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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck,

setzten zik vertauschen, der Minister flüchte hinter die Krone. Nachdem dies mi߬
lungen, kehrt man um so eifriger zu einer andern, schon vorher gelegentlich
erhobenen Anklage zurück, zu den gigantischen Plänen des Kanzlers, die alles
verwirren und jede Basis der Möglichkeit verlassen sollen. Die Furcht, die man
so erregen will, bestätigt und bestärkt man durch den Hinweis auf den bestän¬
digen Wechsel, auf die Überstürzung in den Plänen des Kanzlers, von denen
der neueste nie den Vorgänger ausreifen lasse.

Zwei Dinge sind es, welche diesem Vorwurf einen Schein der Wahrheit
leihen, den man zerstreuen muß. Der Aufbau des Reiches und seine Ausstattung
mit Institutionen, welche die gewaltigen Anforderungen der Zukunft tragen
können, ist eine Aufgabe, deren Größe und Vielseitigkeit einen gewöhnlichen Geist
wohl erschrecken kann. Jeder einzelne Teil derselben hat die mannigfaltigsten
Beziehungen zum Ganzen, die man, um die verschiedensten Elemente zu über¬
zeugen und zu gewinnen -- denn die Aufgabe wird nicht von einer absoluti¬
stischen Regierung gelöst --, im Tagesstreit abwechselnd hervorheben muß. Dies
läßt sich fälschlich als ein Wechsel der Grundansicht darstellen, ohne es im min¬
desten zu sein. Allein die Gegner haben hier noch eine wirksamere Waffe als
ihre eignen Fälschungen. Es kann von ihnen die großartige Wahrheitsliebe
des Fürsten ausgebeutet werden, der zwar im diplomatischen Spiel sich nicht
die Kenntnis der geringsten Thatsache entreißen läßt, auf welche kein Gegner
Anspruch hat, der aber in Bezug auf seine Person nicht den kleinsten Flitter
falschen Glanzes duldet. So liebt es der Fürst zu wiederholen, daß er nicht
zu denen gehöre, die nicht nötig haben zu lernen, daß er irren könne und öfters
geirrt habe. Ein solches Bedürfnis, in Bezug auf persönliche Autorität nur
im vollen Lichte der Wahrheit dazustehen, kann verfänglich werden. Wie un¬
recht haben doch diejenigen, welche dem Fürsten nachsagen, er treibe die innere
Politik nach den Regeln des Kriegs! Im Kriege ist es geboten, den Feind über
unsre Stärke und Unfehlbarkeit zu täuschen. Man möchte wünschen, daß der
Fürst diesem Gebote seinen parlamentarischen Feinden gegenüber nachlebte, sogar
um der Wahrheit willen. Keine Wirkungen sind so zähe wie die der Selbst-
Verleumdung. In einem Anfall von solcher Demut vor der Wahrheit hat
Lessing den Deutschen erzählt, er sei kein Dichter, sondern ein mühsamer Ver-
standesklugler, und sie haben es ihm bis heute geglaubt.

Wer den Versuch macht, mit der Unbefangenheit eines künftigen Historikers
die politische Thätigkeit des Fürsten Bismarck zu überblicken, der bewundert die
gegenüber dem Gedränge der zusammengesetztesten Aufgabe stets im Auge be¬
halten": Folgerichtigkeit eines großen Planes ebenso wie die Sicherheit, mit der
die richtigsten Mittel im einzelnen von Anfang an ergriffen worden. Verfolgen
wir dies ein wenig in Bezug auf seine innere Politik.

Die Zollreform von 1879 bietet ein Mittel unerschöpflicher Anklage auf
eine jähe, unvermittelte, oberflächliche oder gar durch Nebenzwecke herbeigeführte


Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck,

setzten zik vertauschen, der Minister flüchte hinter die Krone. Nachdem dies mi߬
lungen, kehrt man um so eifriger zu einer andern, schon vorher gelegentlich
erhobenen Anklage zurück, zu den gigantischen Plänen des Kanzlers, die alles
verwirren und jede Basis der Möglichkeit verlassen sollen. Die Furcht, die man
so erregen will, bestätigt und bestärkt man durch den Hinweis auf den bestän¬
digen Wechsel, auf die Überstürzung in den Plänen des Kanzlers, von denen
der neueste nie den Vorgänger ausreifen lasse.

Zwei Dinge sind es, welche diesem Vorwurf einen Schein der Wahrheit
leihen, den man zerstreuen muß. Der Aufbau des Reiches und seine Ausstattung
mit Institutionen, welche die gewaltigen Anforderungen der Zukunft tragen
können, ist eine Aufgabe, deren Größe und Vielseitigkeit einen gewöhnlichen Geist
wohl erschrecken kann. Jeder einzelne Teil derselben hat die mannigfaltigsten
Beziehungen zum Ganzen, die man, um die verschiedensten Elemente zu über¬
zeugen und zu gewinnen — denn die Aufgabe wird nicht von einer absoluti¬
stischen Regierung gelöst —, im Tagesstreit abwechselnd hervorheben muß. Dies
läßt sich fälschlich als ein Wechsel der Grundansicht darstellen, ohne es im min¬
desten zu sein. Allein die Gegner haben hier noch eine wirksamere Waffe als
ihre eignen Fälschungen. Es kann von ihnen die großartige Wahrheitsliebe
des Fürsten ausgebeutet werden, der zwar im diplomatischen Spiel sich nicht
die Kenntnis der geringsten Thatsache entreißen läßt, auf welche kein Gegner
Anspruch hat, der aber in Bezug auf seine Person nicht den kleinsten Flitter
falschen Glanzes duldet. So liebt es der Fürst zu wiederholen, daß er nicht
zu denen gehöre, die nicht nötig haben zu lernen, daß er irren könne und öfters
geirrt habe. Ein solches Bedürfnis, in Bezug auf persönliche Autorität nur
im vollen Lichte der Wahrheit dazustehen, kann verfänglich werden. Wie un¬
recht haben doch diejenigen, welche dem Fürsten nachsagen, er treibe die innere
Politik nach den Regeln des Kriegs! Im Kriege ist es geboten, den Feind über
unsre Stärke und Unfehlbarkeit zu täuschen. Man möchte wünschen, daß der
Fürst diesem Gebote seinen parlamentarischen Feinden gegenüber nachlebte, sogar
um der Wahrheit willen. Keine Wirkungen sind so zähe wie die der Selbst-
Verleumdung. In einem Anfall von solcher Demut vor der Wahrheit hat
Lessing den Deutschen erzählt, er sei kein Dichter, sondern ein mühsamer Ver-
standesklugler, und sie haben es ihm bis heute geglaubt.

Wer den Versuch macht, mit der Unbefangenheit eines künftigen Historikers
die politische Thätigkeit des Fürsten Bismarck zu überblicken, der bewundert die
gegenüber dem Gedränge der zusammengesetztesten Aufgabe stets im Auge be¬
halten«: Folgerichtigkeit eines großen Planes ebenso wie die Sicherheit, mit der
die richtigsten Mittel im einzelnen von Anfang an ergriffen worden. Verfolgen
wir dies ein wenig in Bezug auf seine innere Politik.

Die Zollreform von 1879 bietet ein Mittel unerschöpflicher Anklage auf
eine jähe, unvermittelte, oberflächliche oder gar durch Nebenzwecke herbeigeführte


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[0266] Die Inkonsequenz des Fürsten Bismarck, setzten zik vertauschen, der Minister flüchte hinter die Krone. Nachdem dies mi߬ lungen, kehrt man um so eifriger zu einer andern, schon vorher gelegentlich erhobenen Anklage zurück, zu den gigantischen Plänen des Kanzlers, die alles verwirren und jede Basis der Möglichkeit verlassen sollen. Die Furcht, die man so erregen will, bestätigt und bestärkt man durch den Hinweis auf den bestän¬ digen Wechsel, auf die Überstürzung in den Plänen des Kanzlers, von denen der neueste nie den Vorgänger ausreifen lasse. Zwei Dinge sind es, welche diesem Vorwurf einen Schein der Wahrheit leihen, den man zerstreuen muß. Der Aufbau des Reiches und seine Ausstattung mit Institutionen, welche die gewaltigen Anforderungen der Zukunft tragen können, ist eine Aufgabe, deren Größe und Vielseitigkeit einen gewöhnlichen Geist wohl erschrecken kann. Jeder einzelne Teil derselben hat die mannigfaltigsten Beziehungen zum Ganzen, die man, um die verschiedensten Elemente zu über¬ zeugen und zu gewinnen — denn die Aufgabe wird nicht von einer absoluti¬ stischen Regierung gelöst —, im Tagesstreit abwechselnd hervorheben muß. Dies läßt sich fälschlich als ein Wechsel der Grundansicht darstellen, ohne es im min¬ desten zu sein. Allein die Gegner haben hier noch eine wirksamere Waffe als ihre eignen Fälschungen. Es kann von ihnen die großartige Wahrheitsliebe des Fürsten ausgebeutet werden, der zwar im diplomatischen Spiel sich nicht die Kenntnis der geringsten Thatsache entreißen läßt, auf welche kein Gegner Anspruch hat, der aber in Bezug auf seine Person nicht den kleinsten Flitter falschen Glanzes duldet. So liebt es der Fürst zu wiederholen, daß er nicht zu denen gehöre, die nicht nötig haben zu lernen, daß er irren könne und öfters geirrt habe. Ein solches Bedürfnis, in Bezug auf persönliche Autorität nur im vollen Lichte der Wahrheit dazustehen, kann verfänglich werden. Wie un¬ recht haben doch diejenigen, welche dem Fürsten nachsagen, er treibe die innere Politik nach den Regeln des Kriegs! Im Kriege ist es geboten, den Feind über unsre Stärke und Unfehlbarkeit zu täuschen. Man möchte wünschen, daß der Fürst diesem Gebote seinen parlamentarischen Feinden gegenüber nachlebte, sogar um der Wahrheit willen. Keine Wirkungen sind so zähe wie die der Selbst- Verleumdung. In einem Anfall von solcher Demut vor der Wahrheit hat Lessing den Deutschen erzählt, er sei kein Dichter, sondern ein mühsamer Ver- standesklugler, und sie haben es ihm bis heute geglaubt. Wer den Versuch macht, mit der Unbefangenheit eines künftigen Historikers die politische Thätigkeit des Fürsten Bismarck zu überblicken, der bewundert die gegenüber dem Gedränge der zusammengesetztesten Aufgabe stets im Auge be¬ halten«: Folgerichtigkeit eines großen Planes ebenso wie die Sicherheit, mit der die richtigsten Mittel im einzelnen von Anfang an ergriffen worden. Verfolgen wir dies ein wenig in Bezug auf seine innere Politik. Die Zollreform von 1879 bietet ein Mittel unerschöpflicher Anklage auf eine jähe, unvermittelte, oberflächliche oder gar durch Nebenzwecke herbeigeführte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/266>, abgerufen am 29.06.2024.