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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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verbotene Bücher.

sein Glück zu hindern!" Als tels Verdrießlichste bei der Geschichte stellt es
die Erzählerin hin, daß Herr Scharffsicht selbst erst "durch die Heyrath einer
alten und reichen Wittwe Gelegenheit bekommen, seiner Gelehrsamkeit, durch
Annehmung der Academischen Würden, das äußerliche Ausehen zu geben, und sich
dadurch in einer fremden Stadt, wo er weder Freunde noch Gönner gehabt,
bis zu den höchsten Würden zu schwingen." Im 28. Stück wird ein Unzu¬
friedener, ein ewiger Wiinfcher, Herr Nimmersatt, dem Zufriedenen, Herrn Gnt-
hertz, gegenübergestellt. Herr Nimmersatt beneidet namentlich einen jungen Herrn
Trax, den einzigen Sohn eines vornehmen Kaufmanns. "Ist er, fragt der
Neidische, eines solchen Glückes Wohl würdig, als er vor so vielen tausenden
besitzet? Der Müßiggänger weiß von keiner Arbeit. Von Jngend auf ist er
in aller Zärtlichkeit erzogen. Hernach ist er mit vollen Beuteln und offenen
Wcchselbriefen durch alle poule Prvvintzien von Europa gereiset. Jezo ist er
zurücke gekommen. Sogleich hat er vor Geld alle Titel, die er sich nur ge-
wünschet, erlangt, und nunmehro heyrathet er auch eines der artigsten Frauen¬
zimmer, die wir bey uns haben. . . . Womit hat er sich in der Welt hervor¬
gethan? Womit verdienet ers, daß ihm itzo alles Reverentze macht? Was
hat er vor ein Recht in vergüldeteu Kutschen zu fahren, da andre seines gleichen
zu Fuße gehen?"

Die verräterischen Akten plaudern uus um uach mehr als anderthalb Jahr¬
hunderten noch aus, daß Chloris und Thyrsis, Scharffsicht und Trax keine
fingirten Personen waren, sondern im damaligen Leipzig leibhaftig umher¬
liefen. Herr Scharffsicht war der Leipziger Ratsherr und Prokonsul Dr.
Hölzl, die schöne Chloris sein Mündel, Jungfer Johanna Salome Wincklerin,
die Tochter des verstorbenen Kauf- und Handelsherrn Gottfried Wincklcr. Der
reiche Trax ging auf den jungen Dr. Örtel, Ratsherrn und Assessor des Ober-
hofgerichts und des Konsistoriums, und der verdrängte Freier der Chloris war,
wie uns zum Überfluß die erwähnte Zuschrift an die "Tadlerinnen" verrät, ein
lunger Prediger, der, sobald er von der Kanzel war, sich zu Hause umkleidete,
um Chloris auf dem Kirchwege noch sein Kompliment zu machen.

Sobald die Beschwerde, jedenfalls durch die Verspotteten selbst, beim Rate
angebracht war, wurde der Verleger der "Tadlerinnen," der Buchhändler Andreas
Braun, vorgefordert und sagte aus, der Autor der Zeitschrift sei Herr Mgr.
Gottsched; censirt habe sie Herr Jenichen -- Professor der Moral und der
Politik, damals Censor für die philosophische Fakultät --, wie durch dessen eigen¬
händige Unterschrift auf dem Manuskript nötigenfalls bewiesen werden könne,
^le Beleidigten verlangten hierauf, daß die Sache zu fernerem gebührenden Ver¬
ehrer an die Universität gebracht und diese ersucht werden möchte, Herrn Mgr.
Gottsched eidlich anzeigen zu lassen, wer ihm zu dieser Bosheit von Manns-
"der Weibespersonen Anlaß gegeben. Darauf wurde der Bücherinspektor in den
^raunschen Buchladen geschickt, um sämmtliche Exemplare der "Tadlerinnen"


Grenzliowl I. 1885
verbotene Bücher.

sein Glück zu hindern!" Als tels Verdrießlichste bei der Geschichte stellt es
die Erzählerin hin, daß Herr Scharffsicht selbst erst „durch die Heyrath einer
alten und reichen Wittwe Gelegenheit bekommen, seiner Gelehrsamkeit, durch
Annehmung der Academischen Würden, das äußerliche Ausehen zu geben, und sich
dadurch in einer fremden Stadt, wo er weder Freunde noch Gönner gehabt,
bis zu den höchsten Würden zu schwingen." Im 28. Stück wird ein Unzu¬
friedener, ein ewiger Wiinfcher, Herr Nimmersatt, dem Zufriedenen, Herrn Gnt-
hertz, gegenübergestellt. Herr Nimmersatt beneidet namentlich einen jungen Herrn
Trax, den einzigen Sohn eines vornehmen Kaufmanns. „Ist er, fragt der
Neidische, eines solchen Glückes Wohl würdig, als er vor so vielen tausenden
besitzet? Der Müßiggänger weiß von keiner Arbeit. Von Jngend auf ist er
in aller Zärtlichkeit erzogen. Hernach ist er mit vollen Beuteln und offenen
Wcchselbriefen durch alle poule Prvvintzien von Europa gereiset. Jezo ist er
zurücke gekommen. Sogleich hat er vor Geld alle Titel, die er sich nur ge-
wünschet, erlangt, und nunmehro heyrathet er auch eines der artigsten Frauen¬
zimmer, die wir bey uns haben. . . . Womit hat er sich in der Welt hervor¬
gethan? Womit verdienet ers, daß ihm itzo alles Reverentze macht? Was
hat er vor ein Recht in vergüldeteu Kutschen zu fahren, da andre seines gleichen
zu Fuße gehen?"

Die verräterischen Akten plaudern uus um uach mehr als anderthalb Jahr¬
hunderten noch aus, daß Chloris und Thyrsis, Scharffsicht und Trax keine
fingirten Personen waren, sondern im damaligen Leipzig leibhaftig umher¬
liefen. Herr Scharffsicht war der Leipziger Ratsherr und Prokonsul Dr.
Hölzl, die schöne Chloris sein Mündel, Jungfer Johanna Salome Wincklerin,
die Tochter des verstorbenen Kauf- und Handelsherrn Gottfried Wincklcr. Der
reiche Trax ging auf den jungen Dr. Örtel, Ratsherrn und Assessor des Ober-
hofgerichts und des Konsistoriums, und der verdrängte Freier der Chloris war,
wie uns zum Überfluß die erwähnte Zuschrift an die „Tadlerinnen" verrät, ein
lunger Prediger, der, sobald er von der Kanzel war, sich zu Hause umkleidete,
um Chloris auf dem Kirchwege noch sein Kompliment zu machen.

Sobald die Beschwerde, jedenfalls durch die Verspotteten selbst, beim Rate
angebracht war, wurde der Verleger der „Tadlerinnen," der Buchhändler Andreas
Braun, vorgefordert und sagte aus, der Autor der Zeitschrift sei Herr Mgr.
Gottsched; censirt habe sie Herr Jenichen — Professor der Moral und der
Politik, damals Censor für die philosophische Fakultät —, wie durch dessen eigen¬
händige Unterschrift auf dem Manuskript nötigenfalls bewiesen werden könne,
^le Beleidigten verlangten hierauf, daß die Sache zu fernerem gebührenden Ver¬
ehrer an die Universität gebracht und diese ersucht werden möchte, Herrn Mgr.
Gottsched eidlich anzeigen zu lassen, wer ihm zu dieser Bosheit von Manns-
"der Weibespersonen Anlaß gegeben. Darauf wurde der Bücherinspektor in den
^raunschen Buchladen geschickt, um sämmtliche Exemplare der „Tadlerinnen"


Grenzliowl I. 1885
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/281>, abgerufen am 28.09.2024.