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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck,

sich aus den Erfolgen der Steuerreform und aus dem Schritt der gesunden
Entwicklung des Volkswohlstandes ergeben. Aber keinen dieser Zwecke könnte
man für immer vernachlässigen, ohne die Nation in ihrer Kraft zurückzubringen
und in ihrem harmonischen Organismus zu stören. Bei dem Kampfe für die
Finanzpolitik ist keine Inkonsequenz, sondern eher eine zu rasche Enthüllung der
Konsequenzen hervorgetreten.

Wir erwähnen kurz die Verstaatlichung der Eisenbahnen. Im Frühjahr
1876 regte Fürst Bismarck den Plan an, zunächst in der Form, daß die preu¬
ßische Regierung durch ein Gesetz ermächtigt werden sollte, über die Abtretung
ihrer Staatsbahnen an das Reich zu verhandeln. Der Gesetzentwurf wurde
angenommen, obwohl Herr Richter ihn mit dem Argument bekämpfte, zur Ver¬
staatlichung der Eisenbahnen müsse man einen Eisenbahn-Bismarck haben. Wirk¬
samer als Richters Widerstand war der des Finanzministers Camphausen, welcher
es nicht einmal zur Ermittelung des Wertes der preußischen Staatsbahncn
kommen ließ. Ostern 1878 war dieser Widerstand mit Camphausens Rücktritt
gebrochen. Aber die Idee des Reichseisenbahngcsetzes war inzwischen durch den
Trieb der Bundesstaaten, sich jeder seiner Eisenbahnen zu bemächtigen, vereitelt.
Es konnte nur die Verstaatlichung der preußischen Bahnen durch deu preußischen
Staat erfolgen. Da sie dem Staate bereits jetzt einen Überschuß von dreißig
Millionen Mark einbringt, so wird die Maßregel wohl nie wieder von einem
Finanzminister bekämpft werden, sondern höchstens noch von den Vertretern der
Privatinteressen prvsperirender Eisenbahnen, oder auch zum Schein von den
Vertretern nicht prvsperirender Eisenbahnen, denen an hohen Verkaufspreisen
gelegen ist.

Wir kommen zur Svzialrcform. Hier hat der Kanzler wiederholt erklärt,
daß er nur die ersten Steine eines Generationen erfordernden Baues legen
könne, und der Kaiser hat in der Botschaft vom 17. November erklärt, daß er
sich zu der Anregung dieser Reformen ohne Rücksicht auf deu unmittelbaren Er¬
folg vor Gott und Menschen verpflichtet halte. Aber auch bei der Legung des
ersten Steines eines so schwierigen Baues hat sich die glückliche Hand des
Kanzlers bewährt. Ob die Versicherung in ihren verschiedenen Zweigen der
richtige Ausgang fiir eine dauernde Verbesserung des Looses der arbeitenden
Klassen werden könne, wurde noch bei dem Antrage, den der Abgeordnete Stumm
über die Bildung von Vereinen nach dem Muster der bergmännischen Knapp¬
schaften im Jahre 1879 gestellt hatte, überwiegend bestritten. Seitdem der
Reichskanzler den Unfallversicherungsentwurf vom Frühjahr 1881 vorgelegt hat,
findet der Gedanke, die Versicherung und sogar den Versicherungszwang als
Ausgangspunkt zur Hilfe für die arbeitenden Klassen zu nehmen, unaufhaltsam
Verbreitung, und die liberale Partei selbst hat, unterstützt von allen ihren Frak¬
tionen, einen Gegenentwurf eingebracht, der dem Bismarckschen Entwürfe den
Versicherungszwang entlehnt, im übrigen freilich die Idee in einer Weife aus-


Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck,

sich aus den Erfolgen der Steuerreform und aus dem Schritt der gesunden
Entwicklung des Volkswohlstandes ergeben. Aber keinen dieser Zwecke könnte
man für immer vernachlässigen, ohne die Nation in ihrer Kraft zurückzubringen
und in ihrem harmonischen Organismus zu stören. Bei dem Kampfe für die
Finanzpolitik ist keine Inkonsequenz, sondern eher eine zu rasche Enthüllung der
Konsequenzen hervorgetreten.

Wir erwähnen kurz die Verstaatlichung der Eisenbahnen. Im Frühjahr
1876 regte Fürst Bismarck den Plan an, zunächst in der Form, daß die preu¬
ßische Regierung durch ein Gesetz ermächtigt werden sollte, über die Abtretung
ihrer Staatsbahnen an das Reich zu verhandeln. Der Gesetzentwurf wurde
angenommen, obwohl Herr Richter ihn mit dem Argument bekämpfte, zur Ver¬
staatlichung der Eisenbahnen müsse man einen Eisenbahn-Bismarck haben. Wirk¬
samer als Richters Widerstand war der des Finanzministers Camphausen, welcher
es nicht einmal zur Ermittelung des Wertes der preußischen Staatsbahncn
kommen ließ. Ostern 1878 war dieser Widerstand mit Camphausens Rücktritt
gebrochen. Aber die Idee des Reichseisenbahngcsetzes war inzwischen durch den
Trieb der Bundesstaaten, sich jeder seiner Eisenbahnen zu bemächtigen, vereitelt.
Es konnte nur die Verstaatlichung der preußischen Bahnen durch deu preußischen
Staat erfolgen. Da sie dem Staate bereits jetzt einen Überschuß von dreißig
Millionen Mark einbringt, so wird die Maßregel wohl nie wieder von einem
Finanzminister bekämpft werden, sondern höchstens noch von den Vertretern der
Privatinteressen prvsperirender Eisenbahnen, oder auch zum Schein von den
Vertretern nicht prvsperirender Eisenbahnen, denen an hohen Verkaufspreisen
gelegen ist.

Wir kommen zur Svzialrcform. Hier hat der Kanzler wiederholt erklärt,
daß er nur die ersten Steine eines Generationen erfordernden Baues legen
könne, und der Kaiser hat in der Botschaft vom 17. November erklärt, daß er
sich zu der Anregung dieser Reformen ohne Rücksicht auf deu unmittelbaren Er¬
folg vor Gott und Menschen verpflichtet halte. Aber auch bei der Legung des
ersten Steines eines so schwierigen Baues hat sich die glückliche Hand des
Kanzlers bewährt. Ob die Versicherung in ihren verschiedenen Zweigen der
richtige Ausgang fiir eine dauernde Verbesserung des Looses der arbeitenden
Klassen werden könne, wurde noch bei dem Antrage, den der Abgeordnete Stumm
über die Bildung von Vereinen nach dem Muster der bergmännischen Knapp¬
schaften im Jahre 1879 gestellt hatte, überwiegend bestritten. Seitdem der
Reichskanzler den Unfallversicherungsentwurf vom Frühjahr 1881 vorgelegt hat,
findet der Gedanke, die Versicherung und sogar den Versicherungszwang als
Ausgangspunkt zur Hilfe für die arbeitenden Klassen zu nehmen, unaufhaltsam
Verbreitung, und die liberale Partei selbst hat, unterstützt von allen ihren Frak¬
tionen, einen Gegenentwurf eingebracht, der dem Bismarckschen Entwürfe den
Versicherungszwang entlehnt, im übrigen freilich die Idee in einer Weife aus-


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[0270] Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck, sich aus den Erfolgen der Steuerreform und aus dem Schritt der gesunden Entwicklung des Volkswohlstandes ergeben. Aber keinen dieser Zwecke könnte man für immer vernachlässigen, ohne die Nation in ihrer Kraft zurückzubringen und in ihrem harmonischen Organismus zu stören. Bei dem Kampfe für die Finanzpolitik ist keine Inkonsequenz, sondern eher eine zu rasche Enthüllung der Konsequenzen hervorgetreten. Wir erwähnen kurz die Verstaatlichung der Eisenbahnen. Im Frühjahr 1876 regte Fürst Bismarck den Plan an, zunächst in der Form, daß die preu¬ ßische Regierung durch ein Gesetz ermächtigt werden sollte, über die Abtretung ihrer Staatsbahnen an das Reich zu verhandeln. Der Gesetzentwurf wurde angenommen, obwohl Herr Richter ihn mit dem Argument bekämpfte, zur Ver¬ staatlichung der Eisenbahnen müsse man einen Eisenbahn-Bismarck haben. Wirk¬ samer als Richters Widerstand war der des Finanzministers Camphausen, welcher es nicht einmal zur Ermittelung des Wertes der preußischen Staatsbahncn kommen ließ. Ostern 1878 war dieser Widerstand mit Camphausens Rücktritt gebrochen. Aber die Idee des Reichseisenbahngcsetzes war inzwischen durch den Trieb der Bundesstaaten, sich jeder seiner Eisenbahnen zu bemächtigen, vereitelt. Es konnte nur die Verstaatlichung der preußischen Bahnen durch deu preußischen Staat erfolgen. Da sie dem Staate bereits jetzt einen Überschuß von dreißig Millionen Mark einbringt, so wird die Maßregel wohl nie wieder von einem Finanzminister bekämpft werden, sondern höchstens noch von den Vertretern der Privatinteressen prvsperirender Eisenbahnen, oder auch zum Schein von den Vertretern nicht prvsperirender Eisenbahnen, denen an hohen Verkaufspreisen gelegen ist. Wir kommen zur Svzialrcform. Hier hat der Kanzler wiederholt erklärt, daß er nur die ersten Steine eines Generationen erfordernden Baues legen könne, und der Kaiser hat in der Botschaft vom 17. November erklärt, daß er sich zu der Anregung dieser Reformen ohne Rücksicht auf deu unmittelbaren Er¬ folg vor Gott und Menschen verpflichtet halte. Aber auch bei der Legung des ersten Steines eines so schwierigen Baues hat sich die glückliche Hand des Kanzlers bewährt. Ob die Versicherung in ihren verschiedenen Zweigen der richtige Ausgang fiir eine dauernde Verbesserung des Looses der arbeitenden Klassen werden könne, wurde noch bei dem Antrage, den der Abgeordnete Stumm über die Bildung von Vereinen nach dem Muster der bergmännischen Knapp¬ schaften im Jahre 1879 gestellt hatte, überwiegend bestritten. Seitdem der Reichskanzler den Unfallversicherungsentwurf vom Frühjahr 1881 vorgelegt hat, findet der Gedanke, die Versicherung und sogar den Versicherungszwang als Ausgangspunkt zur Hilfe für die arbeitenden Klassen zu nehmen, unaufhaltsam Verbreitung, und die liberale Partei selbst hat, unterstützt von allen ihren Frak¬ tionen, einen Gegenentwurf eingebracht, der dem Bismarckschen Entwürfe den Versicherungszwang entlehnt, im übrigen freilich die Idee in einer Weife aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/270>, abgerufen am 29.06.2024.