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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger,

Wenn ein Kranker lange Wochen das enge Zimmer gehütet und die
Gewohnheit ängstlicher Vorsicht ihm den Sinn schwer und trübe gemacht hat,
sodaß er das muntere Leben der Natur kaum noch beachtet, sondern die Wände
des Hauses für die Grenzen der Welt nimmt, so pflegt der erste Ausgang in
die freie Luft, die erste Spazierfahrt durch Feld und Wald auf ihn einen solchen
Eindruck zu machen, daß ihm diese erste und natürlichste Umgebung fremd er¬
scheint. Die Winde des Himmels berauschen ihn und sein Licht blendet ihn.
So sagte der heilige Franz von Assise, als ihn seine Freunde zum erstenmale
nach langer Krankheit auf den schönen Hügel führten, der sein liebliches Heimat¬
thal überschaute, und als sie ihn fragten, wie ihm die Welt nun wieder erscheine:
Nicht mehr wie sonst.

Ähnlich erging es heute dem guten Ephraim. Flörchens Lippen schienen die
Zauberkraft zu besitzen, schwere Thüren aufzusprengen, die seinen bedrückten Geist
von der lebendigen Natur trennten. Er sah in die Natur hinein und kannte
sie nicht mehr. Sie war eine andre geworden. Die alten, geraden Stämme der
Bäume standen freilich noch da, und droben wölbte sich noch das grüne Blütter-
dach, auch das Buschwerk, Kulissen gleich um den Spielplatz geschoben, war noch
dasselbe, aber es lag ein Etwas darauf und es zog ein Etwas dadurch hin,
was alles veränderte. Er fühlte sich nicht mehr als Ephraim, der mit fremden
Leuten in einer fremden Umgebung herumgehe, sondern es schien eine Schranke
durchbrochen zu sein, die ihn von der Außenwelt trennte, sodaß nun Licht und
Leben, welche durch die Welt wogten, auch durch seinen Leib mit Wellen schlugen,
und diese Empfindung machte ihn unsagbar glücklich. Er betrachtete Flörchcu,
die jetzt mit der größten Unbefangenheit einer der Cousinen einen Strauß Wald-
Erdbeeren hinreichte, mit einer Dankbarkeit, die sein Herz zu zerschmelzen drohte,
als wäre es von Wachs. Dann mischte er sich mit einer Lust und einem Geschick
in das Spiel, die ihn selber verwunderten. Er schien Springfedern in den Füßen
zu haben, und die Regeln waren ihm jetzt so klar, als hätte er das Spiel selbst
erfunden. Er trat an Flörchens Stelle als Ordner der Lustbarkeit und schlug
einen Tanz auf dem Nasen vor. Er tanzte mit den Cousinen, er tanzte mit
Flörchen, er tanzte wieder mit den Cousinen, und er würde nicht erstaunt ge¬
wesen sein, wenn er sich in die Lüfte erhoben und dort oben weiter getanzt
hätte.

Herr Adolf Schaible und der Forstcleve aber waren durstig geworden und
verlangten nach der Restauration zurückzukehren. So ging man dem: Arm in
Arm zurück.

Die Eltern fanden, daß es schon spät sei, und wollten nach Hause gehen,
aber die jungen Leute wollten noch nicht. Ephraim ließ vom besten Wem auf
seine Kosten bringen, was von allen als ein Zeichen feinen Tales angesehen
wurde und besonders den durstigen Beiden gefiel, die schon mit ihrem. Wunsch
zu trinken aus Widerstand bei Vater Schaible gestoßen waren. So blieb man


Bakchen und Thyrsostrciger,

Wenn ein Kranker lange Wochen das enge Zimmer gehütet und die
Gewohnheit ängstlicher Vorsicht ihm den Sinn schwer und trübe gemacht hat,
sodaß er das muntere Leben der Natur kaum noch beachtet, sondern die Wände
des Hauses für die Grenzen der Welt nimmt, so pflegt der erste Ausgang in
die freie Luft, die erste Spazierfahrt durch Feld und Wald auf ihn einen solchen
Eindruck zu machen, daß ihm diese erste und natürlichste Umgebung fremd er¬
scheint. Die Winde des Himmels berauschen ihn und sein Licht blendet ihn.
So sagte der heilige Franz von Assise, als ihn seine Freunde zum erstenmale
nach langer Krankheit auf den schönen Hügel führten, der sein liebliches Heimat¬
thal überschaute, und als sie ihn fragten, wie ihm die Welt nun wieder erscheine:
Nicht mehr wie sonst.

Ähnlich erging es heute dem guten Ephraim. Flörchens Lippen schienen die
Zauberkraft zu besitzen, schwere Thüren aufzusprengen, die seinen bedrückten Geist
von der lebendigen Natur trennten. Er sah in die Natur hinein und kannte
sie nicht mehr. Sie war eine andre geworden. Die alten, geraden Stämme der
Bäume standen freilich noch da, und droben wölbte sich noch das grüne Blütter-
dach, auch das Buschwerk, Kulissen gleich um den Spielplatz geschoben, war noch
dasselbe, aber es lag ein Etwas darauf und es zog ein Etwas dadurch hin,
was alles veränderte. Er fühlte sich nicht mehr als Ephraim, der mit fremden
Leuten in einer fremden Umgebung herumgehe, sondern es schien eine Schranke
durchbrochen zu sein, die ihn von der Außenwelt trennte, sodaß nun Licht und
Leben, welche durch die Welt wogten, auch durch seinen Leib mit Wellen schlugen,
und diese Empfindung machte ihn unsagbar glücklich. Er betrachtete Flörchcu,
die jetzt mit der größten Unbefangenheit einer der Cousinen einen Strauß Wald-
Erdbeeren hinreichte, mit einer Dankbarkeit, die sein Herz zu zerschmelzen drohte,
als wäre es von Wachs. Dann mischte er sich mit einer Lust und einem Geschick
in das Spiel, die ihn selber verwunderten. Er schien Springfedern in den Füßen
zu haben, und die Regeln waren ihm jetzt so klar, als hätte er das Spiel selbst
erfunden. Er trat an Flörchens Stelle als Ordner der Lustbarkeit und schlug
einen Tanz auf dem Nasen vor. Er tanzte mit den Cousinen, er tanzte mit
Flörchen, er tanzte wieder mit den Cousinen, und er würde nicht erstaunt ge¬
wesen sein, wenn er sich in die Lüfte erhoben und dort oben weiter getanzt
hätte.

Herr Adolf Schaible und der Forstcleve aber waren durstig geworden und
verlangten nach der Restauration zurückzukehren. So ging man dem: Arm in
Arm zurück.

Die Eltern fanden, daß es schon spät sei, und wollten nach Hause gehen,
aber die jungen Leute wollten noch nicht. Ephraim ließ vom besten Wem auf
seine Kosten bringen, was von allen als ein Zeichen feinen Tales angesehen
wurde und besonders den durstigen Beiden gefiel, die schon mit ihrem. Wunsch
zu trinken aus Widerstand bei Vater Schaible gestoßen waren. So blieb man


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[0260] Bakchen und Thyrsostrciger, Wenn ein Kranker lange Wochen das enge Zimmer gehütet und die Gewohnheit ängstlicher Vorsicht ihm den Sinn schwer und trübe gemacht hat, sodaß er das muntere Leben der Natur kaum noch beachtet, sondern die Wände des Hauses für die Grenzen der Welt nimmt, so pflegt der erste Ausgang in die freie Luft, die erste Spazierfahrt durch Feld und Wald auf ihn einen solchen Eindruck zu machen, daß ihm diese erste und natürlichste Umgebung fremd er¬ scheint. Die Winde des Himmels berauschen ihn und sein Licht blendet ihn. So sagte der heilige Franz von Assise, als ihn seine Freunde zum erstenmale nach langer Krankheit auf den schönen Hügel führten, der sein liebliches Heimat¬ thal überschaute, und als sie ihn fragten, wie ihm die Welt nun wieder erscheine: Nicht mehr wie sonst. Ähnlich erging es heute dem guten Ephraim. Flörchens Lippen schienen die Zauberkraft zu besitzen, schwere Thüren aufzusprengen, die seinen bedrückten Geist von der lebendigen Natur trennten. Er sah in die Natur hinein und kannte sie nicht mehr. Sie war eine andre geworden. Die alten, geraden Stämme der Bäume standen freilich noch da, und droben wölbte sich noch das grüne Blütter- dach, auch das Buschwerk, Kulissen gleich um den Spielplatz geschoben, war noch dasselbe, aber es lag ein Etwas darauf und es zog ein Etwas dadurch hin, was alles veränderte. Er fühlte sich nicht mehr als Ephraim, der mit fremden Leuten in einer fremden Umgebung herumgehe, sondern es schien eine Schranke durchbrochen zu sein, die ihn von der Außenwelt trennte, sodaß nun Licht und Leben, welche durch die Welt wogten, auch durch seinen Leib mit Wellen schlugen, und diese Empfindung machte ihn unsagbar glücklich. Er betrachtete Flörchcu, die jetzt mit der größten Unbefangenheit einer der Cousinen einen Strauß Wald- Erdbeeren hinreichte, mit einer Dankbarkeit, die sein Herz zu zerschmelzen drohte, als wäre es von Wachs. Dann mischte er sich mit einer Lust und einem Geschick in das Spiel, die ihn selber verwunderten. Er schien Springfedern in den Füßen zu haben, und die Regeln waren ihm jetzt so klar, als hätte er das Spiel selbst erfunden. Er trat an Flörchens Stelle als Ordner der Lustbarkeit und schlug einen Tanz auf dem Nasen vor. Er tanzte mit den Cousinen, er tanzte mit Flörchen, er tanzte wieder mit den Cousinen, und er würde nicht erstaunt ge¬ wesen sein, wenn er sich in die Lüfte erhoben und dort oben weiter getanzt hätte. Herr Adolf Schaible und der Forstcleve aber waren durstig geworden und verlangten nach der Restauration zurückzukehren. So ging man dem: Arm in Arm zurück. Die Eltern fanden, daß es schon spät sei, und wollten nach Hause gehen, aber die jungen Leute wollten noch nicht. Ephraim ließ vom besten Wem auf seine Kosten bringen, was von allen als ein Zeichen feinen Tales angesehen wurde und besonders den durstigen Beiden gefiel, die schon mit ihrem. Wunsch zu trinken aus Widerstand bei Vater Schaible gestoßen waren. So blieb man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/260>, abgerufen am 29.06.2024.