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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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ihnen das Kind überliesere, so könnten sie eine Citrvnenprcsse daraus machen,
in welcher ich die Citrone wäre.

Unmutig warf sich I)r. Irrwisch bei diesen Überlegungen in die andre Ecke
des Wagens.

Wenn ich auf eine gute Manier von ihr loskommen konnte, thäte ich es
wahrhaftig. Im Grunde ist es eine Thorheit, sich mit einer Geliebten zu be¬
fassen. Man hat so viel Ärger, als ob man doppelt verheiratet wäre. Das
Schlimme ist mir..., ich weiß nicht, ob ich sie entbehren kann. Ich denke noch
mit Schrecken an die Zeit, als ich mich mit ihr überworfen hatte, als ich sie
Jahre lang nicht sah, und sie, um mich zu ärgern, diesen lackirten Schuhputzer,
diesen Blmikendvrff, heiratete. Jeden Tag, jede Stunde sehnte ich mich nach
ihr. Freilich ist das lange Zeit her, und ich bin älter und ruhiger geworden.
Ruhiger? Älter gewiß, aber mir scheint es doch zuweilen so, als ob wir mit
dem Alter immer schwächer würden gegenüber unsern Leidenschaften, Die Be¬
hauptung, das Alter mache klug, ist nichts als eine Lüge, die nur deshalb all¬
gemein geglaubt wird, weil sie so albern ist. Als ich noch jung war, traf
ich das Rechte iustücktmäßig, und jetzt quält sich der Verstand und findet es
nicht.

Wenn ich mich nur selber kennte! Aber ich weiß, hol mich der--, nicht,
ob ich diese verzweifelte Sirene liebe oder nicht. Es ist möglich, daß ich sie
vergäße, aber es ist eben so möglich, daß ich rein wahnsinnig würde durch ihren
Verlust. Buridans Esel konnte nicht in schlimmerer Verlegenheit sein als ich
es bin.

Aha, da sind wir!

Die Droschke hielt, Irrwisch bezahlte den Kutscher und schlüpfte in die
nächste Hausthür. Er stieg zwei Treppen hinan, zog die Klingel, ein Dienst¬
mädchen öffnete ihm, und er ward hineingeführt.

In dem elegant eingerichteten Zimmer, welches er unangemeldet betrat, lag
die Dame, welche seine Gedanken auf der Fahrt so lebhaft beschäftigt hatte, auf
der Llmiss lor^us und schien zu lesen. Ihr Gesicht war der Thür abgewandt,
und vielleicht war sie sehr vertieft in den kleinen Band, welcher vor ihr auf dem
Rücken ihrer Angorakatze lag, denn sie beachtete gnr nicht, daß jemand einge¬
treten war. Neben ihr ans einem chinesischen Tischchen stand ein durchsichtig
feines Porzellan-Service mit dem starken Thee, den sie fast zu allen Tages¬
stunden zu schlürfen Pflegte. Eine eigenartige Beleuchtung, durch kunstvolles
Arrangement der Vorhänge, Tapeten und Teppiche, sowie durch die farbigen Schleier
zweier Lampen hervorgerufen, und dazu der feine Duft irgend einer neu erfundenen
Essenz, verliehen dem Gemach einen gewissen Zauber, der sich den Sinnen ein¬
schmeichelte. Dr. Irrwisch blieb eine Sekunde an der Schwelle stehen, und eine
leichte Besorgnis prägte sich in seinen Zügen aus, als er seinen prüfenden Blick
auf die Schöne richtete.


ihnen das Kind überliesere, so könnten sie eine Citrvnenprcsse daraus machen,
in welcher ich die Citrone wäre.

Unmutig warf sich I)r. Irrwisch bei diesen Überlegungen in die andre Ecke
des Wagens.

Wenn ich auf eine gute Manier von ihr loskommen konnte, thäte ich es
wahrhaftig. Im Grunde ist es eine Thorheit, sich mit einer Geliebten zu be¬
fassen. Man hat so viel Ärger, als ob man doppelt verheiratet wäre. Das
Schlimme ist mir..., ich weiß nicht, ob ich sie entbehren kann. Ich denke noch
mit Schrecken an die Zeit, als ich mich mit ihr überworfen hatte, als ich sie
Jahre lang nicht sah, und sie, um mich zu ärgern, diesen lackirten Schuhputzer,
diesen Blmikendvrff, heiratete. Jeden Tag, jede Stunde sehnte ich mich nach
ihr. Freilich ist das lange Zeit her, und ich bin älter und ruhiger geworden.
Ruhiger? Älter gewiß, aber mir scheint es doch zuweilen so, als ob wir mit
dem Alter immer schwächer würden gegenüber unsern Leidenschaften, Die Be¬
hauptung, das Alter mache klug, ist nichts als eine Lüge, die nur deshalb all¬
gemein geglaubt wird, weil sie so albern ist. Als ich noch jung war, traf
ich das Rechte iustücktmäßig, und jetzt quält sich der Verstand und findet es
nicht.

Wenn ich mich nur selber kennte! Aber ich weiß, hol mich der—, nicht,
ob ich diese verzweifelte Sirene liebe oder nicht. Es ist möglich, daß ich sie
vergäße, aber es ist eben so möglich, daß ich rein wahnsinnig würde durch ihren
Verlust. Buridans Esel konnte nicht in schlimmerer Verlegenheit sein als ich
es bin.

Aha, da sind wir!

Die Droschke hielt, Irrwisch bezahlte den Kutscher und schlüpfte in die
nächste Hausthür. Er stieg zwei Treppen hinan, zog die Klingel, ein Dienst¬
mädchen öffnete ihm, und er ward hineingeführt.

In dem elegant eingerichteten Zimmer, welches er unangemeldet betrat, lag
die Dame, welche seine Gedanken auf der Fahrt so lebhaft beschäftigt hatte, auf
der Llmiss lor^us und schien zu lesen. Ihr Gesicht war der Thür abgewandt,
und vielleicht war sie sehr vertieft in den kleinen Band, welcher vor ihr auf dem
Rücken ihrer Angorakatze lag, denn sie beachtete gnr nicht, daß jemand einge¬
treten war. Neben ihr ans einem chinesischen Tischchen stand ein durchsichtig
feines Porzellan-Service mit dem starken Thee, den sie fast zu allen Tages¬
stunden zu schlürfen Pflegte. Eine eigenartige Beleuchtung, durch kunstvolles
Arrangement der Vorhänge, Tapeten und Teppiche, sowie durch die farbigen Schleier
zweier Lampen hervorgerufen, und dazu der feine Duft irgend einer neu erfundenen
Essenz, verliehen dem Gemach einen gewissen Zauber, der sich den Sinnen ein¬
schmeichelte. Dr. Irrwisch blieb eine Sekunde an der Schwelle stehen, und eine
leichte Besorgnis prägte sich in seinen Zügen aus, als er seinen prüfenden Blick
auf die Schöne richtete.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/203>, abgerufen am 24.08.2024.