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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Der Lrlaß vom vierten Januar im Reichstage.

flehte, und übernehmen für dessen Handlungen die Bürgschaft. So die Ver¬
fassung. Die Fortschrittspartei und ihre Verwandten in den andern liberalen Frak¬
tionen möchten eine konstitutionelle Hausmeierei ausbilden und den Monarchen
zum Schatteukönige macheu. Die Verfassung Preußens sagt, dem Könige allein
stehe die vollziehende Gewalt zu, er besetze alle Stellen im Staatsdienste, die
gesetzgebende Gewalt werde von ihm gemeinschaftlich mit den beiden Kammern
des Landtags ausgeübt -- von den Ministern ist dabei nicht die Rede. Die
Verfassung bestimmt ferner, daß zu jedem Gesetze Übereinstimmung des Königs
und beider Kammer" erforderlich ist, daß jeuer berechtigt ist, Gesetze vorzuschlagen,
und daß Gesetze, die er einmal verworfen hat, nicht wieder eingebracht werden
dürfen -- auch hier wird der Minister nicht gedacht. Dieselben sind nach der
Verfassung Lückenbüßer, und ob das in die Theorie der nach parlamentarischer
Regierung Lüsterneu paßt, ist vollkommen gleichgiltig. Die Verfassung allein
giebt die Norm, und ihr entsprechen anch die Traditionen der Dynastie. Die
preußischen Könige haben hinsichtlich ihrer Regentenstellnng immer mehr an ihre
Pflichten als an ihre Rechte gedacht, was Friedrich der Große damit ausdrückte,
daß er sich für den ersten Diener des Staats erklärte. Das ist in dem Maße
noch heute lebendig, daß innerhalb des Ministeriums der König befiehlt, und
die Minister gehorchen, so lange sie glauben, die Verantwortlichkeit tragen zu
können. Der König bestimmt, was geschehen soll, welche Vorlagen der Volks¬
vertretung zu machen sind, nach eigner Überzeugung; die Ausarbeitung, die
Fassung des königlichen Willens in bestimmte Formen ist Sache der Minister.
Sind diese abweichender Meinung, so findet ein Kompromiß statt, d. h. entweder
der König gesteht einem Minister, den er nicht ohne weiteres entlasse" will,
etwas zu, was er eigentlich nicht will, oder -- und das ist der häufigere Fall --
der Minister legt sich die Frage vor, ob er zurücktreten oder im Interesse des
Landes und des Dienstes bleiben solle, und macht, wenn sein Gewissen ihm zu
letzterem rät, dem königlichen Willen Zugeständnisse. Der letztere bleibt der
allein entscheidende. In Preußen ist thatsächlich der König der Ministerpräsident.
An diesen wendet sich der nominelle Ministerpräsident, wenn er bei seinen Kollegen,
denen er nichts zu befehlen, die er nur zu bitten und zu überzeugen hat, etwas
nicht durchzusetzen vermag, und findet er da keinen Anklang, so läßt er die
Sache fallen; findet er ihn, so kommt ein königlicher Befehl, der das ausspricht,
und dann geschieht das betreffende oder es folgt eine Kabinetstnsis, die sich
ruhig vollzieht.

Als die preußische Verfassung erlassen wurde, lag denen, die sie beschworen,
die Theorie der Majoritätsregierung noch sehr fern, man machte bei weitem
noch nicht soviel Anspruch darauf wie heute, daß parlamentarische Einflüsse die
Regierung bestimmen sollten. Und wenn letztres dann in der That nicht der
Fall war, so ist das ein Glück für Preußen und für Deutschland gewesen. Hätte
der König von 1860 an die Verfassung nach den Grundsätzen der Fortschritts-


Der Lrlaß vom vierten Januar im Reichstage.

flehte, und übernehmen für dessen Handlungen die Bürgschaft. So die Ver¬
fassung. Die Fortschrittspartei und ihre Verwandten in den andern liberalen Frak¬
tionen möchten eine konstitutionelle Hausmeierei ausbilden und den Monarchen
zum Schatteukönige macheu. Die Verfassung Preußens sagt, dem Könige allein
stehe die vollziehende Gewalt zu, er besetze alle Stellen im Staatsdienste, die
gesetzgebende Gewalt werde von ihm gemeinschaftlich mit den beiden Kammern
des Landtags ausgeübt — von den Ministern ist dabei nicht die Rede. Die
Verfassung bestimmt ferner, daß zu jedem Gesetze Übereinstimmung des Königs
und beider Kammer» erforderlich ist, daß jeuer berechtigt ist, Gesetze vorzuschlagen,
und daß Gesetze, die er einmal verworfen hat, nicht wieder eingebracht werden
dürfen — auch hier wird der Minister nicht gedacht. Dieselben sind nach der
Verfassung Lückenbüßer, und ob das in die Theorie der nach parlamentarischer
Regierung Lüsterneu paßt, ist vollkommen gleichgiltig. Die Verfassung allein
giebt die Norm, und ihr entsprechen anch die Traditionen der Dynastie. Die
preußischen Könige haben hinsichtlich ihrer Regentenstellnng immer mehr an ihre
Pflichten als an ihre Rechte gedacht, was Friedrich der Große damit ausdrückte,
daß er sich für den ersten Diener des Staats erklärte. Das ist in dem Maße
noch heute lebendig, daß innerhalb des Ministeriums der König befiehlt, und
die Minister gehorchen, so lange sie glauben, die Verantwortlichkeit tragen zu
können. Der König bestimmt, was geschehen soll, welche Vorlagen der Volks¬
vertretung zu machen sind, nach eigner Überzeugung; die Ausarbeitung, die
Fassung des königlichen Willens in bestimmte Formen ist Sache der Minister.
Sind diese abweichender Meinung, so findet ein Kompromiß statt, d. h. entweder
der König gesteht einem Minister, den er nicht ohne weiteres entlasse» will,
etwas zu, was er eigentlich nicht will, oder — und das ist der häufigere Fall —
der Minister legt sich die Frage vor, ob er zurücktreten oder im Interesse des
Landes und des Dienstes bleiben solle, und macht, wenn sein Gewissen ihm zu
letzterem rät, dem königlichen Willen Zugeständnisse. Der letztere bleibt der
allein entscheidende. In Preußen ist thatsächlich der König der Ministerpräsident.
An diesen wendet sich der nominelle Ministerpräsident, wenn er bei seinen Kollegen,
denen er nichts zu befehlen, die er nur zu bitten und zu überzeugen hat, etwas
nicht durchzusetzen vermag, und findet er da keinen Anklang, so läßt er die
Sache fallen; findet er ihn, so kommt ein königlicher Befehl, der das ausspricht,
und dann geschieht das betreffende oder es folgt eine Kabinetstnsis, die sich
ruhig vollzieht.

Als die preußische Verfassung erlassen wurde, lag denen, die sie beschworen,
die Theorie der Majoritätsregierung noch sehr fern, man machte bei weitem
noch nicht soviel Anspruch darauf wie heute, daß parlamentarische Einflüsse die
Regierung bestimmen sollten. Und wenn letztres dann in der That nicht der
Fall war, so ist das ein Glück für Preußen und für Deutschland gewesen. Hätte
der König von 1860 an die Verfassung nach den Grundsätzen der Fortschritts-


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[0303] Der Lrlaß vom vierten Januar im Reichstage. flehte, und übernehmen für dessen Handlungen die Bürgschaft. So die Ver¬ fassung. Die Fortschrittspartei und ihre Verwandten in den andern liberalen Frak¬ tionen möchten eine konstitutionelle Hausmeierei ausbilden und den Monarchen zum Schatteukönige macheu. Die Verfassung Preußens sagt, dem Könige allein stehe die vollziehende Gewalt zu, er besetze alle Stellen im Staatsdienste, die gesetzgebende Gewalt werde von ihm gemeinschaftlich mit den beiden Kammern des Landtags ausgeübt — von den Ministern ist dabei nicht die Rede. Die Verfassung bestimmt ferner, daß zu jedem Gesetze Übereinstimmung des Königs und beider Kammer» erforderlich ist, daß jeuer berechtigt ist, Gesetze vorzuschlagen, und daß Gesetze, die er einmal verworfen hat, nicht wieder eingebracht werden dürfen — auch hier wird der Minister nicht gedacht. Dieselben sind nach der Verfassung Lückenbüßer, und ob das in die Theorie der nach parlamentarischer Regierung Lüsterneu paßt, ist vollkommen gleichgiltig. Die Verfassung allein giebt die Norm, und ihr entsprechen anch die Traditionen der Dynastie. Die preußischen Könige haben hinsichtlich ihrer Regentenstellnng immer mehr an ihre Pflichten als an ihre Rechte gedacht, was Friedrich der Große damit ausdrückte, daß er sich für den ersten Diener des Staats erklärte. Das ist in dem Maße noch heute lebendig, daß innerhalb des Ministeriums der König befiehlt, und die Minister gehorchen, so lange sie glauben, die Verantwortlichkeit tragen zu können. Der König bestimmt, was geschehen soll, welche Vorlagen der Volks¬ vertretung zu machen sind, nach eigner Überzeugung; die Ausarbeitung, die Fassung des königlichen Willens in bestimmte Formen ist Sache der Minister. Sind diese abweichender Meinung, so findet ein Kompromiß statt, d. h. entweder der König gesteht einem Minister, den er nicht ohne weiteres entlasse» will, etwas zu, was er eigentlich nicht will, oder — und das ist der häufigere Fall — der Minister legt sich die Frage vor, ob er zurücktreten oder im Interesse des Landes und des Dienstes bleiben solle, und macht, wenn sein Gewissen ihm zu letzterem rät, dem königlichen Willen Zugeständnisse. Der letztere bleibt der allein entscheidende. In Preußen ist thatsächlich der König der Ministerpräsident. An diesen wendet sich der nominelle Ministerpräsident, wenn er bei seinen Kollegen, denen er nichts zu befehlen, die er nur zu bitten und zu überzeugen hat, etwas nicht durchzusetzen vermag, und findet er da keinen Anklang, so läßt er die Sache fallen; findet er ihn, so kommt ein königlicher Befehl, der das ausspricht, und dann geschieht das betreffende oder es folgt eine Kabinetstnsis, die sich ruhig vollzieht. Als die preußische Verfassung erlassen wurde, lag denen, die sie beschworen, die Theorie der Majoritätsregierung noch sehr fern, man machte bei weitem noch nicht soviel Anspruch darauf wie heute, daß parlamentarische Einflüsse die Regierung bestimmen sollten. Und wenn letztres dann in der That nicht der Fall war, so ist das ein Glück für Preußen und für Deutschland gewesen. Hätte der König von 1860 an die Verfassung nach den Grundsätzen der Fortschritts-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/303>, abgerufen am 28.09.2024.