Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzton Jahrzehnts,

Buch erschien zuerst in den Jahren 1857 --58, die zweite Auflage 1869--70.
Diese beiden ersten Auflagen führten noch auf dem Titel die Bezeichnung: "Für
Künstler und Kunstfreunde"; jetzt in der dritten Auflage ist dieser Zusatz weg¬
geblieben, und wie ich meine, sehr mit Recht. Ich will von den Künstlern hier
nicht sprechen, obgleich ich glaube, daß die meisten derselben etwas andres ver¬
langen, als das ist, was Overbeck ihnen bietet. Wenn Rauch über Adolf Stahrs
"Torso" äußerte, es sei dies "eines der wenigen kunstgeschichtlichen Werke, aus
welchen auch der ausübende Künstler etwas lernen könne," so kann man zehn
gegen eins wetten, daß er Overbecks Plastik nicht zu diesen Werken gerechnet
haben würde. Es soll das nichts weniger als ein Vorwurf gegen Overbeck
sein, so wenig als ich Rauchs Ausspruch als ein verdientes Lob für Senahr be¬
trachten kann. Aber es ist charakteristisch, daß die Interessen der Künstler und
der Kunstschriftsteller in der Regel ganz so diametral von einander abweichen,
wie es bekanntermaßen ihre Urteile über den Wert oder Unwert von Kunstwerken
thun; wer in Rom gewesen, weiß aus Erfahrung, daß die Künstler größtenteils
einen leichten Horror vor den Archäologen empfinden. Aber auch die "Kunst-
freunde," für welche Overbeck zunächst noch sein Werk berechnet hatte, werden
schwerlich dabei ihre Rechnung gefunden haben. Für die meisten derselben setzt
Overbeck schon zu viel voraus; namentlich die eingehende Behandlung antiker
Schriftquellen, die langen Erörterungen über Künstler, von deren Werken wir
nicht einmal eine beglaubigte Kopie, geschweige denn ein Original erhalte" haben,
werden beim Laien fast nie auf Verständnis rechnen dürfen, ja reizen denselben
sogar oft zu einem, wenn auch unberechtigten Spotte. Overbecks "Plastik" ist
daher wesentlich ein Buch für solche, welche die Geschichte der antiken Plastik
wirklich studiren wollen und dabei in der Lage sind, auch die angezogenen Quelleu
zu Rate ziehen zu können -- also für Philologen vornehmlich; und nach dieser
Richtung hin wird es auch am meisten zu wirken imstande sein. Allerdings
merkt man dem Werke, wie es heute in der neuen Auflage vorliegt, an, daß
es mir die Umarbeitung eines ältern Buches ist, welches zu einer Zeit entstand,
wo die ganze Kunstgeschichte eine von der heutigen sehr wesentlich verschiedene
Gestalt hatte. Selbstverständlich war es notwendig, ganze Kapitel neu zu be¬
arbeiten, andre ganz neu einzufügen; aber es ist doch genug vom Alten geblieben,
das nur etwas verändert das ursprüngliche Gespinst noch erkennen läßt, und
dadurch wird der Charakter und Wert des Buches einigermaßen ungleich. Es
ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen; unsrer Meinung nach
wäre es besser gewesen, Overbeck hätte uicht den neue" Wein in die alten Schläuche
gefüllt, sondern ein ganz neues Werk auf neuer Grundlage und nach neuem
Plane geschaffen. Dazu mochte freilich dem mit seiner "Kunstmythologie" schwer
genug belasteten die Zeit und vielleicht auch die Lust gefehlt haben. Die Zahl
der Abbildungen hat sich beträchtlich vermehrt, und die neu hinzugekommenen
stehen an Kunstwert meist bedeutend über den alten, von denen freilich auch noch


Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzton Jahrzehnts,

Buch erschien zuerst in den Jahren 1857 —58, die zweite Auflage 1869—70.
Diese beiden ersten Auflagen führten noch auf dem Titel die Bezeichnung: „Für
Künstler und Kunstfreunde"; jetzt in der dritten Auflage ist dieser Zusatz weg¬
geblieben, und wie ich meine, sehr mit Recht. Ich will von den Künstlern hier
nicht sprechen, obgleich ich glaube, daß die meisten derselben etwas andres ver¬
langen, als das ist, was Overbeck ihnen bietet. Wenn Rauch über Adolf Stahrs
„Torso" äußerte, es sei dies „eines der wenigen kunstgeschichtlichen Werke, aus
welchen auch der ausübende Künstler etwas lernen könne," so kann man zehn
gegen eins wetten, daß er Overbecks Plastik nicht zu diesen Werken gerechnet
haben würde. Es soll das nichts weniger als ein Vorwurf gegen Overbeck
sein, so wenig als ich Rauchs Ausspruch als ein verdientes Lob für Senahr be¬
trachten kann. Aber es ist charakteristisch, daß die Interessen der Künstler und
der Kunstschriftsteller in der Regel ganz so diametral von einander abweichen,
wie es bekanntermaßen ihre Urteile über den Wert oder Unwert von Kunstwerken
thun; wer in Rom gewesen, weiß aus Erfahrung, daß die Künstler größtenteils
einen leichten Horror vor den Archäologen empfinden. Aber auch die „Kunst-
freunde," für welche Overbeck zunächst noch sein Werk berechnet hatte, werden
schwerlich dabei ihre Rechnung gefunden haben. Für die meisten derselben setzt
Overbeck schon zu viel voraus; namentlich die eingehende Behandlung antiker
Schriftquellen, die langen Erörterungen über Künstler, von deren Werken wir
nicht einmal eine beglaubigte Kopie, geschweige denn ein Original erhalte» haben,
werden beim Laien fast nie auf Verständnis rechnen dürfen, ja reizen denselben
sogar oft zu einem, wenn auch unberechtigten Spotte. Overbecks „Plastik" ist
daher wesentlich ein Buch für solche, welche die Geschichte der antiken Plastik
wirklich studiren wollen und dabei in der Lage sind, auch die angezogenen Quelleu
zu Rate ziehen zu können — also für Philologen vornehmlich; und nach dieser
Richtung hin wird es auch am meisten zu wirken imstande sein. Allerdings
merkt man dem Werke, wie es heute in der neuen Auflage vorliegt, an, daß
es mir die Umarbeitung eines ältern Buches ist, welches zu einer Zeit entstand,
wo die ganze Kunstgeschichte eine von der heutigen sehr wesentlich verschiedene
Gestalt hatte. Selbstverständlich war es notwendig, ganze Kapitel neu zu be¬
arbeiten, andre ganz neu einzufügen; aber es ist doch genug vom Alten geblieben,
das nur etwas verändert das ursprüngliche Gespinst noch erkennen läßt, und
dadurch wird der Charakter und Wert des Buches einigermaßen ungleich. Es
ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen; unsrer Meinung nach
wäre es besser gewesen, Overbeck hätte uicht den neue» Wein in die alten Schläuche
gefüllt, sondern ein ganz neues Werk auf neuer Grundlage und nach neuem
Plane geschaffen. Dazu mochte freilich dem mit seiner „Kunstmythologie" schwer
genug belasteten die Zeit und vielleicht auch die Lust gefehlt haben. Die Zahl
der Abbildungen hat sich beträchtlich vermehrt, und die neu hinzugekommenen
stehen an Kunstwert meist bedeutend über den alten, von denen freilich auch noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86463"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzton Jahrzehnts,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1421" prev="#ID_1420" next="#ID_1422"> Buch erschien zuerst in den Jahren 1857 &#x2014;58, die zweite Auflage 1869&#x2014;70.<lb/>
Diese beiden ersten Auflagen führten noch auf dem Titel die Bezeichnung: &#x201E;Für<lb/>
Künstler und Kunstfreunde"; jetzt in der dritten Auflage ist dieser Zusatz weg¬<lb/>
geblieben, und wie ich meine, sehr mit Recht. Ich will von den Künstlern hier<lb/>
nicht sprechen, obgleich ich glaube, daß die meisten derselben etwas andres ver¬<lb/>
langen, als das ist, was Overbeck ihnen bietet. Wenn Rauch über Adolf Stahrs<lb/>
&#x201E;Torso" äußerte, es sei dies &#x201E;eines der wenigen kunstgeschichtlichen Werke, aus<lb/>
welchen auch der ausübende Künstler etwas lernen könne," so kann man zehn<lb/>
gegen eins wetten, daß er Overbecks Plastik nicht zu diesen Werken gerechnet<lb/>
haben würde. Es soll das nichts weniger als ein Vorwurf gegen Overbeck<lb/>
sein, so wenig als ich Rauchs Ausspruch als ein verdientes Lob für Senahr be¬<lb/>
trachten kann. Aber es ist charakteristisch, daß die Interessen der Künstler und<lb/>
der Kunstschriftsteller in der Regel ganz so diametral von einander abweichen,<lb/>
wie es bekanntermaßen ihre Urteile über den Wert oder Unwert von Kunstwerken<lb/>
thun; wer in Rom gewesen, weiß aus Erfahrung, daß die Künstler größtenteils<lb/>
einen leichten Horror vor den Archäologen empfinden. Aber auch die &#x201E;Kunst-<lb/>
freunde," für welche Overbeck zunächst noch sein Werk berechnet hatte, werden<lb/>
schwerlich dabei ihre Rechnung gefunden haben. Für die meisten derselben setzt<lb/>
Overbeck schon zu viel voraus; namentlich die eingehende Behandlung antiker<lb/>
Schriftquellen, die langen Erörterungen über Künstler, von deren Werken wir<lb/>
nicht einmal eine beglaubigte Kopie, geschweige denn ein Original erhalte» haben,<lb/>
werden beim Laien fast nie auf Verständnis rechnen dürfen, ja reizen denselben<lb/>
sogar oft zu einem, wenn auch unberechtigten Spotte. Overbecks &#x201E;Plastik" ist<lb/>
daher wesentlich ein Buch für solche, welche die Geschichte der antiken Plastik<lb/>
wirklich studiren wollen und dabei in der Lage sind, auch die angezogenen Quelleu<lb/>
zu Rate ziehen zu können &#x2014; also für Philologen vornehmlich; und nach dieser<lb/>
Richtung hin wird es auch am meisten zu wirken imstande sein. Allerdings<lb/>
merkt man dem Werke, wie es heute in der neuen Auflage vorliegt, an, daß<lb/>
es mir die Umarbeitung eines ältern Buches ist, welches zu einer Zeit entstand,<lb/>
wo die ganze Kunstgeschichte eine von der heutigen sehr wesentlich verschiedene<lb/>
Gestalt hatte. Selbstverständlich war es notwendig, ganze Kapitel neu zu be¬<lb/>
arbeiten, andre ganz neu einzufügen; aber es ist doch genug vom Alten geblieben,<lb/>
das nur etwas verändert das ursprüngliche Gespinst noch erkennen läßt, und<lb/>
dadurch wird der Charakter und Wert des Buches einigermaßen ungleich. Es<lb/>
ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen; unsrer Meinung nach<lb/>
wäre es besser gewesen, Overbeck hätte uicht den neue» Wein in die alten Schläuche<lb/>
gefüllt, sondern ein ganz neues Werk auf neuer Grundlage und nach neuem<lb/>
Plane geschaffen. Dazu mochte freilich dem mit seiner &#x201E;Kunstmythologie" schwer<lb/>
genug belasteten die Zeit und vielleicht auch die Lust gefehlt haben. Die Zahl<lb/>
der Abbildungen hat sich beträchtlich vermehrt, und die neu hinzugekommenen<lb/>
stehen an Kunstwert meist bedeutend über den alten, von denen freilich auch noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0342] Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzton Jahrzehnts, Buch erschien zuerst in den Jahren 1857 —58, die zweite Auflage 1869—70. Diese beiden ersten Auflagen führten noch auf dem Titel die Bezeichnung: „Für Künstler und Kunstfreunde"; jetzt in der dritten Auflage ist dieser Zusatz weg¬ geblieben, und wie ich meine, sehr mit Recht. Ich will von den Künstlern hier nicht sprechen, obgleich ich glaube, daß die meisten derselben etwas andres ver¬ langen, als das ist, was Overbeck ihnen bietet. Wenn Rauch über Adolf Stahrs „Torso" äußerte, es sei dies „eines der wenigen kunstgeschichtlichen Werke, aus welchen auch der ausübende Künstler etwas lernen könne," so kann man zehn gegen eins wetten, daß er Overbecks Plastik nicht zu diesen Werken gerechnet haben würde. Es soll das nichts weniger als ein Vorwurf gegen Overbeck sein, so wenig als ich Rauchs Ausspruch als ein verdientes Lob für Senahr be¬ trachten kann. Aber es ist charakteristisch, daß die Interessen der Künstler und der Kunstschriftsteller in der Regel ganz so diametral von einander abweichen, wie es bekanntermaßen ihre Urteile über den Wert oder Unwert von Kunstwerken thun; wer in Rom gewesen, weiß aus Erfahrung, daß die Künstler größtenteils einen leichten Horror vor den Archäologen empfinden. Aber auch die „Kunst- freunde," für welche Overbeck zunächst noch sein Werk berechnet hatte, werden schwerlich dabei ihre Rechnung gefunden haben. Für die meisten derselben setzt Overbeck schon zu viel voraus; namentlich die eingehende Behandlung antiker Schriftquellen, die langen Erörterungen über Künstler, von deren Werken wir nicht einmal eine beglaubigte Kopie, geschweige denn ein Original erhalte» haben, werden beim Laien fast nie auf Verständnis rechnen dürfen, ja reizen denselben sogar oft zu einem, wenn auch unberechtigten Spotte. Overbecks „Plastik" ist daher wesentlich ein Buch für solche, welche die Geschichte der antiken Plastik wirklich studiren wollen und dabei in der Lage sind, auch die angezogenen Quelleu zu Rate ziehen zu können — also für Philologen vornehmlich; und nach dieser Richtung hin wird es auch am meisten zu wirken imstande sein. Allerdings merkt man dem Werke, wie es heute in der neuen Auflage vorliegt, an, daß es mir die Umarbeitung eines ältern Buches ist, welches zu einer Zeit entstand, wo die ganze Kunstgeschichte eine von der heutigen sehr wesentlich verschiedene Gestalt hatte. Selbstverständlich war es notwendig, ganze Kapitel neu zu be¬ arbeiten, andre ganz neu einzufügen; aber es ist doch genug vom Alten geblieben, das nur etwas verändert das ursprüngliche Gespinst noch erkennen läßt, und dadurch wird der Charakter und Wert des Buches einigermaßen ungleich. Es ist hier nicht der Ort, dies des näheren nachzuweisen; unsrer Meinung nach wäre es besser gewesen, Overbeck hätte uicht den neue» Wein in die alten Schläuche gefüllt, sondern ein ganz neues Werk auf neuer Grundlage und nach neuem Plane geschaffen. Dazu mochte freilich dem mit seiner „Kunstmythologie" schwer genug belasteten die Zeit und vielleicht auch die Lust gefehlt haben. Die Zahl der Abbildungen hat sich beträchtlich vermehrt, und die neu hinzugekommenen stehen an Kunstwert meist bedeutend über den alten, von denen freilich auch noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/342
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/342>, abgerufen am 29.06.2024.