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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger,

oft mit staunendem Neide an, aller hatte ihn doch gern, weil er so gut und so
unendlich indolent war. Ephraim konnte thun, was er wollte, Adolf Schaible
blieb stets derselbe. Gegen Abend Pflegte Ephraim hinüber zu gehen in das alte
Haus, sobald er dort das Klavier ertönen hörte. Dann stieg er über breite
Treppen und geräumige Vorplatze hinan in den zweiten Stock in das niedrige Zimmer,
wo der blonde Student hauste, nickte diesem zu, der sich nicht in seinem Spiel
stören ließ, und legte sich auf das Sopha. Herr Schaible spielte und spielte,
bald Norma, bald Lohengrin, bald nach Noten, bald aus dem Kopfe, und Ephraim
träumte und war glücklich. Aber um acht Uhr stand Herr Schaible auf, nahm
seine Pfeife lind sein Cerevisküppchen, nickte und ging fort, ohne sich darum zu
kümmern, was aus seinein Besuche würde. Der ging dann hinter ihm her und
in sein eigenes Heim gegenüber. Schaible aber wandelte mächtig schreitend in
die Kneipe und vertilgte unglaubliche Mengen Bier. Er war ein prachtvoller
Trinker, ruhig, lächelnd, unbesiegbar.

Eines schönen Tages, als Ephraim wieder, von den Melodien Mozarts
angezogen, über die Straße ging, seinen Freund zu besuchen, sah er vor dessen
Thür auf einem Tische ein Mädchen sitzen, das ihm auffiel. Sie saß dort in
sehr ungezwungener Weise, mit einem Fuß auf dem Boden stehend, während der
andre baumelte, und ihr blaues Waschkleid war so kurz, daß Ephraim deutlich
einen hcrabgerutschten Strumpf bemerken konnte. Das Mädchen hatte goldig
glänzendes Haar und strahlende blaue Augen, es biß in dem Augenblick, als
Ephraim ihrer ansichtig wurde, mit zwei Reihen Perlcnzähnen in ein riesiges
schwarzes Vuttcrbrod, und die Zähne schnitten ein kreisrundes Loch aus der
daumsdicken Rinde heraus. Als sie den fremden Herrn sah, legte sie ihr
Butterbrod bei Seite und wurde rot.

Ephraim ging in des Freundes Zimmer, setzte sich auf das Sopha und
dachte nach, was für ein Mädchen das gewesen sein könne. War es ein Dienst¬
mädchen? Sie war so sehr einfach in ihrem Äußern. Aber für ein Dienstmädchen
war sie doch zu fein aussehend, und es war ein gewisses Etwas an ihr, das
auf eine höhere Stufe in der menschlichen Gesellschaft schließen ließ. Ihre Er¬
scheinung hatte Ephraim frappirt, er konnte das Bild des Mädchens nicht aus
der Erinnerung loswerden.

Endlich fragte er den Freund.

Ein Mädchen? fragte dieser entgegen.

Ja, es saß hier vor der Thür auf dem Tische.

War wohl meine Schwester, sagte Herr Schaible und setzte sein Spiel fort.

Ephraim schwieg und wunderte sich.

Seine Schwester? sagte er zu sich selbst, wie kommt sie hierher? Und warum
sitzt sie vor der Thür? Wohnt sie bei ihrem Bruder?

Ist sie bei Ihnen zum Besuch? fragte er endlich, als Herr Schaible auf¬
stand und sein Cereviskäppchen aufsetzte.


Bakchen und Thyrsostrciger,

oft mit staunendem Neide an, aller hatte ihn doch gern, weil er so gut und so
unendlich indolent war. Ephraim konnte thun, was er wollte, Adolf Schaible
blieb stets derselbe. Gegen Abend Pflegte Ephraim hinüber zu gehen in das alte
Haus, sobald er dort das Klavier ertönen hörte. Dann stieg er über breite
Treppen und geräumige Vorplatze hinan in den zweiten Stock in das niedrige Zimmer,
wo der blonde Student hauste, nickte diesem zu, der sich nicht in seinem Spiel
stören ließ, und legte sich auf das Sopha. Herr Schaible spielte und spielte,
bald Norma, bald Lohengrin, bald nach Noten, bald aus dem Kopfe, und Ephraim
träumte und war glücklich. Aber um acht Uhr stand Herr Schaible auf, nahm
seine Pfeife lind sein Cerevisküppchen, nickte und ging fort, ohne sich darum zu
kümmern, was aus seinein Besuche würde. Der ging dann hinter ihm her und
in sein eigenes Heim gegenüber. Schaible aber wandelte mächtig schreitend in
die Kneipe und vertilgte unglaubliche Mengen Bier. Er war ein prachtvoller
Trinker, ruhig, lächelnd, unbesiegbar.

Eines schönen Tages, als Ephraim wieder, von den Melodien Mozarts
angezogen, über die Straße ging, seinen Freund zu besuchen, sah er vor dessen
Thür auf einem Tische ein Mädchen sitzen, das ihm auffiel. Sie saß dort in
sehr ungezwungener Weise, mit einem Fuß auf dem Boden stehend, während der
andre baumelte, und ihr blaues Waschkleid war so kurz, daß Ephraim deutlich
einen hcrabgerutschten Strumpf bemerken konnte. Das Mädchen hatte goldig
glänzendes Haar und strahlende blaue Augen, es biß in dem Augenblick, als
Ephraim ihrer ansichtig wurde, mit zwei Reihen Perlcnzähnen in ein riesiges
schwarzes Vuttcrbrod, und die Zähne schnitten ein kreisrundes Loch aus der
daumsdicken Rinde heraus. Als sie den fremden Herrn sah, legte sie ihr
Butterbrod bei Seite und wurde rot.

Ephraim ging in des Freundes Zimmer, setzte sich auf das Sopha und
dachte nach, was für ein Mädchen das gewesen sein könne. War es ein Dienst¬
mädchen? Sie war so sehr einfach in ihrem Äußern. Aber für ein Dienstmädchen
war sie doch zu fein aussehend, und es war ein gewisses Etwas an ihr, das
auf eine höhere Stufe in der menschlichen Gesellschaft schließen ließ. Ihre Er¬
scheinung hatte Ephraim frappirt, er konnte das Bild des Mädchens nicht aus
der Erinnerung loswerden.

Endlich fragte er den Freund.

Ein Mädchen? fragte dieser entgegen.

Ja, es saß hier vor der Thür auf dem Tische.

War wohl meine Schwester, sagte Herr Schaible und setzte sein Spiel fort.

Ephraim schwieg und wunderte sich.

Seine Schwester? sagte er zu sich selbst, wie kommt sie hierher? Und warum
sitzt sie vor der Thür? Wohnt sie bei ihrem Bruder?

Ist sie bei Ihnen zum Besuch? fragte er endlich, als Herr Schaible auf¬
stand und sein Cereviskäppchen aufsetzte.


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[0255] Bakchen und Thyrsostrciger, oft mit staunendem Neide an, aller hatte ihn doch gern, weil er so gut und so unendlich indolent war. Ephraim konnte thun, was er wollte, Adolf Schaible blieb stets derselbe. Gegen Abend Pflegte Ephraim hinüber zu gehen in das alte Haus, sobald er dort das Klavier ertönen hörte. Dann stieg er über breite Treppen und geräumige Vorplatze hinan in den zweiten Stock in das niedrige Zimmer, wo der blonde Student hauste, nickte diesem zu, der sich nicht in seinem Spiel stören ließ, und legte sich auf das Sopha. Herr Schaible spielte und spielte, bald Norma, bald Lohengrin, bald nach Noten, bald aus dem Kopfe, und Ephraim träumte und war glücklich. Aber um acht Uhr stand Herr Schaible auf, nahm seine Pfeife lind sein Cerevisküppchen, nickte und ging fort, ohne sich darum zu kümmern, was aus seinein Besuche würde. Der ging dann hinter ihm her und in sein eigenes Heim gegenüber. Schaible aber wandelte mächtig schreitend in die Kneipe und vertilgte unglaubliche Mengen Bier. Er war ein prachtvoller Trinker, ruhig, lächelnd, unbesiegbar. Eines schönen Tages, als Ephraim wieder, von den Melodien Mozarts angezogen, über die Straße ging, seinen Freund zu besuchen, sah er vor dessen Thür auf einem Tische ein Mädchen sitzen, das ihm auffiel. Sie saß dort in sehr ungezwungener Weise, mit einem Fuß auf dem Boden stehend, während der andre baumelte, und ihr blaues Waschkleid war so kurz, daß Ephraim deutlich einen hcrabgerutschten Strumpf bemerken konnte. Das Mädchen hatte goldig glänzendes Haar und strahlende blaue Augen, es biß in dem Augenblick, als Ephraim ihrer ansichtig wurde, mit zwei Reihen Perlcnzähnen in ein riesiges schwarzes Vuttcrbrod, und die Zähne schnitten ein kreisrundes Loch aus der daumsdicken Rinde heraus. Als sie den fremden Herrn sah, legte sie ihr Butterbrod bei Seite und wurde rot. Ephraim ging in des Freundes Zimmer, setzte sich auf das Sopha und dachte nach, was für ein Mädchen das gewesen sein könne. War es ein Dienst¬ mädchen? Sie war so sehr einfach in ihrem Äußern. Aber für ein Dienstmädchen war sie doch zu fein aussehend, und es war ein gewisses Etwas an ihr, das auf eine höhere Stufe in der menschlichen Gesellschaft schließen ließ. Ihre Er¬ scheinung hatte Ephraim frappirt, er konnte das Bild des Mädchens nicht aus der Erinnerung loswerden. Endlich fragte er den Freund. Ein Mädchen? fragte dieser entgegen. Ja, es saß hier vor der Thür auf dem Tische. War wohl meine Schwester, sagte Herr Schaible und setzte sein Spiel fort. Ephraim schwieg und wunderte sich. Seine Schwester? sagte er zu sich selbst, wie kommt sie hierher? Und warum sitzt sie vor der Thür? Wohnt sie bei ihrem Bruder? Ist sie bei Ihnen zum Besuch? fragte er endlich, als Herr Schaible auf¬ stand und sein Cereviskäppchen aufsetzte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/255>, abgerufen am 29.06.2024.