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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Der Erlaß vom vierten Januar im Reichstage.

schrecken und Zuflucht zu suche" hinter dem königlichen Schilde, ist nicht Brauch
bei preußischen Ministem, und am wenigsten hat der Reichskanzler dazu jemals
Ursache gehabt und Neigung besessen. Man erinnere sich der Kvnfliktszeit von
1862. Hat er da den Rücken gewendet, wich er dn von seiner Überzeugung,
seiner Pflicht und seineu Zielen, welche die des Königs waren, jemals anch nur
ein Haar breit ab? Mau verglich ihn mit Straffvrd und Polignac, die Ge¬
meinheit der demokratischen Presse bedrohte ihn mit Vermvgenskoufiskativn, mit
Wollekrempeln im Zuchthaus, mit dem Schaffot, und trotzdem ließ er nicht ab
von der Deckung des Königtums, die er damals leistete. Was für Mut da¬
gegen in dieser Zeit die demokratische Majorität des Abgeordnetenhauses be¬
kundete, weiß die Geschichte. Man schoß große Phrasen ab, mau hielt flam¬
mende Reden, mit denen nichts gewagt wurde und die zu nichts verpflichteten.
Ähnliches geschieht jetzt, und ein Bismarck sollte das fürchten? Es ist Lüge
und Unverschämtheit, wenn man ihm das schuld giebt, es wäre doppelte Lüge
und Unverschämtheit, wenn man es zwar später geleugnet, aber doch vorher
gemeint hätte, und außerdem das, was -- wir drücken uns mild aus -- Fal-
staff den bessern Teil der Tapferkeit nennt.

Stunde in der Verfassung auch etwas andres als die obigen klaren Be¬
stimmungen, so würde es für das Maß von Bedeutung, welches in jedem Einzel-
falle ein König, ein Parlament, ein Minister zur Geltung bringen kann, nichts ent¬
scheiden. Es macht einen großen Unterschied, ob ein hoch oder mäßig begabter König
an der Spitze des Staates steht. Ein Parlament ferner, welches eine feste, ge¬
sicherte Majorität hat, die homogen organisirt und von Parteihäuptern wie die
Pitt oder Canning, wie Palmerston und Peel geführt ist, wird eine gewaltige
Macht sein, welche die Krone, falls sie nicht einen energischen und geschickten
Träger hat, auf eine sehr enge Sphäre und geringe Bewegung beschränken wird.
Aber ein Parlament wie der deutsche Reichstag, der in zehn Fraktionen zer¬
fahren ist, der keine feststehende Majorität hat, der sich keiner allerseits aner¬
kannten Führung erfreut, sollte froh sein, wenn neben ihm ein königlicher Wille
im Staatsschiffe besteht und nicht bloß ein Königtum, das für das Fahrzeug
wenig mehr als Gallion ist. Wäre letztres in Preußen, im Deutschen Reiche
der Fall, so würde alles langsam zu Grunde gehen und schließlich das Chaos
eintreten.

In betreff des zweiten Teiles der königlichen Kundgebung vom 4. Januar
erklärte sich der Kanzler in einer Weise, die alle Maßvollen zufriedenstellen mußte.
Die Beamten sollen sich immer bewußt sein, daß sie dein Könige gegenüberstehen,
dein sie Treue geschworen haben. Das eigne Wählen soll dadurch nicht be¬
schränkt werden, sondern völlig frei sein. Wenn der Erlaß von den politischen
Beamten verlangt, daß sie die Politik des Königs vertreten, so ist damit nur
gemeint, daß sie verpflichtet sind, Wahllügen oder, wie der Kanzler es nennt,
der politischen Brunnenvergiftnug entgegenzutreten, die Wähler über Entstellung


Grenzboten 1.1382. 38
Der Erlaß vom vierten Januar im Reichstage.

schrecken und Zuflucht zu suche» hinter dem königlichen Schilde, ist nicht Brauch
bei preußischen Ministem, und am wenigsten hat der Reichskanzler dazu jemals
Ursache gehabt und Neigung besessen. Man erinnere sich der Kvnfliktszeit von
1862. Hat er da den Rücken gewendet, wich er dn von seiner Überzeugung,
seiner Pflicht und seineu Zielen, welche die des Königs waren, jemals anch nur
ein Haar breit ab? Mau verglich ihn mit Straffvrd und Polignac, die Ge¬
meinheit der demokratischen Presse bedrohte ihn mit Vermvgenskoufiskativn, mit
Wollekrempeln im Zuchthaus, mit dem Schaffot, und trotzdem ließ er nicht ab
von der Deckung des Königtums, die er damals leistete. Was für Mut da¬
gegen in dieser Zeit die demokratische Majorität des Abgeordnetenhauses be¬
kundete, weiß die Geschichte. Man schoß große Phrasen ab, mau hielt flam¬
mende Reden, mit denen nichts gewagt wurde und die zu nichts verpflichteten.
Ähnliches geschieht jetzt, und ein Bismarck sollte das fürchten? Es ist Lüge
und Unverschämtheit, wenn man ihm das schuld giebt, es wäre doppelte Lüge
und Unverschämtheit, wenn man es zwar später geleugnet, aber doch vorher
gemeint hätte, und außerdem das, was — wir drücken uns mild aus — Fal-
staff den bessern Teil der Tapferkeit nennt.

Stunde in der Verfassung auch etwas andres als die obigen klaren Be¬
stimmungen, so würde es für das Maß von Bedeutung, welches in jedem Einzel-
falle ein König, ein Parlament, ein Minister zur Geltung bringen kann, nichts ent¬
scheiden. Es macht einen großen Unterschied, ob ein hoch oder mäßig begabter König
an der Spitze des Staates steht. Ein Parlament ferner, welches eine feste, ge¬
sicherte Majorität hat, die homogen organisirt und von Parteihäuptern wie die
Pitt oder Canning, wie Palmerston und Peel geführt ist, wird eine gewaltige
Macht sein, welche die Krone, falls sie nicht einen energischen und geschickten
Träger hat, auf eine sehr enge Sphäre und geringe Bewegung beschränken wird.
Aber ein Parlament wie der deutsche Reichstag, der in zehn Fraktionen zer¬
fahren ist, der keine feststehende Majorität hat, der sich keiner allerseits aner¬
kannten Führung erfreut, sollte froh sein, wenn neben ihm ein königlicher Wille
im Staatsschiffe besteht und nicht bloß ein Königtum, das für das Fahrzeug
wenig mehr als Gallion ist. Wäre letztres in Preußen, im Deutschen Reiche
der Fall, so würde alles langsam zu Grunde gehen und schließlich das Chaos
eintreten.

In betreff des zweiten Teiles der königlichen Kundgebung vom 4. Januar
erklärte sich der Kanzler in einer Weise, die alle Maßvollen zufriedenstellen mußte.
Die Beamten sollen sich immer bewußt sein, daß sie dein Könige gegenüberstehen,
dein sie Treue geschworen haben. Das eigne Wählen soll dadurch nicht be¬
schränkt werden, sondern völlig frei sein. Wenn der Erlaß von den politischen
Beamten verlangt, daß sie die Politik des Königs vertreten, so ist damit nur
gemeint, daß sie verpflichtet sind, Wahllügen oder, wie der Kanzler es nennt,
der politischen Brunnenvergiftnug entgegenzutreten, die Wähler über Entstellung


Grenzboten 1.1382. 38
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[0305] Der Erlaß vom vierten Januar im Reichstage. schrecken und Zuflucht zu suche» hinter dem königlichen Schilde, ist nicht Brauch bei preußischen Ministem, und am wenigsten hat der Reichskanzler dazu jemals Ursache gehabt und Neigung besessen. Man erinnere sich der Kvnfliktszeit von 1862. Hat er da den Rücken gewendet, wich er dn von seiner Überzeugung, seiner Pflicht und seineu Zielen, welche die des Königs waren, jemals anch nur ein Haar breit ab? Mau verglich ihn mit Straffvrd und Polignac, die Ge¬ meinheit der demokratischen Presse bedrohte ihn mit Vermvgenskoufiskativn, mit Wollekrempeln im Zuchthaus, mit dem Schaffot, und trotzdem ließ er nicht ab von der Deckung des Königtums, die er damals leistete. Was für Mut da¬ gegen in dieser Zeit die demokratische Majorität des Abgeordnetenhauses be¬ kundete, weiß die Geschichte. Man schoß große Phrasen ab, mau hielt flam¬ mende Reden, mit denen nichts gewagt wurde und die zu nichts verpflichteten. Ähnliches geschieht jetzt, und ein Bismarck sollte das fürchten? Es ist Lüge und Unverschämtheit, wenn man ihm das schuld giebt, es wäre doppelte Lüge und Unverschämtheit, wenn man es zwar später geleugnet, aber doch vorher gemeint hätte, und außerdem das, was — wir drücken uns mild aus — Fal- staff den bessern Teil der Tapferkeit nennt. Stunde in der Verfassung auch etwas andres als die obigen klaren Be¬ stimmungen, so würde es für das Maß von Bedeutung, welches in jedem Einzel- falle ein König, ein Parlament, ein Minister zur Geltung bringen kann, nichts ent¬ scheiden. Es macht einen großen Unterschied, ob ein hoch oder mäßig begabter König an der Spitze des Staates steht. Ein Parlament ferner, welches eine feste, ge¬ sicherte Majorität hat, die homogen organisirt und von Parteihäuptern wie die Pitt oder Canning, wie Palmerston und Peel geführt ist, wird eine gewaltige Macht sein, welche die Krone, falls sie nicht einen energischen und geschickten Träger hat, auf eine sehr enge Sphäre und geringe Bewegung beschränken wird. Aber ein Parlament wie der deutsche Reichstag, der in zehn Fraktionen zer¬ fahren ist, der keine feststehende Majorität hat, der sich keiner allerseits aner¬ kannten Führung erfreut, sollte froh sein, wenn neben ihm ein königlicher Wille im Staatsschiffe besteht und nicht bloß ein Königtum, das für das Fahrzeug wenig mehr als Gallion ist. Wäre letztres in Preußen, im Deutschen Reiche der Fall, so würde alles langsam zu Grunde gehen und schließlich das Chaos eintreten. In betreff des zweiten Teiles der königlichen Kundgebung vom 4. Januar erklärte sich der Kanzler in einer Weise, die alle Maßvollen zufriedenstellen mußte. Die Beamten sollen sich immer bewußt sein, daß sie dein Könige gegenüberstehen, dein sie Treue geschworen haben. Das eigne Wählen soll dadurch nicht be¬ schränkt werden, sondern völlig frei sein. Wenn der Erlaß von den politischen Beamten verlangt, daß sie die Politik des Königs vertreten, so ist damit nur gemeint, daß sie verpflichtet sind, Wahllügen oder, wie der Kanzler es nennt, der politischen Brunnenvergiftnug entgegenzutreten, die Wähler über Entstellung Grenzboten 1.1382. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/305>, abgerufen am 29.06.2024.