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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger.

wie in der brennenden Wüste. Es ist kein schattiges Plätzchen in meinem Innern,
in das ich mich zurückziehen könnte. Ich bin voll Neid und Eifersucht auf ich
weiß nicht wen, ich beunruhige mich über den Schatten eines Schattens, ich
seufze nach einem Ding, das ich nicht kenne, ich vergieße Thränen, ohne zu wissen
warum. O komm, mein Glück, laß nicht zu lange auf dich warten, sonst ist der
schwache Leib verzehrt, der dich genießen soll! Dann werde ich nicht mehr die Kraft
haben, zu arbeiten, zu lieben und zu leben!

Er warf sich unter einer breitästigcn Linde in das Moos nieder und starrte
in das Grün. Ein Blatt wehte herab, ihm ins Gesicht. Er nahm es in die
Hand und betrachtete es.

Giebt es nicht einen Vers über ein Lindenblatt, sagte er sich, der schließt:
Du wirst es wie ein Herz gestaltet finden, drum sitzen die Verliebten mich am
liebsten unter Linden?

Die Verliebten! O, wie ich sie beneide! Wie ich jeden Menschen beneide,
der den wühlenden Drang seines Innern mit irgend etwas zu betäuben vermag,
der den Durst löschen kann, mit was es auch sei!

Auch ich konnte ja lieben! Dieses Mädchen küßt mich und schmollt mit
mir und wirft nach mir mit Rosen. Ich könnte versuchen, sie zu lieben -- mag
eS nun glücklich oder unglücklich enden, so wäre es doch etwas, woran ich mein
Herz hängen könnte. Gewiß würde es unglücklich enden, denn ich fühle, ich bringe
allein und allen Unglück, aber was liegt daran? Besser ein Unglück als über¬
haupt gar nichts! "Besser, daß dein Herze bricht von dem Kuß der Rose, als
du kennst die Liebe nicht und stirbst liebelose." Aber kann ich sie lieben? Sie
ist aus zu gesundem und zu derbem Stamme, eine echte Germanin, und es ist
etwas fremdes in ihr, das meiner Natur entgegen ist. Im Vergleich zu mir
ist sie gepanzert, während ich im leichten Wurms gehe, die Waffen, die ihre
Haut kaum ritzen könnten, würden mir Haut und Fleisch und Herz durchdringen.
Sie sind mir zu grobkörnig, diese echten Germanen, ich fühle in ihrer Gegen¬
wart das Blut meines Vaters in mir sich bewegen, das vornehme Blut des
uralten Volkes des Herrn.

Ermüdet vom Laufen und Denken sank ihm das Haupt auf den Arm, und
er schlief ein im kühlen Schatten der Linde.

Mit neuen Gedanken erwachte er, blickte träumerisch umher und entdeckte,
daß er lange geschlafen hatte. "Im Winde die Linde, sie rauscht mich ein gemach"
murmelte er lächelnd.

Woran dachte ich doch? fragte er sich aufstehend. Mir scheint, ich bin
ein strenger Richter. Was dachte ich doch über das arme hübsche Mädchen?
Du erklärst sie für eine Kokette gewöhnlichen Schlags, weil sie freundlich gegen
dich war und deine Sensibilität nicht teilt, und weil sie einfach beleidigt war
über dein Fortbleiben, während dies doch in deinem Sinne die zarteste Rücksicht
war? Du bist ungerecht, du bist überhaupt ein Narr!


Grmzlwlnl 1. Z8W A)
Bakchen und Thyrsostrciger.

wie in der brennenden Wüste. Es ist kein schattiges Plätzchen in meinem Innern,
in das ich mich zurückziehen könnte. Ich bin voll Neid und Eifersucht auf ich
weiß nicht wen, ich beunruhige mich über den Schatten eines Schattens, ich
seufze nach einem Ding, das ich nicht kenne, ich vergieße Thränen, ohne zu wissen
warum. O komm, mein Glück, laß nicht zu lange auf dich warten, sonst ist der
schwache Leib verzehrt, der dich genießen soll! Dann werde ich nicht mehr die Kraft
haben, zu arbeiten, zu lieben und zu leben!

Er warf sich unter einer breitästigcn Linde in das Moos nieder und starrte
in das Grün. Ein Blatt wehte herab, ihm ins Gesicht. Er nahm es in die
Hand und betrachtete es.

Giebt es nicht einen Vers über ein Lindenblatt, sagte er sich, der schließt:
Du wirst es wie ein Herz gestaltet finden, drum sitzen die Verliebten mich am
liebsten unter Linden?

Die Verliebten! O, wie ich sie beneide! Wie ich jeden Menschen beneide,
der den wühlenden Drang seines Innern mit irgend etwas zu betäuben vermag,
der den Durst löschen kann, mit was es auch sei!

Auch ich konnte ja lieben! Dieses Mädchen küßt mich und schmollt mit
mir und wirft nach mir mit Rosen. Ich könnte versuchen, sie zu lieben — mag
eS nun glücklich oder unglücklich enden, so wäre es doch etwas, woran ich mein
Herz hängen könnte. Gewiß würde es unglücklich enden, denn ich fühle, ich bringe
allein und allen Unglück, aber was liegt daran? Besser ein Unglück als über¬
haupt gar nichts! „Besser, daß dein Herze bricht von dem Kuß der Rose, als
du kennst die Liebe nicht und stirbst liebelose." Aber kann ich sie lieben? Sie
ist aus zu gesundem und zu derbem Stamme, eine echte Germanin, und es ist
etwas fremdes in ihr, das meiner Natur entgegen ist. Im Vergleich zu mir
ist sie gepanzert, während ich im leichten Wurms gehe, die Waffen, die ihre
Haut kaum ritzen könnten, würden mir Haut und Fleisch und Herz durchdringen.
Sie sind mir zu grobkörnig, diese echten Germanen, ich fühle in ihrer Gegen¬
wart das Blut meines Vaters in mir sich bewegen, das vornehme Blut des
uralten Volkes des Herrn.

Ermüdet vom Laufen und Denken sank ihm das Haupt auf den Arm, und
er schlief ein im kühlen Schatten der Linde.

Mit neuen Gedanken erwachte er, blickte träumerisch umher und entdeckte,
daß er lange geschlafen hatte. „Im Winde die Linde, sie rauscht mich ein gemach"
murmelte er lächelnd.

Woran dachte ich doch? fragte er sich aufstehend. Mir scheint, ich bin
ein strenger Richter. Was dachte ich doch über das arme hübsche Mädchen?
Du erklärst sie für eine Kokette gewöhnlichen Schlags, weil sie freundlich gegen
dich war und deine Sensibilität nicht teilt, und weil sie einfach beleidigt war
über dein Fortbleiben, während dies doch in deinem Sinne die zarteste Rücksicht
war? Du bist ungerecht, du bist überhaupt ein Narr!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/313>, abgerufen am 29.06.2024.