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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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verbotene Bücher.

Tadeln Heisset Keiffen und Kleffen. Die weiblichen Gemüther sind zur Galanterie
bestimmet, und haben das Recht nicht allgemeine Lehrmeister abzugeben. Es ist
zum wenigsten der weiblichen Artigkeit und Bescheidenheit gantz zuwider. Es
scheinet mir eben so poßirlich, als wenn eine Fran Professorin sich auf den
Cathcder setzen, und denen Studenten die Welt-Weißheit, oder eine andere Wissen¬
schaft vorlesen wolte." Auch das Beiwort "vernünftig," in welches Gott¬
sched eine" ganz andern Sinn legte als seine Gegner, erregte Anstoß. "Sehet
-- schreibt Henriei --, wie unsre Tadlcrinnen so vermessen sind, und selbst
klatschen, da sie kaum ihre Comödie angefangen. Schlaget auf die grossen Sitten-
Lehrer unsrer Zeit, wie haben sie ihre Blätter überschriebe"? Findet ihr nicht
alles so bescheiden, den Tadler, die Mahler, den Patriot. Alle überlassen das
Beywort einem tuufftigen Urtheil." Endlich sprach man der Zeitschrift anch die
Originalität ab. "Berichtet mich doch -- fragt Cordula in dem erwähnten
Flugblatt schnippisch die "Herren Tadleriunen" --, ob es wahr ist, ihr hättet
aus dem Speetateur vieles zu euern Blättern entlehnet."

Nicht lange, so gerieten die "Tadlerinncn" auch mit der Censurbehörde in
Konflikt. Sie hatten sich nicht damit begnügt, ihre moralischen Abhandlungen
mit hypothetischen Beispielen zu illustriren, sondern hatten wiederholt ihre
Figuren direkt aus der Leipziger Gesellschaft entlehnt, so deutlich, daß man mit
Fingern ans sie weisen konnte.

Am 4. September 1726 wurde beim Rate der Stadt "angebracht" -- von
wem, verschweigt das Protokoll --, daß im 25. Stück der "Tadleriunen" Herr
Ur. Hölzl auf eine ungebührliche Art angegriffen worden sei, weil er den An¬
trag, den der Autor jenes Aufsatzes bei der Jungfrau Wiuckleriu gethan, nicht
fekundirt habe, und im 28. Stück werde Herr Dr. Örtel nebst seinein Herrn
Vater boshafter Weise durchgezogen und gewisser Untugenden beschuldigt, deren
ihn jedermann, der nur einige Kenntnis von ihm habe, sicherlich freisprechen
werde. Es wäre schlimm, wenn alles, was in Leipzig vorgehe, dem Urteil des
Autors unterworfen sein und von ihm den Ausschlag, ob es gut oder übel aus¬
geführt worden, erhalten sollte. Der Rat werde ersucht, in dieser Sache ge¬
bührend zu inquiriren und nach Befinden die "Tadlcrinnen" zu konfisziren.

schlüge man die angegebenen beiden Nummern auf, so findet man im 25.
Stück einen Aufsatz, in dem Calliste "einmahl armen, aber dabey geschickten
und tugendhaften Mannspersonen das Wort redet." Sie erzählt, wie Chloris,
ein wohlgeartetes Kind von vierzehn Jahren, einen Verehrer gefunden habe,
dem auch sie heimlich zu verstehen gegeben habe, daß sie seine Feindin nicht
sei. "Allein was geschieht? Chloris war eine Wayse, und ich weiß nicht, wie
es kam, daß Herr Scharffsicht, ihr Vormund, diese hervorsprossende Liebcs-
Pflautze gar zu zeitig gewahr wurde. Augenblicklich bediente er sich aller Mittel,
dieselbe in ihrer Geburth zu ersticken. Warum das? Chloris ist reich; und
Thyrsis ihr Verehrer trägt sein gantzes Capital nur im Kopfe. Ursache genug,


verbotene Bücher.

Tadeln Heisset Keiffen und Kleffen. Die weiblichen Gemüther sind zur Galanterie
bestimmet, und haben das Recht nicht allgemeine Lehrmeister abzugeben. Es ist
zum wenigsten der weiblichen Artigkeit und Bescheidenheit gantz zuwider. Es
scheinet mir eben so poßirlich, als wenn eine Fran Professorin sich auf den
Cathcder setzen, und denen Studenten die Welt-Weißheit, oder eine andere Wissen¬
schaft vorlesen wolte." Auch das Beiwort „vernünftig," in welches Gott¬
sched eine» ganz andern Sinn legte als seine Gegner, erregte Anstoß. „Sehet
— schreibt Henriei —, wie unsre Tadlcrinnen so vermessen sind, und selbst
klatschen, da sie kaum ihre Comödie angefangen. Schlaget auf die grossen Sitten-
Lehrer unsrer Zeit, wie haben sie ihre Blätter überschriebe»? Findet ihr nicht
alles so bescheiden, den Tadler, die Mahler, den Patriot. Alle überlassen das
Beywort einem tuufftigen Urtheil." Endlich sprach man der Zeitschrift anch die
Originalität ab. „Berichtet mich doch — fragt Cordula in dem erwähnten
Flugblatt schnippisch die «Herren Tadleriunen» —, ob es wahr ist, ihr hättet
aus dem Speetateur vieles zu euern Blättern entlehnet."

Nicht lange, so gerieten die „Tadlerinncn" auch mit der Censurbehörde in
Konflikt. Sie hatten sich nicht damit begnügt, ihre moralischen Abhandlungen
mit hypothetischen Beispielen zu illustriren, sondern hatten wiederholt ihre
Figuren direkt aus der Leipziger Gesellschaft entlehnt, so deutlich, daß man mit
Fingern ans sie weisen konnte.

Am 4. September 1726 wurde beim Rate der Stadt „angebracht" — von
wem, verschweigt das Protokoll —, daß im 25. Stück der „Tadleriunen" Herr
Ur. Hölzl auf eine ungebührliche Art angegriffen worden sei, weil er den An¬
trag, den der Autor jenes Aufsatzes bei der Jungfrau Wiuckleriu gethan, nicht
fekundirt habe, und im 28. Stück werde Herr Dr. Örtel nebst seinein Herrn
Vater boshafter Weise durchgezogen und gewisser Untugenden beschuldigt, deren
ihn jedermann, der nur einige Kenntnis von ihm habe, sicherlich freisprechen
werde. Es wäre schlimm, wenn alles, was in Leipzig vorgehe, dem Urteil des
Autors unterworfen sein und von ihm den Ausschlag, ob es gut oder übel aus¬
geführt worden, erhalten sollte. Der Rat werde ersucht, in dieser Sache ge¬
bührend zu inquiriren und nach Befinden die „Tadlcrinnen" zu konfisziren.

schlüge man die angegebenen beiden Nummern auf, so findet man im 25.
Stück einen Aufsatz, in dem Calliste „einmahl armen, aber dabey geschickten
und tugendhaften Mannspersonen das Wort redet." Sie erzählt, wie Chloris,
ein wohlgeartetes Kind von vierzehn Jahren, einen Verehrer gefunden habe,
dem auch sie heimlich zu verstehen gegeben habe, daß sie seine Feindin nicht
sei. „Allein was geschieht? Chloris war eine Wayse, und ich weiß nicht, wie
es kam, daß Herr Scharffsicht, ihr Vormund, diese hervorsprossende Liebcs-
Pflautze gar zu zeitig gewahr wurde. Augenblicklich bediente er sich aller Mittel,
dieselbe in ihrer Geburth zu ersticken. Warum das? Chloris ist reich; und
Thyrsis ihr Verehrer trägt sein gantzes Capital nur im Kopfe. Ursache genug,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/280>, abgerufen am 29.06.2024.