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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zwei Faustkommontare,

der ganzen Szenen. Charakteristisch für das Buch und in der Faustliteratur
wohl ziemlich einzig dastehend ist die dabei geflissentlich zur Schau getragene
Verachtung aller Gelehrsamkeit. "Man kann bei dieser Szene noch viele ge¬
lehrte Bemerkungen machen, die mehr oder weniger überflüssig sind" sagt er ab¬
lehnend. Ganz absichtlich verschmäht er es, ans die Erläuterung von Realien ein¬
zugehen, indem er beispielsweise erklärt: "Wir wissen genug von Salomonis
Schlüssel, wenn wir ihn in der Beschwöruugsformel betrachte", die Faust her¬
sagt." Und wo er doch einmal von dieser Regel abweicht, entschuldigt er sich
gewissermaßen mit den Worten: "Da muß ich auch einmal eine gelehrte An¬
merkung machen."

Da wir im Gegensatz zu Marbach meinen, daß von der streng sachliche"
Erklärung zunächst ausgegangen werden müsse, um zu der konkreten Anschauung
des Dichters zu gelangen, daß letzterem aber nichts ferner gelegen habe, als
im "Faust" ein in sich übereinstimmendes, in allen Stücken konsequent durchge¬
führtes philosophisches System niederzulegen, so vermögen wir dem Kommenta¬
tor, wo er nun in den Gcdaniengehalt tiefer eingeht, meistens nicht zu folgen.
Seine Philosophie legt er in die Worte des Dichters hinein und sucht letztere
ins Allgemeine zu erheben. So sieht er gleich in der Zueignung, um ein Bei¬
spiel anzuführen, eine "Prototype (urbildliche) Schilderung der Genesis jedes
wahren Dichtwerkes," die darin bestehe, "daß der Wahn des jugendlichen Menschen,
nachdem er alle Phasen der Entwicklung von der Subjektivität des Dichters
bis zur Objektivität des vor der Menschheit hingestellten Kunstwerkes durch¬
gemacht, schließlich als Wirklichkeit offenbar wird." Damit verflüchtigt der
Kommentator die rührenden Empfindungen des alternden Dichters, der bei Vor¬
nahme seiner ihm fremd gewordenen jugendlichen Dichtung mit Wehmut erster
Liebe und dahingeschwundener Freunde gedenkt, ins Wesenlose und sieht nicht, wie
er durch diese kahle" Abstraktionen zugleich den Zauber zerstört, mit dem der
ergreifende poetische Ausdruck dieser allgemein menschlichen Gefühle gleiche Ge¬
fühle in uns anklingen läßt.

Die Beschwörung des Erdgeistes legt Marbach sich folgendermaßen zurecht.
Das geheimnisvolle Zeichen und der Name des Erdgeistes ist -- Faust! Das
Gespräch, das Faust mit demselben führt, ist -- ein Selbstgespräch! Um dies
zu erweisen, erzählt uns der Verfasser einen abergläubischen Spuk, "wenn auch
nicht um zu zeigen, was Goethe bei der Erscheinung des Geistes sich gedacht
habe, sondern was ich dabei mir denke, wenn ich sage: Der Name des Geistes
sei Faust." Weil nun Mephistopheles später verrät, in jener Szene, wo der
Erdgeist erschien, zugegen gewesen zu sein (d. h. er zeigt nur Kenntnis von Fausts
Selbstmordversuch), so ist der Erdgeist zugleich -- der Teufel, der auch sonst
der Fürst dieser Welt heißt. Fausts Furcht vor dem Erdgeiste, d. h. vor dem
eignen Geist, erklärt sich so ganz natürlich daraus, daß der Mensch in seinem
eignen Geiste einen bösen Geist, den Teufel, erblickt. Bei diesem Rattenkönig


Zwei Faustkommontare,

der ganzen Szenen. Charakteristisch für das Buch und in der Faustliteratur
wohl ziemlich einzig dastehend ist die dabei geflissentlich zur Schau getragene
Verachtung aller Gelehrsamkeit. „Man kann bei dieser Szene noch viele ge¬
lehrte Bemerkungen machen, die mehr oder weniger überflüssig sind" sagt er ab¬
lehnend. Ganz absichtlich verschmäht er es, ans die Erläuterung von Realien ein¬
zugehen, indem er beispielsweise erklärt: „Wir wissen genug von Salomonis
Schlüssel, wenn wir ihn in der Beschwöruugsformel betrachte», die Faust her¬
sagt." Und wo er doch einmal von dieser Regel abweicht, entschuldigt er sich
gewissermaßen mit den Worten: „Da muß ich auch einmal eine gelehrte An¬
merkung machen."

Da wir im Gegensatz zu Marbach meinen, daß von der streng sachliche»
Erklärung zunächst ausgegangen werden müsse, um zu der konkreten Anschauung
des Dichters zu gelangen, daß letzterem aber nichts ferner gelegen habe, als
im „Faust" ein in sich übereinstimmendes, in allen Stücken konsequent durchge¬
führtes philosophisches System niederzulegen, so vermögen wir dem Kommenta¬
tor, wo er nun in den Gcdaniengehalt tiefer eingeht, meistens nicht zu folgen.
Seine Philosophie legt er in die Worte des Dichters hinein und sucht letztere
ins Allgemeine zu erheben. So sieht er gleich in der Zueignung, um ein Bei¬
spiel anzuführen, eine „Prototype (urbildliche) Schilderung der Genesis jedes
wahren Dichtwerkes," die darin bestehe, „daß der Wahn des jugendlichen Menschen,
nachdem er alle Phasen der Entwicklung von der Subjektivität des Dichters
bis zur Objektivität des vor der Menschheit hingestellten Kunstwerkes durch¬
gemacht, schließlich als Wirklichkeit offenbar wird." Damit verflüchtigt der
Kommentator die rührenden Empfindungen des alternden Dichters, der bei Vor¬
nahme seiner ihm fremd gewordenen jugendlichen Dichtung mit Wehmut erster
Liebe und dahingeschwundener Freunde gedenkt, ins Wesenlose und sieht nicht, wie
er durch diese kahle» Abstraktionen zugleich den Zauber zerstört, mit dem der
ergreifende poetische Ausdruck dieser allgemein menschlichen Gefühle gleiche Ge¬
fühle in uns anklingen läßt.

Die Beschwörung des Erdgeistes legt Marbach sich folgendermaßen zurecht.
Das geheimnisvolle Zeichen und der Name des Erdgeistes ist — Faust! Das
Gespräch, das Faust mit demselben führt, ist — ein Selbstgespräch! Um dies
zu erweisen, erzählt uns der Verfasser einen abergläubischen Spuk, „wenn auch
nicht um zu zeigen, was Goethe bei der Erscheinung des Geistes sich gedacht
habe, sondern was ich dabei mir denke, wenn ich sage: Der Name des Geistes
sei Faust." Weil nun Mephistopheles später verrät, in jener Szene, wo der
Erdgeist erschien, zugegen gewesen zu sein (d. h. er zeigt nur Kenntnis von Fausts
Selbstmordversuch), so ist der Erdgeist zugleich — der Teufel, der auch sonst
der Fürst dieser Welt heißt. Fausts Furcht vor dem Erdgeiste, d. h. vor dem
eignen Geist, erklärt sich so ganz natürlich daraus, daß der Mensch in seinem
eignen Geiste einen bösen Geist, den Teufel, erblickt. Bei diesem Rattenkönig


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[0240] Zwei Faustkommontare, der ganzen Szenen. Charakteristisch für das Buch und in der Faustliteratur wohl ziemlich einzig dastehend ist die dabei geflissentlich zur Schau getragene Verachtung aller Gelehrsamkeit. „Man kann bei dieser Szene noch viele ge¬ lehrte Bemerkungen machen, die mehr oder weniger überflüssig sind" sagt er ab¬ lehnend. Ganz absichtlich verschmäht er es, ans die Erläuterung von Realien ein¬ zugehen, indem er beispielsweise erklärt: „Wir wissen genug von Salomonis Schlüssel, wenn wir ihn in der Beschwöruugsformel betrachte», die Faust her¬ sagt." Und wo er doch einmal von dieser Regel abweicht, entschuldigt er sich gewissermaßen mit den Worten: „Da muß ich auch einmal eine gelehrte An¬ merkung machen." Da wir im Gegensatz zu Marbach meinen, daß von der streng sachliche» Erklärung zunächst ausgegangen werden müsse, um zu der konkreten Anschauung des Dichters zu gelangen, daß letzterem aber nichts ferner gelegen habe, als im „Faust" ein in sich übereinstimmendes, in allen Stücken konsequent durchge¬ führtes philosophisches System niederzulegen, so vermögen wir dem Kommenta¬ tor, wo er nun in den Gcdaniengehalt tiefer eingeht, meistens nicht zu folgen. Seine Philosophie legt er in die Worte des Dichters hinein und sucht letztere ins Allgemeine zu erheben. So sieht er gleich in der Zueignung, um ein Bei¬ spiel anzuführen, eine „Prototype (urbildliche) Schilderung der Genesis jedes wahren Dichtwerkes," die darin bestehe, „daß der Wahn des jugendlichen Menschen, nachdem er alle Phasen der Entwicklung von der Subjektivität des Dichters bis zur Objektivität des vor der Menschheit hingestellten Kunstwerkes durch¬ gemacht, schließlich als Wirklichkeit offenbar wird." Damit verflüchtigt der Kommentator die rührenden Empfindungen des alternden Dichters, der bei Vor¬ nahme seiner ihm fremd gewordenen jugendlichen Dichtung mit Wehmut erster Liebe und dahingeschwundener Freunde gedenkt, ins Wesenlose und sieht nicht, wie er durch diese kahle» Abstraktionen zugleich den Zauber zerstört, mit dem der ergreifende poetische Ausdruck dieser allgemein menschlichen Gefühle gleiche Ge¬ fühle in uns anklingen läßt. Die Beschwörung des Erdgeistes legt Marbach sich folgendermaßen zurecht. Das geheimnisvolle Zeichen und der Name des Erdgeistes ist — Faust! Das Gespräch, das Faust mit demselben führt, ist — ein Selbstgespräch! Um dies zu erweisen, erzählt uns der Verfasser einen abergläubischen Spuk, „wenn auch nicht um zu zeigen, was Goethe bei der Erscheinung des Geistes sich gedacht habe, sondern was ich dabei mir denke, wenn ich sage: Der Name des Geistes sei Faust." Weil nun Mephistopheles später verrät, in jener Szene, wo der Erdgeist erschien, zugegen gewesen zu sein (d. h. er zeigt nur Kenntnis von Fausts Selbstmordversuch), so ist der Erdgeist zugleich — der Teufel, der auch sonst der Fürst dieser Welt heißt. Fausts Furcht vor dem Erdgeiste, d. h. vor dem eignen Geist, erklärt sich so ganz natürlich daraus, daß der Mensch in seinem eignen Geiste einen bösen Geist, den Teufel, erblickt. Bei diesem Rattenkönig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/240>, abgerufen am 23.07.2024.