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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Dann werden die einzelnen Figuren des Karnevals geschildert, hinter deren
Masken die wirklichen Gestalten zu erkennen heute freilich nicht mehr möglich
ist. Der eine wird als Robinson, ein andrer als Peter Squentz, ein dritter
als Tabaksbruder, ein vierter als Pvstkurier, ein fünfter als lahmer Bote vor¬
geführt. Der Pvstkurier ist noch nachzuweisen; es war ein 8wä. M'. Johann
Gottfried Neubert, von dem ein unflätiges Machwerk, "Poetischer Post-Reuter,"
gerade in denselben Tage" vom Konsistorium bei der Bücherkommission denunzirt
worden war. Nun wurden beide Schriften gleichzeitig konfiszirt und verboten.

Henriei scheint die Sache lange gewurmt zu haben. Im September des
folgenden Jahres stand er selber vor der hohen Bücherkommissivn, um sich seiner¬
seits zu verantworte" wegen eines Angriffs auf den Verfasser des "Plisfenischcn
Parnaß." Am 29. Angust 1725 wurde der Buchhändler Boetius, der namentlich
mit Flugschriften trödelte, vorgefordert, um Rechenschaft zu gebe" über einen von
ihm vertriebenen Druck: Hxtr^et, Das Vte Stück von allerhand RouvsUvn, Die
Wahrheit. Schcrtz und Ernst der Welt vor Augen stellen. Es ist ein halber
Bogen meist lasziven Inhalts, und um Schlüsse steht eine gereimte Annonce,
ans den "Plisscnischen Parnaß" bezüglich, in der Vcrcmder ein grober Flegel
genannt wird. Boetius nannte sofort den Verfasser. Der Autor sei Henriei,
ein Studiosus, wohne in dem Hvmmelischen Hanse auf der Reichstraße, der
Drucker sei Bittorf vorm grimmischen Thore, ob die Schrift eensirt worden sei,
wisse er nicht. Er für seine Person habe nichts Anstößiges darin gefunden.
Hierauf wurde der Drucker belangt, der erst vor wenigen Wochen mit Weib
und Kind nach Leipzig gezogen und noch gnr nicht in die Innung aufgenommen
war. Er gestand, das Blatt gedruckt, sich aber nichts Schlimmes dabei gedacht
zu haben, weil es schon das fünfte Stück gewesen sei. Endlich mußte Henriei
selbst erscheine", und als man ihm anßer allerhand andern "bedencklichen ex-
xwssionvL" namentlich den "groben Flegel" vorhielt, erklärte er, wenn er gegen
seinen Angreifer nicht gelinde verfahren sei, so wäre es deshalb geschehen, daß
jener sich nur melden möchte. Für die Censur der Schrift habe er nicht ge¬
sorgt, da dies dem Drucker zukomme.

Wer hinter dem Verander steckte, ist nie ans Tageslicht gekommen. Die
Möglichkeit, an Gottsched dabei zu deuten, wäre an sich nicht ausgeschlossen.
Gottsched war Ende des Jahres 1723 aus Furcht vor den preußischen Werbern
von der Königsberger Universität geflüchtet und hatte sich nach Leipzig gewandt.
Seit dem 1. März 1724 gehörte er hier bereits zu den Mitgliedern der unter
Mcnckes Schutz stehenden "Deutschübenden poetischen Gesellschaft" und ließ auch
schon im Frühjahr 1724 unter dem Namen des "Deutschen Persius" eine Satire
drucken, die in derselben Richtung vorging wie der "Plissenische Parnaß." Doch
wird man sich damit begnügen müssen, anzunehmen, daß Verander unter den
Mitgliedern der Meuckeschen Gesellschaft zu suchen sei. Kurze Zeit darauf aber
sehen wir in der That Gottsched selbst in Gefahr, mit der Leipziger Bücher-


Dann werden die einzelnen Figuren des Karnevals geschildert, hinter deren
Masken die wirklichen Gestalten zu erkennen heute freilich nicht mehr möglich
ist. Der eine wird als Robinson, ein andrer als Peter Squentz, ein dritter
als Tabaksbruder, ein vierter als Pvstkurier, ein fünfter als lahmer Bote vor¬
geführt. Der Pvstkurier ist noch nachzuweisen; es war ein 8wä. M'. Johann
Gottfried Neubert, von dem ein unflätiges Machwerk, „Poetischer Post-Reuter,"
gerade in denselben Tage» vom Konsistorium bei der Bücherkommission denunzirt
worden war. Nun wurden beide Schriften gleichzeitig konfiszirt und verboten.

Henriei scheint die Sache lange gewurmt zu haben. Im September des
folgenden Jahres stand er selber vor der hohen Bücherkommissivn, um sich seiner¬
seits zu verantworte» wegen eines Angriffs auf den Verfasser des „Plisfenischcn
Parnaß." Am 29. Angust 1725 wurde der Buchhändler Boetius, der namentlich
mit Flugschriften trödelte, vorgefordert, um Rechenschaft zu gebe» über einen von
ihm vertriebenen Druck: Hxtr^et, Das Vte Stück von allerhand RouvsUvn, Die
Wahrheit. Schcrtz und Ernst der Welt vor Augen stellen. Es ist ein halber
Bogen meist lasziven Inhalts, und um Schlüsse steht eine gereimte Annonce,
ans den „Plisscnischen Parnaß" bezüglich, in der Vcrcmder ein grober Flegel
genannt wird. Boetius nannte sofort den Verfasser. Der Autor sei Henriei,
ein Studiosus, wohne in dem Hvmmelischen Hanse auf der Reichstraße, der
Drucker sei Bittorf vorm grimmischen Thore, ob die Schrift eensirt worden sei,
wisse er nicht. Er für seine Person habe nichts Anstößiges darin gefunden.
Hierauf wurde der Drucker belangt, der erst vor wenigen Wochen mit Weib
und Kind nach Leipzig gezogen und noch gnr nicht in die Innung aufgenommen
war. Er gestand, das Blatt gedruckt, sich aber nichts Schlimmes dabei gedacht
zu haben, weil es schon das fünfte Stück gewesen sei. Endlich mußte Henriei
selbst erscheine», und als man ihm anßer allerhand andern „bedencklichen ex-
xwssionvL" namentlich den „groben Flegel" vorhielt, erklärte er, wenn er gegen
seinen Angreifer nicht gelinde verfahren sei, so wäre es deshalb geschehen, daß
jener sich nur melden möchte. Für die Censur der Schrift habe er nicht ge¬
sorgt, da dies dem Drucker zukomme.

Wer hinter dem Verander steckte, ist nie ans Tageslicht gekommen. Die
Möglichkeit, an Gottsched dabei zu deuten, wäre an sich nicht ausgeschlossen.
Gottsched war Ende des Jahres 1723 aus Furcht vor den preußischen Werbern
von der Königsberger Universität geflüchtet und hatte sich nach Leipzig gewandt.
Seit dem 1. März 1724 gehörte er hier bereits zu den Mitgliedern der unter
Mcnckes Schutz stehenden „Deutschübenden poetischen Gesellschaft" und ließ auch
schon im Frühjahr 1724 unter dem Namen des „Deutschen Persius" eine Satire
drucken, die in derselben Richtung vorging wie der „Plissenische Parnaß." Doch
wird man sich damit begnügen müssen, anzunehmen, daß Verander unter den
Mitgliedern der Meuckeschen Gesellschaft zu suchen sei. Kurze Zeit darauf aber
sehen wir in der That Gottsched selbst in Gefahr, mit der Leipziger Bücher-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/278>, abgerufen am 28.09.2024.