Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fortschritte in der antiken Aunstgeschichto während des letzten Jahrzehnts.

immer genug übrig geblieben sind, die manches zu wünschen übrig lassen. Für
manche Kunstwerke wird eben der Holzschnitt niemals auch nur annähernd die
Wirkung eines guten Stiches oder selbst einer guten Lithographie erreichen können.
Was aber die Phototypie bisher im Gebiete der archäologischen Publikation
geleistet hat, ist, wenn man von Münzen und Gemmen absieht, größtenteils noch
so wenig genügend, daß noch eine sehr bedeutende Vervollkommnung dieser Technik
eintreten muß, ehe man dieselbe durchweg hierfür adoptirt sehen möchte.

Das vorhergenannte Buch von Adolf Stahr: "Torso. Kunst, Künstler
und Kunstwerke des griechischen und römischen Altertums" (Braunschweig, Vieweg
und Sohn) ist im Jahre 1878 in zweiter "vermehrter und verbesserter Aufgabe
letzter Hand" erschienen. Ich kann nicht unterlassen, es an dieser Stelle zu
nennen, obgleich es unter den Fachgelehrten kein Bürgerrecht erlangt hat und
auf ganz andre Kreise berechnet ist. Einen Vorzug des Buches darf man uicht
verkennen: es enthält eine Anzahl allgemeiner Abschnitte, welche man in andern
Werken, wie z. B. bei Overbeck, vergeblich sucht: über Natur, Land und Volk
der Griechen, über Tempelgiebel und deren plastische Verzierungen, über Stellung
der Künstler im hellenischen Leben, über Färbung plastischer Kunstwerke, Nackt¬
heit der griechischen Plastik u. s. w., alles Dinge, über welche der Nichtfach-
mann sich in einem Werke über griechische Kunst auch gern orientirt sehen möchte.
Außerdem kann das Lob einer fließenden, leicht lesbaren und an den Leser nicht
zu hohe Anforderungen stellenden Darstellung dem Werke nicht abgesprochen
werden. Aber von wirklicher positiver Forschung, von ruhig objektiver Be¬
gründung der darin ausgesprochenen, oft recht seltsamen Behauptungen ist keine
Rede; im Gegenteil, das rein subjektive Empfinden und uicht selten das vor¬
nehme Absprechen vom ästhetischen Dreifuß herab spielen eine sehr große Rolle.
Die neue Ausgabe, welche Stahrs Verwandter Will). Gurlitt (Professor in
Graz) besorgt hat, beruht wesentlich auf den eignen Zusätzen und Änderungen
Stahrs, ist aber weit entfernt, die neuesten Entdeckungen und Forschungen bis
1876 (Stahrs Todesjahr) zu verwerten; vielmehr ist der Standpunkt in den
einzelnen Fragen wenig unterschieden von dem der ersten Auflage, und ganz
wichtige neue Thatsachen sind übergangen. Selbst der in der Vorrede (S. VH)
angepriesene "interessante Fund des neuen Fragmentes aus Pvlyklets Knuou"
ist nicht neu, sondern bereits von K. Wachsmuth (im Rhein. Mus. für Philo¬
logie, N. F. XXIII (1868) S. 493) mitgeteilt. Mag daher auch Stahrs "Torso"
unter dem gebildeten Publikum der Anhänger nicht ermangeln: davor, daß man
sich unbedingt darauf verlasse oder gar durch ihn in die innersten Tempelhallen
der griechischen Kunst eingeführt zu werden verneine, soll an dieser Stelle nach¬
drücklich gewarnt werden.

Nur einen Teil der griechischen Skulptur, aber einen sehr wichtigen Ab¬
schnitt, behandelt das Buch von A. S. Murray, ^ üiswr^ ok SrseK seulpwrs
trou tus sMlisst tirass äovn to ins ok?IiöicIm8 (London, Murray, 1880),


Die Fortschritte in der antiken Aunstgeschichto während des letzten Jahrzehnts.

immer genug übrig geblieben sind, die manches zu wünschen übrig lassen. Für
manche Kunstwerke wird eben der Holzschnitt niemals auch nur annähernd die
Wirkung eines guten Stiches oder selbst einer guten Lithographie erreichen können.
Was aber die Phototypie bisher im Gebiete der archäologischen Publikation
geleistet hat, ist, wenn man von Münzen und Gemmen absieht, größtenteils noch
so wenig genügend, daß noch eine sehr bedeutende Vervollkommnung dieser Technik
eintreten muß, ehe man dieselbe durchweg hierfür adoptirt sehen möchte.

Das vorhergenannte Buch von Adolf Stahr: „Torso. Kunst, Künstler
und Kunstwerke des griechischen und römischen Altertums" (Braunschweig, Vieweg
und Sohn) ist im Jahre 1878 in zweiter „vermehrter und verbesserter Aufgabe
letzter Hand" erschienen. Ich kann nicht unterlassen, es an dieser Stelle zu
nennen, obgleich es unter den Fachgelehrten kein Bürgerrecht erlangt hat und
auf ganz andre Kreise berechnet ist. Einen Vorzug des Buches darf man uicht
verkennen: es enthält eine Anzahl allgemeiner Abschnitte, welche man in andern
Werken, wie z. B. bei Overbeck, vergeblich sucht: über Natur, Land und Volk
der Griechen, über Tempelgiebel und deren plastische Verzierungen, über Stellung
der Künstler im hellenischen Leben, über Färbung plastischer Kunstwerke, Nackt¬
heit der griechischen Plastik u. s. w., alles Dinge, über welche der Nichtfach-
mann sich in einem Werke über griechische Kunst auch gern orientirt sehen möchte.
Außerdem kann das Lob einer fließenden, leicht lesbaren und an den Leser nicht
zu hohe Anforderungen stellenden Darstellung dem Werke nicht abgesprochen
werden. Aber von wirklicher positiver Forschung, von ruhig objektiver Be¬
gründung der darin ausgesprochenen, oft recht seltsamen Behauptungen ist keine
Rede; im Gegenteil, das rein subjektive Empfinden und uicht selten das vor¬
nehme Absprechen vom ästhetischen Dreifuß herab spielen eine sehr große Rolle.
Die neue Ausgabe, welche Stahrs Verwandter Will). Gurlitt (Professor in
Graz) besorgt hat, beruht wesentlich auf den eignen Zusätzen und Änderungen
Stahrs, ist aber weit entfernt, die neuesten Entdeckungen und Forschungen bis
1876 (Stahrs Todesjahr) zu verwerten; vielmehr ist der Standpunkt in den
einzelnen Fragen wenig unterschieden von dem der ersten Auflage, und ganz
wichtige neue Thatsachen sind übergangen. Selbst der in der Vorrede (S. VH)
angepriesene „interessante Fund des neuen Fragmentes aus Pvlyklets Knuou"
ist nicht neu, sondern bereits von K. Wachsmuth (im Rhein. Mus. für Philo¬
logie, N. F. XXIII (1868) S. 493) mitgeteilt. Mag daher auch Stahrs „Torso"
unter dem gebildeten Publikum der Anhänger nicht ermangeln: davor, daß man
sich unbedingt darauf verlasse oder gar durch ihn in die innersten Tempelhallen
der griechischen Kunst eingeführt zu werden verneine, soll an dieser Stelle nach¬
drücklich gewarnt werden.

Nur einen Teil der griechischen Skulptur, aber einen sehr wichtigen Ab¬
schnitt, behandelt das Buch von A. S. Murray, ^ üiswr^ ok SrseK seulpwrs
trou tus sMlisst tirass äovn to ins ok?IiöicIm8 (London, Murray, 1880),


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0343" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86464"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fortschritte in der antiken Aunstgeschichto während des letzten Jahrzehnts.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1422" prev="#ID_1421"> immer genug übrig geblieben sind, die manches zu wünschen übrig lassen. Für<lb/>
manche Kunstwerke wird eben der Holzschnitt niemals auch nur annähernd die<lb/>
Wirkung eines guten Stiches oder selbst einer guten Lithographie erreichen können.<lb/>
Was aber die Phototypie bisher im Gebiete der archäologischen Publikation<lb/>
geleistet hat, ist, wenn man von Münzen und Gemmen absieht, größtenteils noch<lb/>
so wenig genügend, daß noch eine sehr bedeutende Vervollkommnung dieser Technik<lb/>
eintreten muß, ehe man dieselbe durchweg hierfür adoptirt sehen möchte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1423"> Das vorhergenannte Buch von Adolf Stahr: &#x201E;Torso. Kunst, Künstler<lb/>
und Kunstwerke des griechischen und römischen Altertums" (Braunschweig, Vieweg<lb/>
und Sohn) ist im Jahre 1878 in zweiter &#x201E;vermehrter und verbesserter Aufgabe<lb/>
letzter Hand" erschienen. Ich kann nicht unterlassen, es an dieser Stelle zu<lb/>
nennen, obgleich es unter den Fachgelehrten kein Bürgerrecht erlangt hat und<lb/>
auf ganz andre Kreise berechnet ist. Einen Vorzug des Buches darf man uicht<lb/>
verkennen: es enthält eine Anzahl allgemeiner Abschnitte, welche man in andern<lb/>
Werken, wie z. B. bei Overbeck, vergeblich sucht: über Natur, Land und Volk<lb/>
der Griechen, über Tempelgiebel und deren plastische Verzierungen, über Stellung<lb/>
der Künstler im hellenischen Leben, über Färbung plastischer Kunstwerke, Nackt¬<lb/>
heit der griechischen Plastik u. s. w., alles Dinge, über welche der Nichtfach-<lb/>
mann sich in einem Werke über griechische Kunst auch gern orientirt sehen möchte.<lb/>
Außerdem kann das Lob einer fließenden, leicht lesbaren und an den Leser nicht<lb/>
zu hohe Anforderungen stellenden Darstellung dem Werke nicht abgesprochen<lb/>
werden. Aber von wirklicher positiver Forschung, von ruhig objektiver Be¬<lb/>
gründung der darin ausgesprochenen, oft recht seltsamen Behauptungen ist keine<lb/>
Rede; im Gegenteil, das rein subjektive Empfinden und uicht selten das vor¬<lb/>
nehme Absprechen vom ästhetischen Dreifuß herab spielen eine sehr große Rolle.<lb/>
Die neue Ausgabe, welche Stahrs Verwandter Will). Gurlitt (Professor in<lb/>
Graz) besorgt hat, beruht wesentlich auf den eignen Zusätzen und Änderungen<lb/>
Stahrs, ist aber weit entfernt, die neuesten Entdeckungen und Forschungen bis<lb/>
1876 (Stahrs Todesjahr) zu verwerten; vielmehr ist der Standpunkt in den<lb/>
einzelnen Fragen wenig unterschieden von dem der ersten Auflage, und ganz<lb/>
wichtige neue Thatsachen sind übergangen. Selbst der in der Vorrede (S. VH)<lb/>
angepriesene &#x201E;interessante Fund des neuen Fragmentes aus Pvlyklets Knuou"<lb/>
ist nicht neu, sondern bereits von K. Wachsmuth (im Rhein. Mus. für Philo¬<lb/>
logie, N. F. XXIII (1868) S. 493) mitgeteilt. Mag daher auch Stahrs &#x201E;Torso"<lb/>
unter dem gebildeten Publikum der Anhänger nicht ermangeln: davor, daß man<lb/>
sich unbedingt darauf verlasse oder gar durch ihn in die innersten Tempelhallen<lb/>
der griechischen Kunst eingeführt zu werden verneine, soll an dieser Stelle nach¬<lb/>
drücklich gewarnt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1424" next="#ID_1425"> Nur einen Teil der griechischen Skulptur, aber einen sehr wichtigen Ab¬<lb/>
schnitt, behandelt das Buch von A. S. Murray, ^ üiswr^ ok SrseK seulpwrs<lb/>
trou tus sMlisst tirass äovn to ins   ok?IiöicIm8 (London, Murray, 1880),</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0343] Die Fortschritte in der antiken Aunstgeschichto während des letzten Jahrzehnts. immer genug übrig geblieben sind, die manches zu wünschen übrig lassen. Für manche Kunstwerke wird eben der Holzschnitt niemals auch nur annähernd die Wirkung eines guten Stiches oder selbst einer guten Lithographie erreichen können. Was aber die Phototypie bisher im Gebiete der archäologischen Publikation geleistet hat, ist, wenn man von Münzen und Gemmen absieht, größtenteils noch so wenig genügend, daß noch eine sehr bedeutende Vervollkommnung dieser Technik eintreten muß, ehe man dieselbe durchweg hierfür adoptirt sehen möchte. Das vorhergenannte Buch von Adolf Stahr: „Torso. Kunst, Künstler und Kunstwerke des griechischen und römischen Altertums" (Braunschweig, Vieweg und Sohn) ist im Jahre 1878 in zweiter „vermehrter und verbesserter Aufgabe letzter Hand" erschienen. Ich kann nicht unterlassen, es an dieser Stelle zu nennen, obgleich es unter den Fachgelehrten kein Bürgerrecht erlangt hat und auf ganz andre Kreise berechnet ist. Einen Vorzug des Buches darf man uicht verkennen: es enthält eine Anzahl allgemeiner Abschnitte, welche man in andern Werken, wie z. B. bei Overbeck, vergeblich sucht: über Natur, Land und Volk der Griechen, über Tempelgiebel und deren plastische Verzierungen, über Stellung der Künstler im hellenischen Leben, über Färbung plastischer Kunstwerke, Nackt¬ heit der griechischen Plastik u. s. w., alles Dinge, über welche der Nichtfach- mann sich in einem Werke über griechische Kunst auch gern orientirt sehen möchte. Außerdem kann das Lob einer fließenden, leicht lesbaren und an den Leser nicht zu hohe Anforderungen stellenden Darstellung dem Werke nicht abgesprochen werden. Aber von wirklicher positiver Forschung, von ruhig objektiver Be¬ gründung der darin ausgesprochenen, oft recht seltsamen Behauptungen ist keine Rede; im Gegenteil, das rein subjektive Empfinden und uicht selten das vor¬ nehme Absprechen vom ästhetischen Dreifuß herab spielen eine sehr große Rolle. Die neue Ausgabe, welche Stahrs Verwandter Will). Gurlitt (Professor in Graz) besorgt hat, beruht wesentlich auf den eignen Zusätzen und Änderungen Stahrs, ist aber weit entfernt, die neuesten Entdeckungen und Forschungen bis 1876 (Stahrs Todesjahr) zu verwerten; vielmehr ist der Standpunkt in den einzelnen Fragen wenig unterschieden von dem der ersten Auflage, und ganz wichtige neue Thatsachen sind übergangen. Selbst der in der Vorrede (S. VH) angepriesene „interessante Fund des neuen Fragmentes aus Pvlyklets Knuou" ist nicht neu, sondern bereits von K. Wachsmuth (im Rhein. Mus. für Philo¬ logie, N. F. XXIII (1868) S. 493) mitgeteilt. Mag daher auch Stahrs „Torso" unter dem gebildeten Publikum der Anhänger nicht ermangeln: davor, daß man sich unbedingt darauf verlasse oder gar durch ihn in die innersten Tempelhallen der griechischen Kunst eingeführt zu werden verneine, soll an dieser Stelle nach¬ drücklich gewarnt werden. Nur einen Teil der griechischen Skulptur, aber einen sehr wichtigen Ab¬ schnitt, behandelt das Buch von A. S. Murray, ^ üiswr^ ok SrseK seulpwrs trou tus sMlisst tirass äovn to ins ok?IiöicIm8 (London, Murray, 1880),

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/343
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/343>, abgerufen am 28.09.2024.