Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Bakchen und Thyrsosträger.

ich, einige Ähnlichkeit mit mir selbst. Denn ich habe noch niemals bis auf den
Grund ihrer Seele dringen können, ebenso wenig wie bei mir selbst. Es bleibt
immer noch ein Geheimnis übrig. Ich glaube, daß sie zu allem fähig ist, diese
Tochter Moabs, vorausgesetzt, daß die Umstände darnach angethan wären, und
auch in mir selbst fühle ich einen Dämon, der mich unter dem Drange der
Verhältnisse zu allem treiben könnte.

Was wäre wohl daraus geworden, wenn ich sie geheiratet hätte, anstatt
dieser Molluske Rahel? Wenn ich mir vorstelle, sie schritte mit ihrem unnach¬
ahmlichen Gange über meine Parketts hin und ihr königliches Hnnpt ragte
über meine Gesellschaften hinweg, so peinigt mich eine heiße Sehnsucht bis
ins Mark hinein. Aber der Teufel traue! Sie erinnert mich oft an die
Sphinxe des Prinzen Ellgen im Belvederepark. Rveeveeo-Gesichter mit Hof¬
damen-Lächeln ans einem geflügelten Löwmleib. Sie haben gewaltige Tatzen,
diese Sphinxe.

Was kann es auch nützen, sich mit solchen Bildern zu betrügen und die
Vcrgnugenheit in Träumen ungeschehen zu machen. War doch Lilli kaum zehn
Jahr alt, als ich Rahel heiratete. Ja, hätte ich ahnen können, das; ich einst
einer Lilli begegnen würde, da-- Ich habe Rahel geheiratet, weil ich es für
vorteilhaft hielt; und es ist mir auch vorteilhaft gewesen, mit den Lovendals
in Verbindung zu treten. Jetzt allerdings sind mir die Juden oft wie ein Klotz
am Bein. Im Reichstage sieht mich dieser und jener von der Seite an, wenn
von Judengenossen die Rede ist, und die Verwandtschaft steht zwischen mir und
dem Minister-Portefeuille.

Pah! Wer weiß! Noch ist nicht aller Tage Abend. Und schließlich habe
ich es vielleicht so am beseelt getroffen. Rahel ist indolent, sie studirt ihre
Nationalökonomen, zählt den Domestiken die Kartoffeln zu, unterhält sich mit
ihrer Schneiderin und läßt mich meiner Wege gehen. Sie merkt es, glaube ich,
nicht einmal, daß diese verführerische Lilli meine Mußestunden ausfüllt. Wäre
diese aber meine Fran -- ich könnte eben so ruhig in einer Dhnamitfabrik
wohnen als mit ihr zusammen.

Schon jetzt, ohne daß ich mit ihr verheiratet bin, ist sie mir oft bedenklich.
Ihre Leidenschaft ist ohne Maß, und seitdem ich ihr thörichter Weise verraten
habe, daß das Kind noch lebt, ist sie wie umgewandelt. Man lernt die Weiber
nicht aufkeimen. Alles hätte ich eher in ihr vermutet als diese übertriebene
Sehnsucht nach dem Kinde. Ich für meine Person kann mich gar nicht da
hineindenken. Wunderliche Sentimentalität! Jetzt, nach achtzehn Jahren! Mein
weiser Schwager Ephraim würde sagen, an ihrem Hinterkopfe befände sich das
Organ der Kinderliebe stark entwickelt. Ich werde mich aber wohl hüten, ihr
den Gefallen zu thun. Sie behauptet, das Mädchen als ihre Nichte zu sich
nehmen zu wollen, aber ich traue den Blankendorffs uicht. Ihre Verhältnisse
sind zu derangirt, er, Vlaukendorff, ist keine" Schuß Pulver wert, und wenn ich


Bakchen und Thyrsosträger.

ich, einige Ähnlichkeit mit mir selbst. Denn ich habe noch niemals bis auf den
Grund ihrer Seele dringen können, ebenso wenig wie bei mir selbst. Es bleibt
immer noch ein Geheimnis übrig. Ich glaube, daß sie zu allem fähig ist, diese
Tochter Moabs, vorausgesetzt, daß die Umstände darnach angethan wären, und
auch in mir selbst fühle ich einen Dämon, der mich unter dem Drange der
Verhältnisse zu allem treiben könnte.

Was wäre wohl daraus geworden, wenn ich sie geheiratet hätte, anstatt
dieser Molluske Rahel? Wenn ich mir vorstelle, sie schritte mit ihrem unnach¬
ahmlichen Gange über meine Parketts hin und ihr königliches Hnnpt ragte
über meine Gesellschaften hinweg, so peinigt mich eine heiße Sehnsucht bis
ins Mark hinein. Aber der Teufel traue! Sie erinnert mich oft an die
Sphinxe des Prinzen Ellgen im Belvederepark. Rveeveeo-Gesichter mit Hof¬
damen-Lächeln ans einem geflügelten Löwmleib. Sie haben gewaltige Tatzen,
diese Sphinxe.

Was kann es auch nützen, sich mit solchen Bildern zu betrügen und die
Vcrgnugenheit in Träumen ungeschehen zu machen. War doch Lilli kaum zehn
Jahr alt, als ich Rahel heiratete. Ja, hätte ich ahnen können, das; ich einst
einer Lilli begegnen würde, da— Ich habe Rahel geheiratet, weil ich es für
vorteilhaft hielt; und es ist mir auch vorteilhaft gewesen, mit den Lovendals
in Verbindung zu treten. Jetzt allerdings sind mir die Juden oft wie ein Klotz
am Bein. Im Reichstage sieht mich dieser und jener von der Seite an, wenn
von Judengenossen die Rede ist, und die Verwandtschaft steht zwischen mir und
dem Minister-Portefeuille.

Pah! Wer weiß! Noch ist nicht aller Tage Abend. Und schließlich habe
ich es vielleicht so am beseelt getroffen. Rahel ist indolent, sie studirt ihre
Nationalökonomen, zählt den Domestiken die Kartoffeln zu, unterhält sich mit
ihrer Schneiderin und läßt mich meiner Wege gehen. Sie merkt es, glaube ich,
nicht einmal, daß diese verführerische Lilli meine Mußestunden ausfüllt. Wäre
diese aber meine Fran — ich könnte eben so ruhig in einer Dhnamitfabrik
wohnen als mit ihr zusammen.

Schon jetzt, ohne daß ich mit ihr verheiratet bin, ist sie mir oft bedenklich.
Ihre Leidenschaft ist ohne Maß, und seitdem ich ihr thörichter Weise verraten
habe, daß das Kind noch lebt, ist sie wie umgewandelt. Man lernt die Weiber
nicht aufkeimen. Alles hätte ich eher in ihr vermutet als diese übertriebene
Sehnsucht nach dem Kinde. Ich für meine Person kann mich gar nicht da
hineindenken. Wunderliche Sentimentalität! Jetzt, nach achtzehn Jahren! Mein
weiser Schwager Ephraim würde sagen, an ihrem Hinterkopfe befände sich das
Organ der Kinderliebe stark entwickelt. Ich werde mich aber wohl hüten, ihr
den Gefallen zu thun. Sie behauptet, das Mädchen als ihre Nichte zu sich
nehmen zu wollen, aber ich traue den Blankendorffs uicht. Ihre Verhältnisse
sind zu derangirt, er, Vlaukendorff, ist keine» Schuß Pulver wert, und wenn ich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0202" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86323"/>
            <fw type="header" place="top"> Bakchen und Thyrsosträger.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_811" prev="#ID_810"> ich, einige Ähnlichkeit mit mir selbst. Denn ich habe noch niemals bis auf den<lb/>
Grund ihrer Seele dringen können, ebenso wenig wie bei mir selbst. Es bleibt<lb/>
immer noch ein Geheimnis übrig. Ich glaube, daß sie zu allem fähig ist, diese<lb/>
Tochter Moabs, vorausgesetzt, daß die Umstände darnach angethan wären, und<lb/>
auch in mir selbst fühle ich einen Dämon, der mich unter dem Drange der<lb/>
Verhältnisse zu allem treiben könnte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_812"> Was wäre wohl daraus geworden, wenn ich sie geheiratet hätte, anstatt<lb/>
dieser Molluske Rahel? Wenn ich mir vorstelle, sie schritte mit ihrem unnach¬<lb/>
ahmlichen Gange über meine Parketts hin und ihr königliches Hnnpt ragte<lb/>
über meine Gesellschaften hinweg, so peinigt mich eine heiße Sehnsucht bis<lb/>
ins Mark hinein. Aber der Teufel traue! Sie erinnert mich oft an die<lb/>
Sphinxe des Prinzen Ellgen im Belvederepark. Rveeveeo-Gesichter mit Hof¬<lb/>
damen-Lächeln ans einem geflügelten Löwmleib. Sie haben gewaltige Tatzen,<lb/>
diese Sphinxe.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_813"> Was kann es auch nützen, sich mit solchen Bildern zu betrügen und die<lb/>
Vcrgnugenheit in Träumen ungeschehen zu machen. War doch Lilli kaum zehn<lb/>
Jahr alt, als ich Rahel heiratete. Ja, hätte ich ahnen können, das; ich einst<lb/>
einer Lilli begegnen würde, da&#x2014; Ich habe Rahel geheiratet, weil ich es für<lb/>
vorteilhaft hielt; und es ist mir auch vorteilhaft gewesen, mit den Lovendals<lb/>
in Verbindung zu treten. Jetzt allerdings sind mir die Juden oft wie ein Klotz<lb/>
am Bein. Im Reichstage sieht mich dieser und jener von der Seite an, wenn<lb/>
von Judengenossen die Rede ist, und die Verwandtschaft steht zwischen mir und<lb/>
dem Minister-Portefeuille.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_814"> Pah! Wer weiß! Noch ist nicht aller Tage Abend. Und schließlich habe<lb/>
ich es vielleicht so am beseelt getroffen. Rahel ist indolent, sie studirt ihre<lb/>
Nationalökonomen, zählt den Domestiken die Kartoffeln zu, unterhält sich mit<lb/>
ihrer Schneiderin und läßt mich meiner Wege gehen. Sie merkt es, glaube ich,<lb/>
nicht einmal, daß diese verführerische Lilli meine Mußestunden ausfüllt. Wäre<lb/>
diese aber meine Fran &#x2014; ich könnte eben so ruhig in einer Dhnamitfabrik<lb/>
wohnen als mit ihr zusammen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_815" next="#ID_816"> Schon jetzt, ohne daß ich mit ihr verheiratet bin, ist sie mir oft bedenklich.<lb/>
Ihre Leidenschaft ist ohne Maß, und seitdem ich ihr thörichter Weise verraten<lb/>
habe, daß das Kind noch lebt, ist sie wie umgewandelt. Man lernt die Weiber<lb/>
nicht aufkeimen. Alles hätte ich eher in ihr vermutet als diese übertriebene<lb/>
Sehnsucht nach dem Kinde. Ich für meine Person kann mich gar nicht da<lb/>
hineindenken. Wunderliche Sentimentalität! Jetzt, nach achtzehn Jahren! Mein<lb/>
weiser Schwager Ephraim würde sagen, an ihrem Hinterkopfe befände sich das<lb/>
Organ der Kinderliebe stark entwickelt. Ich werde mich aber wohl hüten, ihr<lb/>
den Gefallen zu thun. Sie behauptet, das Mädchen als ihre Nichte zu sich<lb/>
nehmen zu wollen, aber ich traue den Blankendorffs uicht. Ihre Verhältnisse<lb/>
sind zu derangirt, er, Vlaukendorff, ist keine» Schuß Pulver wert, und wenn ich</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0202] Bakchen und Thyrsosträger. ich, einige Ähnlichkeit mit mir selbst. Denn ich habe noch niemals bis auf den Grund ihrer Seele dringen können, ebenso wenig wie bei mir selbst. Es bleibt immer noch ein Geheimnis übrig. Ich glaube, daß sie zu allem fähig ist, diese Tochter Moabs, vorausgesetzt, daß die Umstände darnach angethan wären, und auch in mir selbst fühle ich einen Dämon, der mich unter dem Drange der Verhältnisse zu allem treiben könnte. Was wäre wohl daraus geworden, wenn ich sie geheiratet hätte, anstatt dieser Molluske Rahel? Wenn ich mir vorstelle, sie schritte mit ihrem unnach¬ ahmlichen Gange über meine Parketts hin und ihr königliches Hnnpt ragte über meine Gesellschaften hinweg, so peinigt mich eine heiße Sehnsucht bis ins Mark hinein. Aber der Teufel traue! Sie erinnert mich oft an die Sphinxe des Prinzen Ellgen im Belvederepark. Rveeveeo-Gesichter mit Hof¬ damen-Lächeln ans einem geflügelten Löwmleib. Sie haben gewaltige Tatzen, diese Sphinxe. Was kann es auch nützen, sich mit solchen Bildern zu betrügen und die Vcrgnugenheit in Träumen ungeschehen zu machen. War doch Lilli kaum zehn Jahr alt, als ich Rahel heiratete. Ja, hätte ich ahnen können, das; ich einst einer Lilli begegnen würde, da— Ich habe Rahel geheiratet, weil ich es für vorteilhaft hielt; und es ist mir auch vorteilhaft gewesen, mit den Lovendals in Verbindung zu treten. Jetzt allerdings sind mir die Juden oft wie ein Klotz am Bein. Im Reichstage sieht mich dieser und jener von der Seite an, wenn von Judengenossen die Rede ist, und die Verwandtschaft steht zwischen mir und dem Minister-Portefeuille. Pah! Wer weiß! Noch ist nicht aller Tage Abend. Und schließlich habe ich es vielleicht so am beseelt getroffen. Rahel ist indolent, sie studirt ihre Nationalökonomen, zählt den Domestiken die Kartoffeln zu, unterhält sich mit ihrer Schneiderin und läßt mich meiner Wege gehen. Sie merkt es, glaube ich, nicht einmal, daß diese verführerische Lilli meine Mußestunden ausfüllt. Wäre diese aber meine Fran — ich könnte eben so ruhig in einer Dhnamitfabrik wohnen als mit ihr zusammen. Schon jetzt, ohne daß ich mit ihr verheiratet bin, ist sie mir oft bedenklich. Ihre Leidenschaft ist ohne Maß, und seitdem ich ihr thörichter Weise verraten habe, daß das Kind noch lebt, ist sie wie umgewandelt. Man lernt die Weiber nicht aufkeimen. Alles hätte ich eher in ihr vermutet als diese übertriebene Sehnsucht nach dem Kinde. Ich für meine Person kann mich gar nicht da hineindenken. Wunderliche Sentimentalität! Jetzt, nach achtzehn Jahren! Mein weiser Schwager Ephraim würde sagen, an ihrem Hinterkopfe befände sich das Organ der Kinderliebe stark entwickelt. Ich werde mich aber wohl hüten, ihr den Gefallen zu thun. Sie behauptet, das Mädchen als ihre Nichte zu sich nehmen zu wollen, aber ich traue den Blankendorffs uicht. Ihre Verhältnisse sind zu derangirt, er, Vlaukendorff, ist keine» Schuß Pulver wert, und wenn ich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/202
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/202>, abgerufen am 22.07.2024.