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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Fortschritte in der antike" Uunstgeschichte während dos letzten Zrchr^ohnts,

in die Reihe derjenigen Staaten getreten ist, welche die im Boden schlummernden
Schätze der alten Kunst und Kultur zu heben und der Wissenschaft zugänglich
zu machen bestrebt sind. Im folgenden soll denn der Versuch gemacht werden,
den diesen Bestrebungen als Nichtfachmann ferner stehenden Leser einigermaßen
zu orientiren in den mancherlei Fragen, um welche es sich hier handelt, und ihm
namentlich die Bedeutung, welche die neuesten Entdeckungen und Untersuchungen
für unsre Kenntnis der antiken Kunstgeschichte haben, klar vor Augen zu legen.

Denn es darf nicht verschwiegen werden (und hängt gerade mit den oben
dargelegten Umständen eng zusammen), daß die Geschichte der antiken Kunst in
ihrem Zusammenhange selbst für gebildete Laien nicht selten ein so gut wie ganz
unbekanntes Gebiet ist. Die hervorragendsten Kunstwerke des Altertums kennt
freilich heutzutage jeder, der einigermaßen Anspruch auf Bildung erhebt, die
"höheren Töchter" mit inbegriffen, und zu dem alten eisernen Bestände des Zeus
von Otrieoli, der Hera Ludovisi, des Apoll vom Belvedere n. a. in. sind noch
neuerdings als Lieblinge des Publikums die sogenannte Klytia, vor allem der
Hermes des Praxiteles hinzugekommen. Aber wie viele uuter allen denen, welche
diese Werke kennen, die Kopien in ihren Salons aufstellen, auch wohl etwa
einen Artikel darüber gelesen haben, sind wirklich imstande, denselben den ihnen
gebührenden Platz in der Entwicklung der Kunst anzuweisen und sie im Zu¬
sammenhange dieser Entwicklung zu beurteilen? Und doch ist eine wahrhafte
Würdigung eines Kunstwerkes ohne Kenntnis der ganzen Epoche, der es seine
Entstehung verdankt, rein und allein aus dem Werke selbst heraus uicht möglich.

Leider fehlt für das Laienpublikum die Möglichkeit, sich in der alten Kunst¬
geschichte ohne tiefer gehende Fachstudien doch gründlich zu orientiren, so gut
wie gänzlich. Unsere Handbücher der gesammten Kunstgeschichte, wie die von
Schnaase und Lübke, thun in der Regel die griechisch-römische Kunst sehr sum¬
marisch ab; selbst der von Friederichs bearbeitete zweite Band von Schnaases
zweiter Auflage genügt, was Ausführlichkeit anlangt, nur sehr bescheidenen An¬
sprüchen, geschweige denn daß der Grad von Vollständigkeit, mit dein die christliche
Kunst in den folgenden Bänden behandelt wird, auch nur von fern angestrebt wäre.
In Wahrheit giebt es noch keine einzige genügende Geschichte der klassischen Kunst in
ihrer Gesammtheit; weder eine solche für den Fachmann, noch eine, welche die zunächst
feststehenden Resultate in populärer Form der gebildeten Welt zugänglich machte;
und nach dem, was wir oben über die augenblickliche Lage der archäologischen
Forschung gesagt haben, ist es auch begreiflich, daß noch niemand rechte Lust
hat, sich an eine derartige Aufgabe zu wagen. Von Heinrich Brunn, dem
hochverdienten Verfasser der "Geschichte der griechischen Künstler," heißt es, daß
er seit Jahren mit Abfassung einer antiken Kunstgeschichte beschäftigt sei; ob aber
das Erscheinen derselben in näherer oder fernerer Aussicht steht, i se dem Referenten un¬
bekannt. Dagegen erscheint allerdings seit dem April 1881 in regelmäßigen wöchent¬
lichen Lieferungen ein sehr umfangreiches, auf mehrere Bände angelegtes from-


Die Fortschritte in der antike» Uunstgeschichte während dos letzten Zrchr^ohnts,

in die Reihe derjenigen Staaten getreten ist, welche die im Boden schlummernden
Schätze der alten Kunst und Kultur zu heben und der Wissenschaft zugänglich
zu machen bestrebt sind. Im folgenden soll denn der Versuch gemacht werden,
den diesen Bestrebungen als Nichtfachmann ferner stehenden Leser einigermaßen
zu orientiren in den mancherlei Fragen, um welche es sich hier handelt, und ihm
namentlich die Bedeutung, welche die neuesten Entdeckungen und Untersuchungen
für unsre Kenntnis der antiken Kunstgeschichte haben, klar vor Augen zu legen.

Denn es darf nicht verschwiegen werden (und hängt gerade mit den oben
dargelegten Umständen eng zusammen), daß die Geschichte der antiken Kunst in
ihrem Zusammenhange selbst für gebildete Laien nicht selten ein so gut wie ganz
unbekanntes Gebiet ist. Die hervorragendsten Kunstwerke des Altertums kennt
freilich heutzutage jeder, der einigermaßen Anspruch auf Bildung erhebt, die
„höheren Töchter" mit inbegriffen, und zu dem alten eisernen Bestände des Zeus
von Otrieoli, der Hera Ludovisi, des Apoll vom Belvedere n. a. in. sind noch
neuerdings als Lieblinge des Publikums die sogenannte Klytia, vor allem der
Hermes des Praxiteles hinzugekommen. Aber wie viele uuter allen denen, welche
diese Werke kennen, die Kopien in ihren Salons aufstellen, auch wohl etwa
einen Artikel darüber gelesen haben, sind wirklich imstande, denselben den ihnen
gebührenden Platz in der Entwicklung der Kunst anzuweisen und sie im Zu¬
sammenhange dieser Entwicklung zu beurteilen? Und doch ist eine wahrhafte
Würdigung eines Kunstwerkes ohne Kenntnis der ganzen Epoche, der es seine
Entstehung verdankt, rein und allein aus dem Werke selbst heraus uicht möglich.

Leider fehlt für das Laienpublikum die Möglichkeit, sich in der alten Kunst¬
geschichte ohne tiefer gehende Fachstudien doch gründlich zu orientiren, so gut
wie gänzlich. Unsere Handbücher der gesammten Kunstgeschichte, wie die von
Schnaase und Lübke, thun in der Regel die griechisch-römische Kunst sehr sum¬
marisch ab; selbst der von Friederichs bearbeitete zweite Band von Schnaases
zweiter Auflage genügt, was Ausführlichkeit anlangt, nur sehr bescheidenen An¬
sprüchen, geschweige denn daß der Grad von Vollständigkeit, mit dein die christliche
Kunst in den folgenden Bänden behandelt wird, auch nur von fern angestrebt wäre.
In Wahrheit giebt es noch keine einzige genügende Geschichte der klassischen Kunst in
ihrer Gesammtheit; weder eine solche für den Fachmann, noch eine, welche die zunächst
feststehenden Resultate in populärer Form der gebildeten Welt zugänglich machte;
und nach dem, was wir oben über die augenblickliche Lage der archäologischen
Forschung gesagt haben, ist es auch begreiflich, daß noch niemand rechte Lust
hat, sich an eine derartige Aufgabe zu wagen. Von Heinrich Brunn, dem
hochverdienten Verfasser der „Geschichte der griechischen Künstler," heißt es, daß
er seit Jahren mit Abfassung einer antiken Kunstgeschichte beschäftigt sei; ob aber
das Erscheinen derselben in näherer oder fernerer Aussicht steht, i se dem Referenten un¬
bekannt. Dagegen erscheint allerdings seit dem April 1881 in regelmäßigen wöchent¬
lichen Lieferungen ein sehr umfangreiches, auf mehrere Bände angelegtes from-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/340>, abgerufen am 28.09.2024.