Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Bakche" und Thyrsosträger.

zu hoch ist. Er durchlebte in der Erinnerung noch einmal den vergangenen Tag,
durchschritt Berg und Thal in Gedanken mit Schmbles und Gmelins, ließ sich
in Gedanken noch einmal von Mrchen küssen und hiipfte in der Erinnerung
auf dem grünen Grase. Der Eindruck war nicht ganz so wie gestern. Seine
Augen schienen heute Morgen durch ein andres Glas zu sehen. Ein Gefühl
der Beschämung überkam ihn, und die blasse Furcht, er habe uicht ganz so ge¬
handelt, wie es dem Jünger des Aristoteles zukomme, lies; das helle Sonnenlicht
des Neckarthales, welches ihn gestern entzückt hatte, nunmehr verschleiert und un¬
gewiß erscheinen.

Eben noch freutest du dich des ewig Weiblichen, sagte er sich vorwurfsvoll,
und du hieltest es für so schön, daß die Menschen es nicht begriffen. Aber du
selbst, du hochmütiger Gesell, der so urteilt und sich über seine Nebenmenschen
hinwegsetzt, weißt du selbst das ewig Weibliche zu würdigen? Hast du selbst dich
so benommen, wie eS dein Manne gebührt, der das Schaue erkannt hat? Nein,
du hast es uicht. Du hast dich von den Sinnen überwältigen lassen und im
niedrigen Weinransch vergessen, daß der Geist allein das Schöne begreift.

Er erhob sich voller Neue und blickte mit Beschämung nach dem alten Hause
hinüber.

Diese braven, einfachen Leute, sagte er sich, diese kindlichen Gemüter, rührend
und ehrwürdig in ihrer altgermanischen Gastfreundschaft, wie ihre alte, crinnernugs-
reiche Wohnung selbst, ließen dich in ihrer Mitte verweile" ohne die Gefahr zu
kennen, die ihnen von deinem zersetzenden Geiste drohte. Du aber hattest nichts
besseres zu thun als ihre Tochter zu verlocken. Ist es uicht genug, daß du
dich selbst unglücklich machst mit diesem kritischen Sinn, der nicht ruht, bis er
jeder Erscheinung bis auf den letzten Grund gedrungen ist, mußt du auch noch
bei andern die Unbefangenheit und Unschuld vernichten, indem dn mit frevelnder
Hand den Schleier des verhüllten Geheimnisses zerreißest? Oder war es etwas
andres, als du dies schöne Mädchen über die Grenze hinüberzogst, die zwischen
Seelenfrieden und Sinneuglück gezogen ist und von einem gütigen Gotte diesem
Mädchen noch verhüllt war? Du bist der Teufel, der diesem Engel nahte. Sie
kannte sich selbst nicht, sie war wie die Blume des Feldes, sie weiß selbst nicht,
wie schon sie ist, denn ich habe gesehen, wie sehr sie ihr Äußeres vernachlässigt
und sich nur den Eltern zu Gefallen schmückt, wenn sie mit ihnen am Sonntag
Nachmittag ein einfaches Vergnügen aufsucht. Und doch liegen alle Keime des
Verderbens in ihr, um sie zum Abgrunde zu führen, wenn der Verführer naht.
Denn sie hat eine üppige Natur, ein leicht erregtes Blut, Geist, Behendigkeit
des Witzes und Freude an jeder Art von Lust. Um so mehr mußtest du dich
hüten, für sie der Versucher zu werden. Aber du bist schwarz! Nun sehe ich ein, warum
die Natur mich unglücklich macht. Die hohe Sonne ist nur zu mächtig, Berge
und Thäler und Ströme kann ich nicht zerpflücken, aber eine Rose zerpflücken,
dazu habe ich die Kraft, und uur in der Zerstörung finde ich meine Freude.


Bakche» und Thyrsosträger.

zu hoch ist. Er durchlebte in der Erinnerung noch einmal den vergangenen Tag,
durchschritt Berg und Thal in Gedanken mit Schmbles und Gmelins, ließ sich
in Gedanken noch einmal von Mrchen küssen und hiipfte in der Erinnerung
auf dem grünen Grase. Der Eindruck war nicht ganz so wie gestern. Seine
Augen schienen heute Morgen durch ein andres Glas zu sehen. Ein Gefühl
der Beschämung überkam ihn, und die blasse Furcht, er habe uicht ganz so ge¬
handelt, wie es dem Jünger des Aristoteles zukomme, lies; das helle Sonnenlicht
des Neckarthales, welches ihn gestern entzückt hatte, nunmehr verschleiert und un¬
gewiß erscheinen.

Eben noch freutest du dich des ewig Weiblichen, sagte er sich vorwurfsvoll,
und du hieltest es für so schön, daß die Menschen es nicht begriffen. Aber du
selbst, du hochmütiger Gesell, der so urteilt und sich über seine Nebenmenschen
hinwegsetzt, weißt du selbst das ewig Weibliche zu würdigen? Hast du selbst dich
so benommen, wie eS dein Manne gebührt, der das Schaue erkannt hat? Nein,
du hast es uicht. Du hast dich von den Sinnen überwältigen lassen und im
niedrigen Weinransch vergessen, daß der Geist allein das Schöne begreift.

Er erhob sich voller Neue und blickte mit Beschämung nach dem alten Hause
hinüber.

Diese braven, einfachen Leute, sagte er sich, diese kindlichen Gemüter, rührend
und ehrwürdig in ihrer altgermanischen Gastfreundschaft, wie ihre alte, crinnernugs-
reiche Wohnung selbst, ließen dich in ihrer Mitte verweile» ohne die Gefahr zu
kennen, die ihnen von deinem zersetzenden Geiste drohte. Du aber hattest nichts
besseres zu thun als ihre Tochter zu verlocken. Ist es uicht genug, daß du
dich selbst unglücklich machst mit diesem kritischen Sinn, der nicht ruht, bis er
jeder Erscheinung bis auf den letzten Grund gedrungen ist, mußt du auch noch
bei andern die Unbefangenheit und Unschuld vernichten, indem dn mit frevelnder
Hand den Schleier des verhüllten Geheimnisses zerreißest? Oder war es etwas
andres, als du dies schöne Mädchen über die Grenze hinüberzogst, die zwischen
Seelenfrieden und Sinneuglück gezogen ist und von einem gütigen Gotte diesem
Mädchen noch verhüllt war? Du bist der Teufel, der diesem Engel nahte. Sie
kannte sich selbst nicht, sie war wie die Blume des Feldes, sie weiß selbst nicht,
wie schon sie ist, denn ich habe gesehen, wie sehr sie ihr Äußeres vernachlässigt
und sich nur den Eltern zu Gefallen schmückt, wenn sie mit ihnen am Sonntag
Nachmittag ein einfaches Vergnügen aufsucht. Und doch liegen alle Keime des
Verderbens in ihr, um sie zum Abgrunde zu führen, wenn der Verführer naht.
Denn sie hat eine üppige Natur, ein leicht erregtes Blut, Geist, Behendigkeit
des Witzes und Freude an jeder Art von Lust. Um so mehr mußtest du dich
hüten, für sie der Versucher zu werden. Aber du bist schwarz! Nun sehe ich ein, warum
die Natur mich unglücklich macht. Die hohe Sonne ist nur zu mächtig, Berge
und Thäler und Ströme kann ich nicht zerpflücken, aber eine Rose zerpflücken,
dazu habe ich die Kraft, und uur in der Zerstörung finde ich meine Freude.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0262" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86383"/>
            <fw type="header" place="top"> Bakche» und Thyrsosträger.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1092" prev="#ID_1091"> zu hoch ist. Er durchlebte in der Erinnerung noch einmal den vergangenen Tag,<lb/>
durchschritt Berg und Thal in Gedanken mit Schmbles und Gmelins, ließ sich<lb/>
in Gedanken noch einmal von Mrchen küssen und hiipfte in der Erinnerung<lb/>
auf dem grünen Grase. Der Eindruck war nicht ganz so wie gestern. Seine<lb/>
Augen schienen heute Morgen durch ein andres Glas zu sehen. Ein Gefühl<lb/>
der Beschämung überkam ihn, und die blasse Furcht, er habe uicht ganz so ge¬<lb/>
handelt, wie es dem Jünger des Aristoteles zukomme, lies; das helle Sonnenlicht<lb/>
des Neckarthales, welches ihn gestern entzückt hatte, nunmehr verschleiert und un¬<lb/>
gewiß erscheinen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1093"> Eben noch freutest du dich des ewig Weiblichen, sagte er sich vorwurfsvoll,<lb/>
und du hieltest es für so schön, daß die Menschen es nicht begriffen. Aber du<lb/>
selbst, du hochmütiger Gesell, der so urteilt und sich über seine Nebenmenschen<lb/>
hinwegsetzt, weißt du selbst das ewig Weibliche zu würdigen? Hast du selbst dich<lb/>
so benommen, wie eS dein Manne gebührt, der das Schaue erkannt hat? Nein,<lb/>
du hast es uicht. Du hast dich von den Sinnen überwältigen lassen und im<lb/>
niedrigen Weinransch vergessen, daß der Geist allein das Schöne begreift.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1094"> Er erhob sich voller Neue und blickte mit Beschämung nach dem alten Hause<lb/>
hinüber.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1095"> Diese braven, einfachen Leute, sagte er sich, diese kindlichen Gemüter, rührend<lb/>
und ehrwürdig in ihrer altgermanischen Gastfreundschaft, wie ihre alte, crinnernugs-<lb/>
reiche Wohnung selbst, ließen dich in ihrer Mitte verweile» ohne die Gefahr zu<lb/>
kennen, die ihnen von deinem zersetzenden Geiste drohte. Du aber hattest nichts<lb/>
besseres zu thun als ihre Tochter zu verlocken. Ist es uicht genug, daß du<lb/>
dich selbst unglücklich machst mit diesem kritischen Sinn, der nicht ruht, bis er<lb/>
jeder Erscheinung bis auf den letzten Grund gedrungen ist, mußt du auch noch<lb/>
bei andern die Unbefangenheit und Unschuld vernichten, indem dn mit frevelnder<lb/>
Hand den Schleier des verhüllten Geheimnisses zerreißest? Oder war es etwas<lb/>
andres, als du dies schöne Mädchen über die Grenze hinüberzogst, die zwischen<lb/>
Seelenfrieden und Sinneuglück gezogen ist und von einem gütigen Gotte diesem<lb/>
Mädchen noch verhüllt war? Du bist der Teufel, der diesem Engel nahte. Sie<lb/>
kannte sich selbst nicht, sie war wie die Blume des Feldes, sie weiß selbst nicht,<lb/>
wie schon sie ist, denn ich habe gesehen, wie sehr sie ihr Äußeres vernachlässigt<lb/>
und sich nur den Eltern zu Gefallen schmückt, wenn sie mit ihnen am Sonntag<lb/>
Nachmittag ein einfaches Vergnügen aufsucht. Und doch liegen alle Keime des<lb/>
Verderbens in ihr, um sie zum Abgrunde zu führen, wenn der Verführer naht.<lb/>
Denn sie hat eine üppige Natur, ein leicht erregtes Blut, Geist, Behendigkeit<lb/>
des Witzes und Freude an jeder Art von Lust. Um so mehr mußtest du dich<lb/>
hüten, für sie der Versucher zu werden. Aber du bist schwarz! Nun sehe ich ein, warum<lb/>
die Natur mich unglücklich macht. Die hohe Sonne ist nur zu mächtig, Berge<lb/>
und Thäler und Ströme kann ich nicht zerpflücken, aber eine Rose zerpflücken,<lb/>
dazu habe ich die Kraft, und uur in der Zerstörung finde ich meine Freude.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0262] Bakche» und Thyrsosträger. zu hoch ist. Er durchlebte in der Erinnerung noch einmal den vergangenen Tag, durchschritt Berg und Thal in Gedanken mit Schmbles und Gmelins, ließ sich in Gedanken noch einmal von Mrchen küssen und hiipfte in der Erinnerung auf dem grünen Grase. Der Eindruck war nicht ganz so wie gestern. Seine Augen schienen heute Morgen durch ein andres Glas zu sehen. Ein Gefühl der Beschämung überkam ihn, und die blasse Furcht, er habe uicht ganz so ge¬ handelt, wie es dem Jünger des Aristoteles zukomme, lies; das helle Sonnenlicht des Neckarthales, welches ihn gestern entzückt hatte, nunmehr verschleiert und un¬ gewiß erscheinen. Eben noch freutest du dich des ewig Weiblichen, sagte er sich vorwurfsvoll, und du hieltest es für so schön, daß die Menschen es nicht begriffen. Aber du selbst, du hochmütiger Gesell, der so urteilt und sich über seine Nebenmenschen hinwegsetzt, weißt du selbst das ewig Weibliche zu würdigen? Hast du selbst dich so benommen, wie eS dein Manne gebührt, der das Schaue erkannt hat? Nein, du hast es uicht. Du hast dich von den Sinnen überwältigen lassen und im niedrigen Weinransch vergessen, daß der Geist allein das Schöne begreift. Er erhob sich voller Neue und blickte mit Beschämung nach dem alten Hause hinüber. Diese braven, einfachen Leute, sagte er sich, diese kindlichen Gemüter, rührend und ehrwürdig in ihrer altgermanischen Gastfreundschaft, wie ihre alte, crinnernugs- reiche Wohnung selbst, ließen dich in ihrer Mitte verweile» ohne die Gefahr zu kennen, die ihnen von deinem zersetzenden Geiste drohte. Du aber hattest nichts besseres zu thun als ihre Tochter zu verlocken. Ist es uicht genug, daß du dich selbst unglücklich machst mit diesem kritischen Sinn, der nicht ruht, bis er jeder Erscheinung bis auf den letzten Grund gedrungen ist, mußt du auch noch bei andern die Unbefangenheit und Unschuld vernichten, indem dn mit frevelnder Hand den Schleier des verhüllten Geheimnisses zerreißest? Oder war es etwas andres, als du dies schöne Mädchen über die Grenze hinüberzogst, die zwischen Seelenfrieden und Sinneuglück gezogen ist und von einem gütigen Gotte diesem Mädchen noch verhüllt war? Du bist der Teufel, der diesem Engel nahte. Sie kannte sich selbst nicht, sie war wie die Blume des Feldes, sie weiß selbst nicht, wie schon sie ist, denn ich habe gesehen, wie sehr sie ihr Äußeres vernachlässigt und sich nur den Eltern zu Gefallen schmückt, wenn sie mit ihnen am Sonntag Nachmittag ein einfaches Vergnügen aufsucht. Und doch liegen alle Keime des Verderbens in ihr, um sie zum Abgrunde zu führen, wenn der Verführer naht. Denn sie hat eine üppige Natur, ein leicht erregtes Blut, Geist, Behendigkeit des Witzes und Freude an jeder Art von Lust. Um so mehr mußtest du dich hüten, für sie der Versucher zu werden. Aber du bist schwarz! Nun sehe ich ein, warum die Natur mich unglücklich macht. Die hohe Sonne ist nur zu mächtig, Berge und Thäler und Ströme kann ich nicht zerpflücken, aber eine Rose zerpflücken, dazu habe ich die Kraft, und uur in der Zerstörung finde ich meine Freude.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/262
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/262>, abgerufen am 29.06.2024.