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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Ephraim stand noch im Anschauen des Mädchens versunken und fühlte sich
verlegen wegen der Unart seines Freundes, der ihn nicht vorgestellt hatte. Aber
das blonde Mädchen schien über Vorstellen dieselben vorurteilsfreien Anschau¬
ungen zu hegen wie ihr Bruder, Sie sah Ephraim mit freundlichem Lächeln
an und sagte: Gehen Sie mit?

O, wenn Sie erlauben -- stotterte er.

Kommen Sie nur, sagte sie, und er folgte ihr nach.

Auf dem Vorplatze standen ein gewaltiger, älterer Herr mit rötlichen Antlitz
und eine behäbige Dame in vorgerückten Jahren,

Hast du den Kuchen eingepackt, Flörcheu? fragte die behäbige Dame.

Es ist alles eingepackt und nichts vergessen, sagte das blonde Mädchen.

Schließe auch die Thüren zu, sagte die behäbige Dame.

Brauchst du gar nicht zu sagen, erwiederte die Tochter.

Während dessen betrachtete der ältere Herr neugierig den ihm unbekannten
Ephraim, der bescheiden zur Seite stand.

Herr Stahlhardt, sagte das blonde Mädchen als Erklärung zu ihrem Vater,
er geht auch mit.

Sehr angenehm, sagte der Herr, seinen Hut lüftend. Er hatte dieselben
langsamen, bedächtigen Bewegungen, dieselbe Ruhe der Sprache wie sein recken¬
hafter Sohn. Die behäbige Dame winkte Ephraim freundlich zu, und dann
gingen alle fünf zusammen fort. Flörchcn schloß die letzte Thür ab und steckte
den Schlüssel in ihren Korb.

Merkwürdige Leute, dachte Ephraim. Er war in seiner Vaterstadt Berlin
an eine weit gründlichere Prüfung neuer Bekanntschaften gewöhnt.

Es ging die halbe Straße hinab, und dann hielt man an. Der jüngere
Herr Schaible stieß einen melodischen Pfiff ans, Flörchen rief mit Heller Stimme:
Tante Lotte! und es erschienen mehrere Köpfe am Fenster. Dann trappelte
es im Hause, eine ältliche Dame, zwei junge Mädchen und ein braunlockiger
rüstiger Bursche in grauem Rock mit grünen Anschlägen erschienen nach und
nach in der Hausthür, und es fand eine freudige Begrüßung und ein Austausch
der Meiningen über das Wetter statt. Die jungen Mädchen kicherten, als sie
Ephraims ansichtig wurden, und dann ging es weiter.

Der ältere Herr Schaible ging voran, hinter ihm gingen in tiefen Er¬
örterungen häuslicher Angelegenheiten Tante Lotte und Mutter Schaible, dahinter
Arm in Arm Flörchcn und ihre Basen, von denen die eine ebenfalls einen Korb
trug, hinter ihnen ging in immer steigender Verlegenheit Ephraim, und Adolf
Schaible mit dem Forsteleven machte den Beschluß des Zugs.

Die Erscheinung des jungen Mädchens, das auf dem Tische saß, in einem
Kleide, aus dem sie herausgewachsen war, und mit hernbgerutschtcm Strumpf,
hatte ihm gestern ein prickelndes Gefühl verursacht, das er nicht hatte loswerden
können. Er mußte immer wieder an ihre weißen Zähne und deren schneidende


Grenzlwteil I. 1882, 32
Bakchen und Thyrsosträger.

Ephraim stand noch im Anschauen des Mädchens versunken und fühlte sich
verlegen wegen der Unart seines Freundes, der ihn nicht vorgestellt hatte. Aber
das blonde Mädchen schien über Vorstellen dieselben vorurteilsfreien Anschau¬
ungen zu hegen wie ihr Bruder, Sie sah Ephraim mit freundlichem Lächeln
an und sagte: Gehen Sie mit?

O, wenn Sie erlauben — stotterte er.

Kommen Sie nur, sagte sie, und er folgte ihr nach.

Auf dem Vorplatze standen ein gewaltiger, älterer Herr mit rötlichen Antlitz
und eine behäbige Dame in vorgerückten Jahren,

Hast du den Kuchen eingepackt, Flörcheu? fragte die behäbige Dame.

Es ist alles eingepackt und nichts vergessen, sagte das blonde Mädchen.

Schließe auch die Thüren zu, sagte die behäbige Dame.

Brauchst du gar nicht zu sagen, erwiederte die Tochter.

Während dessen betrachtete der ältere Herr neugierig den ihm unbekannten
Ephraim, der bescheiden zur Seite stand.

Herr Stahlhardt, sagte das blonde Mädchen als Erklärung zu ihrem Vater,
er geht auch mit.

Sehr angenehm, sagte der Herr, seinen Hut lüftend. Er hatte dieselben
langsamen, bedächtigen Bewegungen, dieselbe Ruhe der Sprache wie sein recken¬
hafter Sohn. Die behäbige Dame winkte Ephraim freundlich zu, und dann
gingen alle fünf zusammen fort. Flörchcn schloß die letzte Thür ab und steckte
den Schlüssel in ihren Korb.

Merkwürdige Leute, dachte Ephraim. Er war in seiner Vaterstadt Berlin
an eine weit gründlichere Prüfung neuer Bekanntschaften gewöhnt.

Es ging die halbe Straße hinab, und dann hielt man an. Der jüngere
Herr Schaible stieß einen melodischen Pfiff ans, Flörchen rief mit Heller Stimme:
Tante Lotte! und es erschienen mehrere Köpfe am Fenster. Dann trappelte
es im Hause, eine ältliche Dame, zwei junge Mädchen und ein braunlockiger
rüstiger Bursche in grauem Rock mit grünen Anschlägen erschienen nach und
nach in der Hausthür, und es fand eine freudige Begrüßung und ein Austausch
der Meiningen über das Wetter statt. Die jungen Mädchen kicherten, als sie
Ephraims ansichtig wurden, und dann ging es weiter.

Der ältere Herr Schaible ging voran, hinter ihm gingen in tiefen Er¬
örterungen häuslicher Angelegenheiten Tante Lotte und Mutter Schaible, dahinter
Arm in Arm Flörchcn und ihre Basen, von denen die eine ebenfalls einen Korb
trug, hinter ihnen ging in immer steigender Verlegenheit Ephraim, und Adolf
Schaible mit dem Forsteleven machte den Beschluß des Zugs.

Die Erscheinung des jungen Mädchens, das auf dem Tische saß, in einem
Kleide, aus dem sie herausgewachsen war, und mit hernbgerutschtcm Strumpf,
hatte ihm gestern ein prickelndes Gefühl verursacht, das er nicht hatte loswerden
können. Er mußte immer wieder an ihre weißen Zähne und deren schneidende


Grenzlwteil I. 1882, 32
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[0257] Bakchen und Thyrsosträger. Ephraim stand noch im Anschauen des Mädchens versunken und fühlte sich verlegen wegen der Unart seines Freundes, der ihn nicht vorgestellt hatte. Aber das blonde Mädchen schien über Vorstellen dieselben vorurteilsfreien Anschau¬ ungen zu hegen wie ihr Bruder, Sie sah Ephraim mit freundlichem Lächeln an und sagte: Gehen Sie mit? O, wenn Sie erlauben — stotterte er. Kommen Sie nur, sagte sie, und er folgte ihr nach. Auf dem Vorplatze standen ein gewaltiger, älterer Herr mit rötlichen Antlitz und eine behäbige Dame in vorgerückten Jahren, Hast du den Kuchen eingepackt, Flörcheu? fragte die behäbige Dame. Es ist alles eingepackt und nichts vergessen, sagte das blonde Mädchen. Schließe auch die Thüren zu, sagte die behäbige Dame. Brauchst du gar nicht zu sagen, erwiederte die Tochter. Während dessen betrachtete der ältere Herr neugierig den ihm unbekannten Ephraim, der bescheiden zur Seite stand. Herr Stahlhardt, sagte das blonde Mädchen als Erklärung zu ihrem Vater, er geht auch mit. Sehr angenehm, sagte der Herr, seinen Hut lüftend. Er hatte dieselben langsamen, bedächtigen Bewegungen, dieselbe Ruhe der Sprache wie sein recken¬ hafter Sohn. Die behäbige Dame winkte Ephraim freundlich zu, und dann gingen alle fünf zusammen fort. Flörchcn schloß die letzte Thür ab und steckte den Schlüssel in ihren Korb. Merkwürdige Leute, dachte Ephraim. Er war in seiner Vaterstadt Berlin an eine weit gründlichere Prüfung neuer Bekanntschaften gewöhnt. Es ging die halbe Straße hinab, und dann hielt man an. Der jüngere Herr Schaible stieß einen melodischen Pfiff ans, Flörchen rief mit Heller Stimme: Tante Lotte! und es erschienen mehrere Köpfe am Fenster. Dann trappelte es im Hause, eine ältliche Dame, zwei junge Mädchen und ein braunlockiger rüstiger Bursche in grauem Rock mit grünen Anschlägen erschienen nach und nach in der Hausthür, und es fand eine freudige Begrüßung und ein Austausch der Meiningen über das Wetter statt. Die jungen Mädchen kicherten, als sie Ephraims ansichtig wurden, und dann ging es weiter. Der ältere Herr Schaible ging voran, hinter ihm gingen in tiefen Er¬ örterungen häuslicher Angelegenheiten Tante Lotte und Mutter Schaible, dahinter Arm in Arm Flörchcn und ihre Basen, von denen die eine ebenfalls einen Korb trug, hinter ihnen ging in immer steigender Verlegenheit Ephraim, und Adolf Schaible mit dem Forsteleven machte den Beschluß des Zugs. Die Erscheinung des jungen Mädchens, das auf dem Tische saß, in einem Kleide, aus dem sie herausgewachsen war, und mit hernbgerutschtcm Strumpf, hatte ihm gestern ein prickelndes Gefühl verursacht, das er nicht hatte loswerden können. Er mußte immer wieder an ihre weißen Zähne und deren schneidende Grenzlwteil I. 1882, 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/257>, abgerufen am 29.06.2024.