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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsostrciger.

lassen sich aber von den Reizen seiner schönen Natur zum Nichtsthun verlocken.
Ich wünschte, du ahndest diesen unnützen Studenten möglichst nach. Was bei
ihnen zu viel ist, möchte Wohl bei dir gerade das rechte Gleichgewicht herstellen.

Ephraim ging, reiste langsam von Köln ab stromaufwärts und kam zur
Zeit des schönsten Erblühens der Natur in Heidelberg um. Dort nahm er eine
bescheidene Wohnung, entsprechend seinen bescheidenen Mitteln, belegte nur ein
einziges Kolleg und bemühte sich, an der Schönheit der Welt Gefallen zu finden.
Aber schon die Rheinreise hatte ihn melancholisch gestimmt, und das Neckarthal
vermochte nicht, ihn aufzuheitern. Er besuchte täglich das berühmte Schloß und
starrte in die Landschaften hinein, aber er ward täglich trauriger. Es war, als
sei seine Vrnst zu eng, um das Schöne aufnehmen zu können, als fehle ihm die
Kraft, die Welt in ihrer Wirklichkeit zu begreifen. Er überzeugte sich, daß es
thöricht von ihm gewesen sei, nach Heidelberg zu gehen und daß jedes Stückchen
schöner Natur ihm gefährlich sei. Denn ihre Schönheit steigerte seine Sehnsucht,
befriedigte sie aber nicht.

An einem prachtvollen warmen Abend, als er ganz allein oberhalb des in
Trümmern liegenden Schlosses saß und die Sonne in wundervollem Glanz unter¬
gehen sah, ward ihm so bange und kam er sich so von Gott verlassen vor, daß
ein Strom von Thränen ans seinen Augen hervorbrach. Er stand eilends auf
und schämte sich seiner selbst und faßte einen Haß gegen sich selbst und beschloß,
nie wieder sein zu empfindsames Gemüt dem Angriff der mitleidlosen Natur
auszusetzen.

Ich bin entsetzt über mich selbst, sagte er sich, es müssen Abgründe von
Schlechtigkeit in mir sein, die mir verborgen waren, denn ein guter Mensch müßte
doch wohl froh und heiter werden bei so erhabenem Anblick. Sind nicht die
Dichter voll Lobes solcher Dinge, die mich traurig machen? Simrock warnt vor
dein Besuche des Rheins, denn er meint, man werde dort so glücklich, daß man
nie wieder fortziehen möge. Sonderbar!

Er ging nach Hanse, zündete seine Lampe an, vertiefte sich in den Aristoteles
und ward allmählich ruhig und zufrieden. Zu rudern Studenten hatte er sich
noch nicht gesellt. Seine delikate Natur schreckte vor der Berührung mit derben
und lustigen Burschen zurück, das Gespräch mit jungen Leuten, die nicht reiflich
über das nachgedacht hatten, was sie sagten, und die einschlägige Literatur nicht
kannten, war ihm peinlich, und nun gar Biertrinken und Weintrinken war ihm
höchst fatal, weil es ihm die Klarheit der Anschauung raubte.

Nur mit einem einzigen Studenten war er bekannt geworden. Es war
ein harmloser, gutmütiger Mensch, in dessen Nähe es Ephraim wohl wurde.
Die stärkste Anziehung aber übte dieser Freund, der Schaible hieß, dadurch auf
ihn aus, daß er wundervoll Klavier spielte. Musik war für Ephraim der höchste
Genuß, und wenn er mit einem Band Gedichte, worin er gleichsam naschte, auf
dem Sopha seines Freundes liegen konnte, während dieser spielte, so waren die


Bakchen und Thyrsostrciger.

lassen sich aber von den Reizen seiner schönen Natur zum Nichtsthun verlocken.
Ich wünschte, du ahndest diesen unnützen Studenten möglichst nach. Was bei
ihnen zu viel ist, möchte Wohl bei dir gerade das rechte Gleichgewicht herstellen.

Ephraim ging, reiste langsam von Köln ab stromaufwärts und kam zur
Zeit des schönsten Erblühens der Natur in Heidelberg um. Dort nahm er eine
bescheidene Wohnung, entsprechend seinen bescheidenen Mitteln, belegte nur ein
einziges Kolleg und bemühte sich, an der Schönheit der Welt Gefallen zu finden.
Aber schon die Rheinreise hatte ihn melancholisch gestimmt, und das Neckarthal
vermochte nicht, ihn aufzuheitern. Er besuchte täglich das berühmte Schloß und
starrte in die Landschaften hinein, aber er ward täglich trauriger. Es war, als
sei seine Vrnst zu eng, um das Schöne aufnehmen zu können, als fehle ihm die
Kraft, die Welt in ihrer Wirklichkeit zu begreifen. Er überzeugte sich, daß es
thöricht von ihm gewesen sei, nach Heidelberg zu gehen und daß jedes Stückchen
schöner Natur ihm gefährlich sei. Denn ihre Schönheit steigerte seine Sehnsucht,
befriedigte sie aber nicht.

An einem prachtvollen warmen Abend, als er ganz allein oberhalb des in
Trümmern liegenden Schlosses saß und die Sonne in wundervollem Glanz unter¬
gehen sah, ward ihm so bange und kam er sich so von Gott verlassen vor, daß
ein Strom von Thränen ans seinen Augen hervorbrach. Er stand eilends auf
und schämte sich seiner selbst und faßte einen Haß gegen sich selbst und beschloß,
nie wieder sein zu empfindsames Gemüt dem Angriff der mitleidlosen Natur
auszusetzen.

Ich bin entsetzt über mich selbst, sagte er sich, es müssen Abgründe von
Schlechtigkeit in mir sein, die mir verborgen waren, denn ein guter Mensch müßte
doch wohl froh und heiter werden bei so erhabenem Anblick. Sind nicht die
Dichter voll Lobes solcher Dinge, die mich traurig machen? Simrock warnt vor
dein Besuche des Rheins, denn er meint, man werde dort so glücklich, daß man
nie wieder fortziehen möge. Sonderbar!

Er ging nach Hanse, zündete seine Lampe an, vertiefte sich in den Aristoteles
und ward allmählich ruhig und zufrieden. Zu rudern Studenten hatte er sich
noch nicht gesellt. Seine delikate Natur schreckte vor der Berührung mit derben
und lustigen Burschen zurück, das Gespräch mit jungen Leuten, die nicht reiflich
über das nachgedacht hatten, was sie sagten, und die einschlägige Literatur nicht
kannten, war ihm peinlich, und nun gar Biertrinken und Weintrinken war ihm
höchst fatal, weil es ihm die Klarheit der Anschauung raubte.

Nur mit einem einzigen Studenten war er bekannt geworden. Es war
ein harmloser, gutmütiger Mensch, in dessen Nähe es Ephraim wohl wurde.
Die stärkste Anziehung aber übte dieser Freund, der Schaible hieß, dadurch auf
ihn aus, daß er wundervoll Klavier spielte. Musik war für Ephraim der höchste
Genuß, und wenn er mit einem Band Gedichte, worin er gleichsam naschte, auf
dem Sopha seines Freundes liegen konnte, während dieser spielte, so waren die


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[0253] Bakchen und Thyrsostrciger. lassen sich aber von den Reizen seiner schönen Natur zum Nichtsthun verlocken. Ich wünschte, du ahndest diesen unnützen Studenten möglichst nach. Was bei ihnen zu viel ist, möchte Wohl bei dir gerade das rechte Gleichgewicht herstellen. Ephraim ging, reiste langsam von Köln ab stromaufwärts und kam zur Zeit des schönsten Erblühens der Natur in Heidelberg um. Dort nahm er eine bescheidene Wohnung, entsprechend seinen bescheidenen Mitteln, belegte nur ein einziges Kolleg und bemühte sich, an der Schönheit der Welt Gefallen zu finden. Aber schon die Rheinreise hatte ihn melancholisch gestimmt, und das Neckarthal vermochte nicht, ihn aufzuheitern. Er besuchte täglich das berühmte Schloß und starrte in die Landschaften hinein, aber er ward täglich trauriger. Es war, als sei seine Vrnst zu eng, um das Schöne aufnehmen zu können, als fehle ihm die Kraft, die Welt in ihrer Wirklichkeit zu begreifen. Er überzeugte sich, daß es thöricht von ihm gewesen sei, nach Heidelberg zu gehen und daß jedes Stückchen schöner Natur ihm gefährlich sei. Denn ihre Schönheit steigerte seine Sehnsucht, befriedigte sie aber nicht. An einem prachtvollen warmen Abend, als er ganz allein oberhalb des in Trümmern liegenden Schlosses saß und die Sonne in wundervollem Glanz unter¬ gehen sah, ward ihm so bange und kam er sich so von Gott verlassen vor, daß ein Strom von Thränen ans seinen Augen hervorbrach. Er stand eilends auf und schämte sich seiner selbst und faßte einen Haß gegen sich selbst und beschloß, nie wieder sein zu empfindsames Gemüt dem Angriff der mitleidlosen Natur auszusetzen. Ich bin entsetzt über mich selbst, sagte er sich, es müssen Abgründe von Schlechtigkeit in mir sein, die mir verborgen waren, denn ein guter Mensch müßte doch wohl froh und heiter werden bei so erhabenem Anblick. Sind nicht die Dichter voll Lobes solcher Dinge, die mich traurig machen? Simrock warnt vor dein Besuche des Rheins, denn er meint, man werde dort so glücklich, daß man nie wieder fortziehen möge. Sonderbar! Er ging nach Hanse, zündete seine Lampe an, vertiefte sich in den Aristoteles und ward allmählich ruhig und zufrieden. Zu rudern Studenten hatte er sich noch nicht gesellt. Seine delikate Natur schreckte vor der Berührung mit derben und lustigen Burschen zurück, das Gespräch mit jungen Leuten, die nicht reiflich über das nachgedacht hatten, was sie sagten, und die einschlägige Literatur nicht kannten, war ihm peinlich, und nun gar Biertrinken und Weintrinken war ihm höchst fatal, weil es ihm die Klarheit der Anschauung raubte. Nur mit einem einzigen Studenten war er bekannt geworden. Es war ein harmloser, gutmütiger Mensch, in dessen Nähe es Ephraim wohl wurde. Die stärkste Anziehung aber übte dieser Freund, der Schaible hieß, dadurch auf ihn aus, daß er wundervoll Klavier spielte. Musik war für Ephraim der höchste Genuß, und wenn er mit einem Band Gedichte, worin er gleichsam naschte, auf dem Sopha seines Freundes liegen konnte, während dieser spielte, so waren die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/253>, abgerufen am 29.06.2024.