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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Kraft gegenüber der dicken, schwarzen Rinde, an ihre strahlenden Augen, ihr
leuchtendes Haar und ihr Erröten denken. Das Bild dieses Mädchens machte
ihn unruhig, es hatte ihn schon früh am Tage erweckt und den ganzen Morgen
beschäftigt und war durch den Blick, den sie ihm vom Fenster herübergeworfen
hatte, nur noch lebhafter geworden. Jetzt ging er mechanisch hinter ihr her und
bewunderte ihre schöne Figur. Sie war aus demselben Holze geschnitzt wie ihr
Bruder, dem sie bis an die Schulter reichte, und fast eben so groß wie Ephraim
selbst, der ein schlanker, schmächtiger Jüngling war. Über ihre Cousinen ragte
sie um einen halben Kopf weg. Sie mußte einen sehr biegsamen Hals haben,
denn obwohl sie stetig gradeaus ging, vermochte sie doch von Zeit zu Zeit
Ephraim ihr fröhliches Gesicht zuzuwenden und ihm einen Blick zuzuwerfen, der
soviel sagte wie: Es ist hübsch, daß Sie mitgegangen sind.

So ging es immer vorwärts an dem warmen, hellen Juninachmittagc, hinaus
aus der Stadt in die Berge des Neckarthales unter fröhlichem Geplauder und
Lachen der jungen Mädchen, die seitwärts vom Wege in den Wald sprangen,
Blumen pflückten und Sträuße wanden und so natürlich in die Natur hinein
paßten wie Finken und Lerchen. Flörchen nannte von allen Blumen die latei¬
nischen Namen und sah Ephraim dabei triumphirend an, als wollte sie ihn: be¬
weisen, sie sei ebenfalls gelehrt. Bei dieser Gelegenheit aber kam es durch einen
scherzhaften Zwist mit einer Base heraus, Flörchen sei wegen Frechheit aus der
Schule gewiesen worden, was auf Ephraim, der stets ein Musterschüler gewesen
war, einen lebhaften und verwirrenden Eindruck machte.

Er fühlte sich außerdem schon sehr befangen, dem: er konnte kein Wort
mitsprechen, welches natürlich geklungen hätte, und kam sich selbst unbeschreiblich
steif und albern vor. Du stehst außerhalb alles Schönen und Liebenswürdigen,
sagte er sich. Du kannst nicht einmal mit diesen einfachen Leuten umgehen, tue
dir so freundlich und umgänglich entgegen kommen. Es ist eine schreckliche
Finsternis in dir, du haft ein trauriges Herz.

So schloß er sich, ohne ferner Versuche zu lustigem Umherspringen mit
den ausgelassenen Mädchen zu macheu, dem bedächtig vvrnnschrcitcnden Vater
Schaible an und begann ein ernsthaftes Gespräch mit ihm über die Vergangen¬
heit des Grvßhcrzogtums Baden. Aber Vater Schaible, obwohl er ein studirter
Mann und Rat beim Kreisgericht war, schien über die Vergangenheit seines
Vaterlandes nur unklare Vorstellungen zu haben und antwortete wenig und
langsam. Schaible Sohn und sein grüngezeichuetcr Genosse schickten unterdessen
laute Jodler in den Wald, um das Echo zu wecken, und übten sich in weiten
Sätzen über die breitesten Gräben.

Das einzige, was Ephraim über seine eigene melancholische Rolle in der
Gesellschaft tröstete, war die Wahrnehmung, daß sich keiner darum bekümmerte,
ob er etwas sagte oder ob er schwieg. Sie waren alle von der größten Un¬
befangenheit und wurden nicht im geringsten von seinen Lnnuen berührt. So


Bakchen und Thyrsosträger.

Kraft gegenüber der dicken, schwarzen Rinde, an ihre strahlenden Augen, ihr
leuchtendes Haar und ihr Erröten denken. Das Bild dieses Mädchens machte
ihn unruhig, es hatte ihn schon früh am Tage erweckt und den ganzen Morgen
beschäftigt und war durch den Blick, den sie ihm vom Fenster herübergeworfen
hatte, nur noch lebhafter geworden. Jetzt ging er mechanisch hinter ihr her und
bewunderte ihre schöne Figur. Sie war aus demselben Holze geschnitzt wie ihr
Bruder, dem sie bis an die Schulter reichte, und fast eben so groß wie Ephraim
selbst, der ein schlanker, schmächtiger Jüngling war. Über ihre Cousinen ragte
sie um einen halben Kopf weg. Sie mußte einen sehr biegsamen Hals haben,
denn obwohl sie stetig gradeaus ging, vermochte sie doch von Zeit zu Zeit
Ephraim ihr fröhliches Gesicht zuzuwenden und ihm einen Blick zuzuwerfen, der
soviel sagte wie: Es ist hübsch, daß Sie mitgegangen sind.

So ging es immer vorwärts an dem warmen, hellen Juninachmittagc, hinaus
aus der Stadt in die Berge des Neckarthales unter fröhlichem Geplauder und
Lachen der jungen Mädchen, die seitwärts vom Wege in den Wald sprangen,
Blumen pflückten und Sträuße wanden und so natürlich in die Natur hinein
paßten wie Finken und Lerchen. Flörchen nannte von allen Blumen die latei¬
nischen Namen und sah Ephraim dabei triumphirend an, als wollte sie ihn: be¬
weisen, sie sei ebenfalls gelehrt. Bei dieser Gelegenheit aber kam es durch einen
scherzhaften Zwist mit einer Base heraus, Flörchen sei wegen Frechheit aus der
Schule gewiesen worden, was auf Ephraim, der stets ein Musterschüler gewesen
war, einen lebhaften und verwirrenden Eindruck machte.

Er fühlte sich außerdem schon sehr befangen, dem: er konnte kein Wort
mitsprechen, welches natürlich geklungen hätte, und kam sich selbst unbeschreiblich
steif und albern vor. Du stehst außerhalb alles Schönen und Liebenswürdigen,
sagte er sich. Du kannst nicht einmal mit diesen einfachen Leuten umgehen, tue
dir so freundlich und umgänglich entgegen kommen. Es ist eine schreckliche
Finsternis in dir, du haft ein trauriges Herz.

So schloß er sich, ohne ferner Versuche zu lustigem Umherspringen mit
den ausgelassenen Mädchen zu macheu, dem bedächtig vvrnnschrcitcnden Vater
Schaible an und begann ein ernsthaftes Gespräch mit ihm über die Vergangen¬
heit des Grvßhcrzogtums Baden. Aber Vater Schaible, obwohl er ein studirter
Mann und Rat beim Kreisgericht war, schien über die Vergangenheit seines
Vaterlandes nur unklare Vorstellungen zu haben und antwortete wenig und
langsam. Schaible Sohn und sein grüngezeichuetcr Genosse schickten unterdessen
laute Jodler in den Wald, um das Echo zu wecken, und übten sich in weiten
Sätzen über die breitesten Gräben.

Das einzige, was Ephraim über seine eigene melancholische Rolle in der
Gesellschaft tröstete, war die Wahrnehmung, daß sich keiner darum bekümmerte,
ob er etwas sagte oder ob er schwieg. Sie waren alle von der größten Un¬
befangenheit und wurden nicht im geringsten von seinen Lnnuen berührt. So


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[0258] Bakchen und Thyrsosträger. Kraft gegenüber der dicken, schwarzen Rinde, an ihre strahlenden Augen, ihr leuchtendes Haar und ihr Erröten denken. Das Bild dieses Mädchens machte ihn unruhig, es hatte ihn schon früh am Tage erweckt und den ganzen Morgen beschäftigt und war durch den Blick, den sie ihm vom Fenster herübergeworfen hatte, nur noch lebhafter geworden. Jetzt ging er mechanisch hinter ihr her und bewunderte ihre schöne Figur. Sie war aus demselben Holze geschnitzt wie ihr Bruder, dem sie bis an die Schulter reichte, und fast eben so groß wie Ephraim selbst, der ein schlanker, schmächtiger Jüngling war. Über ihre Cousinen ragte sie um einen halben Kopf weg. Sie mußte einen sehr biegsamen Hals haben, denn obwohl sie stetig gradeaus ging, vermochte sie doch von Zeit zu Zeit Ephraim ihr fröhliches Gesicht zuzuwenden und ihm einen Blick zuzuwerfen, der soviel sagte wie: Es ist hübsch, daß Sie mitgegangen sind. So ging es immer vorwärts an dem warmen, hellen Juninachmittagc, hinaus aus der Stadt in die Berge des Neckarthales unter fröhlichem Geplauder und Lachen der jungen Mädchen, die seitwärts vom Wege in den Wald sprangen, Blumen pflückten und Sträuße wanden und so natürlich in die Natur hinein paßten wie Finken und Lerchen. Flörchen nannte von allen Blumen die latei¬ nischen Namen und sah Ephraim dabei triumphirend an, als wollte sie ihn: be¬ weisen, sie sei ebenfalls gelehrt. Bei dieser Gelegenheit aber kam es durch einen scherzhaften Zwist mit einer Base heraus, Flörchen sei wegen Frechheit aus der Schule gewiesen worden, was auf Ephraim, der stets ein Musterschüler gewesen war, einen lebhaften und verwirrenden Eindruck machte. Er fühlte sich außerdem schon sehr befangen, dem: er konnte kein Wort mitsprechen, welches natürlich geklungen hätte, und kam sich selbst unbeschreiblich steif und albern vor. Du stehst außerhalb alles Schönen und Liebenswürdigen, sagte er sich. Du kannst nicht einmal mit diesen einfachen Leuten umgehen, tue dir so freundlich und umgänglich entgegen kommen. Es ist eine schreckliche Finsternis in dir, du haft ein trauriges Herz. So schloß er sich, ohne ferner Versuche zu lustigem Umherspringen mit den ausgelassenen Mädchen zu macheu, dem bedächtig vvrnnschrcitcnden Vater Schaible an und begann ein ernsthaftes Gespräch mit ihm über die Vergangen¬ heit des Grvßhcrzogtums Baden. Aber Vater Schaible, obwohl er ein studirter Mann und Rat beim Kreisgericht war, schien über die Vergangenheit seines Vaterlandes nur unklare Vorstellungen zu haben und antwortete wenig und langsam. Schaible Sohn und sein grüngezeichuetcr Genosse schickten unterdessen laute Jodler in den Wald, um das Echo zu wecken, und übten sich in weiten Sätzen über die breitesten Gräben. Das einzige, was Ephraim über seine eigene melancholische Rolle in der Gesellschaft tröstete, war die Wahrnehmung, daß sich keiner darum bekümmerte, ob er etwas sagte oder ob er schwieg. Sie waren alle von der größten Un¬ befangenheit und wurden nicht im geringsten von seinen Lnnuen berührt. So

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/258>, abgerufen am 29.06.2024.