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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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vitalsten Fragen für die ökonomischen Interessen ganz Oesterreichs mit vollster
Beruhigung dem richterlichen Spruche anheimgegeben... Ob er (der klagende
Kurator der Prioritätenbesitzer) sich wohl klar geworden ist über das ungeheure
Attentat, das er hierdurch an den ökonomischen Interessen Oesterreichs -- seines
Vaterlandes verübte? > . > Wir nehmen den Streit aus -- den Streit nicht blos
für uns, sondern für alle österreichischen Eisenbahngesellschaften, die sich in
gleicher Lage wie wir befinden -- den Streit für die vitalsten ökonomischen In¬
teressen Oesterreichs , . . All denjenigen aber, welche durch ähnliche Angriffe ge¬
ängstigt werden, und welche die Heftigkeit derselben befangen macht, wollen wir,
desjenigen gedenkend, was einst dem großen Könige von Preußen geantwortet
wurde, nur noch die beruhigenden Worte zurufen: Es giebt noch Richter in
Oesterreich!" Der Kläger war in diesem Falle allerdings bedeutend nüchterner.
Der erhabene Standpunkt, den die Gegenseite einzunehmen versuche, komme ihr
absolut nicht zu. Mit patriotisch klingenden Extlamationen sei hier nicht weiter
zu kommen. Es handle sich nicht im entferntesten um ein ökonomisches Mar¬
tyrium, sondern höchst einfach und prosaisch um eine Aktiengesellschaft, die ihre
Schulden nicht in der Weise bezahlen wolle, wie sie kontrahirt wurden!

Wenden wir uns von den Meinungen der Parteien ab, welche oft ein er¬
regtes Gefühl verraten und fassen wir die Urteile der beiderseitigen Gerichte
genauer ins Auge. Beide verdienen die gleiche Aufmerksamkeit, da man sich
sicherlich hüben wie drüben bemüht hat, die Frage so objectiv zu behandeln,
wie es unter den obwaltenden Umständen irgend anging, wenn anch die grund¬
verschiedenen Entscheidungen nicht darnach aussehe", als ob sie dazu angethan
wären, den Respekt vor dem Rechte zu mehren.

Die österreichischen Gerichte bauen ihre Schlußfolgerung im wesentlichen
auf einer kühnen Interpretation auf. Wenn -- sagen sie -- im Titel und Text
der Schuldverschreibungen der Nennwert von 200 Gulden den Betragen von
133 >/g Thalern oder 500 Francs gleichgestellt werde, so sei das nicht als ein selb¬
ständiges Versprechen aufzufassen, dem Gläubiger in Deutschland 133-/, Thaler
auszuzahlen, sondern nur als Belehrung, um dem Ausländer den damaligen
Wert der Obligationen ans den ersten Blick klar zu machen. Wäre die Absicht
der Eisenbahngesellschaften weiter gegangen, so hätten sie ans ihren Obligationen
nicht schreiben dürfen "200 Gulden gleich 133-/, Thaler oder 500 Francs"
sondern "200 Gulden oder 133-/, Thaler oder 500 Francs."

Daß diese von dem Handelsgericht angenommene Unterscheidung von "gleich"
und "oder" ganz willkürlich und spitzfindig ist, zeigt die Praxis der Eisenbahnen
selbst, in welcher die Unterscheidung gar nicht festgehalten ist. Auf den Obligationen
der Elisabcthbahn vom Jahre 1873 steht gedruckt zu lesen: 200 Gulden in Silber
gleich 133-/, Thaler; auf den dazu gehörigen Kupons aber: 5 Gulden oder
3 Thaler 10 Groschen. Sonach wäre den deutschen Gläubigern wenigstens be¬
treffs der Zinszahlungen hier Recht zu geben, bei der Lemberg-Czernvwitzer


vitalsten Fragen für die ökonomischen Interessen ganz Oesterreichs mit vollster
Beruhigung dem richterlichen Spruche anheimgegeben... Ob er (der klagende
Kurator der Prioritätenbesitzer) sich wohl klar geworden ist über das ungeheure
Attentat, das er hierdurch an den ökonomischen Interessen Oesterreichs — seines
Vaterlandes verübte? > . > Wir nehmen den Streit aus — den Streit nicht blos
für uns, sondern für alle österreichischen Eisenbahngesellschaften, die sich in
gleicher Lage wie wir befinden — den Streit für die vitalsten ökonomischen In¬
teressen Oesterreichs , . . All denjenigen aber, welche durch ähnliche Angriffe ge¬
ängstigt werden, und welche die Heftigkeit derselben befangen macht, wollen wir,
desjenigen gedenkend, was einst dem großen Könige von Preußen geantwortet
wurde, nur noch die beruhigenden Worte zurufen: Es giebt noch Richter in
Oesterreich!" Der Kläger war in diesem Falle allerdings bedeutend nüchterner.
Der erhabene Standpunkt, den die Gegenseite einzunehmen versuche, komme ihr
absolut nicht zu. Mit patriotisch klingenden Extlamationen sei hier nicht weiter
zu kommen. Es handle sich nicht im entferntesten um ein ökonomisches Mar¬
tyrium, sondern höchst einfach und prosaisch um eine Aktiengesellschaft, die ihre
Schulden nicht in der Weise bezahlen wolle, wie sie kontrahirt wurden!

Wenden wir uns von den Meinungen der Parteien ab, welche oft ein er¬
regtes Gefühl verraten und fassen wir die Urteile der beiderseitigen Gerichte
genauer ins Auge. Beide verdienen die gleiche Aufmerksamkeit, da man sich
sicherlich hüben wie drüben bemüht hat, die Frage so objectiv zu behandeln,
wie es unter den obwaltenden Umständen irgend anging, wenn anch die grund¬
verschiedenen Entscheidungen nicht darnach aussehe», als ob sie dazu angethan
wären, den Respekt vor dem Rechte zu mehren.

Die österreichischen Gerichte bauen ihre Schlußfolgerung im wesentlichen
auf einer kühnen Interpretation auf. Wenn — sagen sie — im Titel und Text
der Schuldverschreibungen der Nennwert von 200 Gulden den Betragen von
133 >/g Thalern oder 500 Francs gleichgestellt werde, so sei das nicht als ein selb¬
ständiges Versprechen aufzufassen, dem Gläubiger in Deutschland 133-/, Thaler
auszuzahlen, sondern nur als Belehrung, um dem Ausländer den damaligen
Wert der Obligationen ans den ersten Blick klar zu machen. Wäre die Absicht
der Eisenbahngesellschaften weiter gegangen, so hätten sie ans ihren Obligationen
nicht schreiben dürfen „200 Gulden gleich 133-/, Thaler oder 500 Francs"
sondern „200 Gulden oder 133-/, Thaler oder 500 Francs."

Daß diese von dem Handelsgericht angenommene Unterscheidung von „gleich"
und „oder" ganz willkürlich und spitzfindig ist, zeigt die Praxis der Eisenbahnen
selbst, in welcher die Unterscheidung gar nicht festgehalten ist. Auf den Obligationen
der Elisabcthbahn vom Jahre 1873 steht gedruckt zu lesen: 200 Gulden in Silber
gleich 133-/, Thaler; auf den dazu gehörigen Kupons aber: 5 Gulden oder
3 Thaler 10 Groschen. Sonach wäre den deutschen Gläubigern wenigstens be¬
treffs der Zinszahlungen hier Recht zu geben, bei der Lemberg-Czernvwitzer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/22>, abgerufen am 28.09.2024.