Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Bakchen und Thyrsosträger. dich nur so vor den Hausbewohnern blamiren? Jeden Augenblick kann uns Es ist mir alles ganz gleichgiltig, entgegnete sie. Er zuckte die Achseln und stieg weiter hinab. Aber als er die letzte Treppe Was willst du eigentlich? fragte er. Die Adresse meiner Tochter. Ich weiß nicht, warum du sie so pathetisch deine Tochter nennst. Sie ist Gieb mir die Adresse! wiederholte sie. Nichts gebe ich dir. Gut, so bleib ich bei dir. Wohin du gehen magst, ins Theater oder auf Er biß die Zähne zusammen. Er fürchtete, ihr Unverstand sei groß genug, Du bist doch so toll wie du schön bist -- oder noch mehr, sagte er. Als Ich besaß niemals Logik! erwiderte sie blitzschnell. Erstaunt und beinahe zum Lachen gereizt hörte er diese Worte. Es fiel
und er sagte mit ruhigem Tone: Liebe Lilli, ich sehe mein Unrecht ein. Verzeih Siehst du, fuhr er leise fort, als sie neben einander die Treppe wieder Bakchen und Thyrsosträger. dich nur so vor den Hausbewohnern blamiren? Jeden Augenblick kann uns Es ist mir alles ganz gleichgiltig, entgegnete sie. Er zuckte die Achseln und stieg weiter hinab. Aber als er die letzte Treppe Was willst du eigentlich? fragte er. Die Adresse meiner Tochter. Ich weiß nicht, warum du sie so pathetisch deine Tochter nennst. Sie ist Gieb mir die Adresse! wiederholte sie. Nichts gebe ich dir. Gut, so bleib ich bei dir. Wohin du gehen magst, ins Theater oder auf Er biß die Zähne zusammen. Er fürchtete, ihr Unverstand sei groß genug, Du bist doch so toll wie du schön bist — oder noch mehr, sagte er. Als Ich besaß niemals Logik! erwiderte sie blitzschnell. Erstaunt und beinahe zum Lachen gereizt hörte er diese Worte. Es fiel
und er sagte mit ruhigem Tone: Liebe Lilli, ich sehe mein Unrecht ein. Verzeih Siehst du, fuhr er leise fort, als sie neben einander die Treppe wieder <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86327"/> <fw type="header" place="top"> Bakchen und Thyrsosträger.</fw><lb/> <p xml:id="ID_855" prev="#ID_854"> dich nur so vor den Hausbewohnern blamiren? Jeden Augenblick kann uns<lb/> jemand begegnen.</p><lb/> <p xml:id="ID_856"> Es ist mir alles ganz gleichgiltig, entgegnete sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_857"> Er zuckte die Achseln und stieg weiter hinab. Aber als er die letzte Treppe<lb/> erreicht hatte und sie noch dicht hinter ihm war, blieb er wiederum stehen. Er<lb/> überlegte, daß es ihn in ein sonderbares Licht setzen könnte, wenn er Seite um<lb/> Seite mit einer exaltirten schönen Dame ohne Hut und Straszeuanzug gesehen wiirde.</p><lb/> <p xml:id="ID_858"> Was willst du eigentlich? fragte er.</p><lb/> <p xml:id="ID_859"> Die Adresse meiner Tochter.</p><lb/> <p xml:id="ID_860"> Ich weiß nicht, warum du sie so pathetisch deine Tochter nennst. Sie ist<lb/> ebenso wohl meine Tochter, und ich denke meine Pflichten gegen sie besser er¬<lb/> füllen zu können als du.</p><lb/> <p xml:id="ID_861"> Gieb mir die Adresse! wiederholte sie.</p><lb/> <p xml:id="ID_862"> Nichts gebe ich dir.</p><lb/> <p xml:id="ID_863"> Gut, so bleib ich bei dir. Wohin du gehen magst, ins Theater oder auf<lb/> den Ball oder zu Rachel oder in den Reichstag, ich klammere mich an dich wie<lb/> eine Klette, und wenn es mein letzter Tag sein soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_864"> Er biß die Zähne zusammen. Er fürchtete, ihr Unverstand sei groß genug,<lb/> um sie wirklich zu einer That zu führen, die ihn lächerlich macheu und kompromittiren<lb/> müßte. Darum beschloß er einzulenken.</p><lb/> <p xml:id="ID_865"> Du bist doch so toll wie du schön bist — oder noch mehr, sagte er. Als<lb/> ich ruhig neben dir saß und du alles von mir erlangen konntest, erlebst du mich<lb/> gewaltsam aus der Thür. Und nun ich deinem Befehl gehorsam bin, läufst du<lb/> hinter mir her. Ist darin nur eine Spur von Logik?</p><lb/> <p xml:id="ID_866"> Ich besaß niemals Logik! erwiderte sie blitzschnell.</p><lb/> <p xml:id="ID_867" next="#ID_868"> Erstaunt und beinahe zum Lachen gereizt hörte er diese Worte. Es fiel<lb/> ihm ein, er sei doch wohl ein großer Thor, mit einem Weibe ernstlich zu streiten<lb/> und von Lilli etwas zu verlangen, was sie doch nicht geben konnte. Er sah<lb/> sie um und bemerkte, wie schön sie in ihrem Zorn war. Ihre Augen warm<lb/> schwarz und leuchtend, ihre Haut blasser als je, und ihr brvnzefarbenes Haar<lb/> schien sich in züngelnde Schlangen verwandelt zu haben. Eine Empfindung<lb/> überkam ihn, wie sie aus den Heineschen Versen klingt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_19" type="poem"> <l> Den Leib möcht ich noch haben,<lb/> Den Leib, so zart und jung.<lb/> Ihr könnt die Seele begraben,<lb/> Hab selber Seele genung —</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_868" prev="#ID_867"> und er sagte mit ruhigem Tone: Liebe Lilli, ich sehe mein Unrecht ein. Verzeih<lb/> mir mein strafbares Benehmen gegen dich und laß uns umkehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_869" next="#ID_870"> Siehst du, fuhr er leise fort, als sie neben einander die Treppe wieder<lb/> hinaufstiegen, was die Adresse betrifft, so will ich sie dir ja gerne geben. Ich<lb/> billige deinen Plan, das liebe Mädchen als Nichte in euer Haus zu nehmen,<lb/> im Prinzip vollkommen. Nur hinsichtlich der Art lind Weise und hinsichtlich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0206]
Bakchen und Thyrsosträger.
dich nur so vor den Hausbewohnern blamiren? Jeden Augenblick kann uns
jemand begegnen.
Es ist mir alles ganz gleichgiltig, entgegnete sie.
Er zuckte die Achseln und stieg weiter hinab. Aber als er die letzte Treppe
erreicht hatte und sie noch dicht hinter ihm war, blieb er wiederum stehen. Er
überlegte, daß es ihn in ein sonderbares Licht setzen könnte, wenn er Seite um
Seite mit einer exaltirten schönen Dame ohne Hut und Straszeuanzug gesehen wiirde.
Was willst du eigentlich? fragte er.
Die Adresse meiner Tochter.
Ich weiß nicht, warum du sie so pathetisch deine Tochter nennst. Sie ist
ebenso wohl meine Tochter, und ich denke meine Pflichten gegen sie besser er¬
füllen zu können als du.
Gieb mir die Adresse! wiederholte sie.
Nichts gebe ich dir.
Gut, so bleib ich bei dir. Wohin du gehen magst, ins Theater oder auf
den Ball oder zu Rachel oder in den Reichstag, ich klammere mich an dich wie
eine Klette, und wenn es mein letzter Tag sein soll.
Er biß die Zähne zusammen. Er fürchtete, ihr Unverstand sei groß genug,
um sie wirklich zu einer That zu führen, die ihn lächerlich macheu und kompromittiren
müßte. Darum beschloß er einzulenken.
Du bist doch so toll wie du schön bist — oder noch mehr, sagte er. Als
ich ruhig neben dir saß und du alles von mir erlangen konntest, erlebst du mich
gewaltsam aus der Thür. Und nun ich deinem Befehl gehorsam bin, läufst du
hinter mir her. Ist darin nur eine Spur von Logik?
Ich besaß niemals Logik! erwiderte sie blitzschnell.
Erstaunt und beinahe zum Lachen gereizt hörte er diese Worte. Es fiel
ihm ein, er sei doch wohl ein großer Thor, mit einem Weibe ernstlich zu streiten
und von Lilli etwas zu verlangen, was sie doch nicht geben konnte. Er sah
sie um und bemerkte, wie schön sie in ihrem Zorn war. Ihre Augen warm
schwarz und leuchtend, ihre Haut blasser als je, und ihr brvnzefarbenes Haar
schien sich in züngelnde Schlangen verwandelt zu haben. Eine Empfindung
überkam ihn, wie sie aus den Heineschen Versen klingt:
Den Leib möcht ich noch haben,
Den Leib, so zart und jung.
Ihr könnt die Seele begraben,
Hab selber Seele genung —
und er sagte mit ruhigem Tone: Liebe Lilli, ich sehe mein Unrecht ein. Verzeih
mir mein strafbares Benehmen gegen dich und laß uns umkehren.
Siehst du, fuhr er leise fort, als sie neben einander die Treppe wieder
hinaufstiegen, was die Adresse betrifft, so will ich sie dir ja gerne geben. Ich
billige deinen Plan, das liebe Mädchen als Nichte in euer Haus zu nehmen,
im Prinzip vollkommen. Nur hinsichtlich der Art lind Weise und hinsichtlich
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