Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gambettas RiickKitt,

Ohne Zweifel haben aber auch noch andre Ursachen zum Sturze Gambettas
beigetragen. Er hatte nicht wenige Leute, die überzeugt waren, daß ihnen ein
Portefeuille gebühre und gut zu Gesicht stehen würde, durch Übergehuug tief
gekränkt und erbittert. Er hatte in verschiedenen Zweigen des höheren Siaats-
dienstes Anstellungen vollzogen, welche den Radikalen im höchsten Grade mi߬
fielen und über welche auch andre den Kopf schüttelten, weil die betreffenden
Persönlichkeiten mehr der Person des Ministers als den republikanischen Ein¬
richtungen ergeben waren. Allgemein herrschte das unbehagliche Gefühl, daß
ein mächtiger Minister mit Hilfe eines Wahlorgans, wie es das Listenstrutininm
liefert, sich leicht eine dienstwillige Majorität schaffen könne, mit der er der
Freiheit des Parlaments ein schleimiges Ende zu bereiten imstande wäre. Die
Erwählten des allgemeinen Stimmrechts, welche den Kvnseilpräsidcnten aus rein
persönlichen Neigungen der Stimmung in den Kammern Trotz bieten sahen und
überzeugt waren, daß er nicht nur die Verwaltung, sondern anch die Wahl¬
komitees draußen in der Provinz am Lenkseile führe, mußten sich sagen, daß
er bei den nächste,: Wahlen die Abfassung der Wahllisten nicht dem Zufall
überlasse!,, sondern in seinem Interesse dirigiren werde. Sie mußten sich über-
legen, daß, wenn sie heute den Fehler begingen, der Verfassung das Listen-
skrutinium aufzupfropfen, über jede ihrer Reden, jede ihrer Abstimmungen Buch
geführt, daß ihre gesammte Haltung säuberlich in eine Kondnitenliste eingetragen
werden und daß eine einzige Regung von Unabhängigkeit genügen würde, um
den zukünftigen Schöpfer der Abgeordneten zu bewegen, ihre Namen von der
Kandidatenliste streichen zu lassen.

Als Gambetta dann ein Ministerium aus seinen alten Freunden und Waffen¬
gefährten bildete, machte er eine beschränkte Revision der Verfassung zur Be¬
dingung eines Verbleibens im Amte. Was er vorschlagen würde, war aus seinen
verschiedenen Reden so ziemlich bekannt, und die Kammer schien geneigt, ihm ein
williges Ohr zu leihen. Ja auch die Senatorenwahl des Januar hatte diese
Körperschaft mehr in Einklang mit dem andern Hause gebracht, sodnß manchen
eine Umbildung der Grundgesetze nicht mehr notwendig erschien. Doch gab es
noch keine entschiedene Abneigung gegen ein Verfahren, welches frühere Vor¬
kommnisse gewissermaßen zu einem politischen Bedürfnisse gemacht hatten. Gam¬
betta hatte, bevor er Minister geworden, eifrig auf Befriedigung dieses Bedürf¬
nisses hingearbeitet, er konnte die Stellung, die er damit eingenommen, nicht
wohl aufgeben. Und doch wurde, als er nun mit seinem Plane hervortrat, der
sanfte Wind, der bisher geweht, plötzlich zu einem heftigen Sturme voll heißester
Feindschaft. Die Ursache davon war einfach die, daß der Premier, verstrickt
und befangen von dem Gedanken an das Listenskrutinium, dasselbe in die Reihe
seiner Verbesserungsvorschläge aufnahm und beide Häuser aufforderte, es der Ver¬
fassung einzuverleiben. Der Vorschlag war eine Überraschung. Er erweckte nicht
nur Verdruß, sondern tiefes Mißtrauen, er entflammte die neugewählten Abge-


Gambettas RiickKitt,

Ohne Zweifel haben aber auch noch andre Ursachen zum Sturze Gambettas
beigetragen. Er hatte nicht wenige Leute, die überzeugt waren, daß ihnen ein
Portefeuille gebühre und gut zu Gesicht stehen würde, durch Übergehuug tief
gekränkt und erbittert. Er hatte in verschiedenen Zweigen des höheren Siaats-
dienstes Anstellungen vollzogen, welche den Radikalen im höchsten Grade mi߬
fielen und über welche auch andre den Kopf schüttelten, weil die betreffenden
Persönlichkeiten mehr der Person des Ministers als den republikanischen Ein¬
richtungen ergeben waren. Allgemein herrschte das unbehagliche Gefühl, daß
ein mächtiger Minister mit Hilfe eines Wahlorgans, wie es das Listenstrutininm
liefert, sich leicht eine dienstwillige Majorität schaffen könne, mit der er der
Freiheit des Parlaments ein schleimiges Ende zu bereiten imstande wäre. Die
Erwählten des allgemeinen Stimmrechts, welche den Kvnseilpräsidcnten aus rein
persönlichen Neigungen der Stimmung in den Kammern Trotz bieten sahen und
überzeugt waren, daß er nicht nur die Verwaltung, sondern anch die Wahl¬
komitees draußen in der Provinz am Lenkseile führe, mußten sich sagen, daß
er bei den nächste,: Wahlen die Abfassung der Wahllisten nicht dem Zufall
überlasse!,, sondern in seinem Interesse dirigiren werde. Sie mußten sich über-
legen, daß, wenn sie heute den Fehler begingen, der Verfassung das Listen-
skrutinium aufzupfropfen, über jede ihrer Reden, jede ihrer Abstimmungen Buch
geführt, daß ihre gesammte Haltung säuberlich in eine Kondnitenliste eingetragen
werden und daß eine einzige Regung von Unabhängigkeit genügen würde, um
den zukünftigen Schöpfer der Abgeordneten zu bewegen, ihre Namen von der
Kandidatenliste streichen zu lassen.

Als Gambetta dann ein Ministerium aus seinen alten Freunden und Waffen¬
gefährten bildete, machte er eine beschränkte Revision der Verfassung zur Be¬
dingung eines Verbleibens im Amte. Was er vorschlagen würde, war aus seinen
verschiedenen Reden so ziemlich bekannt, und die Kammer schien geneigt, ihm ein
williges Ohr zu leihen. Ja auch die Senatorenwahl des Januar hatte diese
Körperschaft mehr in Einklang mit dem andern Hause gebracht, sodnß manchen
eine Umbildung der Grundgesetze nicht mehr notwendig erschien. Doch gab es
noch keine entschiedene Abneigung gegen ein Verfahren, welches frühere Vor¬
kommnisse gewissermaßen zu einem politischen Bedürfnisse gemacht hatten. Gam¬
betta hatte, bevor er Minister geworden, eifrig auf Befriedigung dieses Bedürf¬
nisses hingearbeitet, er konnte die Stellung, die er damit eingenommen, nicht
wohl aufgeben. Und doch wurde, als er nun mit seinem Plane hervortrat, der
sanfte Wind, der bisher geweht, plötzlich zu einem heftigen Sturme voll heißester
Feindschaft. Die Ursache davon war einfach die, daß der Premier, verstrickt
und befangen von dem Gedanken an das Listenskrutinium, dasselbe in die Reihe
seiner Verbesserungsvorschläge aufnahm und beide Häuser aufforderte, es der Ver¬
fassung einzuverleiben. Der Vorschlag war eine Überraschung. Er erweckte nicht
nur Verdruß, sondern tiefes Mißtrauen, er entflammte die neugewählten Abge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86429"/>
          <fw type="header" place="top"> Gambettas RiickKitt,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1253"> Ohne Zweifel haben aber auch noch andre Ursachen zum Sturze Gambettas<lb/>
beigetragen. Er hatte nicht wenige Leute, die überzeugt waren, daß ihnen ein<lb/>
Portefeuille gebühre und gut zu Gesicht stehen würde, durch Übergehuug tief<lb/>
gekränkt und erbittert. Er hatte in verschiedenen Zweigen des höheren Siaats-<lb/>
dienstes Anstellungen vollzogen, welche den Radikalen im höchsten Grade mi߬<lb/>
fielen und über welche auch andre den Kopf schüttelten, weil die betreffenden<lb/>
Persönlichkeiten mehr der Person des Ministers als den republikanischen Ein¬<lb/>
richtungen ergeben waren. Allgemein herrschte das unbehagliche Gefühl, daß<lb/>
ein mächtiger Minister mit Hilfe eines Wahlorgans, wie es das Listenstrutininm<lb/>
liefert, sich leicht eine dienstwillige Majorität schaffen könne, mit der er der<lb/>
Freiheit des Parlaments ein schleimiges Ende zu bereiten imstande wäre. Die<lb/>
Erwählten des allgemeinen Stimmrechts, welche den Kvnseilpräsidcnten aus rein<lb/>
persönlichen Neigungen der Stimmung in den Kammern Trotz bieten sahen und<lb/>
überzeugt waren, daß er nicht nur die Verwaltung, sondern anch die Wahl¬<lb/>
komitees draußen in der Provinz am Lenkseile führe, mußten sich sagen, daß<lb/>
er bei den nächste,: Wahlen die Abfassung der Wahllisten nicht dem Zufall<lb/>
überlasse!,, sondern in seinem Interesse dirigiren werde. Sie mußten sich über-<lb/>
legen, daß, wenn sie heute den Fehler begingen, der Verfassung das Listen-<lb/>
skrutinium aufzupfropfen, über jede ihrer Reden, jede ihrer Abstimmungen Buch<lb/>
geführt, daß ihre gesammte Haltung säuberlich in eine Kondnitenliste eingetragen<lb/>
werden und daß eine einzige Regung von Unabhängigkeit genügen würde, um<lb/>
den zukünftigen Schöpfer der Abgeordneten zu bewegen, ihre Namen von der<lb/>
Kandidatenliste streichen zu lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1254" next="#ID_1255"> Als Gambetta dann ein Ministerium aus seinen alten Freunden und Waffen¬<lb/>
gefährten bildete, machte er eine beschränkte Revision der Verfassung zur Be¬<lb/>
dingung eines Verbleibens im Amte. Was er vorschlagen würde, war aus seinen<lb/>
verschiedenen Reden so ziemlich bekannt, und die Kammer schien geneigt, ihm ein<lb/>
williges Ohr zu leihen. Ja auch die Senatorenwahl des Januar hatte diese<lb/>
Körperschaft mehr in Einklang mit dem andern Hause gebracht, sodnß manchen<lb/>
eine Umbildung der Grundgesetze nicht mehr notwendig erschien. Doch gab es<lb/>
noch keine entschiedene Abneigung gegen ein Verfahren, welches frühere Vor¬<lb/>
kommnisse gewissermaßen zu einem politischen Bedürfnisse gemacht hatten. Gam¬<lb/>
betta hatte, bevor er Minister geworden, eifrig auf Befriedigung dieses Bedürf¬<lb/>
nisses hingearbeitet, er konnte die Stellung, die er damit eingenommen, nicht<lb/>
wohl aufgeben. Und doch wurde, als er nun mit seinem Plane hervortrat, der<lb/>
sanfte Wind, der bisher geweht, plötzlich zu einem heftigen Sturme voll heißester<lb/>
Feindschaft. Die Ursache davon war einfach die, daß der Premier, verstrickt<lb/>
und befangen von dem Gedanken an das Listenskrutinium, dasselbe in die Reihe<lb/>
seiner Verbesserungsvorschläge aufnahm und beide Häuser aufforderte, es der Ver¬<lb/>
fassung einzuverleiben. Der Vorschlag war eine Überraschung. Er erweckte nicht<lb/>
nur Verdruß, sondern tiefes Mißtrauen, er entflammte die neugewählten Abge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Gambettas RiickKitt, Ohne Zweifel haben aber auch noch andre Ursachen zum Sturze Gambettas beigetragen. Er hatte nicht wenige Leute, die überzeugt waren, daß ihnen ein Portefeuille gebühre und gut zu Gesicht stehen würde, durch Übergehuug tief gekränkt und erbittert. Er hatte in verschiedenen Zweigen des höheren Siaats- dienstes Anstellungen vollzogen, welche den Radikalen im höchsten Grade mi߬ fielen und über welche auch andre den Kopf schüttelten, weil die betreffenden Persönlichkeiten mehr der Person des Ministers als den republikanischen Ein¬ richtungen ergeben waren. Allgemein herrschte das unbehagliche Gefühl, daß ein mächtiger Minister mit Hilfe eines Wahlorgans, wie es das Listenstrutininm liefert, sich leicht eine dienstwillige Majorität schaffen könne, mit der er der Freiheit des Parlaments ein schleimiges Ende zu bereiten imstande wäre. Die Erwählten des allgemeinen Stimmrechts, welche den Kvnseilpräsidcnten aus rein persönlichen Neigungen der Stimmung in den Kammern Trotz bieten sahen und überzeugt waren, daß er nicht nur die Verwaltung, sondern anch die Wahl¬ komitees draußen in der Provinz am Lenkseile führe, mußten sich sagen, daß er bei den nächste,: Wahlen die Abfassung der Wahllisten nicht dem Zufall überlasse!,, sondern in seinem Interesse dirigiren werde. Sie mußten sich über- legen, daß, wenn sie heute den Fehler begingen, der Verfassung das Listen- skrutinium aufzupfropfen, über jede ihrer Reden, jede ihrer Abstimmungen Buch geführt, daß ihre gesammte Haltung säuberlich in eine Kondnitenliste eingetragen werden und daß eine einzige Regung von Unabhängigkeit genügen würde, um den zukünftigen Schöpfer der Abgeordneten zu bewegen, ihre Namen von der Kandidatenliste streichen zu lassen. Als Gambetta dann ein Ministerium aus seinen alten Freunden und Waffen¬ gefährten bildete, machte er eine beschränkte Revision der Verfassung zur Be¬ dingung eines Verbleibens im Amte. Was er vorschlagen würde, war aus seinen verschiedenen Reden so ziemlich bekannt, und die Kammer schien geneigt, ihm ein williges Ohr zu leihen. Ja auch die Senatorenwahl des Januar hatte diese Körperschaft mehr in Einklang mit dem andern Hause gebracht, sodnß manchen eine Umbildung der Grundgesetze nicht mehr notwendig erschien. Doch gab es noch keine entschiedene Abneigung gegen ein Verfahren, welches frühere Vor¬ kommnisse gewissermaßen zu einem politischen Bedürfnisse gemacht hatten. Gam¬ betta hatte, bevor er Minister geworden, eifrig auf Befriedigung dieses Bedürf¬ nisses hingearbeitet, er konnte die Stellung, die er damit eingenommen, nicht wohl aufgeben. Und doch wurde, als er nun mit seinem Plane hervortrat, der sanfte Wind, der bisher geweht, plötzlich zu einem heftigen Sturme voll heißester Feindschaft. Die Ursache davon war einfach die, daß der Premier, verstrickt und befangen von dem Gedanken an das Listenskrutinium, dasselbe in die Reihe seiner Verbesserungsvorschläge aufnahm und beide Häuser aufforderte, es der Ver¬ fassung einzuverleiben. Der Vorschlag war eine Überraschung. Er erweckte nicht nur Verdruß, sondern tiefes Mißtrauen, er entflammte die neugewählten Abge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/308>, abgerufen am 29.06.2024.