Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Bakchen und Thyrsostrciger.

er, es sei gut, zu sterben, aber eine wunderliche Art von Ärger widerrief stets
diesen Wunsch nach erlösender Ruhe: Erbitterung darüber, daß er in einer großen,
schönen, vielgestaltigen Welt mitten inne stehe und sich so vergeblich bemühe, das
Schöne zu finden. Denn er fühlte wohl, daß es nicht die Schuld Gottes sei,
wenn seine Welt ihm kahl erschien, sondern daß diese Welt wunderbar und reich
und köstlich sei, und nur der Sinn des Suchenden dumpf, träge und matt. Wo
ist die Wonne, die für mich ist, wo ist das Glück? fragte er, sollte es mir nicht
doch endlich noch erscheinen? Aber es kam nichts. Diese Erwartung voll Un¬
geduld, voll Zitterns, voll Schmerzes hatte kein Ende. Es brachte kein Engel
vom Himmel die goldene Schale der Erquickung.

Und diese Tage tiefer Erregung und Niedergedrücktheit wechselten mit Tagen
voll hohen Stolzes. Dann war er frisch zur Arbeit, große Aufgaben schmolzen
vor seiner Thatkraft zusammen, er schien schwierige Werke gleichsam zu verschlingen,
und wenn er schrieb, flog seine Feder. Dann war sein Geist elastisch, voll Zu¬
versicht, und er sah die Zukunft als sein Eigentum an, in der Gewißheit, berühmt
und groß zu werden. Er fühlte sich dann mit einer magnetischen Kraft begabt,
die alles, was er wünschte, zu ihm heranziehen müsse, unweigerlich müsse.

sein leidendes Aussehen veranlaßte die besorgten Eltern, ihn von Berlin
fortzuschicken. Sie wünschten ihn zu überreden, für eine Zeit seine Studien ganz
aufzugeben und auf dem Lande zu leben, aber er ging darauf nicht ein, weil er
nicht aufhören wollte, zu arbeiten und weil er sich vor dem Gedanken scheute,
er sei der Schonung bedürftig. Es hatte ihn schon tief verletzt und ihn in seinen
eigenen Augen herabgesetzt, daß er seiner Gesundheit wegen nicht als Freiwilliger
hatte in die Armee eintreten können. So wenig angenehm ihm die Aussicht ans
Militärdienst war, so traurig war ihm der Gedanke, er sei körperlich zu schwach,
um zu dienen. Er kam sich entwürdigt und verächtlich vor, als man ihn zur
Ersatzrescrvc zurückstellte. Es war durchaus nicht Besorgnis wegen seiner Ge¬
sundheit, die ihn quälte, es war nur verletzter Stolz und zugleich die schmerzliche
Empfindung, daß er zum Kampfe mit der Welt nur halb gerüstet sei. Denn
wir haben nicht umsonst Geist und Körper zusammen erhalten, sagte er sich.
Was soll ich thun, wenn mir der eine Teil den Dienst versagt? Und bin ich
fähig, mich zu vervollkommnen, wenn ich überhaupt kein ganzer Mensch bin?

Es kostete den Eltern Mühe, ihn von seinen traurigen Reflexionen abzubringen,
indem sie ihm vorhielten, daß er niemals in seinein ganzen Leben eine ernstliche
Krankheit gehabt habe, daß man ihn auch nicht schwächlich nennen könne, daß
er nur eben von zarter Konstitution sei und weniger muskulös als Jünglinge,
die in körperlicher Thätigkeit und in freier Luft aufgewachsen seien.

Er entschloß sich endlich, Berlin zu verlassen und fiir ein Jahr nach Heidelberg
zu gehen.

Du kannst dort ruhig weiter studiren, sagte ihm der Vater, aber thu es
mit Muße. Nach Heidelberg gehen viele junge Leute des Studireus halber,


Bakchen und Thyrsostrciger.

er, es sei gut, zu sterben, aber eine wunderliche Art von Ärger widerrief stets
diesen Wunsch nach erlösender Ruhe: Erbitterung darüber, daß er in einer großen,
schönen, vielgestaltigen Welt mitten inne stehe und sich so vergeblich bemühe, das
Schöne zu finden. Denn er fühlte wohl, daß es nicht die Schuld Gottes sei,
wenn seine Welt ihm kahl erschien, sondern daß diese Welt wunderbar und reich
und köstlich sei, und nur der Sinn des Suchenden dumpf, träge und matt. Wo
ist die Wonne, die für mich ist, wo ist das Glück? fragte er, sollte es mir nicht
doch endlich noch erscheinen? Aber es kam nichts. Diese Erwartung voll Un¬
geduld, voll Zitterns, voll Schmerzes hatte kein Ende. Es brachte kein Engel
vom Himmel die goldene Schale der Erquickung.

Und diese Tage tiefer Erregung und Niedergedrücktheit wechselten mit Tagen
voll hohen Stolzes. Dann war er frisch zur Arbeit, große Aufgaben schmolzen
vor seiner Thatkraft zusammen, er schien schwierige Werke gleichsam zu verschlingen,
und wenn er schrieb, flog seine Feder. Dann war sein Geist elastisch, voll Zu¬
versicht, und er sah die Zukunft als sein Eigentum an, in der Gewißheit, berühmt
und groß zu werden. Er fühlte sich dann mit einer magnetischen Kraft begabt,
die alles, was er wünschte, zu ihm heranziehen müsse, unweigerlich müsse.

sein leidendes Aussehen veranlaßte die besorgten Eltern, ihn von Berlin
fortzuschicken. Sie wünschten ihn zu überreden, für eine Zeit seine Studien ganz
aufzugeben und auf dem Lande zu leben, aber er ging darauf nicht ein, weil er
nicht aufhören wollte, zu arbeiten und weil er sich vor dem Gedanken scheute,
er sei der Schonung bedürftig. Es hatte ihn schon tief verletzt und ihn in seinen
eigenen Augen herabgesetzt, daß er seiner Gesundheit wegen nicht als Freiwilliger
hatte in die Armee eintreten können. So wenig angenehm ihm die Aussicht ans
Militärdienst war, so traurig war ihm der Gedanke, er sei körperlich zu schwach,
um zu dienen. Er kam sich entwürdigt und verächtlich vor, als man ihn zur
Ersatzrescrvc zurückstellte. Es war durchaus nicht Besorgnis wegen seiner Ge¬
sundheit, die ihn quälte, es war nur verletzter Stolz und zugleich die schmerzliche
Empfindung, daß er zum Kampfe mit der Welt nur halb gerüstet sei. Denn
wir haben nicht umsonst Geist und Körper zusammen erhalten, sagte er sich.
Was soll ich thun, wenn mir der eine Teil den Dienst versagt? Und bin ich
fähig, mich zu vervollkommnen, wenn ich überhaupt kein ganzer Mensch bin?

Es kostete den Eltern Mühe, ihn von seinen traurigen Reflexionen abzubringen,
indem sie ihm vorhielten, daß er niemals in seinein ganzen Leben eine ernstliche
Krankheit gehabt habe, daß man ihn auch nicht schwächlich nennen könne, daß
er nur eben von zarter Konstitution sei und weniger muskulös als Jünglinge,
die in körperlicher Thätigkeit und in freier Luft aufgewachsen seien.

Er entschloß sich endlich, Berlin zu verlassen und fiir ein Jahr nach Heidelberg
zu gehen.

Du kannst dort ruhig weiter studiren, sagte ihm der Vater, aber thu es
mit Muße. Nach Heidelberg gehen viele junge Leute des Studireus halber,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0252" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86373"/>
            <fw type="header" place="top"> Bakchen und Thyrsostrciger.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1019" prev="#ID_1018"> er, es sei gut, zu sterben, aber eine wunderliche Art von Ärger widerrief stets<lb/>
diesen Wunsch nach erlösender Ruhe: Erbitterung darüber, daß er in einer großen,<lb/>
schönen, vielgestaltigen Welt mitten inne stehe und sich so vergeblich bemühe, das<lb/>
Schöne zu finden. Denn er fühlte wohl, daß es nicht die Schuld Gottes sei,<lb/>
wenn seine Welt ihm kahl erschien, sondern daß diese Welt wunderbar und reich<lb/>
und köstlich sei, und nur der Sinn des Suchenden dumpf, träge und matt. Wo<lb/>
ist die Wonne, die für mich ist, wo ist das Glück? fragte er, sollte es mir nicht<lb/>
doch endlich noch erscheinen? Aber es kam nichts. Diese Erwartung voll Un¬<lb/>
geduld, voll Zitterns, voll Schmerzes hatte kein Ende. Es brachte kein Engel<lb/>
vom Himmel die goldene Schale der Erquickung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1020"> Und diese Tage tiefer Erregung und Niedergedrücktheit wechselten mit Tagen<lb/>
voll hohen Stolzes. Dann war er frisch zur Arbeit, große Aufgaben schmolzen<lb/>
vor seiner Thatkraft zusammen, er schien schwierige Werke gleichsam zu verschlingen,<lb/>
und wenn er schrieb, flog seine Feder. Dann war sein Geist elastisch, voll Zu¬<lb/>
versicht, und er sah die Zukunft als sein Eigentum an, in der Gewißheit, berühmt<lb/>
und groß zu werden. Er fühlte sich dann mit einer magnetischen Kraft begabt,<lb/>
die alles, was er wünschte, zu ihm heranziehen müsse, unweigerlich müsse.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1021"> sein leidendes Aussehen veranlaßte die besorgten Eltern, ihn von Berlin<lb/>
fortzuschicken. Sie wünschten ihn zu überreden, für eine Zeit seine Studien ganz<lb/>
aufzugeben und auf dem Lande zu leben, aber er ging darauf nicht ein, weil er<lb/>
nicht aufhören wollte, zu arbeiten und weil er sich vor dem Gedanken scheute,<lb/>
er sei der Schonung bedürftig. Es hatte ihn schon tief verletzt und ihn in seinen<lb/>
eigenen Augen herabgesetzt, daß er seiner Gesundheit wegen nicht als Freiwilliger<lb/>
hatte in die Armee eintreten können. So wenig angenehm ihm die Aussicht ans<lb/>
Militärdienst war, so traurig war ihm der Gedanke, er sei körperlich zu schwach,<lb/>
um zu dienen. Er kam sich entwürdigt und verächtlich vor, als man ihn zur<lb/>
Ersatzrescrvc zurückstellte. Es war durchaus nicht Besorgnis wegen seiner Ge¬<lb/>
sundheit, die ihn quälte, es war nur verletzter Stolz und zugleich die schmerzliche<lb/>
Empfindung, daß er zum Kampfe mit der Welt nur halb gerüstet sei. Denn<lb/>
wir haben nicht umsonst Geist und Körper zusammen erhalten, sagte er sich.<lb/>
Was soll ich thun, wenn mir der eine Teil den Dienst versagt? Und bin ich<lb/>
fähig, mich zu vervollkommnen, wenn ich überhaupt kein ganzer Mensch bin?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1022"> Es kostete den Eltern Mühe, ihn von seinen traurigen Reflexionen abzubringen,<lb/>
indem sie ihm vorhielten, daß er niemals in seinein ganzen Leben eine ernstliche<lb/>
Krankheit gehabt habe, daß man ihn auch nicht schwächlich nennen könne, daß<lb/>
er nur eben von zarter Konstitution sei und weniger muskulös als Jünglinge,<lb/>
die in körperlicher Thätigkeit und in freier Luft aufgewachsen seien.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1023"> Er entschloß sich endlich, Berlin zu verlassen und fiir ein Jahr nach Heidelberg<lb/>
zu gehen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1024" next="#ID_1025"> Du kannst dort ruhig weiter studiren, sagte ihm der Vater, aber thu es<lb/>
mit Muße.  Nach Heidelberg gehen viele junge Leute des Studireus halber,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0252] Bakchen und Thyrsostrciger. er, es sei gut, zu sterben, aber eine wunderliche Art von Ärger widerrief stets diesen Wunsch nach erlösender Ruhe: Erbitterung darüber, daß er in einer großen, schönen, vielgestaltigen Welt mitten inne stehe und sich so vergeblich bemühe, das Schöne zu finden. Denn er fühlte wohl, daß es nicht die Schuld Gottes sei, wenn seine Welt ihm kahl erschien, sondern daß diese Welt wunderbar und reich und köstlich sei, und nur der Sinn des Suchenden dumpf, träge und matt. Wo ist die Wonne, die für mich ist, wo ist das Glück? fragte er, sollte es mir nicht doch endlich noch erscheinen? Aber es kam nichts. Diese Erwartung voll Un¬ geduld, voll Zitterns, voll Schmerzes hatte kein Ende. Es brachte kein Engel vom Himmel die goldene Schale der Erquickung. Und diese Tage tiefer Erregung und Niedergedrücktheit wechselten mit Tagen voll hohen Stolzes. Dann war er frisch zur Arbeit, große Aufgaben schmolzen vor seiner Thatkraft zusammen, er schien schwierige Werke gleichsam zu verschlingen, und wenn er schrieb, flog seine Feder. Dann war sein Geist elastisch, voll Zu¬ versicht, und er sah die Zukunft als sein Eigentum an, in der Gewißheit, berühmt und groß zu werden. Er fühlte sich dann mit einer magnetischen Kraft begabt, die alles, was er wünschte, zu ihm heranziehen müsse, unweigerlich müsse. sein leidendes Aussehen veranlaßte die besorgten Eltern, ihn von Berlin fortzuschicken. Sie wünschten ihn zu überreden, für eine Zeit seine Studien ganz aufzugeben und auf dem Lande zu leben, aber er ging darauf nicht ein, weil er nicht aufhören wollte, zu arbeiten und weil er sich vor dem Gedanken scheute, er sei der Schonung bedürftig. Es hatte ihn schon tief verletzt und ihn in seinen eigenen Augen herabgesetzt, daß er seiner Gesundheit wegen nicht als Freiwilliger hatte in die Armee eintreten können. So wenig angenehm ihm die Aussicht ans Militärdienst war, so traurig war ihm der Gedanke, er sei körperlich zu schwach, um zu dienen. Er kam sich entwürdigt und verächtlich vor, als man ihn zur Ersatzrescrvc zurückstellte. Es war durchaus nicht Besorgnis wegen seiner Ge¬ sundheit, die ihn quälte, es war nur verletzter Stolz und zugleich die schmerzliche Empfindung, daß er zum Kampfe mit der Welt nur halb gerüstet sei. Denn wir haben nicht umsonst Geist und Körper zusammen erhalten, sagte er sich. Was soll ich thun, wenn mir der eine Teil den Dienst versagt? Und bin ich fähig, mich zu vervollkommnen, wenn ich überhaupt kein ganzer Mensch bin? Es kostete den Eltern Mühe, ihn von seinen traurigen Reflexionen abzubringen, indem sie ihm vorhielten, daß er niemals in seinein ganzen Leben eine ernstliche Krankheit gehabt habe, daß man ihn auch nicht schwächlich nennen könne, daß er nur eben von zarter Konstitution sei und weniger muskulös als Jünglinge, die in körperlicher Thätigkeit und in freier Luft aufgewachsen seien. Er entschloß sich endlich, Berlin zu verlassen und fiir ein Jahr nach Heidelberg zu gehen. Du kannst dort ruhig weiter studiren, sagte ihm der Vater, aber thu es mit Muße. Nach Heidelberg gehen viele junge Leute des Studireus halber,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/252
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/252>, abgerufen am 26.06.2024.