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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Offiziere in den Händen der Wucherer.

zahlten Wechsel zurückzurechueu verpflichtet, welche aber verfallen, wenn der Zah¬
lungstermin nicht genau eingehalten wird.

Gern wird eine erste Prolvngativnsfrist gewährt, doch sind die neuen Zinsen
mit 100 Mark baar zu entrichten oder werden nach einem bedeutenden Auf¬
wand von Schwierigkeiten dem Wechsel zugeschrieben. Natürlich müssen sie bei
dem "ohnehin schon so schlechten Geschäfte," welches in den meisten Fällen
überhaupt nur aus "besondrer Gefälligkeit" abgeschlossen wird, sofort wiederum
verzinst werden, so daß der neue Wechsel über 525 Mark lautet. Von der Un¬
geheuerlichkeit, mit der solche Summen anwachsen, liefern folgende Zahlen ein
sprechendes Beispiel. Ein Offizier hatte im Frühjahr 1876 eine Summe von
1500 Thalern geborgt und darüber einen Wechsel über 2000 Thaler ausge¬
stellt. Er hatte nach 6 Monaten 700 Thaler baar bezahlt; trotzdem lautete der
Wechsel nach 24 Monaten im Frühjahr 1878 auf über 6600 Thaler, welche
der Vater bezahlte, um den Sohn seiner glänzenden Karriere zu erhalten.

Die Prolongationen werden mit vieler Überlegung so lange ausgedehnt,
bis der Wucherer, der seit langem die Verhältnisse seiner "Kunden" genau kennt,
den Vater an der Grenze der Zahlungsfähigkeit oder dein guten Willen dazu
angekommen wähnt; daun zieht er die Schlinge zu (daher der Name Kravatten-
fabrikanten), versagt ferneren Kredit, klagt beim Regiment und bei den Gerichten,
droht mit Veröffentlichung der Korrespondenz und sucht sich namentlich mit einem
Aufwand? von Geschicklichkeit, die einer bessern Sache wert wäre, als den ge¬
tränkten Ehrenmann darzustellen, welcher jahrelang mit eignem pekuniären Nach¬
teile aus reiner Großmut und Menschenfreundlichkeit dem Schuldner Vorschüsse
gemacht habe.

Der "Geschäftsmann" weiß sehr gut, daß der Offizier nur in ganz seltenen
Ausnahmefällen imstande ist, das geborgte Geld aus eignen Mitteln zurück¬
zugeben. Fast immer rechnet er auf deu Rückhalt, den dieser am Vater, an
der Familie, am Vormunde hat. Diesen gegenüber muß er sich aber eine wirk¬
samere Handhabe verschaffen, als sie die einfache Wechselnnterschrift bietet, welche
schlimmsten Falls zur Auspfändung führen kaun. Dies geschieht, indem er durch
das Giro von Kameraden die Familie des Ausstellers vor die Alternative stellt,
entweder dem Sohne zu helfen oder andre mit in dessen Sturz zu verwickeln;
oder aber, indem er durch einen Ehrcnfchein nicht allein die Ehre des Offiziers
selbst, sondern die der Familie in die Hand zu bekommen sucht. Fast alle so¬
genannten Offizierswechsel sind deshalb mit dem Giro eines oder mehrerer
andern Offiziere versehen, neben vielen mag sich ein Ehrenschein in den Händen
des Wucherers befinden, bei einzelnen würde sich vielleicht beides nachweisen
lassen. Das Unmoralische und Verwerfliche des wucherischer Treibens tritt
aber namentlich zu Tage in der raffinirten Kunst, mit welcher der Schlepper
das durch die Annoncen angezogene Opfer zur Stellung von Bürgen oder zur
Unterzeichnung eines Ehrenscheiues zu überreden sucht. Denn niemand bietet


Grenzboton 1. 18W, 37
Die Offiziere in den Händen der Wucherer.

zahlten Wechsel zurückzurechueu verpflichtet, welche aber verfallen, wenn der Zah¬
lungstermin nicht genau eingehalten wird.

Gern wird eine erste Prolvngativnsfrist gewährt, doch sind die neuen Zinsen
mit 100 Mark baar zu entrichten oder werden nach einem bedeutenden Auf¬
wand von Schwierigkeiten dem Wechsel zugeschrieben. Natürlich müssen sie bei
dem „ohnehin schon so schlechten Geschäfte," welches in den meisten Fällen
überhaupt nur aus „besondrer Gefälligkeit" abgeschlossen wird, sofort wiederum
verzinst werden, so daß der neue Wechsel über 525 Mark lautet. Von der Un¬
geheuerlichkeit, mit der solche Summen anwachsen, liefern folgende Zahlen ein
sprechendes Beispiel. Ein Offizier hatte im Frühjahr 1876 eine Summe von
1500 Thalern geborgt und darüber einen Wechsel über 2000 Thaler ausge¬
stellt. Er hatte nach 6 Monaten 700 Thaler baar bezahlt; trotzdem lautete der
Wechsel nach 24 Monaten im Frühjahr 1878 auf über 6600 Thaler, welche
der Vater bezahlte, um den Sohn seiner glänzenden Karriere zu erhalten.

Die Prolongationen werden mit vieler Überlegung so lange ausgedehnt,
bis der Wucherer, der seit langem die Verhältnisse seiner „Kunden" genau kennt,
den Vater an der Grenze der Zahlungsfähigkeit oder dein guten Willen dazu
angekommen wähnt; daun zieht er die Schlinge zu (daher der Name Kravatten-
fabrikanten), versagt ferneren Kredit, klagt beim Regiment und bei den Gerichten,
droht mit Veröffentlichung der Korrespondenz und sucht sich namentlich mit einem
Aufwand? von Geschicklichkeit, die einer bessern Sache wert wäre, als den ge¬
tränkten Ehrenmann darzustellen, welcher jahrelang mit eignem pekuniären Nach¬
teile aus reiner Großmut und Menschenfreundlichkeit dem Schuldner Vorschüsse
gemacht habe.

Der „Geschäftsmann" weiß sehr gut, daß der Offizier nur in ganz seltenen
Ausnahmefällen imstande ist, das geborgte Geld aus eignen Mitteln zurück¬
zugeben. Fast immer rechnet er auf deu Rückhalt, den dieser am Vater, an
der Familie, am Vormunde hat. Diesen gegenüber muß er sich aber eine wirk¬
samere Handhabe verschaffen, als sie die einfache Wechselnnterschrift bietet, welche
schlimmsten Falls zur Auspfändung führen kaun. Dies geschieht, indem er durch
das Giro von Kameraden die Familie des Ausstellers vor die Alternative stellt,
entweder dem Sohne zu helfen oder andre mit in dessen Sturz zu verwickeln;
oder aber, indem er durch einen Ehrcnfchein nicht allein die Ehre des Offiziers
selbst, sondern die der Familie in die Hand zu bekommen sucht. Fast alle so¬
genannten Offizierswechsel sind deshalb mit dem Giro eines oder mehrerer
andern Offiziere versehen, neben vielen mag sich ein Ehrenschein in den Händen
des Wucherers befinden, bei einzelnen würde sich vielleicht beides nachweisen
lassen. Das Unmoralische und Verwerfliche des wucherischer Treibens tritt
aber namentlich zu Tage in der raffinirten Kunst, mit welcher der Schlepper
das durch die Annoncen angezogene Opfer zur Stellung von Bürgen oder zur
Unterzeichnung eines Ehrenscheiues zu überreden sucht. Denn niemand bietet


Grenzboton 1. 18W, 37
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[0297] Die Offiziere in den Händen der Wucherer. zahlten Wechsel zurückzurechueu verpflichtet, welche aber verfallen, wenn der Zah¬ lungstermin nicht genau eingehalten wird. Gern wird eine erste Prolvngativnsfrist gewährt, doch sind die neuen Zinsen mit 100 Mark baar zu entrichten oder werden nach einem bedeutenden Auf¬ wand von Schwierigkeiten dem Wechsel zugeschrieben. Natürlich müssen sie bei dem „ohnehin schon so schlechten Geschäfte," welches in den meisten Fällen überhaupt nur aus „besondrer Gefälligkeit" abgeschlossen wird, sofort wiederum verzinst werden, so daß der neue Wechsel über 525 Mark lautet. Von der Un¬ geheuerlichkeit, mit der solche Summen anwachsen, liefern folgende Zahlen ein sprechendes Beispiel. Ein Offizier hatte im Frühjahr 1876 eine Summe von 1500 Thalern geborgt und darüber einen Wechsel über 2000 Thaler ausge¬ stellt. Er hatte nach 6 Monaten 700 Thaler baar bezahlt; trotzdem lautete der Wechsel nach 24 Monaten im Frühjahr 1878 auf über 6600 Thaler, welche der Vater bezahlte, um den Sohn seiner glänzenden Karriere zu erhalten. Die Prolongationen werden mit vieler Überlegung so lange ausgedehnt, bis der Wucherer, der seit langem die Verhältnisse seiner „Kunden" genau kennt, den Vater an der Grenze der Zahlungsfähigkeit oder dein guten Willen dazu angekommen wähnt; daun zieht er die Schlinge zu (daher der Name Kravatten- fabrikanten), versagt ferneren Kredit, klagt beim Regiment und bei den Gerichten, droht mit Veröffentlichung der Korrespondenz und sucht sich namentlich mit einem Aufwand? von Geschicklichkeit, die einer bessern Sache wert wäre, als den ge¬ tränkten Ehrenmann darzustellen, welcher jahrelang mit eignem pekuniären Nach¬ teile aus reiner Großmut und Menschenfreundlichkeit dem Schuldner Vorschüsse gemacht habe. Der „Geschäftsmann" weiß sehr gut, daß der Offizier nur in ganz seltenen Ausnahmefällen imstande ist, das geborgte Geld aus eignen Mitteln zurück¬ zugeben. Fast immer rechnet er auf deu Rückhalt, den dieser am Vater, an der Familie, am Vormunde hat. Diesen gegenüber muß er sich aber eine wirk¬ samere Handhabe verschaffen, als sie die einfache Wechselnnterschrift bietet, welche schlimmsten Falls zur Auspfändung führen kaun. Dies geschieht, indem er durch das Giro von Kameraden die Familie des Ausstellers vor die Alternative stellt, entweder dem Sohne zu helfen oder andre mit in dessen Sturz zu verwickeln; oder aber, indem er durch einen Ehrcnfchein nicht allein die Ehre des Offiziers selbst, sondern die der Familie in die Hand zu bekommen sucht. Fast alle so¬ genannten Offizierswechsel sind deshalb mit dem Giro eines oder mehrerer andern Offiziere versehen, neben vielen mag sich ein Ehrenschein in den Händen des Wucherers befinden, bei einzelnen würde sich vielleicht beides nachweisen lassen. Das Unmoralische und Verwerfliche des wucherischer Treibens tritt aber namentlich zu Tage in der raffinirten Kunst, mit welcher der Schlepper das durch die Annoncen angezogene Opfer zur Stellung von Bürgen oder zur Unterzeichnung eines Ehrenscheiues zu überreden sucht. Denn niemand bietet Grenzboton 1. 18W, 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/297>, abgerufen am 28.09.2024.