegenüberstehend,
ihr Selbstgefühl zu erhöhen imstande gewesen wäre, deshalb war das kleine
häßliche Geschöpf köstlich für ihre Augen. Auch stammte diese Freundschaft noch
aus einer Zeit, welche Frau Nadel im Dufte der Erinnerung erschien, aus jener
Zeit nämlich, wo sie noch ledig und ihren, Vater im Aufstützen alter Kleidungs¬
stücke für sein Trödelgeschäft behilflich gewesen war. Damals hatte sie mit der
Nachbarin Scheindl Benet intimen Umgang gehabt, und das Gedenken an die
alten Geschichten der damaligen Zeit bildete den Kitt für ein Bündnis, welches
der einzige Lichtpunkt in der jetzigen Epoche unbehaglicher Vornehmheit war.

Frau Rahel hatte jetzt sehr feinen Umgang. Abgeordnete, Beamte, Künstler,
Gelehrte und Offiziere besuchten die Gesellschaften, welche der Millionär gab.
Aber in alledem, was sie mit diesen Leuten und deren Frauen und Töchtern
sprechen konnte, war wenig Erquickung für die arme Seele. Das einzige Scheindl
Benet allein barg in sich mehr geselligen Reiz als diese ganze Gesellschaft, welche
nach Frau Rahels Meinung von Nationalökonomie nichts verstand, für die
armen Klaffen nur Phrasen hatte und überhaupt geziert und affektirt war.

Der erwartete Besuch von Scheindl Benet, mit welcher sie in dem unharmonisch
ausgestatteten Zimmer einen traulichen Tag beim Nähen eines dunkelblaue"
seidenen Staatskleides mit rotem Besatz zubringen wollte, belebte Frau Nadel
heute Morgen zu einer mehr als gewöhnlich eindringlichen Ermahnung Sylvias
hinsichtlich der Tugenden Sparsamkeit und Bescheidenheit.

Aber der Eindruck ihrer Worte auf Sylvia war sehr gering und jedenfalls
nicht der beabsichtigte. Sylvia wußte selber ganz genau, was sie wollte und
war durch andrer Leute Meinung nicht von ihrer eignen Ansicht abzubringen.
Ihre schönen dunkeln Augen hefteten sich mit dem Ausdruck kalter Verachtung
auf der Mutter Gesicht, und sie erachtete es nicht der Mühe wert, ferner zu
antworten.

Sylvia hatte Gesangunterricht und seit einigen Wochen auf Anraten ihres
Arztes wegen einer unbedeutenden Heiserkeit angefangen des Morgens ein mit
Zucker und Madeira gerührtes Eidotter zu essen. Das war ein Dorn in den
Augen der Mutter. Jeden Morgen gab es einen kleinen Zwist über dies Linderungs¬
mittel, denn Frau Irrwisch wollte den Schlüssel zur Speisekammer nicht hergeben,
in welcher die kostbaren Ingredienzen aufbewahrt wurden. Sie glaubte durch
ihren immer wiederholten Widerstand die Tochter schließlich ermüden zu können.
Sie behauptete, das gerührte El sei schädlich für den Hals, sie behauptete, der


Bakchen und Thyrsosträger,

Frau Rahels Seele in aufrichtiger Sympathie hingezogen fühlte, Sie war eine
Freundin seit vierzig Jahren, ein kleines kümmerliches, niedriges, bescheidenes,
beschränktes Wesen, dem gegenüber Frau Nadel sich groß, schön und vornehm
vorkam, und deshalb war sie unentbehrlich. So lebte sie denn auch fast
ganz von den Geschenken, welche Frau Nadel ihr in Geld oder Naturalien zu¬
kommen ließ und bei denen sie ihren Geiz völlig bei Seite setzte. Frau Nadel fand
kein Wesen sonst unter allen menschlichen Gebilden, welches, ihr gegenüberstehend,
ihr Selbstgefühl zu erhöhen imstande gewesen wäre, deshalb war das kleine
häßliche Geschöpf köstlich für ihre Augen. Auch stammte diese Freundschaft noch
aus einer Zeit, welche Frau Nadel im Dufte der Erinnerung erschien, aus jener
Zeit nämlich, wo sie noch ledig und ihren, Vater im Aufstützen alter Kleidungs¬
stücke für sein Trödelgeschäft behilflich gewesen war. Damals hatte sie mit der
Nachbarin Scheindl Benet intimen Umgang gehabt, und das Gedenken an die
alten Geschichten der damaligen Zeit bildete den Kitt für ein Bündnis, welches
der einzige Lichtpunkt in der jetzigen Epoche unbehaglicher Vornehmheit war.

Frau Rahel hatte jetzt sehr feinen Umgang. Abgeordnete, Beamte, Künstler,
Gelehrte und Offiziere besuchten die Gesellschaften, welche der Millionär gab.
Aber in alledem, was sie mit diesen Leuten und deren Frauen und Töchtern
sprechen konnte, war wenig Erquickung für die arme Seele. Das einzige Scheindl
Benet allein barg in sich mehr geselligen Reiz als diese ganze Gesellschaft, welche
nach Frau Rahels Meinung von Nationalökonomie nichts verstand, für die
armen Klaffen nur Phrasen hatte und überhaupt geziert und affektirt war.

Der erwartete Besuch von Scheindl Benet, mit welcher sie in dem unharmonisch
ausgestatteten Zimmer einen traulichen Tag beim Nähen eines dunkelblaue»
seidenen Staatskleides mit rotem Besatz zubringen wollte, belebte Frau Nadel
heute Morgen zu einer mehr als gewöhnlich eindringlichen Ermahnung Sylvias
hinsichtlich der Tugenden Sparsamkeit und Bescheidenheit.

Aber der Eindruck ihrer Worte auf Sylvia war sehr gering und jedenfalls
nicht der beabsichtigte. Sylvia wußte selber ganz genau, was sie wollte und
war durch andrer Leute Meinung nicht von ihrer eignen Ansicht abzubringen.
Ihre schönen dunkeln Augen hefteten sich mit dem Ausdruck kalter Verachtung
auf der Mutter Gesicht, und sie erachtete es nicht der Mühe wert, ferner zu
antworten.

Sylvia hatte Gesangunterricht und seit einigen Wochen auf Anraten ihres
Arztes wegen einer unbedeutenden Heiserkeit angefangen des Morgens ein mit
Zucker und Madeira gerührtes Eidotter zu essen. Das war ein Dorn in den
Augen der Mutter. Jeden Morgen gab es einen kleinen Zwist über dies Linderungs¬
mittel, denn Frau Irrwisch wollte den Schlüssel zur Speisekammer nicht hergeben,
in welcher die kostbaren Ingredienzen aufbewahrt wurden. Sie glaubte durch
ihren immer wiederholten Widerstand die Tochter schließlich ermüden zu können.
Sie behauptete, das gerührte El sei schädlich für den Hals, sie behauptete, der


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[0368] Bakchen und Thyrsosträger, Frau Rahels Seele in aufrichtiger Sympathie hingezogen fühlte, Sie war eine Freundin seit vierzig Jahren, ein kleines kümmerliches, niedriges, bescheidenes, beschränktes Wesen, dem gegenüber Frau Nadel sich groß, schön und vornehm vorkam, und deshalb war sie unentbehrlich. So lebte sie denn auch fast ganz von den Geschenken, welche Frau Nadel ihr in Geld oder Naturalien zu¬ kommen ließ und bei denen sie ihren Geiz völlig bei Seite setzte. Frau Nadel fand kein Wesen sonst unter allen menschlichen Gebilden, welches, ihr gegenüberstehend, ihr Selbstgefühl zu erhöhen imstande gewesen wäre, deshalb war das kleine häßliche Geschöpf köstlich für ihre Augen. Auch stammte diese Freundschaft noch aus einer Zeit, welche Frau Nadel im Dufte der Erinnerung erschien, aus jener Zeit nämlich, wo sie noch ledig und ihren, Vater im Aufstützen alter Kleidungs¬ stücke für sein Trödelgeschäft behilflich gewesen war. Damals hatte sie mit der Nachbarin Scheindl Benet intimen Umgang gehabt, und das Gedenken an die alten Geschichten der damaligen Zeit bildete den Kitt für ein Bündnis, welches der einzige Lichtpunkt in der jetzigen Epoche unbehaglicher Vornehmheit war. Frau Rahel hatte jetzt sehr feinen Umgang. Abgeordnete, Beamte, Künstler, Gelehrte und Offiziere besuchten die Gesellschaften, welche der Millionär gab. Aber in alledem, was sie mit diesen Leuten und deren Frauen und Töchtern sprechen konnte, war wenig Erquickung für die arme Seele. Das einzige Scheindl Benet allein barg in sich mehr geselligen Reiz als diese ganze Gesellschaft, welche nach Frau Rahels Meinung von Nationalökonomie nichts verstand, für die armen Klaffen nur Phrasen hatte und überhaupt geziert und affektirt war. Der erwartete Besuch von Scheindl Benet, mit welcher sie in dem unharmonisch ausgestatteten Zimmer einen traulichen Tag beim Nähen eines dunkelblaue» seidenen Staatskleides mit rotem Besatz zubringen wollte, belebte Frau Nadel heute Morgen zu einer mehr als gewöhnlich eindringlichen Ermahnung Sylvias hinsichtlich der Tugenden Sparsamkeit und Bescheidenheit. Aber der Eindruck ihrer Worte auf Sylvia war sehr gering und jedenfalls nicht der beabsichtigte. Sylvia wußte selber ganz genau, was sie wollte und war durch andrer Leute Meinung nicht von ihrer eignen Ansicht abzubringen. Ihre schönen dunkeln Augen hefteten sich mit dem Ausdruck kalter Verachtung auf der Mutter Gesicht, und sie erachtete es nicht der Mühe wert, ferner zu antworten. Sylvia hatte Gesangunterricht und seit einigen Wochen auf Anraten ihres Arztes wegen einer unbedeutenden Heiserkeit angefangen des Morgens ein mit Zucker und Madeira gerührtes Eidotter zu essen. Das war ein Dorn in den Augen der Mutter. Jeden Morgen gab es einen kleinen Zwist über dies Linderungs¬ mittel, denn Frau Irrwisch wollte den Schlüssel zur Speisekammer nicht hergeben, in welcher die kostbaren Ingredienzen aufbewahrt wurden. Sie glaubte durch ihren immer wiederholten Widerstand die Tochter schließlich ermüden zu können. Sie behauptete, das gerührte El sei schädlich für den Hals, sie behauptete, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/368>, abgerufen am 28.09.2024.