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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

beim sitzen, bis die Schatten der Bäume sich ins Unendliche verlängerten und
blauer Duft die Höhen umhüllte.

Ephraim war ein unerschöpflicher Redner, Scherze und launige Bemerkungen
sprudelten von seinen Lippen, und er beherrschte völlig die Unterhaltung. Sie sahen
ihn alle verwundert an und begriffen nicht, woher der blasse, hölzerne Mensch
plötzlich soviel Feuer und Geist habe. Er selbst war erstaunt über den Reichtum
an lustigen Geschichten und witzigen Einfällen, die in seinem Innern verborgen
gelegen hatten und nun hervorquollen wie das Wasser aus dem Felsen, den
Mosis Stab öffnete. Er schüttete ein wahres Feuerwerk über die Familien
Schaible und Gmelin auf, sodaß sie verdutzt und belustigt nur noch Ange und
Ohr waren. Flörchcns Augen verließen ihn keine Sekunde, das sah er. Sie
war ganz verloren für die Welt und wurde in ein träumerisches Behagen ge¬
wiegt, indem sie seiner Stimme lauschte. Das fühlte er. Aber es begann nun
zu dunkeln, und Vater Schaible räusperte sich bedenklich. Nun ist es wohl Zeit,
sagte er bedächtig und stopfte sich eine frische Pfeife für den Weg nach Hause.

Es ward aufgebrochen. Vater Schaible ging voran, dann kamen Tante
Lotte und Mutter Schaible, dahinter die Jünglinge, jeder mit einem Mädchen
am Arm. Mit prächtigen Stimmen sangen sie Volkslieder. Ephraim war der
letzte und führte Flörchen. Es war ein glückseliges Wandeln. Dunkler und
dunkler ward es im Walde, und ein weicher Wind wehte durch die Zweige.
Am fernen Horizonte leuchteten die Blitze, und ein langsam verhallender Donner
rollte durch den Himmel. Sie schloß sich eng und enger an ihn an, und ihr
Haar streifte seine Wange. Er hörte ihren tiefen Athem und fühlte das Schlagen
ihres Herzens und von Zeit zu Zeit ein Zittern, das durch ihre Glieder zog.

Fürchten Sie sich? fragte er.

O nein, entgegnete sie, ich fühle uur die Blitze vorher. Wenn ich mir
das Haar mache, knistert es, und wenn ich mich im Dunkeln kämme, fliegen die
Funken all f.

Ephraim fand sich in Heidelberg angelangt, als er kaum dort oben fort¬
gegangen zu sein glaubte. Er sagte der Familie Gmelin gute Nacht und drückte
der Familie Schaible vor den: alten Hanse herzlich die Hände. Dann ging er
zu Bette und schlief selig bis an den Morgen.

Er erwachte und besann sich, wo er war. Wie schön habe ich geträumt, dachte
er zuerst. Dann fiel ihm ein, er sei in der That auf einer Landpartie gewesen
und habe ein schönes Mädchen geküßt. -- Sie ist wegen Frechheit aus der
Schule geschickt, sagte er laut vor sich hin. Wie sonderbar das klang! Was
für eine Art von Frechheit das wohl gewesen sein mag? fragte er sich. Gewiß
irgend eine harmlose Naivetät, die dem steifleinenen Philister, der sie unterrichtete,
mißfiel, weil-er zu beschränkt war, um das Anmutige, Göttliche einer ganz
wahren, ganz offenen weiblichen Natur zu begreifen. Das ewig Weibliche wird
bon den Menschen nicht begriffen, wie überhaupt das an sich Schöne dem Menschen


Bakchen und Thyrsosträger.

beim sitzen, bis die Schatten der Bäume sich ins Unendliche verlängerten und
blauer Duft die Höhen umhüllte.

Ephraim war ein unerschöpflicher Redner, Scherze und launige Bemerkungen
sprudelten von seinen Lippen, und er beherrschte völlig die Unterhaltung. Sie sahen
ihn alle verwundert an und begriffen nicht, woher der blasse, hölzerne Mensch
plötzlich soviel Feuer und Geist habe. Er selbst war erstaunt über den Reichtum
an lustigen Geschichten und witzigen Einfällen, die in seinem Innern verborgen
gelegen hatten und nun hervorquollen wie das Wasser aus dem Felsen, den
Mosis Stab öffnete. Er schüttete ein wahres Feuerwerk über die Familien
Schaible und Gmelin auf, sodaß sie verdutzt und belustigt nur noch Ange und
Ohr waren. Flörchcns Augen verließen ihn keine Sekunde, das sah er. Sie
war ganz verloren für die Welt und wurde in ein träumerisches Behagen ge¬
wiegt, indem sie seiner Stimme lauschte. Das fühlte er. Aber es begann nun
zu dunkeln, und Vater Schaible räusperte sich bedenklich. Nun ist es wohl Zeit,
sagte er bedächtig und stopfte sich eine frische Pfeife für den Weg nach Hause.

Es ward aufgebrochen. Vater Schaible ging voran, dann kamen Tante
Lotte und Mutter Schaible, dahinter die Jünglinge, jeder mit einem Mädchen
am Arm. Mit prächtigen Stimmen sangen sie Volkslieder. Ephraim war der
letzte und führte Flörchen. Es war ein glückseliges Wandeln. Dunkler und
dunkler ward es im Walde, und ein weicher Wind wehte durch die Zweige.
Am fernen Horizonte leuchteten die Blitze, und ein langsam verhallender Donner
rollte durch den Himmel. Sie schloß sich eng und enger an ihn an, und ihr
Haar streifte seine Wange. Er hörte ihren tiefen Athem und fühlte das Schlagen
ihres Herzens und von Zeit zu Zeit ein Zittern, das durch ihre Glieder zog.

Fürchten Sie sich? fragte er.

O nein, entgegnete sie, ich fühle uur die Blitze vorher. Wenn ich mir
das Haar mache, knistert es, und wenn ich mich im Dunkeln kämme, fliegen die
Funken all f.

Ephraim fand sich in Heidelberg angelangt, als er kaum dort oben fort¬
gegangen zu sein glaubte. Er sagte der Familie Gmelin gute Nacht und drückte
der Familie Schaible vor den: alten Hanse herzlich die Hände. Dann ging er
zu Bette und schlief selig bis an den Morgen.

Er erwachte und besann sich, wo er war. Wie schön habe ich geträumt, dachte
er zuerst. Dann fiel ihm ein, er sei in der That auf einer Landpartie gewesen
und habe ein schönes Mädchen geküßt. — Sie ist wegen Frechheit aus der
Schule geschickt, sagte er laut vor sich hin. Wie sonderbar das klang! Was
für eine Art von Frechheit das wohl gewesen sein mag? fragte er sich. Gewiß
irgend eine harmlose Naivetät, die dem steifleinenen Philister, der sie unterrichtete,
mißfiel, weil-er zu beschränkt war, um das Anmutige, Göttliche einer ganz
wahren, ganz offenen weiblichen Natur zu begreifen. Das ewig Weibliche wird
bon den Menschen nicht begriffen, wie überhaupt das an sich Schöne dem Menschen


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[0261] Bakchen und Thyrsosträger. beim sitzen, bis die Schatten der Bäume sich ins Unendliche verlängerten und blauer Duft die Höhen umhüllte. Ephraim war ein unerschöpflicher Redner, Scherze und launige Bemerkungen sprudelten von seinen Lippen, und er beherrschte völlig die Unterhaltung. Sie sahen ihn alle verwundert an und begriffen nicht, woher der blasse, hölzerne Mensch plötzlich soviel Feuer und Geist habe. Er selbst war erstaunt über den Reichtum an lustigen Geschichten und witzigen Einfällen, die in seinem Innern verborgen gelegen hatten und nun hervorquollen wie das Wasser aus dem Felsen, den Mosis Stab öffnete. Er schüttete ein wahres Feuerwerk über die Familien Schaible und Gmelin auf, sodaß sie verdutzt und belustigt nur noch Ange und Ohr waren. Flörchcns Augen verließen ihn keine Sekunde, das sah er. Sie war ganz verloren für die Welt und wurde in ein träumerisches Behagen ge¬ wiegt, indem sie seiner Stimme lauschte. Das fühlte er. Aber es begann nun zu dunkeln, und Vater Schaible räusperte sich bedenklich. Nun ist es wohl Zeit, sagte er bedächtig und stopfte sich eine frische Pfeife für den Weg nach Hause. Es ward aufgebrochen. Vater Schaible ging voran, dann kamen Tante Lotte und Mutter Schaible, dahinter die Jünglinge, jeder mit einem Mädchen am Arm. Mit prächtigen Stimmen sangen sie Volkslieder. Ephraim war der letzte und führte Flörchen. Es war ein glückseliges Wandeln. Dunkler und dunkler ward es im Walde, und ein weicher Wind wehte durch die Zweige. Am fernen Horizonte leuchteten die Blitze, und ein langsam verhallender Donner rollte durch den Himmel. Sie schloß sich eng und enger an ihn an, und ihr Haar streifte seine Wange. Er hörte ihren tiefen Athem und fühlte das Schlagen ihres Herzens und von Zeit zu Zeit ein Zittern, das durch ihre Glieder zog. Fürchten Sie sich? fragte er. O nein, entgegnete sie, ich fühle uur die Blitze vorher. Wenn ich mir das Haar mache, knistert es, und wenn ich mich im Dunkeln kämme, fliegen die Funken all f. Ephraim fand sich in Heidelberg angelangt, als er kaum dort oben fort¬ gegangen zu sein glaubte. Er sagte der Familie Gmelin gute Nacht und drückte der Familie Schaible vor den: alten Hanse herzlich die Hände. Dann ging er zu Bette und schlief selig bis an den Morgen. Er erwachte und besann sich, wo er war. Wie schön habe ich geträumt, dachte er zuerst. Dann fiel ihm ein, er sei in der That auf einer Landpartie gewesen und habe ein schönes Mädchen geküßt. — Sie ist wegen Frechheit aus der Schule geschickt, sagte er laut vor sich hin. Wie sonderbar das klang! Was für eine Art von Frechheit das wohl gewesen sein mag? fragte er sich. Gewiß irgend eine harmlose Naivetät, die dem steifleinenen Philister, der sie unterrichtete, mißfiel, weil-er zu beschränkt war, um das Anmutige, Göttliche einer ganz wahren, ganz offenen weiblichen Natur zu begreifen. Das ewig Weibliche wird bon den Menschen nicht begriffen, wie überhaupt das an sich Schöne dem Menschen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/261>, abgerufen am 29.06.2024.