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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Balladen und Thyrsosträger.

Er hielt inne vor der Thür des nider Hauses und dachte, es sei besser,
umzukehren. Aber wäre das uicht lächerlich, auffallend und demonstrativ ge¬
wesen? Was hätte er Herrn Schaible beim nächsten Zusammentreffen sagen
sollen? -- Vielleicht siehst du sie heute gar nicht.

Er ging hinein und die Treppe hinauf. Flörchen stand auf dem Flur
und Putzte Blumenstöcke aus. Das Herz schlug ihm bis in den Hals empor.
Er sah sie nur von der Seite und wußte nicht, ob sie ihn gesehen hatte. Aber
sie mußte doch seinen Schritt hören, so zog er denn grüßend seinen Hut.

Flörchen sah es nicht.

Er stutzte und sagte: Guten Tag, Fräulein Schaible.

Flörchen wandte ihm den Rücken vollends zu und sagte: Guten Tag.

Wenn sie mit der Butterfrau gesprochen hätte, so hätte ihr Ton nicht gleich-
giltiger sein können.

Ephraim war ganz niedergeschmettert. Er hatte eine Empfindung, als wenn
ihm jemand kaltes Wasser über den Kopf gegossen hätte. Aber er besann sich
bald und sagte ärgerlich: So wenig bekümmern sie sich um mich?

Sie bekümmern sich ja auch uicht um mich, entgegnete Flörchen.

Wie so? fragte er verwundert.

Muß ich Ihnen das erst sagen? fragte sie, drehte sich herum und sah ihn
vorwurfsvoll an.

Ja.

Sie machte eine schmollende Miene und sah mit halbgeschlossenen Augen
von ihm weg.

Ich möchte es gern wissen, sagte er und es überkam ihn dabei die Ver¬
mutung, er sei drei Tage lang ein Narr gewesen.

Nun, entgegnete sie, es wäre doch wohl nur höflich gewesen, wenn Sie mich
besucht hätten, um zu fragen, wie mir die Partie bekommen ist. Der Weg ist
doch uicht so weit.

Die Idee des ewig Weiblichen, welche vor kurzem noch in des guten Jüng¬
lings Meinung ihre schönste Verkörperung durch Flörchen erhielt, schnellte durch
diese Antwort sofort um einige Stufen höher hinauf, als Flörchen stand. Es
kam Ephraim so vor, als ob die Liebe in den Augen dieses Mädchens mit dem
strahlenden Haar ein hausbackenes Geschäft sei. Er hatte sich vorgestellt, mich
sie sei, gleich ihm, von Verwirrung, Neue, Furcht, Sehnsucht und Schmerz er¬
füllt, und es berührte ihn eiskalt die Entdeckung, daß Flörchen durch die Er¬
lebnisse der letzten Tage gar nicht aus dem Gleichgewicht gekommen war, sondern
nur einfach einen Mangel an Höflichkeit in seinem von den höchsten Gefühlen
vorgeschriebenen Fernbleiben sah.

Sogar ihr Ton klang nicht sehr zart, und er konnte sich in diesem Augen¬
blicke vorstellen, wie es möglich gewesen sei, daß sie sich einmal in der Schule
durch Frechheit hervorgethan habe.


Balladen und Thyrsosträger.

Er hielt inne vor der Thür des nider Hauses und dachte, es sei besser,
umzukehren. Aber wäre das uicht lächerlich, auffallend und demonstrativ ge¬
wesen? Was hätte er Herrn Schaible beim nächsten Zusammentreffen sagen
sollen? — Vielleicht siehst du sie heute gar nicht.

Er ging hinein und die Treppe hinauf. Flörchen stand auf dem Flur
und Putzte Blumenstöcke aus. Das Herz schlug ihm bis in den Hals empor.
Er sah sie nur von der Seite und wußte nicht, ob sie ihn gesehen hatte. Aber
sie mußte doch seinen Schritt hören, so zog er denn grüßend seinen Hut.

Flörchen sah es nicht.

Er stutzte und sagte: Guten Tag, Fräulein Schaible.

Flörchen wandte ihm den Rücken vollends zu und sagte: Guten Tag.

Wenn sie mit der Butterfrau gesprochen hätte, so hätte ihr Ton nicht gleich-
giltiger sein können.

Ephraim war ganz niedergeschmettert. Er hatte eine Empfindung, als wenn
ihm jemand kaltes Wasser über den Kopf gegossen hätte. Aber er besann sich
bald und sagte ärgerlich: So wenig bekümmern sie sich um mich?

Sie bekümmern sich ja auch uicht um mich, entgegnete Flörchen.

Wie so? fragte er verwundert.

Muß ich Ihnen das erst sagen? fragte sie, drehte sich herum und sah ihn
vorwurfsvoll an.

Ja.

Sie machte eine schmollende Miene und sah mit halbgeschlossenen Augen
von ihm weg.

Ich möchte es gern wissen, sagte er und es überkam ihn dabei die Ver¬
mutung, er sei drei Tage lang ein Narr gewesen.

Nun, entgegnete sie, es wäre doch wohl nur höflich gewesen, wenn Sie mich
besucht hätten, um zu fragen, wie mir die Partie bekommen ist. Der Weg ist
doch uicht so weit.

Die Idee des ewig Weiblichen, welche vor kurzem noch in des guten Jüng¬
lings Meinung ihre schönste Verkörperung durch Flörchen erhielt, schnellte durch
diese Antwort sofort um einige Stufen höher hinauf, als Flörchen stand. Es
kam Ephraim so vor, als ob die Liebe in den Augen dieses Mädchens mit dem
strahlenden Haar ein hausbackenes Geschäft sei. Er hatte sich vorgestellt, mich
sie sei, gleich ihm, von Verwirrung, Neue, Furcht, Sehnsucht und Schmerz er¬
füllt, und es berührte ihn eiskalt die Entdeckung, daß Flörchen durch die Er¬
lebnisse der letzten Tage gar nicht aus dem Gleichgewicht gekommen war, sondern
nur einfach einen Mangel an Höflichkeit in seinem von den höchsten Gefühlen
vorgeschriebenen Fernbleiben sah.

Sogar ihr Ton klang nicht sehr zart, und er konnte sich in diesem Augen¬
blicke vorstellen, wie es möglich gewesen sei, daß sie sich einmal in der Schule
durch Frechheit hervorgethan habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/311>, abgerufen am 29.06.2024.