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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Magyaren und Deutsche,

richt in ihrer Muttersprache genießen können, hat, unter eingestandener Be¬
günstigung der Regierung, die "Entwicklung des nationalen Lebens" die Deutschen
in Ungarn der größten Mehrzahl ihrer (1872 noch die Ziffer 1810 erreichenden)
Volksschulen beraubt, und die Durchführung des neuen Mittclschulgesctzes würde
auch sämmtliche deutschen Gymnasien und Realschulen in magyarische umwandeln.
Natürlich ist das nirgends ausgesprochen. Wohl aber, daß in Zukunft alle Ma¬
turitätszeugnisse 'in magyarischer Sprache auszufertigen seien, neben der noch
eine Übersetzung ius -- Lateinische zulässig wäre, daß in allen Mittelschulen,
welche der Staat nen errichtet, das Magyarische die Unterrichtssprache sein solle,
daß die Lehraintsaspirantcn ihre Prüfungen in magyarischer Sprache abzulegen
haben, und daß der Lehrplan und die Stuudcneinteiluug für magyarische Sprache
und Literatur dem Minister zur Genehmigung vorzulegen seien; endlich wird für
jedem Kandidaten magyarische Sprache lind Literatur als Prüfnngsgegenstand
in einem Umfange vorgeschrieben, welcher nur zu erreichen wäre bei magyarischer
Unterrichtssprache.

Wie wir sehen, suchen die Gesetzgeber sicher zu gehen. Fast jede einzelne
von diesen Bestimmungen würde für ihren Zweck schon hinreichen, aber es soll
jede Möglichkeit, der Magyarisirung auszuweichen, genommen werden. Auch der
Besuch deutscher Hochschulen wäre den Sachsen fortan verwehrt. Früher gingen
sie gern nach Jena, Halle, oder doch nach Wien, und auf diese Weise blieben
die evangelischen Geistlichen, die Gymnasiallehrer n. s. w. in Kontakt mit der
deutschen Wissenschaft, ohne daß sie dadurch schlechte Staatsbürger und ungetreue
Beamte geworden wären. Aber wenn sie die künftig zu fordernde Kenntnis des
Magyarischen erwerben und sich in der Übung erhalten wollen, werden sie auf
die Universität Klansenburg angewiesen sein, wo die Wissenschaft aus dem Deutschen
in ein Magyarisch übersetzt wird, welches für solche Zwecke zum Teil erst erfunden
werden muß.

So steht es in Wahrheit um die höchst billige Forderung des Ministers
Tisza: "Achtung vor dem ungarischen Staatögedanien!"

Sind die Magyaren vom Größenwahn verblendet? Oder wird ihnen um¬
gekehrt bei ihrer Gottähnlichkeit bange, und suchen sie durch Schreien die eigne
Furcht zu verscheuchen? Ihr Prestige ist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ge¬
sunken. Einstmals galten sie für staatsmännische Genies, weil sie natürliche "ut
von lange her geschulte Beredsamkeit besitzen, und als der Zentralismus herrschte,
konnten sie sagen: Ließe man uns gewähren, wir würden der Welt zeigen, wie
ein freier Staat regiert werden muß. Nun läßt man sie bald seit anderthalb
Dezennien unumschränkt gewähre", und sie haben die Welt wirklich überzeugt,
daß auch sie, gelind gesagt, mit Wasser kochen. Man hat ihnen Macht gegeben
über eine Bevölkerung von Slaven, Deutschen und Walachei,, welche ihnen in
erdrückender Majorität gegenübersteht, und es ist ihnen gelungen, alle zu ver¬
bittern. Glauben sie wirklich durch Gewaltthätigkeit und durch künstliche Statistik


Magyaren und Deutsche,

richt in ihrer Muttersprache genießen können, hat, unter eingestandener Be¬
günstigung der Regierung, die „Entwicklung des nationalen Lebens" die Deutschen
in Ungarn der größten Mehrzahl ihrer (1872 noch die Ziffer 1810 erreichenden)
Volksschulen beraubt, und die Durchführung des neuen Mittclschulgesctzes würde
auch sämmtliche deutschen Gymnasien und Realschulen in magyarische umwandeln.
Natürlich ist das nirgends ausgesprochen. Wohl aber, daß in Zukunft alle Ma¬
turitätszeugnisse 'in magyarischer Sprache auszufertigen seien, neben der noch
eine Übersetzung ius — Lateinische zulässig wäre, daß in allen Mittelschulen,
welche der Staat nen errichtet, das Magyarische die Unterrichtssprache sein solle,
daß die Lehraintsaspirantcn ihre Prüfungen in magyarischer Sprache abzulegen
haben, und daß der Lehrplan und die Stuudcneinteiluug für magyarische Sprache
und Literatur dem Minister zur Genehmigung vorzulegen seien; endlich wird für
jedem Kandidaten magyarische Sprache lind Literatur als Prüfnngsgegenstand
in einem Umfange vorgeschrieben, welcher nur zu erreichen wäre bei magyarischer
Unterrichtssprache.

Wie wir sehen, suchen die Gesetzgeber sicher zu gehen. Fast jede einzelne
von diesen Bestimmungen würde für ihren Zweck schon hinreichen, aber es soll
jede Möglichkeit, der Magyarisirung auszuweichen, genommen werden. Auch der
Besuch deutscher Hochschulen wäre den Sachsen fortan verwehrt. Früher gingen
sie gern nach Jena, Halle, oder doch nach Wien, und auf diese Weise blieben
die evangelischen Geistlichen, die Gymnasiallehrer n. s. w. in Kontakt mit der
deutschen Wissenschaft, ohne daß sie dadurch schlechte Staatsbürger und ungetreue
Beamte geworden wären. Aber wenn sie die künftig zu fordernde Kenntnis des
Magyarischen erwerben und sich in der Übung erhalten wollen, werden sie auf
die Universität Klansenburg angewiesen sein, wo die Wissenschaft aus dem Deutschen
in ein Magyarisch übersetzt wird, welches für solche Zwecke zum Teil erst erfunden
werden muß.

So steht es in Wahrheit um die höchst billige Forderung des Ministers
Tisza: „Achtung vor dem ungarischen Staatögedanien!"

Sind die Magyaren vom Größenwahn verblendet? Oder wird ihnen um¬
gekehrt bei ihrer Gottähnlichkeit bange, und suchen sie durch Schreien die eigne
Furcht zu verscheuchen? Ihr Prestige ist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ge¬
sunken. Einstmals galten sie für staatsmännische Genies, weil sie natürliche »ut
von lange her geschulte Beredsamkeit besitzen, und als der Zentralismus herrschte,
konnten sie sagen: Ließe man uns gewähren, wir würden der Welt zeigen, wie
ein freier Staat regiert werden muß. Nun läßt man sie bald seit anderthalb
Dezennien unumschränkt gewähre», und sie haben die Welt wirklich überzeugt,
daß auch sie, gelind gesagt, mit Wasser kochen. Man hat ihnen Macht gegeben
über eine Bevölkerung von Slaven, Deutschen und Walachei,, welche ihnen in
erdrückender Majorität gegenübersteht, und es ist ihnen gelungen, alle zu ver¬
bittern. Glauben sie wirklich durch Gewaltthätigkeit und durch künstliche Statistik


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[0360] Magyaren und Deutsche, richt in ihrer Muttersprache genießen können, hat, unter eingestandener Be¬ günstigung der Regierung, die „Entwicklung des nationalen Lebens" die Deutschen in Ungarn der größten Mehrzahl ihrer (1872 noch die Ziffer 1810 erreichenden) Volksschulen beraubt, und die Durchführung des neuen Mittclschulgesctzes würde auch sämmtliche deutschen Gymnasien und Realschulen in magyarische umwandeln. Natürlich ist das nirgends ausgesprochen. Wohl aber, daß in Zukunft alle Ma¬ turitätszeugnisse 'in magyarischer Sprache auszufertigen seien, neben der noch eine Übersetzung ius — Lateinische zulässig wäre, daß in allen Mittelschulen, welche der Staat nen errichtet, das Magyarische die Unterrichtssprache sein solle, daß die Lehraintsaspirantcn ihre Prüfungen in magyarischer Sprache abzulegen haben, und daß der Lehrplan und die Stuudcneinteiluug für magyarische Sprache und Literatur dem Minister zur Genehmigung vorzulegen seien; endlich wird für jedem Kandidaten magyarische Sprache lind Literatur als Prüfnngsgegenstand in einem Umfange vorgeschrieben, welcher nur zu erreichen wäre bei magyarischer Unterrichtssprache. Wie wir sehen, suchen die Gesetzgeber sicher zu gehen. Fast jede einzelne von diesen Bestimmungen würde für ihren Zweck schon hinreichen, aber es soll jede Möglichkeit, der Magyarisirung auszuweichen, genommen werden. Auch der Besuch deutscher Hochschulen wäre den Sachsen fortan verwehrt. Früher gingen sie gern nach Jena, Halle, oder doch nach Wien, und auf diese Weise blieben die evangelischen Geistlichen, die Gymnasiallehrer n. s. w. in Kontakt mit der deutschen Wissenschaft, ohne daß sie dadurch schlechte Staatsbürger und ungetreue Beamte geworden wären. Aber wenn sie die künftig zu fordernde Kenntnis des Magyarischen erwerben und sich in der Übung erhalten wollen, werden sie auf die Universität Klansenburg angewiesen sein, wo die Wissenschaft aus dem Deutschen in ein Magyarisch übersetzt wird, welches für solche Zwecke zum Teil erst erfunden werden muß. So steht es in Wahrheit um die höchst billige Forderung des Ministers Tisza: „Achtung vor dem ungarischen Staatögedanien!" Sind die Magyaren vom Größenwahn verblendet? Oder wird ihnen um¬ gekehrt bei ihrer Gottähnlichkeit bange, und suchen sie durch Schreien die eigne Furcht zu verscheuchen? Ihr Prestige ist von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ge¬ sunken. Einstmals galten sie für staatsmännische Genies, weil sie natürliche »ut von lange her geschulte Beredsamkeit besitzen, und als der Zentralismus herrschte, konnten sie sagen: Ließe man uns gewähren, wir würden der Welt zeigen, wie ein freier Staat regiert werden muß. Nun läßt man sie bald seit anderthalb Dezennien unumschränkt gewähre», und sie haben die Welt wirklich überzeugt, daß auch sie, gelind gesagt, mit Wasser kochen. Man hat ihnen Macht gegeben über eine Bevölkerung von Slaven, Deutschen und Walachei,, welche ihnen in erdrückender Majorität gegenübersteht, und es ist ihnen gelungen, alle zu ver¬ bittern. Glauben sie wirklich durch Gewaltthätigkeit und durch künstliche Statistik

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/360>, abgerufen am 29.06.2024.