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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das Kaisertum und unsre nationale Politik,

gegenwärtiges politisches System ist ein aus monarchischen und republikanischen
Elementen nach französischer Art gemischtes. Der wahre Wert einer politischen
Institution aber mißt sich darnach, was dieselbe leistet oder ihrer Natur nach
zu leisten fähig ist. Auf die Leistungen und den Wert unsrer jetzigen Monarchie
oder des deutschen Kaisertums hinzuweisen, ist wohl überflüssig. Es wieder¬
holen sich aber jetzt leider vielfach ähnliche Erscheinungen im Leben der Nation,
wie sie schon früher, allerdings in roherer Form, in den Zeiten der älteren
Monarchie oder des durch Österreich vertretenen Kaisertums dagewesen sind.

Der Deutsche hat bestimmte Erbfehler, die er anch jetzt in der neuen Ära
seines Reiches noch nicht abgelegt hat und die ebenso wie damals etwas Be¬
drohliches für die allgemeine Machtstellung und das Wohlergehen des Vater¬
landes in sich enthalten. Oder ist etwa das Schauspiel des jetzigen Reichstags
ein so sehr verschiedenes von dem des früheren Reichstags der deutschen Nation
in Regensburg? Alle noch so berechtigten Intentionen des Kaisertums zur
Stärkung und Befestigung der Machtstellung des Ganzen nach außen scheiterten
damals an der Uneinigkeit, dem Mangel an Verständnis und dem kleinlichen
Eigensinn und Dünkel der Stände des Reichs. Man hat sich späterhin sehr
mit Unrecht daran gewöhnt, die Schuld von dem ganzen damaligen Unglück
und Rückgang der Nation allein Osterreich oder dem Kaisertum zuzuschreiben.
Wir selbst oder das Reich und die Nation trugen wesentlich immer die Haupt¬
schuld daran. Alle die langen und schweren Kriege, welche Österreich in dieser
Zeit hauptsächlich aus eigner Macht mit Frankreich und den Türken geführt
hat, sind eigentlich Neichskricge gewesen. Die Stände des Reiches aber waren
hierbei in ihrer Mehrzahl durchaus inaktiv und schielten sogar oft liebäugelnd
nach Frankreich hinüber. Es ist vorgekommen, daß sich ein kaiserlicher General
den Eintritt in die freie Reichsstadt Aachen hat mit Kanonenschüssen erzwingen
müssen. Was man damals in Deutschland die Freiheit nannte, bedeutete ebenso
wie in Polen die Anarchie und die Abwesenheit jeder kräftigen monarchischen
Autorität über dem Partikularismus und der eigennützigen Beschränktheit der
Stände des Reiches. Das thörichte Schimpfen auf Österreich, daß es Haus¬
politik getrieben habe, ist ebenso durchaus ohne Grund; denn es blieb für Öster¬
reich wie auch für Preußen nichts anderes übrig als Hauspolitik zu treiben,
und es war dies auch das einzig richtige Mittel für die beiden Großstaaten,
um dnrch die innere Befestigung und Stärkung ihrer Macht zuletzt auch für das
Ganze etwas thun zu können.

Die Verhältnisse sind jetzt andre geworden als damals, aber der mißver¬
standene Begriff der Freiheit und der partikularen Selbständigkeit und Unab¬
hängigkeit der Parteien ist derselbe geblieben. Es war ans einer Reihe von
Gründen eine Unmöglichkeit, daß das frühere deutsche Reich durch Österreich zu
einem politischen Ganzen verbunden werden konnte. Die Durchführung des
monarchisch-politischen Einheitsgedankens aber in den beiden durch die jetzige


Das Kaisertum und unsre nationale Politik,

gegenwärtiges politisches System ist ein aus monarchischen und republikanischen
Elementen nach französischer Art gemischtes. Der wahre Wert einer politischen
Institution aber mißt sich darnach, was dieselbe leistet oder ihrer Natur nach
zu leisten fähig ist. Auf die Leistungen und den Wert unsrer jetzigen Monarchie
oder des deutschen Kaisertums hinzuweisen, ist wohl überflüssig. Es wieder¬
holen sich aber jetzt leider vielfach ähnliche Erscheinungen im Leben der Nation,
wie sie schon früher, allerdings in roherer Form, in den Zeiten der älteren
Monarchie oder des durch Österreich vertretenen Kaisertums dagewesen sind.

Der Deutsche hat bestimmte Erbfehler, die er anch jetzt in der neuen Ära
seines Reiches noch nicht abgelegt hat und die ebenso wie damals etwas Be¬
drohliches für die allgemeine Machtstellung und das Wohlergehen des Vater¬
landes in sich enthalten. Oder ist etwa das Schauspiel des jetzigen Reichstags
ein so sehr verschiedenes von dem des früheren Reichstags der deutschen Nation
in Regensburg? Alle noch so berechtigten Intentionen des Kaisertums zur
Stärkung und Befestigung der Machtstellung des Ganzen nach außen scheiterten
damals an der Uneinigkeit, dem Mangel an Verständnis und dem kleinlichen
Eigensinn und Dünkel der Stände des Reichs. Man hat sich späterhin sehr
mit Unrecht daran gewöhnt, die Schuld von dem ganzen damaligen Unglück
und Rückgang der Nation allein Osterreich oder dem Kaisertum zuzuschreiben.
Wir selbst oder das Reich und die Nation trugen wesentlich immer die Haupt¬
schuld daran. Alle die langen und schweren Kriege, welche Österreich in dieser
Zeit hauptsächlich aus eigner Macht mit Frankreich und den Türken geführt
hat, sind eigentlich Neichskricge gewesen. Die Stände des Reiches aber waren
hierbei in ihrer Mehrzahl durchaus inaktiv und schielten sogar oft liebäugelnd
nach Frankreich hinüber. Es ist vorgekommen, daß sich ein kaiserlicher General
den Eintritt in die freie Reichsstadt Aachen hat mit Kanonenschüssen erzwingen
müssen. Was man damals in Deutschland die Freiheit nannte, bedeutete ebenso
wie in Polen die Anarchie und die Abwesenheit jeder kräftigen monarchischen
Autorität über dem Partikularismus und der eigennützigen Beschränktheit der
Stände des Reiches. Das thörichte Schimpfen auf Österreich, daß es Haus¬
politik getrieben habe, ist ebenso durchaus ohne Grund; denn es blieb für Öster¬
reich wie auch für Preußen nichts anderes übrig als Hauspolitik zu treiben,
und es war dies auch das einzig richtige Mittel für die beiden Großstaaten,
um dnrch die innere Befestigung und Stärkung ihrer Macht zuletzt auch für das
Ganze etwas thun zu können.

Die Verhältnisse sind jetzt andre geworden als damals, aber der mißver¬
standene Begriff der Freiheit und der partikularen Selbständigkeit und Unab¬
hängigkeit der Parteien ist derselbe geblieben. Es war ans einer Reihe von
Gründen eine Unmöglichkeit, daß das frühere deutsche Reich durch Österreich zu
einem politischen Ganzen verbunden werden konnte. Die Durchführung des
monarchisch-politischen Einheitsgedankens aber in den beiden durch die jetzige


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[0324] Das Kaisertum und unsre nationale Politik, gegenwärtiges politisches System ist ein aus monarchischen und republikanischen Elementen nach französischer Art gemischtes. Der wahre Wert einer politischen Institution aber mißt sich darnach, was dieselbe leistet oder ihrer Natur nach zu leisten fähig ist. Auf die Leistungen und den Wert unsrer jetzigen Monarchie oder des deutschen Kaisertums hinzuweisen, ist wohl überflüssig. Es wieder¬ holen sich aber jetzt leider vielfach ähnliche Erscheinungen im Leben der Nation, wie sie schon früher, allerdings in roherer Form, in den Zeiten der älteren Monarchie oder des durch Österreich vertretenen Kaisertums dagewesen sind. Der Deutsche hat bestimmte Erbfehler, die er anch jetzt in der neuen Ära seines Reiches noch nicht abgelegt hat und die ebenso wie damals etwas Be¬ drohliches für die allgemeine Machtstellung und das Wohlergehen des Vater¬ landes in sich enthalten. Oder ist etwa das Schauspiel des jetzigen Reichstags ein so sehr verschiedenes von dem des früheren Reichstags der deutschen Nation in Regensburg? Alle noch so berechtigten Intentionen des Kaisertums zur Stärkung und Befestigung der Machtstellung des Ganzen nach außen scheiterten damals an der Uneinigkeit, dem Mangel an Verständnis und dem kleinlichen Eigensinn und Dünkel der Stände des Reichs. Man hat sich späterhin sehr mit Unrecht daran gewöhnt, die Schuld von dem ganzen damaligen Unglück und Rückgang der Nation allein Osterreich oder dem Kaisertum zuzuschreiben. Wir selbst oder das Reich und die Nation trugen wesentlich immer die Haupt¬ schuld daran. Alle die langen und schweren Kriege, welche Österreich in dieser Zeit hauptsächlich aus eigner Macht mit Frankreich und den Türken geführt hat, sind eigentlich Neichskricge gewesen. Die Stände des Reiches aber waren hierbei in ihrer Mehrzahl durchaus inaktiv und schielten sogar oft liebäugelnd nach Frankreich hinüber. Es ist vorgekommen, daß sich ein kaiserlicher General den Eintritt in die freie Reichsstadt Aachen hat mit Kanonenschüssen erzwingen müssen. Was man damals in Deutschland die Freiheit nannte, bedeutete ebenso wie in Polen die Anarchie und die Abwesenheit jeder kräftigen monarchischen Autorität über dem Partikularismus und der eigennützigen Beschränktheit der Stände des Reiches. Das thörichte Schimpfen auf Österreich, daß es Haus¬ politik getrieben habe, ist ebenso durchaus ohne Grund; denn es blieb für Öster¬ reich wie auch für Preußen nichts anderes übrig als Hauspolitik zu treiben, und es war dies auch das einzig richtige Mittel für die beiden Großstaaten, um dnrch die innere Befestigung und Stärkung ihrer Macht zuletzt auch für das Ganze etwas thun zu können. Die Verhältnisse sind jetzt andre geworden als damals, aber der mißver¬ standene Begriff der Freiheit und der partikularen Selbständigkeit und Unab¬ hängigkeit der Parteien ist derselbe geblieben. Es war ans einer Reihe von Gründen eine Unmöglichkeit, daß das frühere deutsche Reich durch Österreich zu einem politischen Ganzen verbunden werden konnte. Die Durchführung des monarchisch-politischen Einheitsgedankens aber in den beiden durch die jetzige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/324>, abgerufen am 29.06.2024.