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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zwei Fcmstkommentare.

geweihten Dcdikationssonnetten diesen mit geheimnisvoller Hindeutung als "Brnoer"
feiert. In der Erklärung der Schlußverse des Vorspiels wird nochmals in ebenso
mysteriöser Weise auf Goethes Freimaurertum hingewiesen. Weder dies Frei-
maurertum noch jene Philosophie haben den Verfasser zu eiuer besondern Tiefe
der Auffassung geführt, wenn er im "Faust" weiter nichts sieht als die Wieder¬
aufnahme des im Buche Hiob angeregten Problems: die versuchte Lösung der
Frage, wie die von dem irdischen Leben des Menschen unzertrennlichen Übel
vereinbar seien mit der Vorstellung eines weisen und gütigen, allmächtigen und
allwissenden Schöpfers. Zur Aufstellung dieser Grundidee hat ihn wohl haupt¬
sächlich der in seiner Einkleidung dem Hiob nachgebildete "Prolog im Himmel"
veranlaßt; aber auch mir die Einkleidung ist daher entlehnt; und das hat
natürlich seinem Grundsätze gemäß der Verfasser nicht weiter in Betracht gezogen,
daß der Prolog erst 1797 hinzugedichtet und es mehr als fraglich ist, ob er zu
dem ursprünglichen Plane der Dichtung gehöre. Marbach entwickelt obige Grund¬
idee in einer kurzen "Der Böse und das Böse" überschriebenen Einleitung;
Mephistopheles gilt ihm dabei als der Satan schlechthin, die Personifikation
aller Bosheit, als der Teufel i" der gauzeu Massivität dogmatischer Recht-
gläubigkeit. Daß er dies bei Goethe nicht ist, auch im Prolog nicht, bedarf
keines Beweises.

Auch in dem auf die Einleitung folgenden Kommentar ist Marbach, bei
sonst sehr humaner Gesinnung, auf Mephistopheles, gegen den er von einer fast
Persönlichen Animosität beseelt ist, sehr schlecht zu sprechen. Daß er der Vater
der Lüge sei und in dem ganzen Stücke beständig lüge -- nnr im Selbstgespräche
und außerdem öfter unbewußt wider seinen Willen soll er die Wahrheit sprechen --
wird als sein Grundcharakter aufs einseitigste durchgeführt. Von der schillernden
Lebensfülle gerade dieser so wunderbar gezeichneten Figur, die Goethe aus der
alten mit Ironie behandelten Sagengcstalt gänzlich ins Moderne umwandelte,
erfahren wir nichts.

Marbach giebt den Text nicht selber, sondern, etwa in der Weise von
Düntzer, eine Szene für Szene fortschreitende kommentirende Paraphrase der
Dichtung, in die er wörtliche Allegate ans derselben einsticht. Er zeigt sich
dabei als ein recht gemütlicher, wohlwollender, etwas redseliger alter Herr, der
hin und wieder eine kleine Geschichte auftischt, auch dem Humor stellenweise
nicht abhold ist. Nur gegen andersdenkende Interpreten ist er etwas intolerant,
wenn er ausnahmsweise einmal sich ans das "Geschwätz und Gezänk" derselben
anläßt, um nachzuweisen, auf welche "Holz- und Irrwege" sie geraten sind.
Für die Dichtung selber profitiren wir weniger dabei, da er vielfach an diese
uur anknüpft, um uns seine eigenen Gedanken über das Gute und Böse, über
Diesseits und Jenseits, Schuld und Strafe und vielerlei andre nicht unwichtige
Dinge zu entwickeln. Ans eine Erklärung einzelner Schwierigkeiten kommt es
ihm nicht an, sondern mehr auf ein verständiges, allgemein faßliches Zurechtlegen


Zwei Fcmstkommentare.

geweihten Dcdikationssonnetten diesen mit geheimnisvoller Hindeutung als „Brnoer"
feiert. In der Erklärung der Schlußverse des Vorspiels wird nochmals in ebenso
mysteriöser Weise auf Goethes Freimaurertum hingewiesen. Weder dies Frei-
maurertum noch jene Philosophie haben den Verfasser zu eiuer besondern Tiefe
der Auffassung geführt, wenn er im „Faust" weiter nichts sieht als die Wieder¬
aufnahme des im Buche Hiob angeregten Problems: die versuchte Lösung der
Frage, wie die von dem irdischen Leben des Menschen unzertrennlichen Übel
vereinbar seien mit der Vorstellung eines weisen und gütigen, allmächtigen und
allwissenden Schöpfers. Zur Aufstellung dieser Grundidee hat ihn wohl haupt¬
sächlich der in seiner Einkleidung dem Hiob nachgebildete „Prolog im Himmel"
veranlaßt; aber auch mir die Einkleidung ist daher entlehnt; und das hat
natürlich seinem Grundsätze gemäß der Verfasser nicht weiter in Betracht gezogen,
daß der Prolog erst 1797 hinzugedichtet und es mehr als fraglich ist, ob er zu
dem ursprünglichen Plane der Dichtung gehöre. Marbach entwickelt obige Grund¬
idee in einer kurzen „Der Böse und das Böse" überschriebenen Einleitung;
Mephistopheles gilt ihm dabei als der Satan schlechthin, die Personifikation
aller Bosheit, als der Teufel i» der gauzeu Massivität dogmatischer Recht-
gläubigkeit. Daß er dies bei Goethe nicht ist, auch im Prolog nicht, bedarf
keines Beweises.

Auch in dem auf die Einleitung folgenden Kommentar ist Marbach, bei
sonst sehr humaner Gesinnung, auf Mephistopheles, gegen den er von einer fast
Persönlichen Animosität beseelt ist, sehr schlecht zu sprechen. Daß er der Vater
der Lüge sei und in dem ganzen Stücke beständig lüge — nnr im Selbstgespräche
und außerdem öfter unbewußt wider seinen Willen soll er die Wahrheit sprechen —
wird als sein Grundcharakter aufs einseitigste durchgeführt. Von der schillernden
Lebensfülle gerade dieser so wunderbar gezeichneten Figur, die Goethe aus der
alten mit Ironie behandelten Sagengcstalt gänzlich ins Moderne umwandelte,
erfahren wir nichts.

Marbach giebt den Text nicht selber, sondern, etwa in der Weise von
Düntzer, eine Szene für Szene fortschreitende kommentirende Paraphrase der
Dichtung, in die er wörtliche Allegate ans derselben einsticht. Er zeigt sich
dabei als ein recht gemütlicher, wohlwollender, etwas redseliger alter Herr, der
hin und wieder eine kleine Geschichte auftischt, auch dem Humor stellenweise
nicht abhold ist. Nur gegen andersdenkende Interpreten ist er etwas intolerant,
wenn er ausnahmsweise einmal sich ans das „Geschwätz und Gezänk" derselben
anläßt, um nachzuweisen, auf welche „Holz- und Irrwege" sie geraten sind.
Für die Dichtung selber profitiren wir weniger dabei, da er vielfach an diese
uur anknüpft, um uns seine eigenen Gedanken über das Gute und Böse, über
Diesseits und Jenseits, Schuld und Strafe und vielerlei andre nicht unwichtige
Dinge zu entwickeln. Ans eine Erklärung einzelner Schwierigkeiten kommt es
ihm nicht an, sondern mehr auf ein verständiges, allgemein faßliches Zurechtlegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/239>, abgerufen am 23.07.2024.