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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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verbotene Bücher.

8ixu, Leipzig, den 30. Januar: 177S.


Chursürstl: Sächß: Bücher Lomiuiss-u-ii
allhier
v. Ccirl Andreas Bei
Der Rath zu Leipzig.

Das Patent Ur. 3 ist von 28 Buchhändlern, denen eS in den nächsten Tagen
"insinuirt" wurde, unterschrieben, zuletzt, an achtundzwanzigster Stelle, am 3. Fe¬
bruar von -- Weygand, dem Verleger des Werther.

Aus diesen drei Dokumenten ergiebt sich, daß Appell den Vorgang, der in
Mercks Gedicht, abgesehen von der iir poetischer Licenz verzehnfachten Straf-
snmme, ziemlich richtig erzählt ist, entstellt hat. Die Initiative zu dem Verbote
ergriff nicht die Bücherkvmmissivn, noch weniger der Rat, sondern die theologische
Fakultät. Johann August Ernesti (gestorben 74jährig am 11. September 1781)
war seit 1767 ordentlicher Professor der Theologie an der Universität Leipzig
und bekleidete 1774 das Dekanat. Es ist derselbe, der in den dreißiger Jahren
als Rektor der Thvmnsschulc so brutal gegen den großen Thvmaskcmtor auf¬
getreten war. Bei der Niederschrift seines Antrags scheint er in einiger Er¬
regung gewesen zu sein; zweimal -- an den durch Klammern bezeichneten
Stellen -- hat er das Geschriebene wieder durchstrichen. Professor Bel, da¬
mals der von der Universität depntirte Bücherkommissar, gab dem Drängen
der theologischen Fakultät nach, und dem Rate, der ja lediglich die Exe¬
kutive hatte, blieb, wie in hundert ähnlichen Fällen, nichts übrig als das
Verbot auszufertigen. Daß der vou selten des Rates deputirte Büchcrkom-
missar gegen den Antrag deS Universitätsdeputirten Einspruch erhoben hätte,
wird schwerlich jemals vorgekommen sein. Das einzige, was der Ratsdcpu-
tirte thun konnte, war das, daß er den Boten, welcher das Patent mit dem
Verbote bei den Buchhändlern in der Stadt umherzntragen hatte, anwies, dem
Verleger deS verbotenen Buches -- seine Aufwartung zuletzt zu machen, was
übrigens die Regel gewesen zu sein scheint. Zurückgenommen wurden Bücher¬
verbote natürlich nie, schon damit es nicht den Anschein habe, als ob die hohe
Kommission irren könne. Auch das Verbot des Werther wurde nicht wieder
aufgehoben. Wie streng es aber gehandhabt wurde, beweist, daß Wehgcmd selbst
im Jahre 1773 noch drei neue Auflagen des Romans druckte. Und wieviele
Exemplare von den acht verschiedenen Nachdruckansgaben, die im Laufe des
Jahres 1775 erschienen, mögen überdies in Leipzig eingeschmuggelt worden
sein!

Endlich das Attentat ans den Nathan. Bis vor kurzem auf einem losen
Bogen befindlich, der nnter einem Hansen von Blcitterzeng der Gefahr der Ver¬
achtung ausgesetzt war, ist es jetzt -- sicherlich im Sinne seines Urhebers --
w denselben Allerhand eingeheftet, in welchem sich auch die ans den Werther
Anglichen Dokumente befinden, und lautet:


verbotene Bücher.

8ixu, Leipzig, den 30. Januar: 177S.


Chursürstl: Sächß: Bücher Lomiuiss-u-ii
allhier
v. Ccirl Andreas Bei
Der Rath zu Leipzig.

Das Patent Ur. 3 ist von 28 Buchhändlern, denen eS in den nächsten Tagen
„insinuirt" wurde, unterschrieben, zuletzt, an achtundzwanzigster Stelle, am 3. Fe¬
bruar von — Weygand, dem Verleger des Werther.

Aus diesen drei Dokumenten ergiebt sich, daß Appell den Vorgang, der in
Mercks Gedicht, abgesehen von der iir poetischer Licenz verzehnfachten Straf-
snmme, ziemlich richtig erzählt ist, entstellt hat. Die Initiative zu dem Verbote
ergriff nicht die Bücherkvmmissivn, noch weniger der Rat, sondern die theologische
Fakultät. Johann August Ernesti (gestorben 74jährig am 11. September 1781)
war seit 1767 ordentlicher Professor der Theologie an der Universität Leipzig
und bekleidete 1774 das Dekanat. Es ist derselbe, der in den dreißiger Jahren
als Rektor der Thvmnsschulc so brutal gegen den großen Thvmaskcmtor auf¬
getreten war. Bei der Niederschrift seines Antrags scheint er in einiger Er¬
regung gewesen zu sein; zweimal — an den durch Klammern bezeichneten
Stellen — hat er das Geschriebene wieder durchstrichen. Professor Bel, da¬
mals der von der Universität depntirte Bücherkommissar, gab dem Drängen
der theologischen Fakultät nach, und dem Rate, der ja lediglich die Exe¬
kutive hatte, blieb, wie in hundert ähnlichen Fällen, nichts übrig als das
Verbot auszufertigen. Daß der vou selten des Rates deputirte Büchcrkom-
missar gegen den Antrag deS Universitätsdeputirten Einspruch erhoben hätte,
wird schwerlich jemals vorgekommen sein. Das einzige, was der Ratsdcpu-
tirte thun konnte, war das, daß er den Boten, welcher das Patent mit dem
Verbote bei den Buchhändlern in der Stadt umherzntragen hatte, anwies, dem
Verleger deS verbotenen Buches — seine Aufwartung zuletzt zu machen, was
übrigens die Regel gewesen zu sein scheint. Zurückgenommen wurden Bücher¬
verbote natürlich nie, schon damit es nicht den Anschein habe, als ob die hohe
Kommission irren könne. Auch das Verbot des Werther wurde nicht wieder
aufgehoben. Wie streng es aber gehandhabt wurde, beweist, daß Wehgcmd selbst
im Jahre 1773 noch drei neue Auflagen des Romans druckte. Und wieviele
Exemplare von den acht verschiedenen Nachdruckansgaben, die im Laufe des
Jahres 1775 erschienen, mögen überdies in Leipzig eingeschmuggelt worden
sein!

Endlich das Attentat ans den Nathan. Bis vor kurzem auf einem losen
Bogen befindlich, der nnter einem Hansen von Blcitterzeng der Gefahr der Ver¬
achtung ausgesetzt war, ist es jetzt — sicherlich im Sinne seines Urhebers —
w denselben Allerhand eingeheftet, in welchem sich auch die ans den Werther
Anglichen Dokumente befinden, und lautet:


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[0291] verbotene Bücher. 8ixu, Leipzig, den 30. Januar: 177S. Chursürstl: Sächß: Bücher Lomiuiss-u-ii allhier v. Ccirl Andreas Bei Der Rath zu Leipzig. Das Patent Ur. 3 ist von 28 Buchhändlern, denen eS in den nächsten Tagen „insinuirt" wurde, unterschrieben, zuletzt, an achtundzwanzigster Stelle, am 3. Fe¬ bruar von — Weygand, dem Verleger des Werther. Aus diesen drei Dokumenten ergiebt sich, daß Appell den Vorgang, der in Mercks Gedicht, abgesehen von der iir poetischer Licenz verzehnfachten Straf- snmme, ziemlich richtig erzählt ist, entstellt hat. Die Initiative zu dem Verbote ergriff nicht die Bücherkvmmissivn, noch weniger der Rat, sondern die theologische Fakultät. Johann August Ernesti (gestorben 74jährig am 11. September 1781) war seit 1767 ordentlicher Professor der Theologie an der Universität Leipzig und bekleidete 1774 das Dekanat. Es ist derselbe, der in den dreißiger Jahren als Rektor der Thvmnsschulc so brutal gegen den großen Thvmaskcmtor auf¬ getreten war. Bei der Niederschrift seines Antrags scheint er in einiger Er¬ regung gewesen zu sein; zweimal — an den durch Klammern bezeichneten Stellen — hat er das Geschriebene wieder durchstrichen. Professor Bel, da¬ mals der von der Universität depntirte Bücherkommissar, gab dem Drängen der theologischen Fakultät nach, und dem Rate, der ja lediglich die Exe¬ kutive hatte, blieb, wie in hundert ähnlichen Fällen, nichts übrig als das Verbot auszufertigen. Daß der vou selten des Rates deputirte Büchcrkom- missar gegen den Antrag deS Universitätsdeputirten Einspruch erhoben hätte, wird schwerlich jemals vorgekommen sein. Das einzige, was der Ratsdcpu- tirte thun konnte, war das, daß er den Boten, welcher das Patent mit dem Verbote bei den Buchhändlern in der Stadt umherzntragen hatte, anwies, dem Verleger deS verbotenen Buches — seine Aufwartung zuletzt zu machen, was übrigens die Regel gewesen zu sein scheint. Zurückgenommen wurden Bücher¬ verbote natürlich nie, schon damit es nicht den Anschein habe, als ob die hohe Kommission irren könne. Auch das Verbot des Werther wurde nicht wieder aufgehoben. Wie streng es aber gehandhabt wurde, beweist, daß Wehgcmd selbst im Jahre 1773 noch drei neue Auflagen des Romans druckte. Und wieviele Exemplare von den acht verschiedenen Nachdruckansgaben, die im Laufe des Jahres 1775 erschienen, mögen überdies in Leipzig eingeschmuggelt worden sein! Endlich das Attentat ans den Nathan. Bis vor kurzem auf einem losen Bogen befindlich, der nnter einem Hansen von Blcitterzeng der Gefahr der Ver¬ achtung ausgesetzt war, ist es jetzt — sicherlich im Sinne seines Urhebers — w denselben Allerhand eingeheftet, in welchem sich auch die ans den Werther Anglichen Dokumente befinden, und lautet:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/291>, abgerufen am 28.09.2024.