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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Offiziere in den Händen der Wucherer.

Wie aber das vaterlandslose Wuchertum im Bauernstande die Wurzel der
bestehenden staatlichen Ordnung benagt, so wirft es seine Schlingen ganz syste¬
matisch auch nach andrer Richtung aus. Es versucht in dem Offizierkorps den
berufene" Verfechter der geheiligten Devise "Mit Gott für König und Vaterland"
sich dienstbar zu machen.

Die Verhältnisse, welche wir im Nachstehenden schildern, sind in allen
gröszern Städten, in Berlin, Breslau, Dresden, Hannover, Posen und Straß-
burg dieselben; die Vielfältigkeit der Verkehrsmittel erlaubt es den Blutsaugern,
mit ihren Nachstellungen ein vollständiges Netz über alle Garnisonorte aufzu¬
spannen, dessen Maschen in der Reichshauptstadt zusammenlaufen.

Der Wucherer wartet heutzutage uicht mehr, bis ein geldbedürftiger Kavalier
ihn aufsucht, sondern er bietet sich selbst an. Schon im Kadctteulorps oder
auf der "Presse," jedenfalls aber zugleich mit den Osfiziersepauletteu gehen den
jungen Kriegern nicht einzeln, sondern von drei, vier Seiten Briefe oder Karten
zu, in denen der Schreiber bei eintretender Geldverlegenheit seine Dienste "billig
und diskret" zur Verfügung stellt. Diese Anerbietungen wiederholen sich von
Zeit zu Zeit, damit der Name des trefflichen Nothelfers ja nicht in Vergessen¬
heit gerate, und namentlich mit größter Pünktlichkeit bei solcher Gelegenheit, wo
der Offizier voraussichtlich einer Extrasumine bedarf, bei Versetzungen und der¬
gleichen, wie diese Herren denn außerdem für die weiteste Verbreitung ihrer
"Firma" durch häufige Annoncen im Kladderadatsch und einzelnen ander"
Blättern, meist liberaler Färbung, welche Inserate jeden Genres aufnehmen,
wenn sie nur Geld bringen, Sorge tragen.

Von der Vorstellung des Wucherers als alten, schmutzigen Juden im
fettigen Kaftan mit der gedrehten Seiteulocke muß man dabei abgehen. Die
Herren, mit denen ein Offizier zunächst in Berührung tritt, wenn er auf die
ihm zugesandten Offerten oder auf eine Annonce hin Geld zu leihen versucht,
sind nur Agenten und fungiren als "Schlepper." Meistens sind es Leute mit
äußerlich anständigen Manieren, gewesene Offiziere, verdorbene Advokaten und
Mediziner, unter ihnen manche mit wohlbekannten eidlichen, selbst gräflichen
Namen. Das Geschäft, zu dem sie doch wahrscheinlich zuerst in der Not ge¬
griffen haben, scheint gut zu gehen, den" einzelne fahren in eigener Equipage
und verkehren in den besten Restaurants. Wie sie zuerst selbst das Opfer ge¬
wesen, so dienen sie jetzt als Werkzeuge ihrer Hintermänner, der eigentlichen
"Geldgeber." Diese entziehen sich in den meisten Fällen dem direkten Verkehr
mit ihren Schuldnern aufs geheimnisvollste, wohl aus Furcht, sich in ihrer
sonst geachteten bürgerlichen Stellung zu exponiren, denn es sollen unter ihnen
bekannte Bankiersfirmen vertreten sein. Da die "Schlepper" in den letzten Jahren
unangenehm bekannt geworden und auch verschiedentlich in bedenklichen Konflikt
mit Staatsanwalt und Gericht gekommen sind, so verstecken sie sich in den öffent¬
lichen Annoncen hinter allerlei anonymen Bezeichnungen, wie denn auch mancher


Die Offiziere in den Händen der Wucherer.

Wie aber das vaterlandslose Wuchertum im Bauernstande die Wurzel der
bestehenden staatlichen Ordnung benagt, so wirft es seine Schlingen ganz syste¬
matisch auch nach andrer Richtung aus. Es versucht in dem Offizierkorps den
berufene» Verfechter der geheiligten Devise „Mit Gott für König und Vaterland"
sich dienstbar zu machen.

Die Verhältnisse, welche wir im Nachstehenden schildern, sind in allen
gröszern Städten, in Berlin, Breslau, Dresden, Hannover, Posen und Straß-
burg dieselben; die Vielfältigkeit der Verkehrsmittel erlaubt es den Blutsaugern,
mit ihren Nachstellungen ein vollständiges Netz über alle Garnisonorte aufzu¬
spannen, dessen Maschen in der Reichshauptstadt zusammenlaufen.

Der Wucherer wartet heutzutage uicht mehr, bis ein geldbedürftiger Kavalier
ihn aufsucht, sondern er bietet sich selbst an. Schon im Kadctteulorps oder
auf der „Presse," jedenfalls aber zugleich mit den Osfiziersepauletteu gehen den
jungen Kriegern nicht einzeln, sondern von drei, vier Seiten Briefe oder Karten
zu, in denen der Schreiber bei eintretender Geldverlegenheit seine Dienste „billig
und diskret" zur Verfügung stellt. Diese Anerbietungen wiederholen sich von
Zeit zu Zeit, damit der Name des trefflichen Nothelfers ja nicht in Vergessen¬
heit gerate, und namentlich mit größter Pünktlichkeit bei solcher Gelegenheit, wo
der Offizier voraussichtlich einer Extrasumine bedarf, bei Versetzungen und der¬
gleichen, wie diese Herren denn außerdem für die weiteste Verbreitung ihrer
„Firma" durch häufige Annoncen im Kladderadatsch und einzelnen ander»
Blättern, meist liberaler Färbung, welche Inserate jeden Genres aufnehmen,
wenn sie nur Geld bringen, Sorge tragen.

Von der Vorstellung des Wucherers als alten, schmutzigen Juden im
fettigen Kaftan mit der gedrehten Seiteulocke muß man dabei abgehen. Die
Herren, mit denen ein Offizier zunächst in Berührung tritt, wenn er auf die
ihm zugesandten Offerten oder auf eine Annonce hin Geld zu leihen versucht,
sind nur Agenten und fungiren als „Schlepper." Meistens sind es Leute mit
äußerlich anständigen Manieren, gewesene Offiziere, verdorbene Advokaten und
Mediziner, unter ihnen manche mit wohlbekannten eidlichen, selbst gräflichen
Namen. Das Geschäft, zu dem sie doch wahrscheinlich zuerst in der Not ge¬
griffen haben, scheint gut zu gehen, den» einzelne fahren in eigener Equipage
und verkehren in den besten Restaurants. Wie sie zuerst selbst das Opfer ge¬
wesen, so dienen sie jetzt als Werkzeuge ihrer Hintermänner, der eigentlichen
„Geldgeber." Diese entziehen sich in den meisten Fällen dem direkten Verkehr
mit ihren Schuldnern aufs geheimnisvollste, wohl aus Furcht, sich in ihrer
sonst geachteten bürgerlichen Stellung zu exponiren, denn es sollen unter ihnen
bekannte Bankiersfirmen vertreten sein. Da die „Schlepper" in den letzten Jahren
unangenehm bekannt geworden und auch verschiedentlich in bedenklichen Konflikt
mit Staatsanwalt und Gericht gekommen sind, so verstecken sie sich in den öffent¬
lichen Annoncen hinter allerlei anonymen Bezeichnungen, wie denn auch mancher


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[0295] Die Offiziere in den Händen der Wucherer. Wie aber das vaterlandslose Wuchertum im Bauernstande die Wurzel der bestehenden staatlichen Ordnung benagt, so wirft es seine Schlingen ganz syste¬ matisch auch nach andrer Richtung aus. Es versucht in dem Offizierkorps den berufene» Verfechter der geheiligten Devise „Mit Gott für König und Vaterland" sich dienstbar zu machen. Die Verhältnisse, welche wir im Nachstehenden schildern, sind in allen gröszern Städten, in Berlin, Breslau, Dresden, Hannover, Posen und Straß- burg dieselben; die Vielfältigkeit der Verkehrsmittel erlaubt es den Blutsaugern, mit ihren Nachstellungen ein vollständiges Netz über alle Garnisonorte aufzu¬ spannen, dessen Maschen in der Reichshauptstadt zusammenlaufen. Der Wucherer wartet heutzutage uicht mehr, bis ein geldbedürftiger Kavalier ihn aufsucht, sondern er bietet sich selbst an. Schon im Kadctteulorps oder auf der „Presse," jedenfalls aber zugleich mit den Osfiziersepauletteu gehen den jungen Kriegern nicht einzeln, sondern von drei, vier Seiten Briefe oder Karten zu, in denen der Schreiber bei eintretender Geldverlegenheit seine Dienste „billig und diskret" zur Verfügung stellt. Diese Anerbietungen wiederholen sich von Zeit zu Zeit, damit der Name des trefflichen Nothelfers ja nicht in Vergessen¬ heit gerate, und namentlich mit größter Pünktlichkeit bei solcher Gelegenheit, wo der Offizier voraussichtlich einer Extrasumine bedarf, bei Versetzungen und der¬ gleichen, wie diese Herren denn außerdem für die weiteste Verbreitung ihrer „Firma" durch häufige Annoncen im Kladderadatsch und einzelnen ander» Blättern, meist liberaler Färbung, welche Inserate jeden Genres aufnehmen, wenn sie nur Geld bringen, Sorge tragen. Von der Vorstellung des Wucherers als alten, schmutzigen Juden im fettigen Kaftan mit der gedrehten Seiteulocke muß man dabei abgehen. Die Herren, mit denen ein Offizier zunächst in Berührung tritt, wenn er auf die ihm zugesandten Offerten oder auf eine Annonce hin Geld zu leihen versucht, sind nur Agenten und fungiren als „Schlepper." Meistens sind es Leute mit äußerlich anständigen Manieren, gewesene Offiziere, verdorbene Advokaten und Mediziner, unter ihnen manche mit wohlbekannten eidlichen, selbst gräflichen Namen. Das Geschäft, zu dem sie doch wahrscheinlich zuerst in der Not ge¬ griffen haben, scheint gut zu gehen, den» einzelne fahren in eigener Equipage und verkehren in den besten Restaurants. Wie sie zuerst selbst das Opfer ge¬ wesen, so dienen sie jetzt als Werkzeuge ihrer Hintermänner, der eigentlichen „Geldgeber." Diese entziehen sich in den meisten Fällen dem direkten Verkehr mit ihren Schuldnern aufs geheimnisvollste, wohl aus Furcht, sich in ihrer sonst geachteten bürgerlichen Stellung zu exponiren, denn es sollen unter ihnen bekannte Bankiersfirmen vertreten sein. Da die „Schlepper" in den letzten Jahren unangenehm bekannt geworden und auch verschiedentlich in bedenklichen Konflikt mit Staatsanwalt und Gericht gekommen sind, so verstecken sie sich in den öffent¬ lichen Annoncen hinter allerlei anonymen Bezeichnungen, wie denn auch mancher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/295>, abgerufen am 29.06.2024.