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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

bösen Geister seines Innern gebannt, und er fühlte sich zu höhern Sphären
erhoben,

Ephraims Wohnung gegenüber stand ein altes, wunderliches Haus, welches
ihm vielen Genuß bereitete, indem er es oft, an seinem Fenster sitzend, betrachtete.
Es mußte Jahrhunderte alt sein, denn es war so gebaut, wie es seit un¬
denklicher Zeit keinem Menschen mehr einfällt Häuser zu bauen, und in ganz
Berlin hatte er niemals seinesgleichen gesehen. Es war von geheimnisvollem
Aussehen, wie es Ephraim vorkam, und oft war es ihm, als müsse in einem
solchen Hause hinter den kleinen Fenstern, tief verbürgen in Gemächern, die alters¬
schwarz und winkelig versteckt lagen, das Glück schlummern, das die Welt noch
für ihn aufbewahrte.

Jedes Stockwerk dieses Hauses sprang weit über das darunter liegende vor,
so daß das Ganze oben viel größer war als unten, dazu war das Haus mit
vielem Zierrat bedeckt, der in die roten Steine eingehnuen war, mit Figuren, die
im Laufe der Zeiten abgeschliffen und zerstückelt waren, mich mit Guirlanden,
Sprüchen und Zahlen, Das reizendste aber war ein Vorbau, der in die Straße
hineinragte. Er ruhte ans einer einzigen Säule, die inmitten des Trottoirs
stand, so daß man unter ihm hingehen konnte, und reichte bis zum Dache hinauf.
Er enthielt drei übereinanderliegende Zimmer, jedes mit drei Fenstern in der
Front und einem Fenster nach jeder Seite, aus denen man die ganze Straße
hinauf und hinunter sehen konnte. Und welche entzückenden, poetischen kleinen Schieb¬
fenster, von steinernen Fruchtschnüren eingefaßt, mit Darstellungen aus dem Alten
Testament dazwischen, und im ersten Stock auch von innen geziert durch blühenden
Goldlack und Kaktus. Um die Säule herum, die mit Reliefs bedeckt war und
sich nach oben einem Palmbaum gleich anscinanderbog, um den Erker zu tragen,
spielte immer eine Schaar Kinder, und wenn es regnete, warteten dort die Leute,
die ohne Schirm ausgegangen waren. Man hatte viel Zeit in Heidelberg, es
war nicht wie in Berlin.

Von diesem Hause aus tönten oft Melodien, die Ephraim veranlaßten, stille
zu lauschen, und er entdeckte mit der Zeit, daß der große, blonde Student, der
mit ihm dasselbe Kolleg besuchte, der Urheber dieser Musik war, Sie gingen
denselben Weg zusammen, und so begründete sich ihre Bekanntschaft. Herr
Adolf Schaible war wortkarg, das behagte Ephraim. Schaible hielt die Welt
für so beschaffen, daß es nicht Not thäte, darüber viele Worte zu machen. Es
war alles gut, wie es war, und das, was nicht gut war, konnte man doch nicht
ändern. Er hörte Ephraim gern zu, wenn dieser ihm seine Ideen vortrug, wunderte
sich im Stillen über solche Verschwendung von Geist, aber antwortete nur durch
ein Nicken. Er war durch nichts aus seiner Ruhe zu bringen. Er war mächtig
gebaut, ein echter Germane mit großen, blauen Augen, mädchenhafter Gesichts¬
farbe und glänzend blondem Haar, Er hatte sein Jahr als Freiwilliger abge¬
dient, als Flügelmann bei den Grenadieren in Karlsruhe, Ephraim sah ihn


Bakchen und Thyrsosträger.

bösen Geister seines Innern gebannt, und er fühlte sich zu höhern Sphären
erhoben,

Ephraims Wohnung gegenüber stand ein altes, wunderliches Haus, welches
ihm vielen Genuß bereitete, indem er es oft, an seinem Fenster sitzend, betrachtete.
Es mußte Jahrhunderte alt sein, denn es war so gebaut, wie es seit un¬
denklicher Zeit keinem Menschen mehr einfällt Häuser zu bauen, und in ganz
Berlin hatte er niemals seinesgleichen gesehen. Es war von geheimnisvollem
Aussehen, wie es Ephraim vorkam, und oft war es ihm, als müsse in einem
solchen Hause hinter den kleinen Fenstern, tief verbürgen in Gemächern, die alters¬
schwarz und winkelig versteckt lagen, das Glück schlummern, das die Welt noch
für ihn aufbewahrte.

Jedes Stockwerk dieses Hauses sprang weit über das darunter liegende vor,
so daß das Ganze oben viel größer war als unten, dazu war das Haus mit
vielem Zierrat bedeckt, der in die roten Steine eingehnuen war, mit Figuren, die
im Laufe der Zeiten abgeschliffen und zerstückelt waren, mich mit Guirlanden,
Sprüchen und Zahlen, Das reizendste aber war ein Vorbau, der in die Straße
hineinragte. Er ruhte ans einer einzigen Säule, die inmitten des Trottoirs
stand, so daß man unter ihm hingehen konnte, und reichte bis zum Dache hinauf.
Er enthielt drei übereinanderliegende Zimmer, jedes mit drei Fenstern in der
Front und einem Fenster nach jeder Seite, aus denen man die ganze Straße
hinauf und hinunter sehen konnte. Und welche entzückenden, poetischen kleinen Schieb¬
fenster, von steinernen Fruchtschnüren eingefaßt, mit Darstellungen aus dem Alten
Testament dazwischen, und im ersten Stock auch von innen geziert durch blühenden
Goldlack und Kaktus. Um die Säule herum, die mit Reliefs bedeckt war und
sich nach oben einem Palmbaum gleich anscinanderbog, um den Erker zu tragen,
spielte immer eine Schaar Kinder, und wenn es regnete, warteten dort die Leute,
die ohne Schirm ausgegangen waren. Man hatte viel Zeit in Heidelberg, es
war nicht wie in Berlin.

Von diesem Hause aus tönten oft Melodien, die Ephraim veranlaßten, stille
zu lauschen, und er entdeckte mit der Zeit, daß der große, blonde Student, der
mit ihm dasselbe Kolleg besuchte, der Urheber dieser Musik war, Sie gingen
denselben Weg zusammen, und so begründete sich ihre Bekanntschaft. Herr
Adolf Schaible war wortkarg, das behagte Ephraim. Schaible hielt die Welt
für so beschaffen, daß es nicht Not thäte, darüber viele Worte zu machen. Es
war alles gut, wie es war, und das, was nicht gut war, konnte man doch nicht
ändern. Er hörte Ephraim gern zu, wenn dieser ihm seine Ideen vortrug, wunderte
sich im Stillen über solche Verschwendung von Geist, aber antwortete nur durch
ein Nicken. Er war durch nichts aus seiner Ruhe zu bringen. Er war mächtig
gebaut, ein echter Germane mit großen, blauen Augen, mädchenhafter Gesichts¬
farbe und glänzend blondem Haar, Er hatte sein Jahr als Freiwilliger abge¬
dient, als Flügelmann bei den Grenadieren in Karlsruhe, Ephraim sah ihn


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[0254] Bakchen und Thyrsosträger. bösen Geister seines Innern gebannt, und er fühlte sich zu höhern Sphären erhoben, Ephraims Wohnung gegenüber stand ein altes, wunderliches Haus, welches ihm vielen Genuß bereitete, indem er es oft, an seinem Fenster sitzend, betrachtete. Es mußte Jahrhunderte alt sein, denn es war so gebaut, wie es seit un¬ denklicher Zeit keinem Menschen mehr einfällt Häuser zu bauen, und in ganz Berlin hatte er niemals seinesgleichen gesehen. Es war von geheimnisvollem Aussehen, wie es Ephraim vorkam, und oft war es ihm, als müsse in einem solchen Hause hinter den kleinen Fenstern, tief verbürgen in Gemächern, die alters¬ schwarz und winkelig versteckt lagen, das Glück schlummern, das die Welt noch für ihn aufbewahrte. Jedes Stockwerk dieses Hauses sprang weit über das darunter liegende vor, so daß das Ganze oben viel größer war als unten, dazu war das Haus mit vielem Zierrat bedeckt, der in die roten Steine eingehnuen war, mit Figuren, die im Laufe der Zeiten abgeschliffen und zerstückelt waren, mich mit Guirlanden, Sprüchen und Zahlen, Das reizendste aber war ein Vorbau, der in die Straße hineinragte. Er ruhte ans einer einzigen Säule, die inmitten des Trottoirs stand, so daß man unter ihm hingehen konnte, und reichte bis zum Dache hinauf. Er enthielt drei übereinanderliegende Zimmer, jedes mit drei Fenstern in der Front und einem Fenster nach jeder Seite, aus denen man die ganze Straße hinauf und hinunter sehen konnte. Und welche entzückenden, poetischen kleinen Schieb¬ fenster, von steinernen Fruchtschnüren eingefaßt, mit Darstellungen aus dem Alten Testament dazwischen, und im ersten Stock auch von innen geziert durch blühenden Goldlack und Kaktus. Um die Säule herum, die mit Reliefs bedeckt war und sich nach oben einem Palmbaum gleich anscinanderbog, um den Erker zu tragen, spielte immer eine Schaar Kinder, und wenn es regnete, warteten dort die Leute, die ohne Schirm ausgegangen waren. Man hatte viel Zeit in Heidelberg, es war nicht wie in Berlin. Von diesem Hause aus tönten oft Melodien, die Ephraim veranlaßten, stille zu lauschen, und er entdeckte mit der Zeit, daß der große, blonde Student, der mit ihm dasselbe Kolleg besuchte, der Urheber dieser Musik war, Sie gingen denselben Weg zusammen, und so begründete sich ihre Bekanntschaft. Herr Adolf Schaible war wortkarg, das behagte Ephraim. Schaible hielt die Welt für so beschaffen, daß es nicht Not thäte, darüber viele Worte zu machen. Es war alles gut, wie es war, und das, was nicht gut war, konnte man doch nicht ändern. Er hörte Ephraim gern zu, wenn dieser ihm seine Ideen vortrug, wunderte sich im Stillen über solche Verschwendung von Geist, aber antwortete nur durch ein Nicken. Er war durch nichts aus seiner Ruhe zu bringen. Er war mächtig gebaut, ein echter Germane mit großen, blauen Augen, mädchenhafter Gesichts¬ farbe und glänzend blondem Haar, Er hatte sein Jahr als Freiwilliger abge¬ dient, als Flügelmann bei den Grenadieren in Karlsruhe, Ephraim sah ihn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/254>, abgerufen am 29.06.2024.