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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger.

Herr Schcnble sah ihn verwundert an. Zum Besuch? Nein. Sie war zum
Besuch und ist jetzt zurückgekommen.

Erst jetzt kam Ephraim auf den Gedanken, daß sein Freund im Schoße
seiner Familie wohne. Er hatte das bis jetzt nicht vermutet, da er niemals
etwas von einer Familie gesehen hatte.

Aber als er fragte, sagte sein Freund: Natürlich.

Es war also natürlich.

Herr Schcnble ging, und Ephraim folgte ihm und ergötzte sich innerlich an
den: Wesen dieser Familie. Das Mädchen saß nicht mehr auf dem Tische und
war überhaupt nicht mehr zu sehen.

Ich möchte wohl die Eltern kennen, sagte Ephraim lächelnd zu sich selber.
Diese Schcnbles haben noch das unvermischte Blut des alten Volkes, das Taeitus
schildert. Der andre Tag war ein Sonntag, und Ephraim dachte, als die Glocken
zu läuten anfingen, er wolle doch Acht geben, ob Schcnbles zur Kirche gingen.
Er setzte sich ans Fenster und sah wohl eine halbe Stunde lang das alte Haus
und dessen Thüre an. Aber Schaibles schienen nicht zur Kirche zu gehen, wenigstens
kam niemand heraus, der zu ihnen gehören konnte. Gerade in dem Augenblick,
als Ephraim das Fenster verlassen wollte, sah er jedoch drüben das Mädchen
von gestern erscheinen. Es trat an eins der Erkerfenster, öffnete es, hatte ihn
in derselben Sekunde entdeckt und sandte ihm einen freien Blick herüber, während
sie ein Staubtuch ausschüttelte. Ihr blondes Haar hing ihr in ungebändigten
Locken um die Stirn, und es fiel ein Sonnenstrahl darauf, der es hell leuchten machte.

Ephraim prallte ganz erschreckt vom Fenster zurück und schaute dann ans dem
Hintergründe des Zimmers unverwandt hinüber. Aber es war nichts wieder
von dem Mädchen zu sehen.

Er hörte diesen Nachmittag schon ungewöhnlich früh das Klavier von drüben
ertönen, und da er sich gewöhnt hatte, dies als ein Signal zu betrachten, so
ging er hinüber. Er fand zu seiner Verwunderung Herrn Schcnble mit einem
breitrandigen Strohhut auf dem Kopfe und mit einer Cigarre im Munde am
Klavier sitzen und hörte von ihm, die Familie wolle heute eine Partie machen.

Eine Partie? Wie so? Was für eine Partie? fragte Ephraim.

Ehe noch Herr Schcnble antworten konnte -- denn er war sehr langsam
mit Antworten --, öffnete sich die Thür, und mit einem kecken Schritt und fröh¬
lichem Gesicht trat das blonde Mädchen herein. Sie trug ein weißes Hütchen
mit Rosen auf dem Kopfe, ein weißes Kleid von sehr leichtem Stoff mit rotem
Besatz und am Arme einen kleinen Korb. Unwillkürlich blickte Ephraim nach
ihren Füßen. Die Schuhe waren von einen: primitiven Schuster, konnten aber
doch nicht verbergen, daß die Füße des Mädchens von tadelloser Form waren.

Komm, Adolf, sagte sie, Vater ist munter.

Adolf erhob seine langen Glieder langsam vom Stuhle, nickte dem Freunde
zum Abschied und ging.


Bakchen und Thyrsostrciger.

Herr Schcnble sah ihn verwundert an. Zum Besuch? Nein. Sie war zum
Besuch und ist jetzt zurückgekommen.

Erst jetzt kam Ephraim auf den Gedanken, daß sein Freund im Schoße
seiner Familie wohne. Er hatte das bis jetzt nicht vermutet, da er niemals
etwas von einer Familie gesehen hatte.

Aber als er fragte, sagte sein Freund: Natürlich.

Es war also natürlich.

Herr Schcnble ging, und Ephraim folgte ihm und ergötzte sich innerlich an
den: Wesen dieser Familie. Das Mädchen saß nicht mehr auf dem Tische und
war überhaupt nicht mehr zu sehen.

Ich möchte wohl die Eltern kennen, sagte Ephraim lächelnd zu sich selber.
Diese Schcnbles haben noch das unvermischte Blut des alten Volkes, das Taeitus
schildert. Der andre Tag war ein Sonntag, und Ephraim dachte, als die Glocken
zu läuten anfingen, er wolle doch Acht geben, ob Schcnbles zur Kirche gingen.
Er setzte sich ans Fenster und sah wohl eine halbe Stunde lang das alte Haus
und dessen Thüre an. Aber Schaibles schienen nicht zur Kirche zu gehen, wenigstens
kam niemand heraus, der zu ihnen gehören konnte. Gerade in dem Augenblick,
als Ephraim das Fenster verlassen wollte, sah er jedoch drüben das Mädchen
von gestern erscheinen. Es trat an eins der Erkerfenster, öffnete es, hatte ihn
in derselben Sekunde entdeckt und sandte ihm einen freien Blick herüber, während
sie ein Staubtuch ausschüttelte. Ihr blondes Haar hing ihr in ungebändigten
Locken um die Stirn, und es fiel ein Sonnenstrahl darauf, der es hell leuchten machte.

Ephraim prallte ganz erschreckt vom Fenster zurück und schaute dann ans dem
Hintergründe des Zimmers unverwandt hinüber. Aber es war nichts wieder
von dem Mädchen zu sehen.

Er hörte diesen Nachmittag schon ungewöhnlich früh das Klavier von drüben
ertönen, und da er sich gewöhnt hatte, dies als ein Signal zu betrachten, so
ging er hinüber. Er fand zu seiner Verwunderung Herrn Schcnble mit einem
breitrandigen Strohhut auf dem Kopfe und mit einer Cigarre im Munde am
Klavier sitzen und hörte von ihm, die Familie wolle heute eine Partie machen.

Eine Partie? Wie so? Was für eine Partie? fragte Ephraim.

Ehe noch Herr Schcnble antworten konnte — denn er war sehr langsam
mit Antworten —, öffnete sich die Thür, und mit einem kecken Schritt und fröh¬
lichem Gesicht trat das blonde Mädchen herein. Sie trug ein weißes Hütchen
mit Rosen auf dem Kopfe, ein weißes Kleid von sehr leichtem Stoff mit rotem
Besatz und am Arme einen kleinen Korb. Unwillkürlich blickte Ephraim nach
ihren Füßen. Die Schuhe waren von einen: primitiven Schuster, konnten aber
doch nicht verbergen, daß die Füße des Mädchens von tadelloser Form waren.

Komm, Adolf, sagte sie, Vater ist munter.

Adolf erhob seine langen Glieder langsam vom Stuhle, nickte dem Freunde
zum Abschied und ging.


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[0256] Bakchen und Thyrsostrciger. Herr Schcnble sah ihn verwundert an. Zum Besuch? Nein. Sie war zum Besuch und ist jetzt zurückgekommen. Erst jetzt kam Ephraim auf den Gedanken, daß sein Freund im Schoße seiner Familie wohne. Er hatte das bis jetzt nicht vermutet, da er niemals etwas von einer Familie gesehen hatte. Aber als er fragte, sagte sein Freund: Natürlich. Es war also natürlich. Herr Schcnble ging, und Ephraim folgte ihm und ergötzte sich innerlich an den: Wesen dieser Familie. Das Mädchen saß nicht mehr auf dem Tische und war überhaupt nicht mehr zu sehen. Ich möchte wohl die Eltern kennen, sagte Ephraim lächelnd zu sich selber. Diese Schcnbles haben noch das unvermischte Blut des alten Volkes, das Taeitus schildert. Der andre Tag war ein Sonntag, und Ephraim dachte, als die Glocken zu läuten anfingen, er wolle doch Acht geben, ob Schcnbles zur Kirche gingen. Er setzte sich ans Fenster und sah wohl eine halbe Stunde lang das alte Haus und dessen Thüre an. Aber Schaibles schienen nicht zur Kirche zu gehen, wenigstens kam niemand heraus, der zu ihnen gehören konnte. Gerade in dem Augenblick, als Ephraim das Fenster verlassen wollte, sah er jedoch drüben das Mädchen von gestern erscheinen. Es trat an eins der Erkerfenster, öffnete es, hatte ihn in derselben Sekunde entdeckt und sandte ihm einen freien Blick herüber, während sie ein Staubtuch ausschüttelte. Ihr blondes Haar hing ihr in ungebändigten Locken um die Stirn, und es fiel ein Sonnenstrahl darauf, der es hell leuchten machte. Ephraim prallte ganz erschreckt vom Fenster zurück und schaute dann ans dem Hintergründe des Zimmers unverwandt hinüber. Aber es war nichts wieder von dem Mädchen zu sehen. Er hörte diesen Nachmittag schon ungewöhnlich früh das Klavier von drüben ertönen, und da er sich gewöhnt hatte, dies als ein Signal zu betrachten, so ging er hinüber. Er fand zu seiner Verwunderung Herrn Schcnble mit einem breitrandigen Strohhut auf dem Kopfe und mit einer Cigarre im Munde am Klavier sitzen und hörte von ihm, die Familie wolle heute eine Partie machen. Eine Partie? Wie so? Was für eine Partie? fragte Ephraim. Ehe noch Herr Schcnble antworten konnte — denn er war sehr langsam mit Antworten —, öffnete sich die Thür, und mit einem kecken Schritt und fröh¬ lichem Gesicht trat das blonde Mädchen herein. Sie trug ein weißes Hütchen mit Rosen auf dem Kopfe, ein weißes Kleid von sehr leichtem Stoff mit rotem Besatz und am Arme einen kleinen Korb. Unwillkürlich blickte Ephraim nach ihren Füßen. Die Schuhe waren von einen: primitiven Schuster, konnten aber doch nicht verbergen, daß die Füße des Mädchens von tadelloser Form waren. Komm, Adolf, sagte sie, Vater ist munter. Adolf erhob seine langen Glieder langsam vom Stuhle, nickte dem Freunde zum Abschied und ging.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/256>, abgerufen am 29.06.2024.