Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.

des römischen Klerus sich mit den auf Wiederauflösung der Reichsschöpfuug ge¬
richteten politischen Bestrebungen verband. Der Wege, die reichsfeindliche Stellung
des römischen Klerus zu ändern, lagen von Anfang mehrere offen. Der Minister
Falk machte zum Mittelpunkte der von ihm entworfenen Gesetze den wahlberechtigten
Gedanken, die Entfremdung des römischen Klerus von der nationalen Geistes¬
bildung zu beseitigen. Der Minister konnte nicht wissen, daß Rom und sein
Klerus lieber die Seelsorge im katholischen Deutschland veröden lassen als jene
Forderung erfüllen würden. Darin, daß ersteres geschah, besteht der Kultur¬
kampf, in dem passiven Widerstände der katholischen Geistlichkeit gegen die An¬
forderung der Maigesetze. Daß man, auf der Falkschen Gesetzgebung beharrend,
Rom früher oder später hätte können zum Nachgeben bewegen, braucht nicht
bezweifelt zu werden. Aber der Staatsmann, der auf diesem Wege zum Ziele
gelangen wollte, hätte eine einmütigere Unterstützung behalten, namentlich eine
rüstigere Gestalt der evangelischen Kirche zur Seite haben müssen, als Fürst
Bismarck beides fand. Wir stoßen hier auf ein Kapitel, dessen Ausführung
besser der Zukunft überlassen bleibt. Aber der Gedanke drängte sich auf, ob es
nicht richtig sei, nach des Kanzlers Wort denselben Faden, aber von einer andern
Nummer, weiter zu spinnen; ob man den weit aussehenden Gedanken, die Feind¬
schaft des Klerus durch Veränderung der Erziehung abzustellen, nicht vertauschen
solle mit dem Gedanken, die politische Neutralität des Klerus, bei staatlicher
Nachgiebigkeit in Wiederherstellung der Seelsorge, dnrch den Papst herbeizu¬
führen, ohne sich der Mittel zu berauben, den alten Weg zu betreten, wenn der
neue sich als Irrweg erweisen würde. Inkonsequenz ist nicht zu finden, wenn
die Wege vervielfältigt werden, wo das Ziel die Hauptsache ist.

Zu deu elementaren Lebensbedingungen jedes Staates gehört eine Steuer-
Verfassung, deren Erträge wachsen mit den steigenden Staatsbedürfnissen, welche
in der Regel dem Wachstum der Gesellschaft selbst parallel laufen müssen. Auch
darf die naturgemäße Zunahme des Steuerertrags nicht gehemmt werden durch
eine in der Anlage verfehlte Erhebungsform. Fürst Bismarck erkannte diese
Lebensbedingungen des Reiches bereits, als er nur erst die Grundlage" des letztern
durch den Norddeutschen Bund und durch das Zollparlament gelegt hatte. Schon
im Jahre 1869 forderte er indirekte Buudessteueru, und auf seinen Betrieb legte
der preußische Finanzminister v. d. Heydt eine Anzahl Steuerentwürfe in diesem
Sinne vor. Sie wurden mit einer Fülle von Hohn und Superklugheit zurück¬
gewiesen. Es war das erste unvorsichtige Rütteln der Liberalen an dem auf
Grund der Erfolge von 1866 und auf dem Boden der nationalen Idee mit
dem Kanzler geschlossenen Bunde, v. d. Heydt trat zurück, ihm folgte Camp¬
hausen, der sich zunächst dnrch Aufhebung des Tilgungsverfahrens der Staats¬
anleihen zu helfen wußte. Dann kam der französische Krieg mit der Frucht der
Milliarden. Wenn der deutschen Finanzpolitik Versäumnisse und Fehler vor¬
geworfen werden können, so find dieselben bei der Verwendung der Milliarden


Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.

des römischen Klerus sich mit den auf Wiederauflösung der Reichsschöpfuug ge¬
richteten politischen Bestrebungen verband. Der Wege, die reichsfeindliche Stellung
des römischen Klerus zu ändern, lagen von Anfang mehrere offen. Der Minister
Falk machte zum Mittelpunkte der von ihm entworfenen Gesetze den wahlberechtigten
Gedanken, die Entfremdung des römischen Klerus von der nationalen Geistes¬
bildung zu beseitigen. Der Minister konnte nicht wissen, daß Rom und sein
Klerus lieber die Seelsorge im katholischen Deutschland veröden lassen als jene
Forderung erfüllen würden. Darin, daß ersteres geschah, besteht der Kultur¬
kampf, in dem passiven Widerstände der katholischen Geistlichkeit gegen die An¬
forderung der Maigesetze. Daß man, auf der Falkschen Gesetzgebung beharrend,
Rom früher oder später hätte können zum Nachgeben bewegen, braucht nicht
bezweifelt zu werden. Aber der Staatsmann, der auf diesem Wege zum Ziele
gelangen wollte, hätte eine einmütigere Unterstützung behalten, namentlich eine
rüstigere Gestalt der evangelischen Kirche zur Seite haben müssen, als Fürst
Bismarck beides fand. Wir stoßen hier auf ein Kapitel, dessen Ausführung
besser der Zukunft überlassen bleibt. Aber der Gedanke drängte sich auf, ob es
nicht richtig sei, nach des Kanzlers Wort denselben Faden, aber von einer andern
Nummer, weiter zu spinnen; ob man den weit aussehenden Gedanken, die Feind¬
schaft des Klerus durch Veränderung der Erziehung abzustellen, nicht vertauschen
solle mit dem Gedanken, die politische Neutralität des Klerus, bei staatlicher
Nachgiebigkeit in Wiederherstellung der Seelsorge, dnrch den Papst herbeizu¬
führen, ohne sich der Mittel zu berauben, den alten Weg zu betreten, wenn der
neue sich als Irrweg erweisen würde. Inkonsequenz ist nicht zu finden, wenn
die Wege vervielfältigt werden, wo das Ziel die Hauptsache ist.

Zu deu elementaren Lebensbedingungen jedes Staates gehört eine Steuer-
Verfassung, deren Erträge wachsen mit den steigenden Staatsbedürfnissen, welche
in der Regel dem Wachstum der Gesellschaft selbst parallel laufen müssen. Auch
darf die naturgemäße Zunahme des Steuerertrags nicht gehemmt werden durch
eine in der Anlage verfehlte Erhebungsform. Fürst Bismarck erkannte diese
Lebensbedingungen des Reiches bereits, als er nur erst die Grundlage» des letztern
durch den Norddeutschen Bund und durch das Zollparlament gelegt hatte. Schon
im Jahre 1869 forderte er indirekte Buudessteueru, und auf seinen Betrieb legte
der preußische Finanzminister v. d. Heydt eine Anzahl Steuerentwürfe in diesem
Sinne vor. Sie wurden mit einer Fülle von Hohn und Superklugheit zurück¬
gewiesen. Es war das erste unvorsichtige Rütteln der Liberalen an dem auf
Grund der Erfolge von 1866 und auf dem Boden der nationalen Idee mit
dem Kanzler geschlossenen Bunde, v. d. Heydt trat zurück, ihm folgte Camp¬
hausen, der sich zunächst dnrch Aufhebung des Tilgungsverfahrens der Staats¬
anleihen zu helfen wußte. Dann kam der französische Krieg mit der Frucht der
Milliarden. Wenn der deutschen Finanzpolitik Versäumnisse und Fehler vor¬
geworfen werden können, so find dieselben bei der Verwendung der Milliarden


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0268" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86389"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1112" prev="#ID_1111"> des römischen Klerus sich mit den auf Wiederauflösung der Reichsschöpfuug ge¬<lb/>
richteten politischen Bestrebungen verband. Der Wege, die reichsfeindliche Stellung<lb/>
des römischen Klerus zu ändern, lagen von Anfang mehrere offen. Der Minister<lb/>
Falk machte zum Mittelpunkte der von ihm entworfenen Gesetze den wahlberechtigten<lb/>
Gedanken, die Entfremdung des römischen Klerus von der nationalen Geistes¬<lb/>
bildung zu beseitigen. Der Minister konnte nicht wissen, daß Rom und sein<lb/>
Klerus lieber die Seelsorge im katholischen Deutschland veröden lassen als jene<lb/>
Forderung erfüllen würden. Darin, daß ersteres geschah, besteht der Kultur¬<lb/>
kampf, in dem passiven Widerstände der katholischen Geistlichkeit gegen die An¬<lb/>
forderung der Maigesetze. Daß man, auf der Falkschen Gesetzgebung beharrend,<lb/>
Rom früher oder später hätte können zum Nachgeben bewegen, braucht nicht<lb/>
bezweifelt zu werden. Aber der Staatsmann, der auf diesem Wege zum Ziele<lb/>
gelangen wollte, hätte eine einmütigere Unterstützung behalten, namentlich eine<lb/>
rüstigere Gestalt der evangelischen Kirche zur Seite haben müssen, als Fürst<lb/>
Bismarck beides fand. Wir stoßen hier auf ein Kapitel, dessen Ausführung<lb/>
besser der Zukunft überlassen bleibt. Aber der Gedanke drängte sich auf, ob es<lb/>
nicht richtig sei, nach des Kanzlers Wort denselben Faden, aber von einer andern<lb/>
Nummer, weiter zu spinnen; ob man den weit aussehenden Gedanken, die Feind¬<lb/>
schaft des Klerus durch Veränderung der Erziehung abzustellen, nicht vertauschen<lb/>
solle mit dem Gedanken, die politische Neutralität des Klerus, bei staatlicher<lb/>
Nachgiebigkeit in Wiederherstellung der Seelsorge, dnrch den Papst herbeizu¬<lb/>
führen, ohne sich der Mittel zu berauben, den alten Weg zu betreten, wenn der<lb/>
neue sich als Irrweg erweisen würde. Inkonsequenz ist nicht zu finden, wenn<lb/>
die Wege vervielfältigt werden, wo das Ziel die Hauptsache ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1113" next="#ID_1114"> Zu deu elementaren Lebensbedingungen jedes Staates gehört eine Steuer-<lb/>
Verfassung, deren Erträge wachsen mit den steigenden Staatsbedürfnissen, welche<lb/>
in der Regel dem Wachstum der Gesellschaft selbst parallel laufen müssen. Auch<lb/>
darf die naturgemäße Zunahme des Steuerertrags nicht gehemmt werden durch<lb/>
eine in der Anlage verfehlte Erhebungsform. Fürst Bismarck erkannte diese<lb/>
Lebensbedingungen des Reiches bereits, als er nur erst die Grundlage» des letztern<lb/>
durch den Norddeutschen Bund und durch das Zollparlament gelegt hatte. Schon<lb/>
im Jahre 1869 forderte er indirekte Buudessteueru, und auf seinen Betrieb legte<lb/>
der preußische Finanzminister v. d. Heydt eine Anzahl Steuerentwürfe in diesem<lb/>
Sinne vor. Sie wurden mit einer Fülle von Hohn und Superklugheit zurück¬<lb/>
gewiesen. Es war das erste unvorsichtige Rütteln der Liberalen an dem auf<lb/>
Grund der Erfolge von 1866 und auf dem Boden der nationalen Idee mit<lb/>
dem Kanzler geschlossenen Bunde, v. d. Heydt trat zurück, ihm folgte Camp¬<lb/>
hausen, der sich zunächst dnrch Aufhebung des Tilgungsverfahrens der Staats¬<lb/>
anleihen zu helfen wußte. Dann kam der französische Krieg mit der Frucht der<lb/>
Milliarden. Wenn der deutschen Finanzpolitik Versäumnisse und Fehler vor¬<lb/>
geworfen werden können, so find dieselben bei der Verwendung der Milliarden</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0268] Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck. des römischen Klerus sich mit den auf Wiederauflösung der Reichsschöpfuug ge¬ richteten politischen Bestrebungen verband. Der Wege, die reichsfeindliche Stellung des römischen Klerus zu ändern, lagen von Anfang mehrere offen. Der Minister Falk machte zum Mittelpunkte der von ihm entworfenen Gesetze den wahlberechtigten Gedanken, die Entfremdung des römischen Klerus von der nationalen Geistes¬ bildung zu beseitigen. Der Minister konnte nicht wissen, daß Rom und sein Klerus lieber die Seelsorge im katholischen Deutschland veröden lassen als jene Forderung erfüllen würden. Darin, daß ersteres geschah, besteht der Kultur¬ kampf, in dem passiven Widerstände der katholischen Geistlichkeit gegen die An¬ forderung der Maigesetze. Daß man, auf der Falkschen Gesetzgebung beharrend, Rom früher oder später hätte können zum Nachgeben bewegen, braucht nicht bezweifelt zu werden. Aber der Staatsmann, der auf diesem Wege zum Ziele gelangen wollte, hätte eine einmütigere Unterstützung behalten, namentlich eine rüstigere Gestalt der evangelischen Kirche zur Seite haben müssen, als Fürst Bismarck beides fand. Wir stoßen hier auf ein Kapitel, dessen Ausführung besser der Zukunft überlassen bleibt. Aber der Gedanke drängte sich auf, ob es nicht richtig sei, nach des Kanzlers Wort denselben Faden, aber von einer andern Nummer, weiter zu spinnen; ob man den weit aussehenden Gedanken, die Feind¬ schaft des Klerus durch Veränderung der Erziehung abzustellen, nicht vertauschen solle mit dem Gedanken, die politische Neutralität des Klerus, bei staatlicher Nachgiebigkeit in Wiederherstellung der Seelsorge, dnrch den Papst herbeizu¬ führen, ohne sich der Mittel zu berauben, den alten Weg zu betreten, wenn der neue sich als Irrweg erweisen würde. Inkonsequenz ist nicht zu finden, wenn die Wege vervielfältigt werden, wo das Ziel die Hauptsache ist. Zu deu elementaren Lebensbedingungen jedes Staates gehört eine Steuer- Verfassung, deren Erträge wachsen mit den steigenden Staatsbedürfnissen, welche in der Regel dem Wachstum der Gesellschaft selbst parallel laufen müssen. Auch darf die naturgemäße Zunahme des Steuerertrags nicht gehemmt werden durch eine in der Anlage verfehlte Erhebungsform. Fürst Bismarck erkannte diese Lebensbedingungen des Reiches bereits, als er nur erst die Grundlage» des letztern durch den Norddeutschen Bund und durch das Zollparlament gelegt hatte. Schon im Jahre 1869 forderte er indirekte Buudessteueru, und auf seinen Betrieb legte der preußische Finanzminister v. d. Heydt eine Anzahl Steuerentwürfe in diesem Sinne vor. Sie wurden mit einer Fülle von Hohn und Superklugheit zurück¬ gewiesen. Es war das erste unvorsichtige Rütteln der Liberalen an dem auf Grund der Erfolge von 1866 und auf dem Boden der nationalen Idee mit dem Kanzler geschlossenen Bunde, v. d. Heydt trat zurück, ihm folgte Camp¬ hausen, der sich zunächst dnrch Aufhebung des Tilgungsverfahrens der Staats¬ anleihen zu helfen wußte. Dann kam der französische Krieg mit der Frucht der Milliarden. Wenn der deutschen Finanzpolitik Versäumnisse und Fehler vor¬ geworfen werden können, so find dieselben bei der Verwendung der Milliarden

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/268
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/268>, abgerufen am 29.06.2024.