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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das Kaisertum und unsre nationale Politik.

sonstigen soziale" Stellung einen anderen niederen oder höheren Wert und In¬
halt. Die gegenwärtige politische Form dieser beiden großen Stantskörpcr ist
an sich genommen eine durchaus monströse und entbehrt jedes geordneten und
lebendigen Einheitsgednnkens. Wir können weder in Frankreich noch in Eng¬
land jetzt irgendwie einen nachahmenswerten politischen Musterstaat erblicken
wollen. Alle von dorther entlehnten Anschauungen und Theorien sind absolut
falsch und unzureichend in ihrer Anwendung auf unsre jetzigen deutschen und
österreichische" Verhältnisse. So wie das deutsche Reich und auch Österreich
seit seiner Abtrennung von Deutschland eigentlich neu entstandene Staatskörper
sind, so wird auch die wahre politische Form von beiden nur eine neue und
eigentümliche und ihren besonderen Verhältnissen entsprechende sein können. Diese
Form aber ist zur Zeit noch nicht da, sondern muß erst allmählich zu finden
und aufzurichten versucht werden. Die breiteste demokratische Basis des Reichs¬
tags und die einheitliche Spitze oder Gewalt des Kaisertums sind an sich nur
zwei Elemente von durchaus entgegengesetzter Natur, zwischen denen jede Ver¬
mittlung oder jeder geordnete organische Übergang fehlt. Es ist dieses gleichsam
ein Haus mit einer Grundlage und einem Dach, aber ohne dazwischenliegende
Stockwerke. Der Apparat der Landtage, namemlich des preußischen Landtags,
der sich in dem, was er vertritt, zu zwei Dritteilen mit dem Reichstage deckt,
ist ebenso wie das dualistische System in Österreich nur eine weitere Kompli¬
kation und Verwicklung der politischen Maschinerie. Daß dies Gebäude sind,
die auf keinem einheitlichen architektonischen Grundgedanken beruhen, ist klar.
Die ganz flache und äußerlich mechanische Anschauung der Franzosen, daß die
bloße Masse oder der Inbegriff der Köpfe das Volk oder die Nation selbst sei,
welche die Berechtigung und die Befähigung habe, über ihre Geschicke zu ent¬
scheide", ist der Gruudirrtum unseres gegenwärtigen politischen Systems. Der
ganze Lcbensorganismus einer Nation besteht außer den bloßen Köpfen auch
in einem reichen Komplexe erworbener und historisch festgestellter geistiger und
materieller Güter und Werte. Der wahre Ausdruck des Begriffes einer Nation
kann nur das System ihrer mannichfachen Klassen, Ordnungen und Stände,
nicht aber die bloße Gesammtheit ihrer realen Atome oder persönlichen Einzel¬
individuen sei". Die Monarchie aber ist an sich die Vertreterin dieses ganzen
Gedankens einer organischen Gliederung oder Abstufung des gesellschaftlichen
Lebens einer Nation.

Der unschätzbare Wert der Monarchie für alle Gesundheit und Festigkeit
im gesellschaftlichen Leben ist zunächst der, daß die höchste Stelle im Staate
ein- für allemal besetzt ist, so wie auch ein wohlgeordnetes Beamtentum und
namentlich ein großes Heer wie das deutsche oder das österreichische ohne ein
monarchisches Oberhaupt gar nicht wohl gedacht werden kann. Es liegt in dem
ganzen Institut der Monarchie etwas Menschliches und Versöhnendes gegen¬
über dem bloßen trocknen und abstrakten Staatsgedanken enthalten. Die


Das Kaisertum und unsre nationale Politik.

sonstigen soziale» Stellung einen anderen niederen oder höheren Wert und In¬
halt. Die gegenwärtige politische Form dieser beiden großen Stantskörpcr ist
an sich genommen eine durchaus monströse und entbehrt jedes geordneten und
lebendigen Einheitsgednnkens. Wir können weder in Frankreich noch in Eng¬
land jetzt irgendwie einen nachahmenswerten politischen Musterstaat erblicken
wollen. Alle von dorther entlehnten Anschauungen und Theorien sind absolut
falsch und unzureichend in ihrer Anwendung auf unsre jetzigen deutschen und
österreichische» Verhältnisse. So wie das deutsche Reich und auch Österreich
seit seiner Abtrennung von Deutschland eigentlich neu entstandene Staatskörper
sind, so wird auch die wahre politische Form von beiden nur eine neue und
eigentümliche und ihren besonderen Verhältnissen entsprechende sein können. Diese
Form aber ist zur Zeit noch nicht da, sondern muß erst allmählich zu finden
und aufzurichten versucht werden. Die breiteste demokratische Basis des Reichs¬
tags und die einheitliche Spitze oder Gewalt des Kaisertums sind an sich nur
zwei Elemente von durchaus entgegengesetzter Natur, zwischen denen jede Ver¬
mittlung oder jeder geordnete organische Übergang fehlt. Es ist dieses gleichsam
ein Haus mit einer Grundlage und einem Dach, aber ohne dazwischenliegende
Stockwerke. Der Apparat der Landtage, namemlich des preußischen Landtags,
der sich in dem, was er vertritt, zu zwei Dritteilen mit dem Reichstage deckt,
ist ebenso wie das dualistische System in Österreich nur eine weitere Kompli¬
kation und Verwicklung der politischen Maschinerie. Daß dies Gebäude sind,
die auf keinem einheitlichen architektonischen Grundgedanken beruhen, ist klar.
Die ganz flache und äußerlich mechanische Anschauung der Franzosen, daß die
bloße Masse oder der Inbegriff der Köpfe das Volk oder die Nation selbst sei,
welche die Berechtigung und die Befähigung habe, über ihre Geschicke zu ent¬
scheide», ist der Gruudirrtum unseres gegenwärtigen politischen Systems. Der
ganze Lcbensorganismus einer Nation besteht außer den bloßen Köpfen auch
in einem reichen Komplexe erworbener und historisch festgestellter geistiger und
materieller Güter und Werte. Der wahre Ausdruck des Begriffes einer Nation
kann nur das System ihrer mannichfachen Klassen, Ordnungen und Stände,
nicht aber die bloße Gesammtheit ihrer realen Atome oder persönlichen Einzel¬
individuen sei». Die Monarchie aber ist an sich die Vertreterin dieses ganzen
Gedankens einer organischen Gliederung oder Abstufung des gesellschaftlichen
Lebens einer Nation.

Der unschätzbare Wert der Monarchie für alle Gesundheit und Festigkeit
im gesellschaftlichen Leben ist zunächst der, daß die höchste Stelle im Staate
ein- für allemal besetzt ist, so wie auch ein wohlgeordnetes Beamtentum und
namentlich ein großes Heer wie das deutsche oder das österreichische ohne ein
monarchisches Oberhaupt gar nicht wohl gedacht werden kann. Es liegt in dem
ganzen Institut der Monarchie etwas Menschliches und Versöhnendes gegen¬
über dem bloßen trocknen und abstrakten Staatsgedanken enthalten. Die


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[0326] Das Kaisertum und unsre nationale Politik. sonstigen soziale» Stellung einen anderen niederen oder höheren Wert und In¬ halt. Die gegenwärtige politische Form dieser beiden großen Stantskörpcr ist an sich genommen eine durchaus monströse und entbehrt jedes geordneten und lebendigen Einheitsgednnkens. Wir können weder in Frankreich noch in Eng¬ land jetzt irgendwie einen nachahmenswerten politischen Musterstaat erblicken wollen. Alle von dorther entlehnten Anschauungen und Theorien sind absolut falsch und unzureichend in ihrer Anwendung auf unsre jetzigen deutschen und österreichische» Verhältnisse. So wie das deutsche Reich und auch Österreich seit seiner Abtrennung von Deutschland eigentlich neu entstandene Staatskörper sind, so wird auch die wahre politische Form von beiden nur eine neue und eigentümliche und ihren besonderen Verhältnissen entsprechende sein können. Diese Form aber ist zur Zeit noch nicht da, sondern muß erst allmählich zu finden und aufzurichten versucht werden. Die breiteste demokratische Basis des Reichs¬ tags und die einheitliche Spitze oder Gewalt des Kaisertums sind an sich nur zwei Elemente von durchaus entgegengesetzter Natur, zwischen denen jede Ver¬ mittlung oder jeder geordnete organische Übergang fehlt. Es ist dieses gleichsam ein Haus mit einer Grundlage und einem Dach, aber ohne dazwischenliegende Stockwerke. Der Apparat der Landtage, namemlich des preußischen Landtags, der sich in dem, was er vertritt, zu zwei Dritteilen mit dem Reichstage deckt, ist ebenso wie das dualistische System in Österreich nur eine weitere Kompli¬ kation und Verwicklung der politischen Maschinerie. Daß dies Gebäude sind, die auf keinem einheitlichen architektonischen Grundgedanken beruhen, ist klar. Die ganz flache und äußerlich mechanische Anschauung der Franzosen, daß die bloße Masse oder der Inbegriff der Köpfe das Volk oder die Nation selbst sei, welche die Berechtigung und die Befähigung habe, über ihre Geschicke zu ent¬ scheide», ist der Gruudirrtum unseres gegenwärtigen politischen Systems. Der ganze Lcbensorganismus einer Nation besteht außer den bloßen Köpfen auch in einem reichen Komplexe erworbener und historisch festgestellter geistiger und materieller Güter und Werte. Der wahre Ausdruck des Begriffes einer Nation kann nur das System ihrer mannichfachen Klassen, Ordnungen und Stände, nicht aber die bloße Gesammtheit ihrer realen Atome oder persönlichen Einzel¬ individuen sei». Die Monarchie aber ist an sich die Vertreterin dieses ganzen Gedankens einer organischen Gliederung oder Abstufung des gesellschaftlichen Lebens einer Nation. Der unschätzbare Wert der Monarchie für alle Gesundheit und Festigkeit im gesellschaftlichen Leben ist zunächst der, daß die höchste Stelle im Staate ein- für allemal besetzt ist, so wie auch ein wohlgeordnetes Beamtentum und namentlich ein großes Heer wie das deutsche oder das österreichische ohne ein monarchisches Oberhaupt gar nicht wohl gedacht werden kann. Es liegt in dem ganzen Institut der Monarchie etwas Menschliches und Versöhnendes gegen¬ über dem bloßen trocknen und abstrakten Staatsgedanken enthalten. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/326>, abgerufen am 28.09.2024.