Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Sie Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.

begangen worden. Es waren leider die Jahre, wo die Sorgen der auswärtigen
Politik den Kanzler gebieterischer als in irgend einer andern Zeit in Anspruch
nahmen. Aber hätte er sich auch der Finanzpolitik widmen können, so hätte er
das richtige nur in hartem Kampfe mit den Ministern Camphausen, Delbrück und
dein liberalen Parlamentarismus durchsetzen können. Dem Kanzler lag in
jenen Jahren alles an der Bewahrung des patriotischen Aufschwunges und der
innern Eintracht. Davon gab er den stärksten Beweis bei dem Militärgesetz
von 1874, wo er den auf jährliche Bewilligung der Anshebungsziffer dringenden
Reichstag hätte auflösen und bei der damaligen unzweideutigen Volksstimmung
ein anderes Parlament hätte erhalten können. Vom Krankenlager ans ver¬
mittelte damals der Kanzler und bewirkte das erste Septennat, ein Opfer, das
ihm der Liberalismus schlecht gelohnt hat. Denn als der Kanzler im Herbst
des folgenden Jahres wiederum die Begründung einer Reichssteuerverfassung,
anstatt der in jeder Hinsicht nachteiligen Matrikularbeitrcige, anregte, wurde
die bloße Ankündigung dieses Gedankens als Konfliktsdrohung behandelt, so daß
der Kanzler bei seinem ersten Erscheinen vor dein damaligen Reichstage ver¬
sichern mußte, die Abgeordneten konnten die Stcucrvorschläge in völlig kvnflikt-
freier Situation nach ihrem pflichttreuen Ermessen behandeln. Das thaten die
Herren, indem sie alles ablehnten. Unter Herrn Richters Führung wurde das
bereits vorhandene Defizit durch Aufzehrung eines Bestandes nach dem andern
verdeckt, bis man eben keinen Bestand mehr hatte. Im Jahre 1879 konnte man
sich endlich der Notwendigkeit, selbständige Reichscinnahmen durch Finanzzölle
zu schaffen, nicht mehr entziehen; das heißt, was alle andern nicht konnten,
konnte der Fortschritt, aber er war in der Minorität. Indes was der Reichs¬
tag 1879 bewilligt hatte, war nur der Anfang zu eiuer Steuerverfassung, wie
sie das Reich bedarf. So hat der Kampf um dieses Fundament, ohne welches
der neue Reichsbau zusammenbrechen muß wie einst der Ban des alten Reiches,
seinen Fortgang nehmen müssen. Theoretisch ist der Kanzler nnter unsäglicher
Mühe ein gutes Stück weiter gekommen. Niemand wagt mehr, ernstlich einer
Erhöhung der direkten Steuern das Wort zu reden, während vor zehn Jahren
noch das Projekt einer direkten Reichsciukommensteuer erörtert und Propaganda
für dasselbe auf Wandervcrsammlungen gemacht wurde. Man begnügt sich jetzt,
das weitere Bedürfnis zu leugnen. Als ob der deutsche Staat und die deutsche
Gesellschaft für ihre Lebensentwicklung nicht eine Reihe von unerläßlichen Auf¬
gaben vor sich sähen, welche große Geldmittel erfordern! Wenn nun der öffent¬
lichen Meinung von diesen Aufgaben bald die eine, bald die andre zum Bewußt¬
sein gebracht wird, bald die Entlastung der Gemeinden, bald die Sorge für
die notleidenden Klassen, bald die Erhöhung des Gehaltes der Staatsbeamten
^ und man könnte noch eine ganze Reihe ebenso unumgänglicher Aufgaben
aufzählen --, so soll auch dies zu einem Wechsel der Pläne gestempelt werden.
Diese Zwecke erfordern sämmtlich Befriedigung. In welcher Folge, das muß


Sie Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.

begangen worden. Es waren leider die Jahre, wo die Sorgen der auswärtigen
Politik den Kanzler gebieterischer als in irgend einer andern Zeit in Anspruch
nahmen. Aber hätte er sich auch der Finanzpolitik widmen können, so hätte er
das richtige nur in hartem Kampfe mit den Ministern Camphausen, Delbrück und
dein liberalen Parlamentarismus durchsetzen können. Dem Kanzler lag in
jenen Jahren alles an der Bewahrung des patriotischen Aufschwunges und der
innern Eintracht. Davon gab er den stärksten Beweis bei dem Militärgesetz
von 1874, wo er den auf jährliche Bewilligung der Anshebungsziffer dringenden
Reichstag hätte auflösen und bei der damaligen unzweideutigen Volksstimmung
ein anderes Parlament hätte erhalten können. Vom Krankenlager ans ver¬
mittelte damals der Kanzler und bewirkte das erste Septennat, ein Opfer, das
ihm der Liberalismus schlecht gelohnt hat. Denn als der Kanzler im Herbst
des folgenden Jahres wiederum die Begründung einer Reichssteuerverfassung,
anstatt der in jeder Hinsicht nachteiligen Matrikularbeitrcige, anregte, wurde
die bloße Ankündigung dieses Gedankens als Konfliktsdrohung behandelt, so daß
der Kanzler bei seinem ersten Erscheinen vor dein damaligen Reichstage ver¬
sichern mußte, die Abgeordneten konnten die Stcucrvorschläge in völlig kvnflikt-
freier Situation nach ihrem pflichttreuen Ermessen behandeln. Das thaten die
Herren, indem sie alles ablehnten. Unter Herrn Richters Führung wurde das
bereits vorhandene Defizit durch Aufzehrung eines Bestandes nach dem andern
verdeckt, bis man eben keinen Bestand mehr hatte. Im Jahre 1879 konnte man
sich endlich der Notwendigkeit, selbständige Reichscinnahmen durch Finanzzölle
zu schaffen, nicht mehr entziehen; das heißt, was alle andern nicht konnten,
konnte der Fortschritt, aber er war in der Minorität. Indes was der Reichs¬
tag 1879 bewilligt hatte, war nur der Anfang zu eiuer Steuerverfassung, wie
sie das Reich bedarf. So hat der Kampf um dieses Fundament, ohne welches
der neue Reichsbau zusammenbrechen muß wie einst der Ban des alten Reiches,
seinen Fortgang nehmen müssen. Theoretisch ist der Kanzler nnter unsäglicher
Mühe ein gutes Stück weiter gekommen. Niemand wagt mehr, ernstlich einer
Erhöhung der direkten Steuern das Wort zu reden, während vor zehn Jahren
noch das Projekt einer direkten Reichsciukommensteuer erörtert und Propaganda
für dasselbe auf Wandervcrsammlungen gemacht wurde. Man begnügt sich jetzt,
das weitere Bedürfnis zu leugnen. Als ob der deutsche Staat und die deutsche
Gesellschaft für ihre Lebensentwicklung nicht eine Reihe von unerläßlichen Auf¬
gaben vor sich sähen, welche große Geldmittel erfordern! Wenn nun der öffent¬
lichen Meinung von diesen Aufgaben bald die eine, bald die andre zum Bewußt¬
sein gebracht wird, bald die Entlastung der Gemeinden, bald die Sorge für
die notleidenden Klassen, bald die Erhöhung des Gehaltes der Staatsbeamten
^ und man könnte noch eine ganze Reihe ebenso unumgänglicher Aufgaben
aufzählen —, so soll auch dies zu einem Wechsel der Pläne gestempelt werden.
Diese Zwecke erfordern sämmtlich Befriedigung. In welcher Folge, das muß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0269" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86390"/>
          <fw type="header" place="top"> Sie Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1114" prev="#ID_1113" next="#ID_1115"> begangen worden. Es waren leider die Jahre, wo die Sorgen der auswärtigen<lb/>
Politik den Kanzler gebieterischer als in irgend einer andern Zeit in Anspruch<lb/>
nahmen. Aber hätte er sich auch der Finanzpolitik widmen können, so hätte er<lb/>
das richtige nur in hartem Kampfe mit den Ministern Camphausen, Delbrück und<lb/>
dein liberalen Parlamentarismus durchsetzen können. Dem Kanzler lag in<lb/>
jenen Jahren alles an der Bewahrung des patriotischen Aufschwunges und der<lb/>
innern Eintracht. Davon gab er den stärksten Beweis bei dem Militärgesetz<lb/>
von 1874, wo er den auf jährliche Bewilligung der Anshebungsziffer dringenden<lb/>
Reichstag hätte auflösen und bei der damaligen unzweideutigen Volksstimmung<lb/>
ein anderes Parlament hätte erhalten können. Vom Krankenlager ans ver¬<lb/>
mittelte damals der Kanzler und bewirkte das erste Septennat, ein Opfer, das<lb/>
ihm der Liberalismus schlecht gelohnt hat. Denn als der Kanzler im Herbst<lb/>
des folgenden Jahres wiederum die Begründung einer Reichssteuerverfassung,<lb/>
anstatt der in jeder Hinsicht nachteiligen Matrikularbeitrcige, anregte, wurde<lb/>
die bloße Ankündigung dieses Gedankens als Konfliktsdrohung behandelt, so daß<lb/>
der Kanzler bei seinem ersten Erscheinen vor dein damaligen Reichstage ver¬<lb/>
sichern mußte, die Abgeordneten konnten die Stcucrvorschläge in völlig kvnflikt-<lb/>
freier Situation nach ihrem pflichttreuen Ermessen behandeln. Das thaten die<lb/>
Herren, indem sie alles ablehnten. Unter Herrn Richters Führung wurde das<lb/>
bereits vorhandene Defizit durch Aufzehrung eines Bestandes nach dem andern<lb/>
verdeckt, bis man eben keinen Bestand mehr hatte. Im Jahre 1879 konnte man<lb/>
sich endlich der Notwendigkeit, selbständige Reichscinnahmen durch Finanzzölle<lb/>
zu schaffen, nicht mehr entziehen; das heißt, was alle andern nicht konnten,<lb/>
konnte der Fortschritt, aber er war in der Minorität. Indes was der Reichs¬<lb/>
tag 1879 bewilligt hatte, war nur der Anfang zu eiuer Steuerverfassung, wie<lb/>
sie das Reich bedarf. So hat der Kampf um dieses Fundament, ohne welches<lb/>
der neue Reichsbau zusammenbrechen muß wie einst der Ban des alten Reiches,<lb/>
seinen Fortgang nehmen müssen. Theoretisch ist der Kanzler nnter unsäglicher<lb/>
Mühe ein gutes Stück weiter gekommen. Niemand wagt mehr, ernstlich einer<lb/>
Erhöhung der direkten Steuern das Wort zu reden, während vor zehn Jahren<lb/>
noch das Projekt einer direkten Reichsciukommensteuer erörtert und Propaganda<lb/>
für dasselbe auf Wandervcrsammlungen gemacht wurde. Man begnügt sich jetzt,<lb/>
das weitere Bedürfnis zu leugnen. Als ob der deutsche Staat und die deutsche<lb/>
Gesellschaft für ihre Lebensentwicklung nicht eine Reihe von unerläßlichen Auf¬<lb/>
gaben vor sich sähen, welche große Geldmittel erfordern! Wenn nun der öffent¬<lb/>
lichen Meinung von diesen Aufgaben bald die eine, bald die andre zum Bewußt¬<lb/>
sein gebracht wird, bald die Entlastung der Gemeinden, bald die Sorge für<lb/>
die notleidenden Klassen, bald die Erhöhung des Gehaltes der Staatsbeamten<lb/>
^ und man könnte noch eine ganze Reihe ebenso unumgänglicher Aufgaben<lb/>
aufzählen &#x2014;, so soll auch dies zu einem Wechsel der Pläne gestempelt werden.<lb/>
Diese Zwecke erfordern sämmtlich Befriedigung.  In welcher Folge, das muß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0269] Sie Inkonsequenz des Fürsten Bismarck. begangen worden. Es waren leider die Jahre, wo die Sorgen der auswärtigen Politik den Kanzler gebieterischer als in irgend einer andern Zeit in Anspruch nahmen. Aber hätte er sich auch der Finanzpolitik widmen können, so hätte er das richtige nur in hartem Kampfe mit den Ministern Camphausen, Delbrück und dein liberalen Parlamentarismus durchsetzen können. Dem Kanzler lag in jenen Jahren alles an der Bewahrung des patriotischen Aufschwunges und der innern Eintracht. Davon gab er den stärksten Beweis bei dem Militärgesetz von 1874, wo er den auf jährliche Bewilligung der Anshebungsziffer dringenden Reichstag hätte auflösen und bei der damaligen unzweideutigen Volksstimmung ein anderes Parlament hätte erhalten können. Vom Krankenlager ans ver¬ mittelte damals der Kanzler und bewirkte das erste Septennat, ein Opfer, das ihm der Liberalismus schlecht gelohnt hat. Denn als der Kanzler im Herbst des folgenden Jahres wiederum die Begründung einer Reichssteuerverfassung, anstatt der in jeder Hinsicht nachteiligen Matrikularbeitrcige, anregte, wurde die bloße Ankündigung dieses Gedankens als Konfliktsdrohung behandelt, so daß der Kanzler bei seinem ersten Erscheinen vor dein damaligen Reichstage ver¬ sichern mußte, die Abgeordneten konnten die Stcucrvorschläge in völlig kvnflikt- freier Situation nach ihrem pflichttreuen Ermessen behandeln. Das thaten die Herren, indem sie alles ablehnten. Unter Herrn Richters Führung wurde das bereits vorhandene Defizit durch Aufzehrung eines Bestandes nach dem andern verdeckt, bis man eben keinen Bestand mehr hatte. Im Jahre 1879 konnte man sich endlich der Notwendigkeit, selbständige Reichscinnahmen durch Finanzzölle zu schaffen, nicht mehr entziehen; das heißt, was alle andern nicht konnten, konnte der Fortschritt, aber er war in der Minorität. Indes was der Reichs¬ tag 1879 bewilligt hatte, war nur der Anfang zu eiuer Steuerverfassung, wie sie das Reich bedarf. So hat der Kampf um dieses Fundament, ohne welches der neue Reichsbau zusammenbrechen muß wie einst der Ban des alten Reiches, seinen Fortgang nehmen müssen. Theoretisch ist der Kanzler nnter unsäglicher Mühe ein gutes Stück weiter gekommen. Niemand wagt mehr, ernstlich einer Erhöhung der direkten Steuern das Wort zu reden, während vor zehn Jahren noch das Projekt einer direkten Reichsciukommensteuer erörtert und Propaganda für dasselbe auf Wandervcrsammlungen gemacht wurde. Man begnügt sich jetzt, das weitere Bedürfnis zu leugnen. Als ob der deutsche Staat und die deutsche Gesellschaft für ihre Lebensentwicklung nicht eine Reihe von unerläßlichen Auf¬ gaben vor sich sähen, welche große Geldmittel erfordern! Wenn nun der öffent¬ lichen Meinung von diesen Aufgaben bald die eine, bald die andre zum Bewußt¬ sein gebracht wird, bald die Entlastung der Gemeinden, bald die Sorge für die notleidenden Klassen, bald die Erhöhung des Gehaltes der Staatsbeamten ^ und man könnte noch eine ganze Reihe ebenso unumgänglicher Aufgaben aufzählen —, so soll auch dies zu einem Wechsel der Pläne gestempelt werden. Diese Zwecke erfordern sämmtlich Befriedigung. In welcher Folge, das muß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/269
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/269>, abgerufen am 29.06.2024.