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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Frau Nadel ward durch solche Bemerkungen ihrer Tochter sehr betrübt,
Sie fühlte deren Unkindlichkeit tief, hatte aber nicht die Energie, ihr in der
rechten Weise entgegenzutreten, Sie hegte eine gewisse Verehrung ihrer eignen
Kinder, weil diese viel gebildeter seien als sie selbst, und hatte besonders vor
Sylvias Eleganz und sicherer Haltung eine gewisse Scheu, Nur zu Zeiten
brach wohl ihr Ärger durch, und so auch jetzt.

He he! sagte sie, du willst ja hoch hinaus, mein Püppchen. Das wird
dir schon gezeigt werden, wenn du erst deinen lieben Eduard bekommen hast
und Frau Architektin Frank bist, was ich dein armen hübschen Jungen freilich
gern noch recht lange ersparen möchte.

Sylvia zuckte die Achseln.

Frau Nadel war übrigens heute in guter Laune, denn es war der Tag,
an welchem ihre Schneiderin kam. Solcher Tage gab es in jeder Woche einen,

Frau Nadel Pflegte schon am Abend vorher, noch mehr aber an dem Morgen
selbst, wenn die Schneiderin erwartet wurde, sehr zu klagen, was sür eine arme
und viclgeplagte Frau sie sei, daß sie es notwendig habe, die wenigen Kleider,
die sie trage, selbst zu machen und nur mit Hilfe einer ungeschickten Person,
der sie alles erst zeigen müsse und die doch nichts recht mache, Sie müsse alles
wieder auftrennen und noch einmal nahen, wenn die Person fort sei, und das
sei schlimmer als wenn sie selbst gleich alles gemacht hätte. Andre Frauen Hütten
es besser, Sie glaube nicht, daß irgend eine andre Dame in ihrem Alter und
von ihrer Stellung so bescheiden sei. Von ihren Bekannten wenigstens wisse sie
niemanden. Andre Damen pflegten sich, wenn sie ein neues Kleid brauchten,
an ein Konfektionsgeschäft zu wenden und es sich zu bestellen. Die hätten es
freilich bequem.

Schon seit langen Jahren hatte Herr Irrwisch es aufgegeben, auf diese
Vorwürfe, welche sich an seine Adresse richteten, etwas zu antworten. Höchstens
nickte er mit dem Kopfe. Denn er wußte seit langen Jahren, daß er nichts,
gar nichts vorbringen konnte, was nicht seine Lage verschlimmert hätte.

Zu Anfang hatte er in seiner Unschuld wohl erwiedert, seine Frau möge
doch anch in ein Konfektionsgeschäft gehen. Er wolle gern alle Unkosten tragen.

Aber das war ein ganz thörichtes Anerbieten, denn niemals hätte sich Nadel
entschlossen, anch so leichtsinnig und verschwenderisch zu wirtschaften wie ihr Mann,

Später hatte er wohl geantwortet, sie möchte eine geschickte Schneiderin
engagiren, deren Arbeit sie nicht wieder aufzutrennen habe.

Aber dieser Vorschlag war auch nicht das Nichtige und war ein Schlag
ins Wasser gleich dem andern.

In Wahrheit nämlich waren die Zusammenkünfte mit der Schneiderin ein
Bedürfnis und ein Genuß für Frau Nadel, und ihre Klagen darüber waren nnr
eine Verfeinerung ihres Vergnügens.

Die Schneiderin war die einzige Seele auf Gottes Erdboden, zu der sich


Frau Nadel ward durch solche Bemerkungen ihrer Tochter sehr betrübt,
Sie fühlte deren Unkindlichkeit tief, hatte aber nicht die Energie, ihr in der
rechten Weise entgegenzutreten, Sie hegte eine gewisse Verehrung ihrer eignen
Kinder, weil diese viel gebildeter seien als sie selbst, und hatte besonders vor
Sylvias Eleganz und sicherer Haltung eine gewisse Scheu, Nur zu Zeiten
brach wohl ihr Ärger durch, und so auch jetzt.

He he! sagte sie, du willst ja hoch hinaus, mein Püppchen. Das wird
dir schon gezeigt werden, wenn du erst deinen lieben Eduard bekommen hast
und Frau Architektin Frank bist, was ich dein armen hübschen Jungen freilich
gern noch recht lange ersparen möchte.

Sylvia zuckte die Achseln.

Frau Nadel war übrigens heute in guter Laune, denn es war der Tag,
an welchem ihre Schneiderin kam. Solcher Tage gab es in jeder Woche einen,

Frau Nadel Pflegte schon am Abend vorher, noch mehr aber an dem Morgen
selbst, wenn die Schneiderin erwartet wurde, sehr zu klagen, was sür eine arme
und viclgeplagte Frau sie sei, daß sie es notwendig habe, die wenigen Kleider,
die sie trage, selbst zu machen und nur mit Hilfe einer ungeschickten Person,
der sie alles erst zeigen müsse und die doch nichts recht mache, Sie müsse alles
wieder auftrennen und noch einmal nahen, wenn die Person fort sei, und das
sei schlimmer als wenn sie selbst gleich alles gemacht hätte. Andre Frauen Hütten
es besser, Sie glaube nicht, daß irgend eine andre Dame in ihrem Alter und
von ihrer Stellung so bescheiden sei. Von ihren Bekannten wenigstens wisse sie
niemanden. Andre Damen pflegten sich, wenn sie ein neues Kleid brauchten,
an ein Konfektionsgeschäft zu wenden und es sich zu bestellen. Die hätten es
freilich bequem.

Schon seit langen Jahren hatte Herr Irrwisch es aufgegeben, auf diese
Vorwürfe, welche sich an seine Adresse richteten, etwas zu antworten. Höchstens
nickte er mit dem Kopfe. Denn er wußte seit langen Jahren, daß er nichts,
gar nichts vorbringen konnte, was nicht seine Lage verschlimmert hätte.

Zu Anfang hatte er in seiner Unschuld wohl erwiedert, seine Frau möge
doch anch in ein Konfektionsgeschäft gehen. Er wolle gern alle Unkosten tragen.

Aber das war ein ganz thörichtes Anerbieten, denn niemals hätte sich Nadel
entschlossen, anch so leichtsinnig und verschwenderisch zu wirtschaften wie ihr Mann,

Später hatte er wohl geantwortet, sie möchte eine geschickte Schneiderin
engagiren, deren Arbeit sie nicht wieder aufzutrennen habe.

Aber dieser Vorschlag war auch nicht das Nichtige und war ein Schlag
ins Wasser gleich dem andern.

In Wahrheit nämlich waren die Zusammenkünfte mit der Schneiderin ein
Bedürfnis und ein Genuß für Frau Nadel, und ihre Klagen darüber waren nnr
eine Verfeinerung ihres Vergnügens.

Die Schneiderin war die einzige Seele auf Gottes Erdboden, zu der sich


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[0367] Frau Nadel ward durch solche Bemerkungen ihrer Tochter sehr betrübt, Sie fühlte deren Unkindlichkeit tief, hatte aber nicht die Energie, ihr in der rechten Weise entgegenzutreten, Sie hegte eine gewisse Verehrung ihrer eignen Kinder, weil diese viel gebildeter seien als sie selbst, und hatte besonders vor Sylvias Eleganz und sicherer Haltung eine gewisse Scheu, Nur zu Zeiten brach wohl ihr Ärger durch, und so auch jetzt. He he! sagte sie, du willst ja hoch hinaus, mein Püppchen. Das wird dir schon gezeigt werden, wenn du erst deinen lieben Eduard bekommen hast und Frau Architektin Frank bist, was ich dein armen hübschen Jungen freilich gern noch recht lange ersparen möchte. Sylvia zuckte die Achseln. Frau Nadel war übrigens heute in guter Laune, denn es war der Tag, an welchem ihre Schneiderin kam. Solcher Tage gab es in jeder Woche einen, Frau Nadel Pflegte schon am Abend vorher, noch mehr aber an dem Morgen selbst, wenn die Schneiderin erwartet wurde, sehr zu klagen, was sür eine arme und viclgeplagte Frau sie sei, daß sie es notwendig habe, die wenigen Kleider, die sie trage, selbst zu machen und nur mit Hilfe einer ungeschickten Person, der sie alles erst zeigen müsse und die doch nichts recht mache, Sie müsse alles wieder auftrennen und noch einmal nahen, wenn die Person fort sei, und das sei schlimmer als wenn sie selbst gleich alles gemacht hätte. Andre Frauen Hütten es besser, Sie glaube nicht, daß irgend eine andre Dame in ihrem Alter und von ihrer Stellung so bescheiden sei. Von ihren Bekannten wenigstens wisse sie niemanden. Andre Damen pflegten sich, wenn sie ein neues Kleid brauchten, an ein Konfektionsgeschäft zu wenden und es sich zu bestellen. Die hätten es freilich bequem. Schon seit langen Jahren hatte Herr Irrwisch es aufgegeben, auf diese Vorwürfe, welche sich an seine Adresse richteten, etwas zu antworten. Höchstens nickte er mit dem Kopfe. Denn er wußte seit langen Jahren, daß er nichts, gar nichts vorbringen konnte, was nicht seine Lage verschlimmert hätte. Zu Anfang hatte er in seiner Unschuld wohl erwiedert, seine Frau möge doch anch in ein Konfektionsgeschäft gehen. Er wolle gern alle Unkosten tragen. Aber das war ein ganz thörichtes Anerbieten, denn niemals hätte sich Nadel entschlossen, anch so leichtsinnig und verschwenderisch zu wirtschaften wie ihr Mann, Später hatte er wohl geantwortet, sie möchte eine geschickte Schneiderin engagiren, deren Arbeit sie nicht wieder aufzutrennen habe. Aber dieser Vorschlag war auch nicht das Nichtige und war ein Schlag ins Wasser gleich dem andern. In Wahrheit nämlich waren die Zusammenkünfte mit der Schneiderin ein Bedürfnis und ein Genuß für Frau Nadel, und ihre Klagen darüber waren nnr eine Verfeinerung ihres Vergnügens. Die Schneiderin war die einzige Seele auf Gottes Erdboden, zu der sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/367>, abgerufen am 29.06.2024.