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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Gambettas Rücktritt.

in 26. Januar abends erbaten sich Gambetta und seine Kollegen
vom Präsident Grsvy ihre Entlassung, und am 28. übernahm
Frcheinet von letzterem den Auftrag zur Bildung eines neuen
Kabinets. Der bedeutungsvolle Schritt erfolgte, nachdem der
bisherige französische Ministerpräsident im Abgeordnetenhause eine
Niederlage erlitten hatte, bei welcher sich in einer Frage, die ihm vor allen
andern am Herzen lag, von 309 Stimmen 282, also eine ziemlich starke Ma¬
jorität, gegen ihn erklärt hatten. Eine große Rede, die nachweisen sollte, daß
er das Verlangte zu seinen Reformen bedürfe, und daß er damit keineswegs
die Diktatur erstrebe, war erfolglos, und ohne Verzug verließ er das Haus,
um sich von seinem etwas länger als zwei Monate bekleideten Posten zurück¬
zuziehen.

Wie konnte es geschehen, daß ein Mann, welcher sich im Besitze von soviel
Macht und Vertrauen befand, welcher sein Amt nach einer seiner Partei höchst
günstigen allgemeinen Wahl antrat, und welcher vielen als der zur Leitung der
frauzösischeii Staatsangelegenheiten allein Befähigte galt, mit seinen ersten großen
Unternehmungen scheiterte? Die Antwort lautet: die Ursache seines Schiffbruchs
waren seine falsche Auffassung der heiklen Frage des Liftenskrutininms und die
daraus entsprungene Feindseligkeit der Abgeordneten gegen ihn. An mehrfacher
Warnung hatte es nicht gefehlt. Als Bardoux im Herbst 1880 die Einführung
jenes Wahlmodus beantragte, wurde sein Gesetzentwurf für mehrere Monate
beiseite gelegt. 1881 auf die Tagesordnung gebracht, mißfiel er der Kommission,
die ihn zu begutachten hatte, und die Kammer fand ihn, als sie geheim darüber
abstimmte, so wenig uach ihrem Geschmack, daß der Antrag, ihn im Plenum
zu beraten, nur mit acht Stimmen Mehrheit durchging. Besser fiel das Votum
für die Maßregel aus, als man schließlich namentlich darüber abstimmte, und
so kam die Frage vor den Senat. Bevor hier über sie verhandelt wurde, ließ
Gambetta sich in Cahors als Heros feiern, und er war von den hier gewonnenen
Erfolgen und Aussichten so befriedigt, daß er die Revisionisten von der Schule
Barodets abwies und verlangte, die Revision der Verfassung, welche den Senat
bedrohte, solle vertagt werden, bis wieder Harmonie hergestellt sei. Der Senat
aber verwarf sein Licblingsprojekt, und von jetzt an war Gambetta ein eifriger
Fürsprecher und Förderer des Revisionsgedankens. Nun kamen die allgemeinen
Wahlen, und dabei drehte sich der Streit nicht so sehr um eine Umgestaltung
der Verfassung und um eine andre Formirung der Wählerschaften, als um die
Frage, ob Republik oder Monarchie.


Gambettas Rücktritt.

in 26. Januar abends erbaten sich Gambetta und seine Kollegen
vom Präsident Grsvy ihre Entlassung, und am 28. übernahm
Frcheinet von letzterem den Auftrag zur Bildung eines neuen
Kabinets. Der bedeutungsvolle Schritt erfolgte, nachdem der
bisherige französische Ministerpräsident im Abgeordnetenhause eine
Niederlage erlitten hatte, bei welcher sich in einer Frage, die ihm vor allen
andern am Herzen lag, von 309 Stimmen 282, also eine ziemlich starke Ma¬
jorität, gegen ihn erklärt hatten. Eine große Rede, die nachweisen sollte, daß
er das Verlangte zu seinen Reformen bedürfe, und daß er damit keineswegs
die Diktatur erstrebe, war erfolglos, und ohne Verzug verließ er das Haus,
um sich von seinem etwas länger als zwei Monate bekleideten Posten zurück¬
zuziehen.

Wie konnte es geschehen, daß ein Mann, welcher sich im Besitze von soviel
Macht und Vertrauen befand, welcher sein Amt nach einer seiner Partei höchst
günstigen allgemeinen Wahl antrat, und welcher vielen als der zur Leitung der
frauzösischeii Staatsangelegenheiten allein Befähigte galt, mit seinen ersten großen
Unternehmungen scheiterte? Die Antwort lautet: die Ursache seines Schiffbruchs
waren seine falsche Auffassung der heiklen Frage des Liftenskrutininms und die
daraus entsprungene Feindseligkeit der Abgeordneten gegen ihn. An mehrfacher
Warnung hatte es nicht gefehlt. Als Bardoux im Herbst 1880 die Einführung
jenes Wahlmodus beantragte, wurde sein Gesetzentwurf für mehrere Monate
beiseite gelegt. 1881 auf die Tagesordnung gebracht, mißfiel er der Kommission,
die ihn zu begutachten hatte, und die Kammer fand ihn, als sie geheim darüber
abstimmte, so wenig uach ihrem Geschmack, daß der Antrag, ihn im Plenum
zu beraten, nur mit acht Stimmen Mehrheit durchging. Besser fiel das Votum
für die Maßregel aus, als man schließlich namentlich darüber abstimmte, und
so kam die Frage vor den Senat. Bevor hier über sie verhandelt wurde, ließ
Gambetta sich in Cahors als Heros feiern, und er war von den hier gewonnenen
Erfolgen und Aussichten so befriedigt, daß er die Revisionisten von der Schule
Barodets abwies und verlangte, die Revision der Verfassung, welche den Senat
bedrohte, solle vertagt werden, bis wieder Harmonie hergestellt sei. Der Senat
aber verwarf sein Licblingsprojekt, und von jetzt an war Gambetta ein eifriger
Fürsprecher und Förderer des Revisionsgedankens. Nun kamen die allgemeinen
Wahlen, und dabei drehte sich der Streit nicht so sehr um eine Umgestaltung
der Verfassung und um eine andre Formirung der Wählerschaften, als um die
Frage, ob Republik oder Monarchie.


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[0307] Gambettas Rücktritt. in 26. Januar abends erbaten sich Gambetta und seine Kollegen vom Präsident Grsvy ihre Entlassung, und am 28. übernahm Frcheinet von letzterem den Auftrag zur Bildung eines neuen Kabinets. Der bedeutungsvolle Schritt erfolgte, nachdem der bisherige französische Ministerpräsident im Abgeordnetenhause eine Niederlage erlitten hatte, bei welcher sich in einer Frage, die ihm vor allen andern am Herzen lag, von 309 Stimmen 282, also eine ziemlich starke Ma¬ jorität, gegen ihn erklärt hatten. Eine große Rede, die nachweisen sollte, daß er das Verlangte zu seinen Reformen bedürfe, und daß er damit keineswegs die Diktatur erstrebe, war erfolglos, und ohne Verzug verließ er das Haus, um sich von seinem etwas länger als zwei Monate bekleideten Posten zurück¬ zuziehen. Wie konnte es geschehen, daß ein Mann, welcher sich im Besitze von soviel Macht und Vertrauen befand, welcher sein Amt nach einer seiner Partei höchst günstigen allgemeinen Wahl antrat, und welcher vielen als der zur Leitung der frauzösischeii Staatsangelegenheiten allein Befähigte galt, mit seinen ersten großen Unternehmungen scheiterte? Die Antwort lautet: die Ursache seines Schiffbruchs waren seine falsche Auffassung der heiklen Frage des Liftenskrutininms und die daraus entsprungene Feindseligkeit der Abgeordneten gegen ihn. An mehrfacher Warnung hatte es nicht gefehlt. Als Bardoux im Herbst 1880 die Einführung jenes Wahlmodus beantragte, wurde sein Gesetzentwurf für mehrere Monate beiseite gelegt. 1881 auf die Tagesordnung gebracht, mißfiel er der Kommission, die ihn zu begutachten hatte, und die Kammer fand ihn, als sie geheim darüber abstimmte, so wenig uach ihrem Geschmack, daß der Antrag, ihn im Plenum zu beraten, nur mit acht Stimmen Mehrheit durchging. Besser fiel das Votum für die Maßregel aus, als man schließlich namentlich darüber abstimmte, und so kam die Frage vor den Senat. Bevor hier über sie verhandelt wurde, ließ Gambetta sich in Cahors als Heros feiern, und er war von den hier gewonnenen Erfolgen und Aussichten so befriedigt, daß er die Revisionisten von der Schule Barodets abwies und verlangte, die Revision der Verfassung, welche den Senat bedrohte, solle vertagt werden, bis wieder Harmonie hergestellt sei. Der Senat aber verwarf sein Licblingsprojekt, und von jetzt an war Gambetta ein eifriger Fürsprecher und Förderer des Revisionsgedankens. Nun kamen die allgemeinen Wahlen, und dabei drehte sich der Streit nicht so sehr um eine Umgestaltung der Verfassung und um eine andre Formirung der Wählerschaften, als um die Frage, ob Republik oder Monarchie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/307>, abgerufen am 29.06.2024.