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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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verbotene Bücher,

Censor und den Drucker in Halle angeben, weil er den Druck durch einen guten
Freund habe besorgen lassen. Er gestand, daß er an Heidegger in Zürich
50 Exemplare geschickt, leugnete aber, daß er noch Exemplare vorrätig habe;
er habe sie fast alle schon in der Michaelismesse verkauft. Die Kommission be¬
deutete ihm hierauf, sich nach dem Censor und Drucker in Halle zu erkundigen
und kein Exemplar der Schrift weiter zu verkaufen.

Inzwischen hatte Brcitinger dem Leipziger Advokaten Spies Vollmacht erteilt,
seine Sache zu führen. Spies richtete unterm 9. März ein Schreiben an die
Bücherkommission, worin er darlegte, daß Löwe als Verleger schlechterdings gute
Wissenschaft um die Schrift haben müsse, und beantragte nochmalige eidliche
Vernehmung Löwes, indem er ausdrücklich die Fragen bezeichnete, die ihm dabei
vorgelegt werden sollten. So wurde Löwe am 26. März nochmals vorgefordert,
und jetzt, wo er ermahnt wurde, feine Aussage so einzurichten, daß erste nötigenfalls
eidlich bestärke" könnte, lauteten seine Angaben wesentlich anders. Er gestand,
daß ihm das Manuskript der Schrift von -- Herrn Professor Gottsched zugeschickt
worden sei. Ob derselbe sie auch verfertigt habe, könne er nicht sagen, vermutlich
würde der Herr Professor selber hiervon die beste Nachricht geben können. Die
Schrift sei von Rumpf in Leipzig gedruckt worden, nachdem sie von Gottsched
gehörig eensirt worden sei. Im ganzen seien 800 Exemplare gedruckt worden.
Die 50 Exemplare für Heidegger habe dessen Leipziger Kommissionär ihm ab¬
genommen; dieser sei zu ihm gekommen und habe ihn nach Neuigkeiten gefragt,
worauf er ihm die Schrift gezeigt habe. Er wolle auch nicht leugnen, daß er
noch Exemplare derselben zu Hause habe, viel würden es aber nicht mehr sein.
Daraus wurde der Bücherinspektor sofort mit Löwe in dessen Laden geschickt und
überbrachte beim Zurückkommen ein Packet mit 104 Exemplaren. Die Beant¬
wortung einiger weiteren Fragen, die Breitingers Sachwalter noch an den Ver¬
leger gerichtet haben wollte, führte zu keinen weiteren Ergebnissen.

Das Ende war, daß -- die Untersuchung eingestellt wurde. Was hätte
man auch thun sollen? Gottsched selbst, der Censor, hatte die Schrift zum Druck
befördert -- ihm konnte die Kommission nicht an den Kragen, und so blieb dem
Advokaten Breitingers nichts weiter übrig, als sich vom Leipziger Rat ein Zeugnis
ausstellen zu lassen, daß er dem Auftrage seines Klienten gehörig nachgekommen
sei. Der ganze Handel giebt wiederum eine Probe von der Verlogenheit, die
bei den Eensurnntcrsuchungen an der Tagesordnung war. Die Wahrheit wurde
in der Regel nicht eher gesagt, als bis man mit der Eidesabnahme drohte, oft
selbst dann noch nicht, wie im vorliegenden Falle die Aussage über Heidegger
beweist.

Wenige Jahre später, 1757, als Gottscheds Stern schon halb verblichen
war, sehen wir den ehedem allgewaltigen Diktator selbst einmal bei der Censur¬
behörde um Schutz betteln. Aus dem August 1757 findet sich folgender Brief
von ihm bei den Akten:


verbotene Bücher,

Censor und den Drucker in Halle angeben, weil er den Druck durch einen guten
Freund habe besorgen lassen. Er gestand, daß er an Heidegger in Zürich
50 Exemplare geschickt, leugnete aber, daß er noch Exemplare vorrätig habe;
er habe sie fast alle schon in der Michaelismesse verkauft. Die Kommission be¬
deutete ihm hierauf, sich nach dem Censor und Drucker in Halle zu erkundigen
und kein Exemplar der Schrift weiter zu verkaufen.

Inzwischen hatte Brcitinger dem Leipziger Advokaten Spies Vollmacht erteilt,
seine Sache zu führen. Spies richtete unterm 9. März ein Schreiben an die
Bücherkommission, worin er darlegte, daß Löwe als Verleger schlechterdings gute
Wissenschaft um die Schrift haben müsse, und beantragte nochmalige eidliche
Vernehmung Löwes, indem er ausdrücklich die Fragen bezeichnete, die ihm dabei
vorgelegt werden sollten. So wurde Löwe am 26. März nochmals vorgefordert,
und jetzt, wo er ermahnt wurde, feine Aussage so einzurichten, daß erste nötigenfalls
eidlich bestärke» könnte, lauteten seine Angaben wesentlich anders. Er gestand,
daß ihm das Manuskript der Schrift von — Herrn Professor Gottsched zugeschickt
worden sei. Ob derselbe sie auch verfertigt habe, könne er nicht sagen, vermutlich
würde der Herr Professor selber hiervon die beste Nachricht geben können. Die
Schrift sei von Rumpf in Leipzig gedruckt worden, nachdem sie von Gottsched
gehörig eensirt worden sei. Im ganzen seien 800 Exemplare gedruckt worden.
Die 50 Exemplare für Heidegger habe dessen Leipziger Kommissionär ihm ab¬
genommen; dieser sei zu ihm gekommen und habe ihn nach Neuigkeiten gefragt,
worauf er ihm die Schrift gezeigt habe. Er wolle auch nicht leugnen, daß er
noch Exemplare derselben zu Hause habe, viel würden es aber nicht mehr sein.
Daraus wurde der Bücherinspektor sofort mit Löwe in dessen Laden geschickt und
überbrachte beim Zurückkommen ein Packet mit 104 Exemplaren. Die Beant¬
wortung einiger weiteren Fragen, die Breitingers Sachwalter noch an den Ver¬
leger gerichtet haben wollte, führte zu keinen weiteren Ergebnissen.

Das Ende war, daß — die Untersuchung eingestellt wurde. Was hätte
man auch thun sollen? Gottsched selbst, der Censor, hatte die Schrift zum Druck
befördert — ihm konnte die Kommission nicht an den Kragen, und so blieb dem
Advokaten Breitingers nichts weiter übrig, als sich vom Leipziger Rat ein Zeugnis
ausstellen zu lassen, daß er dem Auftrage seines Klienten gehörig nachgekommen
sei. Der ganze Handel giebt wiederum eine Probe von der Verlogenheit, die
bei den Eensurnntcrsuchungen an der Tagesordnung war. Die Wahrheit wurde
in der Regel nicht eher gesagt, als bis man mit der Eidesabnahme drohte, oft
selbst dann noch nicht, wie im vorliegenden Falle die Aussage über Heidegger
beweist.

Wenige Jahre später, 1757, als Gottscheds Stern schon halb verblichen
war, sehen wir den ehedem allgewaltigen Diktator selbst einmal bei der Censur¬
behörde um Schutz betteln. Aus dem August 1757 findet sich folgender Brief
von ihm bei den Akten:


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[0287] verbotene Bücher, Censor und den Drucker in Halle angeben, weil er den Druck durch einen guten Freund habe besorgen lassen. Er gestand, daß er an Heidegger in Zürich 50 Exemplare geschickt, leugnete aber, daß er noch Exemplare vorrätig habe; er habe sie fast alle schon in der Michaelismesse verkauft. Die Kommission be¬ deutete ihm hierauf, sich nach dem Censor und Drucker in Halle zu erkundigen und kein Exemplar der Schrift weiter zu verkaufen. Inzwischen hatte Brcitinger dem Leipziger Advokaten Spies Vollmacht erteilt, seine Sache zu führen. Spies richtete unterm 9. März ein Schreiben an die Bücherkommission, worin er darlegte, daß Löwe als Verleger schlechterdings gute Wissenschaft um die Schrift haben müsse, und beantragte nochmalige eidliche Vernehmung Löwes, indem er ausdrücklich die Fragen bezeichnete, die ihm dabei vorgelegt werden sollten. So wurde Löwe am 26. März nochmals vorgefordert, und jetzt, wo er ermahnt wurde, feine Aussage so einzurichten, daß erste nötigenfalls eidlich bestärke» könnte, lauteten seine Angaben wesentlich anders. Er gestand, daß ihm das Manuskript der Schrift von — Herrn Professor Gottsched zugeschickt worden sei. Ob derselbe sie auch verfertigt habe, könne er nicht sagen, vermutlich würde der Herr Professor selber hiervon die beste Nachricht geben können. Die Schrift sei von Rumpf in Leipzig gedruckt worden, nachdem sie von Gottsched gehörig eensirt worden sei. Im ganzen seien 800 Exemplare gedruckt worden. Die 50 Exemplare für Heidegger habe dessen Leipziger Kommissionär ihm ab¬ genommen; dieser sei zu ihm gekommen und habe ihn nach Neuigkeiten gefragt, worauf er ihm die Schrift gezeigt habe. Er wolle auch nicht leugnen, daß er noch Exemplare derselben zu Hause habe, viel würden es aber nicht mehr sein. Daraus wurde der Bücherinspektor sofort mit Löwe in dessen Laden geschickt und überbrachte beim Zurückkommen ein Packet mit 104 Exemplaren. Die Beant¬ wortung einiger weiteren Fragen, die Breitingers Sachwalter noch an den Ver¬ leger gerichtet haben wollte, führte zu keinen weiteren Ergebnissen. Das Ende war, daß — die Untersuchung eingestellt wurde. Was hätte man auch thun sollen? Gottsched selbst, der Censor, hatte die Schrift zum Druck befördert — ihm konnte die Kommission nicht an den Kragen, und so blieb dem Advokaten Breitingers nichts weiter übrig, als sich vom Leipziger Rat ein Zeugnis ausstellen zu lassen, daß er dem Auftrage seines Klienten gehörig nachgekommen sei. Der ganze Handel giebt wiederum eine Probe von der Verlogenheit, die bei den Eensurnntcrsuchungen an der Tagesordnung war. Die Wahrheit wurde in der Regel nicht eher gesagt, als bis man mit der Eidesabnahme drohte, oft selbst dann noch nicht, wie im vorliegenden Falle die Aussage über Heidegger beweist. Wenige Jahre später, 1757, als Gottscheds Stern schon halb verblichen war, sehen wir den ehedem allgewaltigen Diktator selbst einmal bei der Censur¬ behörde um Schutz betteln. Aus dem August 1757 findet sich folgender Brief von ihm bei den Akten:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/287>, abgerufen am 29.06.2024.