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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Inkonsequenz des Fürsten Vismarck.

er Gegensatz, in welchen der Reichskanzler gedrängt worden ist,
nicht zum Liberalismus, sondern zu derjenigen Generation libe¬
raler Parlamentarier, welche bis jetzt allein das Augenmerk der
liberalen Wähler auf sich zu lenken gewußt hat, wird immer
heftiger. Dies zeigt sich auch in dem unruhigen Wechsel der
Waffen, nach denen die Gegner des Fürsten greifen. Das Gespenst einer aus
Absolutismus, Feudalismus und Jesuitismus zusammengesetzten Reaktion hat
man längst ausgemalt, aber es hat kaum einen Tag seine Wirkung gethan.
Dann kam die Diktatur, die Allgewalt des einen Mannes, die Stellung eines
eng-M- äonruL im fränkischen Recht, die Knechtung der Krone durch den Minister¬
absolutismus, und wie die Kunstausdrücke alle lauten. "Wir wollen von den
Hohenzollern regiert sein!" rief Herr Eugen Richter in einer Berliner Wähler¬
versammlung unter ungeheuerm Beifall. Darauf hat der Kaiser in der unver¬
geßlichen Botschaft vom 17. November das ganze Gewicht seiner ehrwürdigen
Persönlichkeit für die Wege der innern Politik, namentlich für die Sozialreform
eingesetzt, und nachher durch den Erlaß vom 4. Januar in seiner schlichten könig¬
lichen Weise die Mähr zerstreut, welche mit erstaunlicher Dreistigkeit der Fort¬
schritt ausgerufen, als trügen die Hohenzollern die Namensherrschaft der ge¬
fangenen Merowinger. Dieses Eintreten des Kaisers für die vom Fortschritt
bekämpften Maßregeln hat den letztern nicht wenig erbittert. Er hatte nach der
Hand des Kaisers in unehrerbietiger Weise gerufen, und nun diese Hand sich
zeigt, klagt er über den Mißbrauch der königlichen Würde, welche in unnah¬
barer Höhe und unerschütterlicher Neutralität verharren müsse. Unglaublich
ungeschickt suchte man die Waffe, die man in der Behauptung gefunden zu haben
glaubte, der Minister dränge den König zurück, schleunigst mit der entgegenge-


Grenzbown I. 1882. 33


Die Inkonsequenz des Fürsten Vismarck.

er Gegensatz, in welchen der Reichskanzler gedrängt worden ist,
nicht zum Liberalismus, sondern zu derjenigen Generation libe¬
raler Parlamentarier, welche bis jetzt allein das Augenmerk der
liberalen Wähler auf sich zu lenken gewußt hat, wird immer
heftiger. Dies zeigt sich auch in dem unruhigen Wechsel der
Waffen, nach denen die Gegner des Fürsten greifen. Das Gespenst einer aus
Absolutismus, Feudalismus und Jesuitismus zusammengesetzten Reaktion hat
man längst ausgemalt, aber es hat kaum einen Tag seine Wirkung gethan.
Dann kam die Diktatur, die Allgewalt des einen Mannes, die Stellung eines
eng-M- äonruL im fränkischen Recht, die Knechtung der Krone durch den Minister¬
absolutismus, und wie die Kunstausdrücke alle lauten. „Wir wollen von den
Hohenzollern regiert sein!" rief Herr Eugen Richter in einer Berliner Wähler¬
versammlung unter ungeheuerm Beifall. Darauf hat der Kaiser in der unver¬
geßlichen Botschaft vom 17. November das ganze Gewicht seiner ehrwürdigen
Persönlichkeit für die Wege der innern Politik, namentlich für die Sozialreform
eingesetzt, und nachher durch den Erlaß vom 4. Januar in seiner schlichten könig¬
lichen Weise die Mähr zerstreut, welche mit erstaunlicher Dreistigkeit der Fort¬
schritt ausgerufen, als trügen die Hohenzollern die Namensherrschaft der ge¬
fangenen Merowinger. Dieses Eintreten des Kaisers für die vom Fortschritt
bekämpften Maßregeln hat den letztern nicht wenig erbittert. Er hatte nach der
Hand des Kaisers in unehrerbietiger Weise gerufen, und nun diese Hand sich
zeigt, klagt er über den Mißbrauch der königlichen Würde, welche in unnah¬
barer Höhe und unerschütterlicher Neutralität verharren müsse. Unglaublich
ungeschickt suchte man die Waffe, die man in der Behauptung gefunden zu haben
glaubte, der Minister dränge den König zurück, schleunigst mit der entgegenge-


Grenzbown I. 1882. 33
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[0265] [Abbildung] Die Inkonsequenz des Fürsten Vismarck. er Gegensatz, in welchen der Reichskanzler gedrängt worden ist, nicht zum Liberalismus, sondern zu derjenigen Generation libe¬ raler Parlamentarier, welche bis jetzt allein das Augenmerk der liberalen Wähler auf sich zu lenken gewußt hat, wird immer heftiger. Dies zeigt sich auch in dem unruhigen Wechsel der Waffen, nach denen die Gegner des Fürsten greifen. Das Gespenst einer aus Absolutismus, Feudalismus und Jesuitismus zusammengesetzten Reaktion hat man längst ausgemalt, aber es hat kaum einen Tag seine Wirkung gethan. Dann kam die Diktatur, die Allgewalt des einen Mannes, die Stellung eines eng-M- äonruL im fränkischen Recht, die Knechtung der Krone durch den Minister¬ absolutismus, und wie die Kunstausdrücke alle lauten. „Wir wollen von den Hohenzollern regiert sein!" rief Herr Eugen Richter in einer Berliner Wähler¬ versammlung unter ungeheuerm Beifall. Darauf hat der Kaiser in der unver¬ geßlichen Botschaft vom 17. November das ganze Gewicht seiner ehrwürdigen Persönlichkeit für die Wege der innern Politik, namentlich für die Sozialreform eingesetzt, und nachher durch den Erlaß vom 4. Januar in seiner schlichten könig¬ lichen Weise die Mähr zerstreut, welche mit erstaunlicher Dreistigkeit der Fort¬ schritt ausgerufen, als trügen die Hohenzollern die Namensherrschaft der ge¬ fangenen Merowinger. Dieses Eintreten des Kaisers für die vom Fortschritt bekämpften Maßregeln hat den letztern nicht wenig erbittert. Er hatte nach der Hand des Kaisers in unehrerbietiger Weise gerufen, und nun diese Hand sich zeigt, klagt er über den Mißbrauch der königlichen Würde, welche in unnah¬ barer Höhe und unerschütterlicher Neutralität verharren müsse. Unglaublich ungeschickt suchte man die Waffe, die man in der Behauptung gefunden zu haben glaubte, der Minister dränge den König zurück, schleunigst mit der entgegenge- Grenzbown I. 1882. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/265>, abgerufen am 29.06.2024.