Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Reform des englischen Parlaments.

Aber trotz des Zerfalls der älter" Gewalten, des Königtums und des
Oberhauses, braucht die konservative Partei die Ausdehnung des StinunrechtS
nicht zu fürchte". Im Gegenteil, man sollte glauben, daß ein weitsehender kon¬
servativer Staatsmann in der Gewährung des allgemeinen Stimmrechts die
Ursache der Erfüllung seiner Wünsche sehen müßte. Legen wir zuerst diese
Wünsche dar. Der Konservative möchte den gegenwärtigen Zustand erhalten
wissen, der Tory wünscht Stärkung der königlichen Macht, Erst unter Georg III.,
der entschlossen war, die königliche Majestät wieder zu Ehren zu bringen, haben
sich die alten Tories vollständig mit dem Hause Hannover ausgesöhnt. Mit
welcher Verehrung verweilt Beaeousficld, der Schüler Bolingbrokes, der Schöpfer
der Um-Tories, in seinem "Cvningsbh" bei dem Bilde eines kräftigen, über den
Parteien stehenden und sie zügelnden Königstums! Mit welcher Geringschätzung
spricht er vom. Parlamentarismus, Er hält die sreie Presse für das bessere
substitue! Nun ist die Zeit gekommen, die Welt wieder "einzurenken," und sie
fürchten sich!

Eins ist sicher. Wenn die Ausdehnung des Stimmrechts eine Verstärkung
deS radikalen Elements mit sich bringen sollte, so würde eine Spaltung in der
liberalen Partei eintreten. Die Whigs würden entweder eine Mittelpartei
bilden, der sich gemäßigte Konservative und selbst Liberale (Alt-Radikale --
Manchestermänner) anschließen könnten, die also eine Vereinigung von linken
und rechten Centrum, sowie eines Teiles der Linken darstellen würde, oder
geradezu zu den Konservativen übergehen. Die Whigs waren immer eine aristo¬
kratische Partei, Anhänger der "venetianischen Konstitution" und bereit, wenn ihre
Interessen sehr gefährdet wären, die Dogenmützc in eine Königskrone zu verwandeln.
Gestützt entweder auf die Zwietracht oder die Furcht eines Teiles des Hanfes
und auf die Zustimmung der besitzenden Klassen, könnte der König oder die
Königin von England sogar ohne Staatsstreich an die Stelle der parlamenta¬
rischen Regierung die konstitutionelle Monarchie setzen. Der Geheimerat würde
das dem öffentlichen Rechte nicht bekannte Kabinet verdrängen, der König sein
Veto-Recht wieder hervorsuchen und durch kluge ParlamentSanflösnngeu, sowie
durch das wieder zu Ehren kommende Oberhaus das Unterhaus zügeln. Dann
wäre es an der Zeit, daß die Tories, dem Worte ihres großen Führers getren:
"Arbeit und Kapital siud Zwillinge" die soziale Frage lösten, die großen Massen
auf diese Weise politisch ungefährlich machten und dem neu geschaffenen Zustande
Dauer und Bestand verleihen. Denn die Massen wünschen Veränderungen der
Verfassung gewöhnlich nur als Mittel, ihre Führer oft als Zweck, Ob aber
die Tories in den Tagen des Glückes nicht den Rat ihres großen Führers ver¬
gessen würden to insrirs vqMlit,^ ^ igvelliug' tuo 1?so, dut 1)^ vlovatiuF
tuo N-rü^, ist sehr zu bezweifeln. Und doch ist die Lösung der sozialen Frage
die Bedingung zur Losung aller andern; bis jetzt aber haben die fabritbesitzenden
Liberalen nur schöne Worte für die englische Landbevölkerung gehabt, und die


Die Reform des englischen Parlaments.

Aber trotz des Zerfalls der älter» Gewalten, des Königtums und des
Oberhauses, braucht die konservative Partei die Ausdehnung des StinunrechtS
nicht zu fürchte». Im Gegenteil, man sollte glauben, daß ein weitsehender kon¬
servativer Staatsmann in der Gewährung des allgemeinen Stimmrechts die
Ursache der Erfüllung seiner Wünsche sehen müßte. Legen wir zuerst diese
Wünsche dar. Der Konservative möchte den gegenwärtigen Zustand erhalten
wissen, der Tory wünscht Stärkung der königlichen Macht, Erst unter Georg III.,
der entschlossen war, die königliche Majestät wieder zu Ehren zu bringen, haben
sich die alten Tories vollständig mit dem Hause Hannover ausgesöhnt. Mit
welcher Verehrung verweilt Beaeousficld, der Schüler Bolingbrokes, der Schöpfer
der Um-Tories, in seinem „Cvningsbh" bei dem Bilde eines kräftigen, über den
Parteien stehenden und sie zügelnden Königstums! Mit welcher Geringschätzung
spricht er vom. Parlamentarismus, Er hält die sreie Presse für das bessere
substitue! Nun ist die Zeit gekommen, die Welt wieder „einzurenken," und sie
fürchten sich!

Eins ist sicher. Wenn die Ausdehnung des Stimmrechts eine Verstärkung
deS radikalen Elements mit sich bringen sollte, so würde eine Spaltung in der
liberalen Partei eintreten. Die Whigs würden entweder eine Mittelpartei
bilden, der sich gemäßigte Konservative und selbst Liberale (Alt-Radikale —
Manchestermänner) anschließen könnten, die also eine Vereinigung von linken
und rechten Centrum, sowie eines Teiles der Linken darstellen würde, oder
geradezu zu den Konservativen übergehen. Die Whigs waren immer eine aristo¬
kratische Partei, Anhänger der „venetianischen Konstitution" und bereit, wenn ihre
Interessen sehr gefährdet wären, die Dogenmützc in eine Königskrone zu verwandeln.
Gestützt entweder auf die Zwietracht oder die Furcht eines Teiles des Hanfes
und auf die Zustimmung der besitzenden Klassen, könnte der König oder die
Königin von England sogar ohne Staatsstreich an die Stelle der parlamenta¬
rischen Regierung die konstitutionelle Monarchie setzen. Der Geheimerat würde
das dem öffentlichen Rechte nicht bekannte Kabinet verdrängen, der König sein
Veto-Recht wieder hervorsuchen und durch kluge ParlamentSanflösnngeu, sowie
durch das wieder zu Ehren kommende Oberhaus das Unterhaus zügeln. Dann
wäre es an der Zeit, daß die Tories, dem Worte ihres großen Führers getren:
„Arbeit und Kapital siud Zwillinge" die soziale Frage lösten, die großen Massen
auf diese Weise politisch ungefährlich machten und dem neu geschaffenen Zustande
Dauer und Bestand verleihen. Denn die Massen wünschen Veränderungen der
Verfassung gewöhnlich nur als Mittel, ihre Führer oft als Zweck, Ob aber
die Tories in den Tagen des Glückes nicht den Rat ihres großen Führers ver¬
gessen würden to insrirs vqMlit,^ ^ igvelliug' tuo 1?so, dut 1)^ vlovatiuF
tuo N-rü^, ist sehr zu bezweifeln. Und doch ist die Lösung der sozialen Frage
die Bedingung zur Losung aller andern; bis jetzt aber haben die fabritbesitzenden
Liberalen nur schöne Worte für die englische Landbevölkerung gehabt, und die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0221" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86342"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Reform des englischen Parlaments.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_913"> Aber trotz des Zerfalls der älter» Gewalten, des Königtums und des<lb/>
Oberhauses, braucht die konservative Partei die Ausdehnung des StinunrechtS<lb/>
nicht zu fürchte». Im Gegenteil, man sollte glauben, daß ein weitsehender kon¬<lb/>
servativer Staatsmann in der Gewährung des allgemeinen Stimmrechts die<lb/>
Ursache der Erfüllung seiner Wünsche sehen müßte. Legen wir zuerst diese<lb/>
Wünsche dar. Der Konservative möchte den gegenwärtigen Zustand erhalten<lb/>
wissen, der Tory wünscht Stärkung der königlichen Macht, Erst unter Georg III.,<lb/>
der entschlossen war, die königliche Majestät wieder zu Ehren zu bringen, haben<lb/>
sich die alten Tories vollständig mit dem Hause Hannover ausgesöhnt. Mit<lb/>
welcher Verehrung verweilt Beaeousficld, der Schüler Bolingbrokes, der Schöpfer<lb/>
der Um-Tories, in seinem &#x201E;Cvningsbh" bei dem Bilde eines kräftigen, über den<lb/>
Parteien stehenden und sie zügelnden Königstums! Mit welcher Geringschätzung<lb/>
spricht er vom. Parlamentarismus, Er hält die sreie Presse für das bessere<lb/>
substitue! Nun ist die Zeit gekommen, die Welt wieder &#x201E;einzurenken," und sie<lb/>
fürchten sich!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_914" next="#ID_915"> Eins ist sicher. Wenn die Ausdehnung des Stimmrechts eine Verstärkung<lb/>
deS radikalen Elements mit sich bringen sollte, so würde eine Spaltung in der<lb/>
liberalen Partei eintreten. Die Whigs würden entweder eine Mittelpartei<lb/>
bilden, der sich gemäßigte Konservative und selbst Liberale (Alt-Radikale &#x2014;<lb/>
Manchestermänner) anschließen könnten, die also eine Vereinigung von linken<lb/>
und rechten Centrum, sowie eines Teiles der Linken darstellen würde, oder<lb/>
geradezu zu den Konservativen übergehen. Die Whigs waren immer eine aristo¬<lb/>
kratische Partei, Anhänger der &#x201E;venetianischen Konstitution" und bereit, wenn ihre<lb/>
Interessen sehr gefährdet wären, die Dogenmützc in eine Königskrone zu verwandeln.<lb/>
Gestützt entweder auf die Zwietracht oder die Furcht eines Teiles des Hanfes<lb/>
und auf die Zustimmung der besitzenden Klassen, könnte der König oder die<lb/>
Königin von England sogar ohne Staatsstreich an die Stelle der parlamenta¬<lb/>
rischen Regierung die konstitutionelle Monarchie setzen. Der Geheimerat würde<lb/>
das dem öffentlichen Rechte nicht bekannte Kabinet verdrängen, der König sein<lb/>
Veto-Recht wieder hervorsuchen und durch kluge ParlamentSanflösnngeu, sowie<lb/>
durch das wieder zu Ehren kommende Oberhaus das Unterhaus zügeln. Dann<lb/>
wäre es an der Zeit, daß die Tories, dem Worte ihres großen Führers getren:<lb/>
&#x201E;Arbeit und Kapital siud Zwillinge" die soziale Frage lösten, die großen Massen<lb/>
auf diese Weise politisch ungefährlich machten und dem neu geschaffenen Zustande<lb/>
Dauer und Bestand verleihen. Denn die Massen wünschen Veränderungen der<lb/>
Verfassung gewöhnlich nur als Mittel, ihre Führer oft als Zweck, Ob aber<lb/>
die Tories in den Tagen des Glückes nicht den Rat ihres großen Führers ver¬<lb/>
gessen würden to insrirs vqMlit,^ ^ igvelliug' tuo 1?so, dut 1)^ vlovatiuF<lb/>
tuo N-rü^, ist sehr zu bezweifeln. Und doch ist die Lösung der sozialen Frage<lb/>
die Bedingung zur Losung aller andern; bis jetzt aber haben die fabritbesitzenden<lb/>
Liberalen nur schöne Worte für die englische Landbevölkerung gehabt, und die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0221] Die Reform des englischen Parlaments. Aber trotz des Zerfalls der älter» Gewalten, des Königtums und des Oberhauses, braucht die konservative Partei die Ausdehnung des StinunrechtS nicht zu fürchte». Im Gegenteil, man sollte glauben, daß ein weitsehender kon¬ servativer Staatsmann in der Gewährung des allgemeinen Stimmrechts die Ursache der Erfüllung seiner Wünsche sehen müßte. Legen wir zuerst diese Wünsche dar. Der Konservative möchte den gegenwärtigen Zustand erhalten wissen, der Tory wünscht Stärkung der königlichen Macht, Erst unter Georg III., der entschlossen war, die königliche Majestät wieder zu Ehren zu bringen, haben sich die alten Tories vollständig mit dem Hause Hannover ausgesöhnt. Mit welcher Verehrung verweilt Beaeousficld, der Schüler Bolingbrokes, der Schöpfer der Um-Tories, in seinem „Cvningsbh" bei dem Bilde eines kräftigen, über den Parteien stehenden und sie zügelnden Königstums! Mit welcher Geringschätzung spricht er vom. Parlamentarismus, Er hält die sreie Presse für das bessere substitue! Nun ist die Zeit gekommen, die Welt wieder „einzurenken," und sie fürchten sich! Eins ist sicher. Wenn die Ausdehnung des Stimmrechts eine Verstärkung deS radikalen Elements mit sich bringen sollte, so würde eine Spaltung in der liberalen Partei eintreten. Die Whigs würden entweder eine Mittelpartei bilden, der sich gemäßigte Konservative und selbst Liberale (Alt-Radikale — Manchestermänner) anschließen könnten, die also eine Vereinigung von linken und rechten Centrum, sowie eines Teiles der Linken darstellen würde, oder geradezu zu den Konservativen übergehen. Die Whigs waren immer eine aristo¬ kratische Partei, Anhänger der „venetianischen Konstitution" und bereit, wenn ihre Interessen sehr gefährdet wären, die Dogenmützc in eine Königskrone zu verwandeln. Gestützt entweder auf die Zwietracht oder die Furcht eines Teiles des Hanfes und auf die Zustimmung der besitzenden Klassen, könnte der König oder die Königin von England sogar ohne Staatsstreich an die Stelle der parlamenta¬ rischen Regierung die konstitutionelle Monarchie setzen. Der Geheimerat würde das dem öffentlichen Rechte nicht bekannte Kabinet verdrängen, der König sein Veto-Recht wieder hervorsuchen und durch kluge ParlamentSanflösnngeu, sowie durch das wieder zu Ehren kommende Oberhaus das Unterhaus zügeln. Dann wäre es an der Zeit, daß die Tories, dem Worte ihres großen Führers getren: „Arbeit und Kapital siud Zwillinge" die soziale Frage lösten, die großen Massen auf diese Weise politisch ungefährlich machten und dem neu geschaffenen Zustande Dauer und Bestand verleihen. Denn die Massen wünschen Veränderungen der Verfassung gewöhnlich nur als Mittel, ihre Führer oft als Zweck, Ob aber die Tories in den Tagen des Glückes nicht den Rat ihres großen Führers ver¬ gessen würden to insrirs vqMlit,^ ^ igvelliug' tuo 1?so, dut 1)^ vlovatiuF tuo N-rü^, ist sehr zu bezweifeln. Und doch ist die Lösung der sozialen Frage die Bedingung zur Losung aller andern; bis jetzt aber haben die fabritbesitzenden Liberalen nur schöne Worte für die englische Landbevölkerung gehabt, und die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/221
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/221>, abgerufen am 03.07.2024.