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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das Kaisertum und unsre nationale Politik.

Zweiteilung gebildeten Staatskörpcrn ist eine Notwendigkeit. Auch dort aber,
in Österreich, ist die Anarchie der Meinungen und der Parteien in andrer Ge¬
stalt eine gleich große wie bei uns. Beide Reichskörper sind auch jetzt noch in
ihren: Schicksale unauflöslich aneinander gebunden, und die Frage nach der
Stellung und Bedeutung der Monarchie ist in beiden die entscheidende für das
Wohl und die Zukunft des Ganzen.

Die Worte Absolutismus und Zentralisation rufen bei vielen unter uns
leicht einen Schrecken hervor, weil uns hierbei immer das Bild der alles Be¬
sondere in sich aufsaugenden politischen Uniformität Frankreichs vor der Seele
steht. Von wahrer Freiheit ist dort allerdings eigentlich niemals die Rede ge¬
wesen. Wir aber fürchten nur immer zu sehr an unsrer Freiheit, Partiknlariät
und Gemütlichkeit Schaden zu leiden, wenn wir uns irgend einer höher" Macht
und Autorität unterordnen sollen. Dieses ganze Element des Individuellen und
Partikularen kann aber auch übertrieben und falsch aufgefaßt werden. Eine
Unterordnung ist notwendig, wenn es sich um die Verfolgung großer praktischer
Ziele und Interessen namentlich in einer unsicheren und gefahrdrohenden Lage
handelt. Alle bloß akademischen Streitigkeiten müssen dann zurücktreten und
schweigen vor dem Ernste und der Not der praktischen Lage des Augenblicks.
Unsre Lage aber ist gegenwärtig von der Art, daß sie wenigstens in jedem
Augenblick eine gefahrdrohende werden kann. Dieser Umstand wird von den
jetzigen Parteien ebenso oft vergessen als dies früher von den Ständen des alten
Reiches geschah. Alle uns bedrohenden Gefahren aber sind teils äußere, teils
innere. Ein vollkommenes Gefühl der Sicherheit werden wir erst dann haben,
wenn wir uns im Besitz der Mittel wissen, um allen äußeren und inneren
Krisen mit Ruhe entgegentreten zu können. Dies kann nur durch eine Stärkung
der monarchischen Einheitsgewalt oder des Kaisertums geschehen.

Unseren Parteien fehlt durchaus der praktische Sinn und die Hingebung
wie das Verstäuduis für die großen Ziele und Aufgaben der Politik. Es han¬
delt sich aber doch noch um ganz andre Dinge als darum, welches das Ziffer¬
verhältnis der einzelnen Parteien im Reichstage sei. Was jetzt z. B. in Dalmatien
geschieht, hat eine größere Wichtigkeit für unsre allgemeine Politik als die bloß
akademischen und ziellosen Zänkereien der Parteien im Reichstage. Die ganzen
Interessen und Fragen Österreichs aber sind zugleich auch die unsrigen. Dort
haben die Parteien nicht wie bei uns einen bloß akademischen, sondern auch
einen durchaus realen oder praktischen Inhalt und Charakter, d. h. einen solchen,
der nicht bloß in allgemeinen politischen Begriffen, sondern mich in den that¬
sächlichen Unterschieden der Nationalität, Sprache und Bildung beruht.

Wie das Dogma von der politischen Gleichberechtigung aller Menschen, so
ist auch dasjenige von derselben Gleichberechtigung aller Völker und nationalen
Fragmente eine praktische Unmöglichkeit oder el" Unsinn. Jeder einzelne Mensch
hat so wie jedes einzelne Volk nach seiner erworbenen Bildung und feiner


Das Kaisertum und unsre nationale Politik.

Zweiteilung gebildeten Staatskörpcrn ist eine Notwendigkeit. Auch dort aber,
in Österreich, ist die Anarchie der Meinungen und der Parteien in andrer Ge¬
stalt eine gleich große wie bei uns. Beide Reichskörper sind auch jetzt noch in
ihren: Schicksale unauflöslich aneinander gebunden, und die Frage nach der
Stellung und Bedeutung der Monarchie ist in beiden die entscheidende für das
Wohl und die Zukunft des Ganzen.

Die Worte Absolutismus und Zentralisation rufen bei vielen unter uns
leicht einen Schrecken hervor, weil uns hierbei immer das Bild der alles Be¬
sondere in sich aufsaugenden politischen Uniformität Frankreichs vor der Seele
steht. Von wahrer Freiheit ist dort allerdings eigentlich niemals die Rede ge¬
wesen. Wir aber fürchten nur immer zu sehr an unsrer Freiheit, Partiknlariät
und Gemütlichkeit Schaden zu leiden, wenn wir uns irgend einer höher» Macht
und Autorität unterordnen sollen. Dieses ganze Element des Individuellen und
Partikularen kann aber auch übertrieben und falsch aufgefaßt werden. Eine
Unterordnung ist notwendig, wenn es sich um die Verfolgung großer praktischer
Ziele und Interessen namentlich in einer unsicheren und gefahrdrohenden Lage
handelt. Alle bloß akademischen Streitigkeiten müssen dann zurücktreten und
schweigen vor dem Ernste und der Not der praktischen Lage des Augenblicks.
Unsre Lage aber ist gegenwärtig von der Art, daß sie wenigstens in jedem
Augenblick eine gefahrdrohende werden kann. Dieser Umstand wird von den
jetzigen Parteien ebenso oft vergessen als dies früher von den Ständen des alten
Reiches geschah. Alle uns bedrohenden Gefahren aber sind teils äußere, teils
innere. Ein vollkommenes Gefühl der Sicherheit werden wir erst dann haben,
wenn wir uns im Besitz der Mittel wissen, um allen äußeren und inneren
Krisen mit Ruhe entgegentreten zu können. Dies kann nur durch eine Stärkung
der monarchischen Einheitsgewalt oder des Kaisertums geschehen.

Unseren Parteien fehlt durchaus der praktische Sinn und die Hingebung
wie das Verstäuduis für die großen Ziele und Aufgaben der Politik. Es han¬
delt sich aber doch noch um ganz andre Dinge als darum, welches das Ziffer¬
verhältnis der einzelnen Parteien im Reichstage sei. Was jetzt z. B. in Dalmatien
geschieht, hat eine größere Wichtigkeit für unsre allgemeine Politik als die bloß
akademischen und ziellosen Zänkereien der Parteien im Reichstage. Die ganzen
Interessen und Fragen Österreichs aber sind zugleich auch die unsrigen. Dort
haben die Parteien nicht wie bei uns einen bloß akademischen, sondern auch
einen durchaus realen oder praktischen Inhalt und Charakter, d. h. einen solchen,
der nicht bloß in allgemeinen politischen Begriffen, sondern mich in den that¬
sächlichen Unterschieden der Nationalität, Sprache und Bildung beruht.

Wie das Dogma von der politischen Gleichberechtigung aller Menschen, so
ist auch dasjenige von derselben Gleichberechtigung aller Völker und nationalen
Fragmente eine praktische Unmöglichkeit oder el» Unsinn. Jeder einzelne Mensch
hat so wie jedes einzelne Volk nach seiner erworbenen Bildung und feiner


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[0325] Das Kaisertum und unsre nationale Politik. Zweiteilung gebildeten Staatskörpcrn ist eine Notwendigkeit. Auch dort aber, in Österreich, ist die Anarchie der Meinungen und der Parteien in andrer Ge¬ stalt eine gleich große wie bei uns. Beide Reichskörper sind auch jetzt noch in ihren: Schicksale unauflöslich aneinander gebunden, und die Frage nach der Stellung und Bedeutung der Monarchie ist in beiden die entscheidende für das Wohl und die Zukunft des Ganzen. Die Worte Absolutismus und Zentralisation rufen bei vielen unter uns leicht einen Schrecken hervor, weil uns hierbei immer das Bild der alles Be¬ sondere in sich aufsaugenden politischen Uniformität Frankreichs vor der Seele steht. Von wahrer Freiheit ist dort allerdings eigentlich niemals die Rede ge¬ wesen. Wir aber fürchten nur immer zu sehr an unsrer Freiheit, Partiknlariät und Gemütlichkeit Schaden zu leiden, wenn wir uns irgend einer höher» Macht und Autorität unterordnen sollen. Dieses ganze Element des Individuellen und Partikularen kann aber auch übertrieben und falsch aufgefaßt werden. Eine Unterordnung ist notwendig, wenn es sich um die Verfolgung großer praktischer Ziele und Interessen namentlich in einer unsicheren und gefahrdrohenden Lage handelt. Alle bloß akademischen Streitigkeiten müssen dann zurücktreten und schweigen vor dem Ernste und der Not der praktischen Lage des Augenblicks. Unsre Lage aber ist gegenwärtig von der Art, daß sie wenigstens in jedem Augenblick eine gefahrdrohende werden kann. Dieser Umstand wird von den jetzigen Parteien ebenso oft vergessen als dies früher von den Ständen des alten Reiches geschah. Alle uns bedrohenden Gefahren aber sind teils äußere, teils innere. Ein vollkommenes Gefühl der Sicherheit werden wir erst dann haben, wenn wir uns im Besitz der Mittel wissen, um allen äußeren und inneren Krisen mit Ruhe entgegentreten zu können. Dies kann nur durch eine Stärkung der monarchischen Einheitsgewalt oder des Kaisertums geschehen. Unseren Parteien fehlt durchaus der praktische Sinn und die Hingebung wie das Verstäuduis für die großen Ziele und Aufgaben der Politik. Es han¬ delt sich aber doch noch um ganz andre Dinge als darum, welches das Ziffer¬ verhältnis der einzelnen Parteien im Reichstage sei. Was jetzt z. B. in Dalmatien geschieht, hat eine größere Wichtigkeit für unsre allgemeine Politik als die bloß akademischen und ziellosen Zänkereien der Parteien im Reichstage. Die ganzen Interessen und Fragen Österreichs aber sind zugleich auch die unsrigen. Dort haben die Parteien nicht wie bei uns einen bloß akademischen, sondern auch einen durchaus realen oder praktischen Inhalt und Charakter, d. h. einen solchen, der nicht bloß in allgemeinen politischen Begriffen, sondern mich in den that¬ sächlichen Unterschieden der Nationalität, Sprache und Bildung beruht. Wie das Dogma von der politischen Gleichberechtigung aller Menschen, so ist auch dasjenige von derselben Gleichberechtigung aller Völker und nationalen Fragmente eine praktische Unmöglichkeit oder el» Unsinn. Jeder einzelne Mensch hat so wie jedes einzelne Volk nach seiner erworbenen Bildung und feiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/325>, abgerufen am 28.09.2024.