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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.

führt, wodurch sie unbrauchbar wird. Aber einen großen Triumph glauben die
Liberalen über den Kanzler gefeiert zu haben, als er mit seiner gewöhnlichen
Offenheit erklärte, daß er von dem Gedanken einer Centralversicherungsanstalt
ablasse. Als ob er damit seinen Grundgedanken aufgegeben hätte, als ob die
einheitliche Versicherungsanstalt nicht wieder erschiene in der unentbehrlichen
Kontrolle über die zu bildenden Zwangsgenvssenschaften oder Versichernngs-
korpvrationen.

Es sei der Widerlegung genng, aber die Frage sei erlaubt: Wie verhält
es sich mit der Konsequenz der Ankläger, die so viel von der Inkonsequenz des
Fürsten Bismarck wissen?

Alles für das Reich! rufen die Liberalen. Aber keinen Pfennig dauernder
Einnahme über das Existenzminimum hinaus, damit das Reich alljährlich dem
Schwanken mißwollender oder kurzsichtiger Majoritäten preisgegeben sei. Der
Schutzzoll ist ein Unheil! rufen die Liberalen. Aber sie erklären, vorläufig sei
die Zollreform nicht zu bekämpfen; die Nationalliberalen erklären ihre Beibe¬
haltung sogar für eine offene Frage. Jedes Entgegenkommen gegen Rom ist
ein Gang nach Canossa! rufen die Liberalen. Aber sie erklären die Mnigesetz-
gebung für revisionsbedürftig, welche die Regierung behalten will, sie stimmen
zum größten Teil mit Windthorst für die Aufhebung des Gesetzes gegen die
widerrechtliche Anmaßung kirchlicher Ämter. Die Eisenbahnverstnatlichung giebt
dem Staate viel zu große Macht! rufen die Liberalen. Aber sie gestehen, daß
die Konsolidation der Eisenbahnen unaufhaltsam und in jeder andern Hand
schädlicher sei als in der des Staats. Der ernste Versuch, die arbeitenden
Klassen wenigstens in der Sicherheit der Existenz den übrigen Teilen der Ge¬
sellschaft gleichzustellen, ist ein gigantischer, ausschweifender Gedanke! rufen die
Liberalen. Aber bevor die Hand an dieses Werk gelegt war, mahnten sie jeden
Tag an das bei dem Sozialistengesetze von 1878 gegebene Versprechen, aus
positive Heilung der Schäden Bedacht zu nehmen, und der Fortschritt höhnte,
daß dieses Versprechen für immer ein leeres bleiben werde.

Dem geschlagenen Konsul votirte nach der Schlacht bei Carn der römische
Senat den Dank, weil er am Vaterlande nicht verzweifelt habe. Im heutigen
Deutschland sollten alle Männer, die sich ein klares Urteil bewahren,
einem Staatsmanne den Dank Votiren, der, von Erfolg zu Erfolg schrei¬
tend, an einem Vaterlande nicht verzweifelt, das ihm jeden neuen Schritt mit
Widerstand, Verdächtigung und Schmähung unmöglich zu machen seine ganze
Leidenschaft aufbietet.




Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.

führt, wodurch sie unbrauchbar wird. Aber einen großen Triumph glauben die
Liberalen über den Kanzler gefeiert zu haben, als er mit seiner gewöhnlichen
Offenheit erklärte, daß er von dem Gedanken einer Centralversicherungsanstalt
ablasse. Als ob er damit seinen Grundgedanken aufgegeben hätte, als ob die
einheitliche Versicherungsanstalt nicht wieder erschiene in der unentbehrlichen
Kontrolle über die zu bildenden Zwangsgenvssenschaften oder Versichernngs-
korpvrationen.

Es sei der Widerlegung genng, aber die Frage sei erlaubt: Wie verhält
es sich mit der Konsequenz der Ankläger, die so viel von der Inkonsequenz des
Fürsten Bismarck wissen?

Alles für das Reich! rufen die Liberalen. Aber keinen Pfennig dauernder
Einnahme über das Existenzminimum hinaus, damit das Reich alljährlich dem
Schwanken mißwollender oder kurzsichtiger Majoritäten preisgegeben sei. Der
Schutzzoll ist ein Unheil! rufen die Liberalen. Aber sie erklären, vorläufig sei
die Zollreform nicht zu bekämpfen; die Nationalliberalen erklären ihre Beibe¬
haltung sogar für eine offene Frage. Jedes Entgegenkommen gegen Rom ist
ein Gang nach Canossa! rufen die Liberalen. Aber sie erklären die Mnigesetz-
gebung für revisionsbedürftig, welche die Regierung behalten will, sie stimmen
zum größten Teil mit Windthorst für die Aufhebung des Gesetzes gegen die
widerrechtliche Anmaßung kirchlicher Ämter. Die Eisenbahnverstnatlichung giebt
dem Staate viel zu große Macht! rufen die Liberalen. Aber sie gestehen, daß
die Konsolidation der Eisenbahnen unaufhaltsam und in jeder andern Hand
schädlicher sei als in der des Staats. Der ernste Versuch, die arbeitenden
Klassen wenigstens in der Sicherheit der Existenz den übrigen Teilen der Ge¬
sellschaft gleichzustellen, ist ein gigantischer, ausschweifender Gedanke! rufen die
Liberalen. Aber bevor die Hand an dieses Werk gelegt war, mahnten sie jeden
Tag an das bei dem Sozialistengesetze von 1878 gegebene Versprechen, aus
positive Heilung der Schäden Bedacht zu nehmen, und der Fortschritt höhnte,
daß dieses Versprechen für immer ein leeres bleiben werde.

Dem geschlagenen Konsul votirte nach der Schlacht bei Carn der römische
Senat den Dank, weil er am Vaterlande nicht verzweifelt habe. Im heutigen
Deutschland sollten alle Männer, die sich ein klares Urteil bewahren,
einem Staatsmanne den Dank Votiren, der, von Erfolg zu Erfolg schrei¬
tend, an einem Vaterlande nicht verzweifelt, das ihm jeden neuen Schritt mit
Widerstand, Verdächtigung und Schmähung unmöglich zu machen seine ganze
Leidenschaft aufbietet.




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[0271] Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck. führt, wodurch sie unbrauchbar wird. Aber einen großen Triumph glauben die Liberalen über den Kanzler gefeiert zu haben, als er mit seiner gewöhnlichen Offenheit erklärte, daß er von dem Gedanken einer Centralversicherungsanstalt ablasse. Als ob er damit seinen Grundgedanken aufgegeben hätte, als ob die einheitliche Versicherungsanstalt nicht wieder erschiene in der unentbehrlichen Kontrolle über die zu bildenden Zwangsgenvssenschaften oder Versichernngs- korpvrationen. Es sei der Widerlegung genng, aber die Frage sei erlaubt: Wie verhält es sich mit der Konsequenz der Ankläger, die so viel von der Inkonsequenz des Fürsten Bismarck wissen? Alles für das Reich! rufen die Liberalen. Aber keinen Pfennig dauernder Einnahme über das Existenzminimum hinaus, damit das Reich alljährlich dem Schwanken mißwollender oder kurzsichtiger Majoritäten preisgegeben sei. Der Schutzzoll ist ein Unheil! rufen die Liberalen. Aber sie erklären, vorläufig sei die Zollreform nicht zu bekämpfen; die Nationalliberalen erklären ihre Beibe¬ haltung sogar für eine offene Frage. Jedes Entgegenkommen gegen Rom ist ein Gang nach Canossa! rufen die Liberalen. Aber sie erklären die Mnigesetz- gebung für revisionsbedürftig, welche die Regierung behalten will, sie stimmen zum größten Teil mit Windthorst für die Aufhebung des Gesetzes gegen die widerrechtliche Anmaßung kirchlicher Ämter. Die Eisenbahnverstnatlichung giebt dem Staate viel zu große Macht! rufen die Liberalen. Aber sie gestehen, daß die Konsolidation der Eisenbahnen unaufhaltsam und in jeder andern Hand schädlicher sei als in der des Staats. Der ernste Versuch, die arbeitenden Klassen wenigstens in der Sicherheit der Existenz den übrigen Teilen der Ge¬ sellschaft gleichzustellen, ist ein gigantischer, ausschweifender Gedanke! rufen die Liberalen. Aber bevor die Hand an dieses Werk gelegt war, mahnten sie jeden Tag an das bei dem Sozialistengesetze von 1878 gegebene Versprechen, aus positive Heilung der Schäden Bedacht zu nehmen, und der Fortschritt höhnte, daß dieses Versprechen für immer ein leeres bleiben werde. Dem geschlagenen Konsul votirte nach der Schlacht bei Carn der römische Senat den Dank, weil er am Vaterlande nicht verzweifelt habe. Im heutigen Deutschland sollten alle Männer, die sich ein klares Urteil bewahren, einem Staatsmanne den Dank Votiren, der, von Erfolg zu Erfolg schrei¬ tend, an einem Vaterlande nicht verzweifelt, das ihm jeden neuen Schritt mit Widerstand, Verdächtigung und Schmähung unmöglich zu machen seine ganze Leidenschaft aufbietet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/271>, abgerufen am 29.06.2024.