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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger,

ging es vorwärts nach der Wvlfshöhle und auf das Senscnried, hinauf auf
die Kanzel und hinab zum Riesenstein -- alle diese Punkte wurden von Rat
Schaible dem armen Ephraim mit Namen genannt -- und dann zum Speierer
Hof, einem Wirtschaftsgute inmitten prachtvollen Waldes.

Hier setzte man sich im Garten an einem Tische nieder, und die erhitzten
und glühenden Mädchen packten ihre Körbe aus, während Adolf Schaible aus
der Restauration Wein herbeiholte. Noch viele andre Heidelberger Familien
hatten sich hier eingefunden, mau grüßte links und rechts, und es war ein
heiteres Bild für jemanden, der dazu gehörte. Die Körbe enthielten Brod und
Butter, Käse, Eier und Schinken, sowie Kuchen, den Flörchen, wie sie sagte, selbst
gebacken hatte, und der etwas ungleichmäßig angemengt zu sein schien. Man aß
und trank und lachte. Ephraim trank gegen seine Gewohnheit mehrere Gläser
Wein und fühlte sich etwas heimischer in seiner Umgebung. Dann, als alles
bis zum letzten Krümchen und letzten Tropfen aufgezehrt und nusgetrunken war,
zogen Mutter Schaible und Taute Lotte ihr Strickzeug, Vater Schaible eine
kurze Pfeife hervor, und Flörchen sprang auf, indem sie den Vorschlag machte,
ein Spiel zu spielen.

Die jungen Leute vertieften sich in den Wald, und als sie an einen Platz
gelaugt waren, der einsam und ganz von gvldiggrünem Licht durchflossen uuter
stolzen, ragenden Bäumen dalag, begannen sie ihr Spiel. Es mußte sehr koiu-
Plizirt und schwierig sein, Ephraim wenigstens begriff es nur zum kleineren Theil.
Man mußte sich bald hinter einem Busch verbergen, bald hervorspringen, bald
mit einem andern seineu Platz vertauschen, und wer einen Fehler machte, mußte
ein Pfand geben. Der Schwerpunkt des Spieles lag endlich im Auflösen der
Pfänder, und dies Auflösen geschah teilweise in Küssen.

Ephraim unterzog sich der Sache mit besseren Geschick, als er gedacht hatte.
Der Wein hatte ihn lebendiger gemacht und beinahe aufgeregt. Er gab sich
Mühe, gleich den andern zu lachen und lief ebenso flott wie sie. Schon hatte
er mit ziemlichem Geschick sich der Aufgabe entledigt, die beiden Cousinen zu
küssen, eine That, die er noch vor einer Stunde für unmöglich gehalten haben
würde, da warf sich das Loos auch so, daß er Flörchen küssen mußte. Er
wußte nicht, wie es geschah, war es Zufall, oder hatte Flörchen, die das ganze
Spiel leitete, die Schuld, kurz, er faud sich in diesem Augenblick entfernt von
den Übrigen mit ihr allein. Sie blickte ihm mit dem süßesten Lächeln in die
^lügen und sagte leise: Warum sind Sie so traurig? Dann -- er wußte uicht,
küßte er sie, oder küßte sie ihn -- umschlangen ihn zwei Arme, er fühlte gleich¬
sam eine glühende Wolke ihn umfangen und Lippen auf die seinigen gepreßt,
die ihm völlig die Besinnung raubten. Der Himmel, die Bäume, der Rasen,
alles tanzte um ihn und floß zu einem unentwirrbaren Rätsel zusammen, und
"is er wieder sehen konnte, stand er allein und wußte nicht, ob er wache oder
träume.


Bakchen und Thyrsostrciger,

ging es vorwärts nach der Wvlfshöhle und auf das Senscnried, hinauf auf
die Kanzel und hinab zum Riesenstein — alle diese Punkte wurden von Rat
Schaible dem armen Ephraim mit Namen genannt — und dann zum Speierer
Hof, einem Wirtschaftsgute inmitten prachtvollen Waldes.

Hier setzte man sich im Garten an einem Tische nieder, und die erhitzten
und glühenden Mädchen packten ihre Körbe aus, während Adolf Schaible aus
der Restauration Wein herbeiholte. Noch viele andre Heidelberger Familien
hatten sich hier eingefunden, mau grüßte links und rechts, und es war ein
heiteres Bild für jemanden, der dazu gehörte. Die Körbe enthielten Brod und
Butter, Käse, Eier und Schinken, sowie Kuchen, den Flörchen, wie sie sagte, selbst
gebacken hatte, und der etwas ungleichmäßig angemengt zu sein schien. Man aß
und trank und lachte. Ephraim trank gegen seine Gewohnheit mehrere Gläser
Wein und fühlte sich etwas heimischer in seiner Umgebung. Dann, als alles
bis zum letzten Krümchen und letzten Tropfen aufgezehrt und nusgetrunken war,
zogen Mutter Schaible und Taute Lotte ihr Strickzeug, Vater Schaible eine
kurze Pfeife hervor, und Flörchen sprang auf, indem sie den Vorschlag machte,
ein Spiel zu spielen.

Die jungen Leute vertieften sich in den Wald, und als sie an einen Platz
gelaugt waren, der einsam und ganz von gvldiggrünem Licht durchflossen uuter
stolzen, ragenden Bäumen dalag, begannen sie ihr Spiel. Es mußte sehr koiu-
Plizirt und schwierig sein, Ephraim wenigstens begriff es nur zum kleineren Theil.
Man mußte sich bald hinter einem Busch verbergen, bald hervorspringen, bald
mit einem andern seineu Platz vertauschen, und wer einen Fehler machte, mußte
ein Pfand geben. Der Schwerpunkt des Spieles lag endlich im Auflösen der
Pfänder, und dies Auflösen geschah teilweise in Küssen.

Ephraim unterzog sich der Sache mit besseren Geschick, als er gedacht hatte.
Der Wein hatte ihn lebendiger gemacht und beinahe aufgeregt. Er gab sich
Mühe, gleich den andern zu lachen und lief ebenso flott wie sie. Schon hatte
er mit ziemlichem Geschick sich der Aufgabe entledigt, die beiden Cousinen zu
küssen, eine That, die er noch vor einer Stunde für unmöglich gehalten haben
würde, da warf sich das Loos auch so, daß er Flörchen küssen mußte. Er
wußte nicht, wie es geschah, war es Zufall, oder hatte Flörchen, die das ganze
Spiel leitete, die Schuld, kurz, er faud sich in diesem Augenblick entfernt von
den Übrigen mit ihr allein. Sie blickte ihm mit dem süßesten Lächeln in die
^lügen und sagte leise: Warum sind Sie so traurig? Dann — er wußte uicht,
küßte er sie, oder küßte sie ihn — umschlangen ihn zwei Arme, er fühlte gleich¬
sam eine glühende Wolke ihn umfangen und Lippen auf die seinigen gepreßt,
die ihm völlig die Besinnung raubten. Der Himmel, die Bäume, der Rasen,
alles tanzte um ihn und floß zu einem unentwirrbaren Rätsel zusammen, und
"is er wieder sehen konnte, stand er allein und wußte nicht, ob er wache oder
träume.


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[0259] Bakchen und Thyrsostrciger, ging es vorwärts nach der Wvlfshöhle und auf das Senscnried, hinauf auf die Kanzel und hinab zum Riesenstein — alle diese Punkte wurden von Rat Schaible dem armen Ephraim mit Namen genannt — und dann zum Speierer Hof, einem Wirtschaftsgute inmitten prachtvollen Waldes. Hier setzte man sich im Garten an einem Tische nieder, und die erhitzten und glühenden Mädchen packten ihre Körbe aus, während Adolf Schaible aus der Restauration Wein herbeiholte. Noch viele andre Heidelberger Familien hatten sich hier eingefunden, mau grüßte links und rechts, und es war ein heiteres Bild für jemanden, der dazu gehörte. Die Körbe enthielten Brod und Butter, Käse, Eier und Schinken, sowie Kuchen, den Flörchen, wie sie sagte, selbst gebacken hatte, und der etwas ungleichmäßig angemengt zu sein schien. Man aß und trank und lachte. Ephraim trank gegen seine Gewohnheit mehrere Gläser Wein und fühlte sich etwas heimischer in seiner Umgebung. Dann, als alles bis zum letzten Krümchen und letzten Tropfen aufgezehrt und nusgetrunken war, zogen Mutter Schaible und Taute Lotte ihr Strickzeug, Vater Schaible eine kurze Pfeife hervor, und Flörchen sprang auf, indem sie den Vorschlag machte, ein Spiel zu spielen. Die jungen Leute vertieften sich in den Wald, und als sie an einen Platz gelaugt waren, der einsam und ganz von gvldiggrünem Licht durchflossen uuter stolzen, ragenden Bäumen dalag, begannen sie ihr Spiel. Es mußte sehr koiu- Plizirt und schwierig sein, Ephraim wenigstens begriff es nur zum kleineren Theil. Man mußte sich bald hinter einem Busch verbergen, bald hervorspringen, bald mit einem andern seineu Platz vertauschen, und wer einen Fehler machte, mußte ein Pfand geben. Der Schwerpunkt des Spieles lag endlich im Auflösen der Pfänder, und dies Auflösen geschah teilweise in Küssen. Ephraim unterzog sich der Sache mit besseren Geschick, als er gedacht hatte. Der Wein hatte ihn lebendiger gemacht und beinahe aufgeregt. Er gab sich Mühe, gleich den andern zu lachen und lief ebenso flott wie sie. Schon hatte er mit ziemlichem Geschick sich der Aufgabe entledigt, die beiden Cousinen zu küssen, eine That, die er noch vor einer Stunde für unmöglich gehalten haben würde, da warf sich das Loos auch so, daß er Flörchen küssen mußte. Er wußte nicht, wie es geschah, war es Zufall, oder hatte Flörchen, die das ganze Spiel leitete, die Schuld, kurz, er faud sich in diesem Augenblick entfernt von den Übrigen mit ihr allein. Sie blickte ihm mit dem süßesten Lächeln in die ^lügen und sagte leise: Warum sind Sie so traurig? Dann — er wußte uicht, küßte er sie, oder küßte sie ihn — umschlangen ihn zwei Arme, er fühlte gleich¬ sam eine glühende Wolke ihn umfangen und Lippen auf die seinigen gepreßt, die ihm völlig die Besinnung raubten. Der Himmel, die Bäume, der Rasen, alles tanzte um ihn und floß zu einem unentwirrbaren Rätsel zusammen, und "is er wieder sehen konnte, stand er allein und wußte nicht, ob er wache oder träume.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/259>, abgerufen am 29.06.2024.