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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcckchcn und Thyrsosträger,

Sie haben Recht, Entschuldigen Sie, sagte er kühl. Und damit ging er
weiter und trat zu seinem Duzbruder ins Zimmer, Adolf war ganz wie sonst,
urgemütlich. Ephraim beschloß, die Freundschaft nicht länger fortzusetzen. Diese
Leute sind aus zu gewöhnlichem Thon geknetet, sagte er sich, als daß man aus
ihrem Umgang irgendwelchen geistigen Gewinn ziehen konnte. Das konnte ich
schon daraus erkennen, daß sie so richtig saugen. Denn ich habe noch nie einen
fein organisirten und intelligenten Menschen gesehen, der die Gabe des Gesanges
besessen hätte. Es ist gut, daß es ans ist.

Er ging bald wieder fort und dachte über die lsx AArarig. nach, deren Be¬
deutung für den römischen Staat er in einem Aufsatz für eine wissenschaftliche
Zeitschrift darlegen wollte, Flörcheu war nicht zu sehen.

Als er aber aus dem Hause auf die Straße trat, fiel von oben eine Rose
herab, ihm vor die Füße, und als er überrascht emporblickte, sah er eben noch
einen Schimmer goldigen Haares, da'? rasch vom Erkerfenster verschwand. Er
hob die Rose ans und begab sich nach Hause. Aber die lvx Ässrarm tauchte in
den Strom der Vergessenheit uuter, und es schwammen blonde Locken und blaue
Augen auf der Lebensflut. Er dachte und dachte, bald dies, bald das, den
ganzen Abend, und als er eine Stunde lang schlaflos im Bette gelegen hatte,
schlug er sich zornig vor die Stirn und murmelte: Heautontimorumenos!




Sechstes Aapitel.
Im schatten der Rosen.

Oft, wenn die reinen Morgenwinde sie umfa'chclteu,
oder wenn der Mond sie u inleuchtete, seufzte sie über
den eisigen Zustand der Keuschheit, der über sie ver¬
hängt war.

Ephraim erwachte mit übervollen Herzen, voll unbegreiflicher Sehnsucht
und gleichsam in einer dichterischen Trunkenheit. Es war ein warmer, weicher
Tag, und die vom Gebirge wehenden Lüfte warfen glühende Fackeln in seine
Seele. Er eilte hinaus und durchstrich mit schwerer heißer Stirn die Pfade
unter den Bäumen, bergauf, thalabwärts, und er wußte kaum, wo er war.

O, mein Glück, rief er in sein eignes Herz hinein, wann wirst du kommen,
wo bleibst du? Bin ich denn zu spät in diese Welt gekommen oder vielleicht zu
früh, und hat mir Gott nur das Leben geliehen, um es zurückzunehmen, ohne
daß ich glücklich gewesen wäre? O nein, er wird mir zu rechter Stunde ein Ziel,
einen Zweck zeigen, ein Schönes, welches meine Seele erfüllen kann. Aber
warum verzehrt mich dieses furchtbare Sehnen und Denken? Ich gehe umher


Bcckchcn und Thyrsosträger,

Sie haben Recht, Entschuldigen Sie, sagte er kühl. Und damit ging er
weiter und trat zu seinem Duzbruder ins Zimmer, Adolf war ganz wie sonst,
urgemütlich. Ephraim beschloß, die Freundschaft nicht länger fortzusetzen. Diese
Leute sind aus zu gewöhnlichem Thon geknetet, sagte er sich, als daß man aus
ihrem Umgang irgendwelchen geistigen Gewinn ziehen konnte. Das konnte ich
schon daraus erkennen, daß sie so richtig saugen. Denn ich habe noch nie einen
fein organisirten und intelligenten Menschen gesehen, der die Gabe des Gesanges
besessen hätte. Es ist gut, daß es ans ist.

Er ging bald wieder fort und dachte über die lsx AArarig. nach, deren Be¬
deutung für den römischen Staat er in einem Aufsatz für eine wissenschaftliche
Zeitschrift darlegen wollte, Flörcheu war nicht zu sehen.

Als er aber aus dem Hause auf die Straße trat, fiel von oben eine Rose
herab, ihm vor die Füße, und als er überrascht emporblickte, sah er eben noch
einen Schimmer goldigen Haares, da'? rasch vom Erkerfenster verschwand. Er
hob die Rose ans und begab sich nach Hause. Aber die lvx Ässrarm tauchte in
den Strom der Vergessenheit uuter, und es schwammen blonde Locken und blaue
Augen auf der Lebensflut. Er dachte und dachte, bald dies, bald das, den
ganzen Abend, und als er eine Stunde lang schlaflos im Bette gelegen hatte,
schlug er sich zornig vor die Stirn und murmelte: Heautontimorumenos!




Sechstes Aapitel.
Im schatten der Rosen.

Oft, wenn die reinen Morgenwinde sie umfa'chclteu,
oder wenn der Mond sie u inleuchtete, seufzte sie über
den eisigen Zustand der Keuschheit, der über sie ver¬
hängt war.

Ephraim erwachte mit übervollen Herzen, voll unbegreiflicher Sehnsucht
und gleichsam in einer dichterischen Trunkenheit. Es war ein warmer, weicher
Tag, und die vom Gebirge wehenden Lüfte warfen glühende Fackeln in seine
Seele. Er eilte hinaus und durchstrich mit schwerer heißer Stirn die Pfade
unter den Bäumen, bergauf, thalabwärts, und er wußte kaum, wo er war.

O, mein Glück, rief er in sein eignes Herz hinein, wann wirst du kommen,
wo bleibst du? Bin ich denn zu spät in diese Welt gekommen oder vielleicht zu
früh, und hat mir Gott nur das Leben geliehen, um es zurückzunehmen, ohne
daß ich glücklich gewesen wäre? O nein, er wird mir zu rechter Stunde ein Ziel,
einen Zweck zeigen, ein Schönes, welches meine Seele erfüllen kann. Aber
warum verzehrt mich dieses furchtbare Sehnen und Denken? Ich gehe umher


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[0312] Bcckchcn und Thyrsosträger, Sie haben Recht, Entschuldigen Sie, sagte er kühl. Und damit ging er weiter und trat zu seinem Duzbruder ins Zimmer, Adolf war ganz wie sonst, urgemütlich. Ephraim beschloß, die Freundschaft nicht länger fortzusetzen. Diese Leute sind aus zu gewöhnlichem Thon geknetet, sagte er sich, als daß man aus ihrem Umgang irgendwelchen geistigen Gewinn ziehen konnte. Das konnte ich schon daraus erkennen, daß sie so richtig saugen. Denn ich habe noch nie einen fein organisirten und intelligenten Menschen gesehen, der die Gabe des Gesanges besessen hätte. Es ist gut, daß es ans ist. Er ging bald wieder fort und dachte über die lsx AArarig. nach, deren Be¬ deutung für den römischen Staat er in einem Aufsatz für eine wissenschaftliche Zeitschrift darlegen wollte, Flörcheu war nicht zu sehen. Als er aber aus dem Hause auf die Straße trat, fiel von oben eine Rose herab, ihm vor die Füße, und als er überrascht emporblickte, sah er eben noch einen Schimmer goldigen Haares, da'? rasch vom Erkerfenster verschwand. Er hob die Rose ans und begab sich nach Hause. Aber die lvx Ässrarm tauchte in den Strom der Vergessenheit uuter, und es schwammen blonde Locken und blaue Augen auf der Lebensflut. Er dachte und dachte, bald dies, bald das, den ganzen Abend, und als er eine Stunde lang schlaflos im Bette gelegen hatte, schlug er sich zornig vor die Stirn und murmelte: Heautontimorumenos! Sechstes Aapitel. Im schatten der Rosen. Oft, wenn die reinen Morgenwinde sie umfa'chclteu, oder wenn der Mond sie u inleuchtete, seufzte sie über den eisigen Zustand der Keuschheit, der über sie ver¬ hängt war. Ephraim erwachte mit übervollen Herzen, voll unbegreiflicher Sehnsucht und gleichsam in einer dichterischen Trunkenheit. Es war ein warmer, weicher Tag, und die vom Gebirge wehenden Lüfte warfen glühende Fackeln in seine Seele. Er eilte hinaus und durchstrich mit schwerer heißer Stirn die Pfade unter den Bäumen, bergauf, thalabwärts, und er wußte kaum, wo er war. O, mein Glück, rief er in sein eignes Herz hinein, wann wirst du kommen, wo bleibst du? Bin ich denn zu spät in diese Welt gekommen oder vielleicht zu früh, und hat mir Gott nur das Leben geliehen, um es zurückzunehmen, ohne daß ich glücklich gewesen wäre? O nein, er wird mir zu rechter Stunde ein Ziel, einen Zweck zeigen, ein Schönes, welches meine Seele erfüllen kann. Aber warum verzehrt mich dieses furchtbare Sehnen und Denken? Ich gehe umher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/312>, abgerufen am 29.06.2024.