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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Magyaren und Deutsche.

aber was der Minister die Entwicklung des nationalen Lebens nennt, werden
wir gleich an einem Beispiele sehen. Dagegen wird man seiner Auffassung der
Uuiversitätsfrage eine gewisse Kühnheit nicht absprechen können. Also der unga¬
rische, von der magyarischen Minorität regierte Staat hat keine Verpflichtung,
eine Hochschule für die Millionen Deutschen im Lande zu unterhalten, das wäre
Sache der mächtigen und reichen deutschen Nation? Verweise er damit die
Deutschen Ungarns nicht ganz ausdrücklich auf die Hilfe des Mutterlandes?
Weshalb werden dann die Herren so böse darüber, daß man in Deutschland
Gelder aufbringt, um den Sachsen, wenn auch nicht zu einer Universität, doch
zu deu erforderlichen Schulen zu verhelfen?

Wir wollen der emphatischen Versicherung, in Ungarn existire keine Partei,
welche sich die Unterdrückung des Deutschtums zur Aufgabe mache, uicht die
leidige Pester Theateraffäre, uicht die Aufhebung deutscher Schulen zu Hunderten
(nicht durch die Regierung, bewahre! nur durch Gemeinde" und andre autonome
Behörden!) entgegenhalten, sondern nur den neuesten, im Schoße der Regierung
ausgearbeiteten Gesetzentwurf über das Gymuasial- und Realschnlwescu. El"
solcher lag bereits im Jahre 1880 dein ungarischen Reichstage vor, dessen Aus¬
schuß ihn noch nicht scharf genng fand; die Verhandlung wurde jedoch vertagt,
wie es hieß, auf ausdrückliches Verlangen der Krone, welche die flagrante Ver¬
letzung der Rechte der siebenbürger Sachsen nicht dulde" wollte. Unterm 9. Ok¬
tober vorigen Jahres aber ist der alte Entwurf unter etwas andrer Gestalt
wieder zum Vorschein gekommen. Er zielt darauf ab, alle unter spezieller Leitung
und Aufsicht des Staates stehenden Gymnasien und Realschulen über einen
Kamm zu scheren, gleichviel ob sie Staatsanstalten sind, oder vom Studieu-
fonds, von Ordenskongregativnen, von Kommunen oder aus Stiftungen erhalte"
werden. Nun ist aber den "vier recipirten Kirchen" Siebenbürgens seit Jahr¬
hunderten aber- und abermals Selbständigkeit und Unabhängigkeit in Kirchen-
uud Schulsachen gewährleistet, zuletzt noch in dem Gesetz über die definitive
Vereinigung des Großfürstentums mit Ungarn und in dem Krönnngseide Franz
Josephs I. (mit Ausdehnung derselben Rechte und Freiheiten auf die griechisch¬
katholische, die armenisch-katholische und die griechisch-orientalische Kirche).
Diese Privilegien ignorirend will das neue Gesetz, auf einen für Sieben¬
bürgen unverbindlicher Gesetzartikel von 1791 gestützt, der Regierung das
Recht der Verfügung in allen inneren Schulangelcgenheiten vindiciren. Zu¬
gleich zeigen die einzelnen Bestimmungen, wie viel Grund die Deutschen
haben, sich fest auf ihren Rechtsboden zu stellen. Verließen sie denselben einen
Augenblick lang, so wäre der Vernichtung ihrer Nationalität kein Einhalt mehr
zu gebieten. Während nämlich das sogenannte Nationalitätengesetz von 1868
denjenigen, welche eine Schule erhalten, das Recht einräumt, die Unterrichts¬
sprache zu bestimmen, und der Regierung zur Pflicht macht, dafür zu sorgen,
daß auch die Zöglinge von Staatslehranstalten bis zur Universität den Unter-


Magyaren und Deutsche.

aber was der Minister die Entwicklung des nationalen Lebens nennt, werden
wir gleich an einem Beispiele sehen. Dagegen wird man seiner Auffassung der
Uuiversitätsfrage eine gewisse Kühnheit nicht absprechen können. Also der unga¬
rische, von der magyarischen Minorität regierte Staat hat keine Verpflichtung,
eine Hochschule für die Millionen Deutschen im Lande zu unterhalten, das wäre
Sache der mächtigen und reichen deutschen Nation? Verweise er damit die
Deutschen Ungarns nicht ganz ausdrücklich auf die Hilfe des Mutterlandes?
Weshalb werden dann die Herren so böse darüber, daß man in Deutschland
Gelder aufbringt, um den Sachsen, wenn auch nicht zu einer Universität, doch
zu deu erforderlichen Schulen zu verhelfen?

Wir wollen der emphatischen Versicherung, in Ungarn existire keine Partei,
welche sich die Unterdrückung des Deutschtums zur Aufgabe mache, uicht die
leidige Pester Theateraffäre, uicht die Aufhebung deutscher Schulen zu Hunderten
(nicht durch die Regierung, bewahre! nur durch Gemeinde» und andre autonome
Behörden!) entgegenhalten, sondern nur den neuesten, im Schoße der Regierung
ausgearbeiteten Gesetzentwurf über das Gymuasial- und Realschnlwescu. El»
solcher lag bereits im Jahre 1880 dein ungarischen Reichstage vor, dessen Aus¬
schuß ihn noch nicht scharf genng fand; die Verhandlung wurde jedoch vertagt,
wie es hieß, auf ausdrückliches Verlangen der Krone, welche die flagrante Ver¬
letzung der Rechte der siebenbürger Sachsen nicht dulde» wollte. Unterm 9. Ok¬
tober vorigen Jahres aber ist der alte Entwurf unter etwas andrer Gestalt
wieder zum Vorschein gekommen. Er zielt darauf ab, alle unter spezieller Leitung
und Aufsicht des Staates stehenden Gymnasien und Realschulen über einen
Kamm zu scheren, gleichviel ob sie Staatsanstalten sind, oder vom Studieu-
fonds, von Ordenskongregativnen, von Kommunen oder aus Stiftungen erhalte»
werden. Nun ist aber den „vier recipirten Kirchen" Siebenbürgens seit Jahr¬
hunderten aber- und abermals Selbständigkeit und Unabhängigkeit in Kirchen-
uud Schulsachen gewährleistet, zuletzt noch in dem Gesetz über die definitive
Vereinigung des Großfürstentums mit Ungarn und in dem Krönnngseide Franz
Josephs I. (mit Ausdehnung derselben Rechte und Freiheiten auf die griechisch¬
katholische, die armenisch-katholische und die griechisch-orientalische Kirche).
Diese Privilegien ignorirend will das neue Gesetz, auf einen für Sieben¬
bürgen unverbindlicher Gesetzartikel von 1791 gestützt, der Regierung das
Recht der Verfügung in allen inneren Schulangelcgenheiten vindiciren. Zu¬
gleich zeigen die einzelnen Bestimmungen, wie viel Grund die Deutschen
haben, sich fest auf ihren Rechtsboden zu stellen. Verließen sie denselben einen
Augenblick lang, so wäre der Vernichtung ihrer Nationalität kein Einhalt mehr
zu gebieten. Während nämlich das sogenannte Nationalitätengesetz von 1868
denjenigen, welche eine Schule erhalten, das Recht einräumt, die Unterrichts¬
sprache zu bestimmen, und der Regierung zur Pflicht macht, dafür zu sorgen,
daß auch die Zöglinge von Staatslehranstalten bis zur Universität den Unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/359>, abgerufen am 28.09.2024.