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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Magyaren und Dontscho.

ihre Stellung zu befestigen? Und wenn sie jeden Juden, der vor 1860 Deutsch
oder Schwarz hieß, nud sich seitdem Nemeth oder Fekete nennt, als Kernmagyaren
verzeichnen, bleiben sie doch immer die Minorität. Wie beliebt sie in Kroatien
sind, hat sich erst unlängst gezeigt. Die jüngsten Ereignisse in Bosnien und der
Herzegowina üben unerbittliche Kritik an der ungarischen Regierungskunst. Mögen
dort fremde Intriguen noch so hoch anzuschlagen sein, dieselben würden nicht
den ergiebigen Boden gefunden haben, wenn die Rajah nicht Ursache hätte zu
behaupten, das türkische Regiment sei wohlfeiler gewesen (was sich nicht auf die
Steuern bezieht), nud überdies solle die griechische durch die römisch-katholische
Religion verdrängt werden.

Wenn die Magyaren nur halbwegs noch einer nüchternen Betrachtung der
Verhältnisse fähig sind, so müssen sie sich sagen, daß ihnen vielleicht sehr ernste
Zeiten bevorstehen, und daß ihnen alles, absolut alles daran gelegen sein muß,
mit den Deutschen in Ungarn, in Österreich und im Deutschen Reiche gutes Ein¬
vernehmen zu erhalten. Auf wen sonst wollen sie in Tagen der Gefahr zählen?
Aber sie verraten eine förmliche Leidenschaft, es mit aller Welt zu verderben.
Geberdeten sie sich doch erst in den letzten Monaten, als wollten sie direkt nach
Bukarest marschiren. Und nicht einmal jenen kleinen Nachbarn imponirt der
ungarische große Mund. Was aber die Verhältnisse im Innern betrifft, so sollten
die Magyaren sich an den Polen in Galizien ein Beispiel nehmen. Die springen
dort ebenso mit den Ruthenen um, und müssen eingestehen, daß trotzdem das
ruthenische Element in stetigem Wachsen sei. Wer mundtot gemacht wird, ist
darum noch nicht tot. Und wie die Magyaren die Sachsen, so beschuldigen die
Polen die Ruthenen des Liebäugelns mit den Stammverwandten jenseits der
Grenze. Da wäre, die Wahrheit der Anschuldigung vorausgesetzt, die Gefahr
allerdings aus verschiedenen Gründen etwas größer. Aber wenn die Ruthenen
jetzt wirklich zu Rußland neigen sollten -- wer trüge die Schuld? Es gab keinen
bessern Österreicher als den ostgalizischen Bauern, so lange er im Staate seinen
Beschützer gegen den polnischen Herrn erkannte!




Grenzboten I. 1832.4ü
Magyaren und Dontscho.

ihre Stellung zu befestigen? Und wenn sie jeden Juden, der vor 1860 Deutsch
oder Schwarz hieß, nud sich seitdem Nemeth oder Fekete nennt, als Kernmagyaren
verzeichnen, bleiben sie doch immer die Minorität. Wie beliebt sie in Kroatien
sind, hat sich erst unlängst gezeigt. Die jüngsten Ereignisse in Bosnien und der
Herzegowina üben unerbittliche Kritik an der ungarischen Regierungskunst. Mögen
dort fremde Intriguen noch so hoch anzuschlagen sein, dieselben würden nicht
den ergiebigen Boden gefunden haben, wenn die Rajah nicht Ursache hätte zu
behaupten, das türkische Regiment sei wohlfeiler gewesen (was sich nicht auf die
Steuern bezieht), nud überdies solle die griechische durch die römisch-katholische
Religion verdrängt werden.

Wenn die Magyaren nur halbwegs noch einer nüchternen Betrachtung der
Verhältnisse fähig sind, so müssen sie sich sagen, daß ihnen vielleicht sehr ernste
Zeiten bevorstehen, und daß ihnen alles, absolut alles daran gelegen sein muß,
mit den Deutschen in Ungarn, in Österreich und im Deutschen Reiche gutes Ein¬
vernehmen zu erhalten. Auf wen sonst wollen sie in Tagen der Gefahr zählen?
Aber sie verraten eine förmliche Leidenschaft, es mit aller Welt zu verderben.
Geberdeten sie sich doch erst in den letzten Monaten, als wollten sie direkt nach
Bukarest marschiren. Und nicht einmal jenen kleinen Nachbarn imponirt der
ungarische große Mund. Was aber die Verhältnisse im Innern betrifft, so sollten
die Magyaren sich an den Polen in Galizien ein Beispiel nehmen. Die springen
dort ebenso mit den Ruthenen um, und müssen eingestehen, daß trotzdem das
ruthenische Element in stetigem Wachsen sei. Wer mundtot gemacht wird, ist
darum noch nicht tot. Und wie die Magyaren die Sachsen, so beschuldigen die
Polen die Ruthenen des Liebäugelns mit den Stammverwandten jenseits der
Grenze. Da wäre, die Wahrheit der Anschuldigung vorausgesetzt, die Gefahr
allerdings aus verschiedenen Gründen etwas größer. Aber wenn die Ruthenen
jetzt wirklich zu Rußland neigen sollten — wer trüge die Schuld? Es gab keinen
bessern Österreicher als den ostgalizischen Bauern, so lange er im Staate seinen
Beschützer gegen den polnischen Herrn erkannte!




Grenzboten I. 1832.4ü
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[0361] Magyaren und Dontscho. ihre Stellung zu befestigen? Und wenn sie jeden Juden, der vor 1860 Deutsch oder Schwarz hieß, nud sich seitdem Nemeth oder Fekete nennt, als Kernmagyaren verzeichnen, bleiben sie doch immer die Minorität. Wie beliebt sie in Kroatien sind, hat sich erst unlängst gezeigt. Die jüngsten Ereignisse in Bosnien und der Herzegowina üben unerbittliche Kritik an der ungarischen Regierungskunst. Mögen dort fremde Intriguen noch so hoch anzuschlagen sein, dieselben würden nicht den ergiebigen Boden gefunden haben, wenn die Rajah nicht Ursache hätte zu behaupten, das türkische Regiment sei wohlfeiler gewesen (was sich nicht auf die Steuern bezieht), nud überdies solle die griechische durch die römisch-katholische Religion verdrängt werden. Wenn die Magyaren nur halbwegs noch einer nüchternen Betrachtung der Verhältnisse fähig sind, so müssen sie sich sagen, daß ihnen vielleicht sehr ernste Zeiten bevorstehen, und daß ihnen alles, absolut alles daran gelegen sein muß, mit den Deutschen in Ungarn, in Österreich und im Deutschen Reiche gutes Ein¬ vernehmen zu erhalten. Auf wen sonst wollen sie in Tagen der Gefahr zählen? Aber sie verraten eine förmliche Leidenschaft, es mit aller Welt zu verderben. Geberdeten sie sich doch erst in den letzten Monaten, als wollten sie direkt nach Bukarest marschiren. Und nicht einmal jenen kleinen Nachbarn imponirt der ungarische große Mund. Was aber die Verhältnisse im Innern betrifft, so sollten die Magyaren sich an den Polen in Galizien ein Beispiel nehmen. Die springen dort ebenso mit den Ruthenen um, und müssen eingestehen, daß trotzdem das ruthenische Element in stetigem Wachsen sei. Wer mundtot gemacht wird, ist darum noch nicht tot. Und wie die Magyaren die Sachsen, so beschuldigen die Polen die Ruthenen des Liebäugelns mit den Stammverwandten jenseits der Grenze. Da wäre, die Wahrheit der Anschuldigung vorausgesetzt, die Gefahr allerdings aus verschiedenen Gründen etwas größer. Aber wenn die Ruthenen jetzt wirklich zu Rußland neigen sollten — wer trüge die Schuld? Es gab keinen bessern Österreicher als den ostgalizischen Bauern, so lange er im Staate seinen Beschützer gegen den polnischen Herrn erkannte! Grenzboten I. 1832.4ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/361>, abgerufen am 29.06.2024.